Erhöhte Investitionszulage, Beschäftigtenzahl, Zeitpunkt: Ein Betrieb des Handels, der zu Beginn des Wirtschaftsjahrs, in dem die Investitionen vorgenommen wurden, weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigt hat, erfüllt die Voraussetzungen für die erhöhte Investitionszulage nicht, wenn er im Zeitpunkt der Investitionen dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen war und mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt hat. - Urt.; BFH 18.5.2006, III R 55/04; SIS 06 37 81
I. Die R AG (AG), die im Jahre 2002 in die
R GmbH (GmbH) umgewandelt wurde, veräußerte zum 1.7.1998
ihren Teilbereich Fleisch- und Wurstwarenfertigung und Vertrieb an
die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die O
GmbH. Alleingesellschafterin der Klägerin war die AG (nunmehr
die GmbH), deren überwiegender Geschäftszweck der
Einzelhandel ist. Zwischen beiden Gesellschaften bestand ein
Organschafts- und Ergebnisabführungsvertrag. Bis zum 1.7.1998
hatte die Klägerin die Aufgabe, Waren der AG im eigenen Namen
als Großhändler zu veräußern. Eigenes
Personal beschäftigte sie nicht. Aufgrund der Übertragung
des Fertigungsbereichs zum 1.7.1998 auf die Klägerin wandelte
sich ