Vorschriftswidriges Verbringen von Waren in das Zollgebiet, spätere Beschlagnahme und Einziehung, Zollschuld: Für die Frage, ob unter Verletzung der Gestellungspflicht in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Waren noch "bei dem vorschriftswidrigen Verbringen" (Art. 233 Buchst. d ZK) beschlagnahmt worden sind und damit mit der nachfolgenden Einziehung die Zollschuld erloschen ist, kommt es jedenfalls nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Waren in den Wirtschaftskreislauf bzw. ihr "Zur-Ruhe-Kommen" im Anschluss an die grenzüberschreitende Beförderung an. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, zu dem die Waren den Ort, an dem sie hätten ordnungsgemäß gestellt werden müssen, wieder verlassen haben, spätestens aber der Zeitpunkt, zu dem sie ihren (ersten) Bestimmungsort im Zollgebiet erreicht haben. Die Beschlagnahme und Einziehung der Waren nach diesem Zeitpunkt führt nicht mehr zu einem Erlöschen der Zollschuld. - Urt.; BFH 7.3.2006, VII R 23/04; SIS 06 22 80
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) reiste am 27.9.1999 als Fahrer eines Sattelzuges von
Polen kommend in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein. Hinter einer
Tarnladung aus Sägespänen waren in dem Lastzug 4.000.000
Stück unverzollte und unversteuerte Zigaretten verladen, die
er nicht zur Einfuhr anmeldete. Ziel der Fahrt war die
Werkstatthalle eines J in R. Dort waren beim Eintreffen des LKW
neben J auch der M anwesend. Nachdem mit der Entladung des LKW
begonnen worden war, wurden der Kläger, J und M von Beamten
des Zollfahndungsdienstes festgenommen, die das
Betriebsgelände observiert und das Geschehen in der Halle
durch ein Fenster von außen verfolgt hatten. Die Zigaretten
wurden beschlagnahmt und im weiteren Verlauf des Strafverfahrens
eingezogen.
Mit Steuerbescheid vom 4.10.1999 setzte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA - ) gegen
den Kläger gesamtschuldnerisch neben J und M Einfuhrabgaben
(Zoll; Tabaksteuer; Einfuhrumsatzsteuer) fest. In der
Einspruchsentscheidung vom 7.11.2000, mit der das HZA den Einspruch
des Klägers zurückwies, erläuterte das HZA
ergänzend, dass es alle namentlich bekannten Abgabenschuldner
wegen ihres gleichgewichtigen und arbeitsteiligen Vorgehens als
Gesamtschuldner in Anspruch nehme.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen
Erfolg (vgl. SIS 04 30 65). Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass
der Kläger Schuldner der Einfuhrabgaben sei, weil er die
Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht habe. Die
Abgabenschuld sei nicht nach Art. 233 Buchst. d des Zollkodex (ZK)
durch die Beschlagnahme und Einziehung der Zigaretten erloschen,
weil das vorschriftswidrige Verbringen im Zeitpunkt des Eingreifens
der Zollfahndungsbeamten und der Beschlagnahme der Zigaretten
bereits beendet gewesen sei. Aus einer Gesamtschau der Art. 202
Abs. 1 Satz 2, Art. 32 Abs. 1 Buchst. e, Art. 37 bis 41 und Art.
177 2. Anstrich ZK ergebe sich, dass der Vorgang des Verbringens
allenfalls das Geschehen bis zu dem Zeitpunkt und Ort einer
ordnungsgemäßen Gestellung umfasse. Eine Beschlagnahme,
die erst erfolge, nachdem die Ware die „Ausgangsgrenze“
des Amtsplatzes der nach Art. 38 ZK bestimmten Zollstelle passiert
habe, führe folglich nicht mehr zum Erlöschen der
Zollschuld.
Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers. Er ist mit Witte (Zollkodex, 3. Aufl., Art. 233 Rz.
18) der Auffassung, dass nicht allein die Beschlagnahme
während des eigentlichen Verbringens bis zum Ort einer
ordnungsgemäßen Gestellung, sondern auch eine
Beschlagnahme während der sich anschließenden
Beförderung bis zum ersten Bestimmungsort der Ware ein
Erlöschensgrund für die Zollschuld sei. Erster
Bestimmungsort sei die Werkstatthalle des J in R gewesen. Weil die
Beamten des Zollfahndungsdienstes aufgrund einer vertraulichen
Mitteilung Kenntnis von dem Eintreffen der Zigaretten gehabt
hätten, der LKW von den Beamten vor der Auffahrt auf das
Werkstattgelände entdeckt worden sei und man ihn dennoch habe
weiterfahren lassen, müsse er so gestellt werden, als sei der
Zugriff vor Erreichen der Umfriedung des Werkstattgeländes und
damit vor Beendigung des vorschriftswidrigen Verbringens
erfolgt.
II. Die Revision des Klägers ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das Urteil des FG entspricht
dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
1. Für die insgesamt 4.000.000 Stück
Zigaretten ist unstreitig eine Zollschuld nach Art. 202 Abs. 1
Buchst. a ZK entstanden. Entsprechendes gilt nach § 21 Abs. 2
Satz 1 Halbsatz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die
Einfuhrumsatzsteuer und nach § 21 Satz 1 des
Tabaksteuergesetzes (TabStG) für die Tabaksteuer. Die
Zigaretten wurden vorschriftswidrig in das Zollgebiet der
Gemeinschaft verbracht, weil sie entgegen Art. 38 Abs. 1 Buchst. a,
Art. 40 ZK der Zollbehörde nicht gestellt worden sind. Da die
Zigaretten hinter einer Tarnladung versteckt waren, wäre
für eine ordnungsgemäße Gestellung im Streitfall
eine ausdrückliche Mitteilung an die Zollbehörde
erforderlich gewesen (vgl. Urteil des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 4.3.2004 Rs. C-238/02
und C-246/02 - Viluckas/Jonusas -, EuGHE 2004, I-2141 = SIS 04 17 37 Rn. 24; Senatsurteil vom 20.7.2004 VII R 38/01, BFHE 207, 81 =
SIS 04 39 98; auch § 8 Satz 2 der Zollverordnung), die nicht
erfolgt ist.
2. Die Abgabenschulden sind nicht
erloschen.
a) Ein Erlöschen der Tabaksteuer durch
Beschlagnahme und Einziehung der Zigaretten scheidet schon deshalb
aus, weil § 21 TabStG diesen Erlöschensgrund von seinem
Verweis auf zollrechtliche Vorschriften ausdrücklich ausnimmt
(vgl. Senatsurteil in BFHE 207, 81 = SIS 04 39 98).
b) Zoll und Einfuhrumsatzsteuer sind nach Art.
233 Buchst. d ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 UStG
ebenfalls nicht erloschen.
Nach Art. 233 Buchst. d ZK erlischt eine
Zollschuld, wenn Waren, für die eine Zollschuld
gemäß Art. 202 ZK entstanden ist, bei dem
vorschriftswidrigen Verbringen beschlagnahmt und gleichzeitig oder
später eingezogen werden. Die Beschlagnahme erfolgt nur dann
„bei“ dem vorschriftswidrigen Verbringen, wenn
das Verbringen im Zeitpunkt der Beschlagnahme noch angedauert hat.
Das vorschriftswidrige Verbringen von Waren i.S. des Art. 233
Buchst. d ZK ist nach Auffassung des Senats bereits dann beendet,
wenn die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren den
Ort, an dem sie den Zollbehörden nach Art. 40 ZK hätten
gestellt werden müssen, wieder verlassen haben, ohne dass eine
ordnungsgemäße Gestellung erfolgt ist. Denn mit dem
Verlassen des Amtsplatzes haben die Waren das
„Innere“ des Zollgebiets der Gemeinschaft
erreicht: Sie sind vorschriftswidrig verbracht. Eine Beschlagnahme,
die - wie im Streitfall - nach diesem Zeitpunkt erfolgt, kann
folglich nicht mehr zu einem Erlöschen der Zollschuld
gemäß Art. 233 Buchst. d ZK führen.
aa) Der Begriff des Verbringens ist im
Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich definiert.
Gewöhnlich wird das Verbringen als ein vom menschlichen Willen
getragener Realakt des körperlichen Gelangens in das
EG-Zollgebiet verstanden (Senatsurteil vom 20.7.2004 VII R 39/01,
nicht veröffentlicht; vgl. auch Witte/Kampf, a.a.O., Art. 37
Rz. 3). So bestimmt z.B. Art. 37 ZK, dass Waren, die in das
Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, vom
„Zeitpunkt des Verbringens“ an der zollamtlichen
Überwachung unterliegen. Im Sinne dieser Vorschrift ist also
das Verbringen mit dem Überschreiten der Zollgrenze der
Gemeinschaft beendet, weil die Waren damit in das Zollgebiet der
Gemeinschaft gelangt (also verbracht) sind. Mitunter greift der
Begriff des Verbringens nach den Regelungen des ZK aber auch
über diesen Zeitpunkt hinaus.
bb) Im Zollwertrecht etwa werden dem
Transaktionswert einer eingeführten Ware gemäß Art.
32 Abs. 1 Buchst. e a.E. ZK die Beförderungskosten bis zum
„Ort des Verbringens“ zugeschlagen. Als diesen
Ort definiert Art. 163 der Zollkodex-Durchführungsverordnung
(ZKDVO) für im Eisenbahn-, Binnenschiffs- oder
Straßenverkehr beförderte Waren den Ort der ersten
Zollstelle nach dem Grenzübertritt in das Zollgebiet der
Gemeinschaft (Art. 163 Abs. 1 Buchst. c ZKDVO), für im
Seeverkehr beförderte Waren den Entlade- oder Umladehafen bzw.
den ersten für eine Entladung in Betracht kommenden Hafen an
einer Fluss- oder Kanalmündung oder weiter landeinwärts
(Art. 163 Abs. 1 Buchst. a und b ZKDVO) und für auf andere
Weise beförderte Waren den Ort, an dem die Landgrenze des
Zollgebiets der Gemeinschaft überschritten wird. Damit wird
der Ort des Verbringens auf einen bestimmten, vergleichsweise nahe
an der Zollgrenze der Gemeinschaft gelegenen Punkt fixiert.
cc) Für das Zollschuldrecht geht in
ähnlicher Weise aus dem in Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK
enthaltenen Verweis auf die Art. 38 bis 41 ZK hervor, dass das
Verbringen nach dem Überschreiten der Zollgrenze der
Gemeinschaft noch bis zum Zeitpunkt und Ort einer
ordnungsgemäßen Gestellung, im gewerblichen
Landstraßenverkehr also bis zum Amtsplatz bzw. bis zum
Passieren der „Ausgangsgrenze“ des Amtsplatzes
der jeweils nach Art. 38 ZK bestimmten Zollstelle andauern kann
(vgl. auch Witte, a.a.O., Art. 202 Rz. 2). Unter Umständen
bewirkt nämlich erst die unterlassene Gestellung, dass das
Verbringen der Waren vorschriftswidrig wird.
Darüber
hinaus sieht der Senat keinen Grund, das vorschriftswidrige
Verbringen noch weiter auszudehnen. Entgegen der Auffassung des
Klägers und der in Teilen der Literatur, der Rechtsprechung
und der Verwaltung vertretenen Meinungen (vgl. z.B. Witte, a.a.O.,
Art. 233 Rz. 18; Lichtenberg in Dorsch, Zollrecht, Art. 233 Rz. 8;
Deimel in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Art. 233-234 ZK Rz. 33;
Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Erkenntnis vom
24.4.2002 2001/16/0410, 0443, Beilage zur Österreichischen
Steuerzeitung - ÖStZB - 2003, 145; FG Düsseldorf, Urteil
vom 9.2.2005 4 K 5532/03 VTa, Z, EU, ZfZ 2005, 421 = SIS 05 39 01;
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.11.1996 11 K 81/95, ZfZ
1997, 91; Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - Z
09 01 Abs. 69) ist es nach dem Wortlaut der Vorschrift, aus
systematischen und teleologischen Erwägungen und nicht zuletzt
auch aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit nicht
gerechtfertigt, die Frage des Erlöschens der Zollschuld von
völlig unbestimmten Begriffen („Eingang in den
Wirtschaftskreislauf“,
„Zur-Ruhe-Kommen“) oder subjektiven
Vorstellungen der Tatbeteiligten
(„Bestimmungsort“) abhängig zu
machen.
Die in Art. 38 bis 40 ZK geregelten Pflichten
sollen die in Art. 37 ZK postulierte zollamtliche Überwachung
praktisch ermöglichen. Sie haben den Zweck, den
Zollbehörden die verbrachten Waren vor Augen zu führen,
damit die tatsächliche zollamtliche Überwachung dieser
Waren einsetzen kann. Dementsprechend entsteht die Zollschuld nach
Art. 202 ZK zugleich mit der Zuwiderhandlung gegen die Pflichten
aus Art. 38 bis 41 ZK, weil dadurch die zollamtliche
Überwachung beeinträchtigt wird und mithin die Gefahr
besteht, dass eine spätere ordnungsgemäße
Zollbehandlung vereitelt wird. Wird bis zu diesem Zeitpunkt die
Ware beschlagnahmt, lässt sich ein Erlöschen der
Zollschuld durch die nachfolgende Einziehung damit begründen,
dass die Ware im Rahmen der zollamtlichen Überwachung an der
Grenzzollstelle und damit in direkter Nähe zu der
Außengrenze des Zollgebiets der Gemeinschaft abgefangen
wurde, ohne dass die innergemeinschaftliche Wirtschaft durch den
Schmuggelversuch konkret gefährdet gewesen wäre. Auch
kann der Verbringer noch nicht nach Belieben mit der Ware
verfahren, solange er sich noch unter den Augen des Zolls befindet,
sozusagen noch der zollamtlichen Überwachung im engeren Sinn
unterliegt.
Anders liegt es, wenn die Ware den Bereich der
intensiven zollamtlichen Überwachung bereits verlassen hat. Ab
diesem Zeitpunkt hat der Verbringer faktisch die
Verfügungsmacht über die Ware. In diesem Fall sind die
Interessen der innergemeinschaftlichen Wirtschaft bereits konkret
gefährdet, denn dann ist eine zollamtliche Behandlung der Ware
nur im Falle eines späteren Aufgriffs, d.h. selten,
möglich. Es besteht demnach ein nachvollziehbarer Grund, die
Waren zollschuldrechtlich differenzierend zu behandeln, je nach
dem, ob sie während des Verbringens oder danach beschlagnahmt
worden sind. Der Zweck der differenzierenden Regelungen lässt
sich allerdings nur sinnvoll realisieren, wenn der Begriff des
Verbringens, wie oben ausgeführt, auf den unmittelbaren
Bereich des Grenzübertritts mit anschließender
Beförderung zur ersten zuständigen Zollstelle
beschränkt wird.
dd) Die
gegenteilige Meinung widerspricht dem Wortlaut des Art. 233 Buchst.
d ZK. Soweit nach dieser Ansicht das vorschriftswidrige Verbringen
solange fortbestehen soll, wie die „Beförderung im
Anschluss an das Verbringen“ ins Zollgebiet der
Gemeinschaft noch andauert (Witte, a.a.O., Art. 233 Rz. 18), ist
das schon in sich widersprüchlich, denn wenn sich die weitere
Beförderung an das Verbringen anschließt, muss das
Verbringen bereits beendet sein. Außerdem würde der
Kreis der begünstigten Zollschuldner ohne Veranlassung
deutlich erweitert werden. Das verstieße gegen den Zweck der
Vorschrift, denn durch den Wegfall der Zollschuld sollen nur die
Fälle privilegiert werden, in denen der Schmuggel noch
während der eigentlichen Tathandlung, d.h. während der
Pflichtverletzung, spätestens am Amtsplatz der Grenzzollstelle
aufgedeckt wird.
Dass der Senat
in seiner bisherigen Rechtsprechung das Nichterlöschen der
Zollschuld gemäß Art. 233 Buchst. d ZK vornehmlich damit
begründet hat, dass die betroffenen Waren ihren (ersten)
Bestimmungsort erreicht hätten und deshalb die Beschlagnahme
nach dem vorschriftswidrigen Verbringen erfolgt sei
(Senatsbeschlüsse vom 5.2.1998 VII B 192/97, BFH/NV 1998,
1393; vom 21.12.2001 VII S 13/01, BFH/NV 2002, 692 = SIS 02 62 75;
vom 13.10.2005 VII S 13/04 (PKH), BFH/NV 2006, 628 = SIS 06 12 60,
und VII S 46/05 (PKH), BFH/NV 2006, 631 = SIS 06 12 61), bedeutet
nicht, dass das jeweilige Verbringen bis zu diesem Zeitpunkt und
Ort tatsächlich angedauert hat. In diesen Fällen kam es
auf die genaue Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem das
vorschriftswidrige Verbringen beendet war, nicht an. In seinen
Beschlüssen in BFH/NV 2006, 628 = SIS 06 12 60 und 631 hat der
Senat zudem darauf hingewiesen, dass das Erreichen des ersten
Bestimmungsorts und der Beginn der Entladung der Waren aus dem
für den grenzüberschreitenden Transport verwendeten
Transportmittel lediglich der späteste in Betracht kommende
Zeitpunkt für eine Beendigung des vorschriftswidrigen
Verbringens sei.
3. Der Senat
kann über die Revision des Klägers entscheiden, ohne eine
Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft zu der Frage
einzuholen, wann das vorschriftswidrige Verbringen i.S. des Art.
233 Buchst. d ZK beendet ist.
a) Die genaue
Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem das vorschriftswidrige
Verbringen beendet war, ist im Streitfall nämlich nicht
entscheidungserheblich. Selbst wenn - entgegen der Senatsauffassung
- das vorschriftswidrige Verbringen und die
grenzüberschreitende Beförderung der Ware als
einheitlicher Lebensvorgang anzusehen sein sollte mit der Folge,
dass das Verbringen erst dann als beendet anzusehen wäre, wenn
der Transport mit der Ware an seinem ersten Bestimmungsort
eingetroffen ist (Witte, a.a.O., Art. 233 Rz. 18; VSF Z 09 01 Abs.
69; Österreichischer Verwaltungsgerichtshof in ÖStZB
2003, 145), wäre dieser Zeitpunkt im Streitfall
spätestens mit dem Beginn der Entladung des für die
grenzüberschreitende Beförderung verwendeten LKW erreicht
(Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2006, 628 = SIS 06 12 60 und 631;
a.A. Urteil des FG Düsseldorf in ZfZ 2005, 421 = SIS 05 39 01). Da die Beschlagnahme im Streitfall erst nach dem Beginn der
Entladung des LKW erfolgt ist, wäre die Zollschuld auch nach
dieser Auffassung nicht nach Art. 233 Buchst. d ZK erloschen. Der
Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH bedarf es daher
nicht.
b) Im
Übrigen hat der Senat keinen Zweifel daran, dass es bei der
Frage des Erlöschens der Zollschuld nach Art. 233 Buchst. d ZK
nicht darauf ankommen kann, ob die vorschriftswidrig verbrachten
Waren Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Gemeinschaft gefunden
haben oder ob sie zur Ruhe gekommen sind (vgl. Senatsbeschluss in
BFH/NV 1998, 1393, wonach ein In-Verkehr-Bringen der Waren nicht
erforderlich ist und eine Beschlagnahme der Waren bei der Umladung
in das Fahrzeug eines Abnehmers nicht zum Erlöschen der
Zollschuld führt, obwohl die Ware ersichtlich nicht zur Ruhe
gekommen war; auch Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2006, 628 = SIS 06 12 60 und 631; a.A. Witte, a.a.O., Art. 233 Rz. 18; VSF Z 09 01
Abs. 69; Lichtenberg in Dorsch, a.a.O., Art. 233 Rz. 8). Ein Anlass
zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht daher
insoweit ebenfalls nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81
- C.I.L.F.I.T. -, EuGHE 1982, 3415 Rn. 16).
Beide
Kriterien sind so unbestimmt, dass sie nicht geeignet sind, einen
konkreten Zeitpunkt festzulegen, zu dem das vorschriftswidrige
Verbringen beendet sein soll. Es bleibt unklar, wann konkret eine
Ware Eingang in den Wirtschaftskreislauf gefunden haben soll oder
wann eine Ware zur Ruhe gekommen ist. Überdies wird
insbesondere das Kriterium des Zur-Ruhe-Kommens der Ware
überwiegend floskelhaft und gewissermaßen als Synonym
für die Beendigung des vorschriftswidrigen Verbringens
gebraucht, ohne dass deutlich wird, ob ihm tatsächlich eine
eigenständige Bedeutung zukommen soll. Erkennbar wird das
insbesondere daran, dass das vorschriftswidrige Verbringen
beispielsweise auch an einem Weiterverteilungs- oder
Übernahmeort soll beendet sein können (vgl. Witte,
a.a.O., Art. 233 Rz. 18; VSF Z 09 01 Abs. 69), mithin an einem Ort,
an dem die Ware typischerweise gerade nicht zur Ruhe
kommt.
Art. 233
Buchst. d ZK macht nach seinem klaren Wortlaut das Erlöschen
der Zollschuld allein davon abhängig, dass die Waren
„bei“ dem vorschriftswidrigen Verbringen
beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen werden.
Was mit den Waren nach der Beendigung des vorschriftswidrigen
Verbringens geschieht, ist für die Frage des Erlöschens
der Zollschuld ohne Bedeutung. Daher macht es keinen Unterschied,
ob die Waren im Anschluss an das Verbringen zunächst in einem
Versteck bleiben, in ein Zwischenlager eingelagert werden und dort
zur Ruhe kommen oder ob sie unmittelbar entladen, umgeladen, an
Zwischenhändler bzw. Endabnehmer übergeben und von diesen
weiter befördert werden. Selbst ein unmittelbarer
Weitertransport der verbrachten Waren durch andere Personen
und/oder mit einem anderen Beförderungsmittel wäre ein
bloßer Binnentransport, dem es an dem erforderlichen engen
Bezug zu der ursprünglichen Verbringungshandlung, d.h. der
grenzüberschreitenden Beförderung, fehlt.
Auch das
Erkenntnis des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs in
ÖStZB 2003, 145 ist nicht geeignet, den Senat insoweit zu
Zweifeln an seiner Rechtsauffassung zu veranlassen. Der
Verwaltungsgerichtshof hat zwar die von Witte (a.a.O., Art. 233 Rz.
18) geprägte Formel aufgegriffen, dass das vorschriftswidrige
Verbringen erst dann beendet sei, wenn die Ware „am ersten
Bestimmungsort eingetroffen und mithin zur Ruhe gekommen“
sei. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass der
Verwaltungsgerichtshof dem Zur-Ruhe-Kommen der Ware eine
eigenständige (tragende) Bedeutung zugemessen hat. In dem dort
entschiedenen Fall hatte nämlich der Transport mit der Ware
seinen ersten Bestimmungsort noch nicht erreicht; auf das
Zur-Ruhe-Kommen der Ware kam es nicht an.
4. Der Umstand, dass im Streitfall
gegebenenfalls ein früheres Eingreifen der Zollfahndung und
damit eine frühere Beschlagnahme der Zigaretten möglich
gewesen wäre, führt ebenfalls nicht zu einem
Erlöschen der Abgabenschuld. Für ein Anknüpfen an
bloße Möglichkeiten und hypothetische
Geschehensabläufe im Rahmen des Art. 233 Buchst. d ZK ist kein
Raum. Dass das Erlöschen der Einfuhrabgaben auch von dem
Ausgang ermittlungstaktischer Überlegungen der
Zollbehörden über den Zeitpunkt des Zugriffs
abhängt, ist hinzunehmen. Die Zollbehörden sind nicht
verpflichtet, ein vorschriftswidriges Verbringen von Waren zum
frühest möglichen Zeitpunkt zu beenden und damit die
Entstehung von Einfuhrabgaben zu verhindern bzw. die
Voraussetzungen für das Erlöschen der Abgaben zu
schaffen, wenn ermittlungs- oder einsatztaktische Gründe ein
anderes Vorgehen nahe legen (vgl. EuGH-Urteile vom 7.9.1999 Rs.
C-61/98 - De Haan -, EuGHE 1999, I 5003 Rz. 32 ff.; vom 14.12.2004
Rs. T-332/02 - Nordspedizionieri -, Rz. 51, ZfZ 2005, 53 = SIS 05 08 96).
5. Als Fahrer des Lastzuges ist der
Kläger Verbringer der Ware und damit Abgabenschuldner nach
Art. 202 Abs. 3 1. Anstrich ZK (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 2004,
I-2141 = SIS 04 17 37 Rn. 23 f.; Urteil des Bundesfinanzhofs in
BFHE 207, 81 = SIS 04 39 98). Gegen die Höhe der festgesetzten
Einfuhrabgaben hat der Kläger keine Einwände erhoben.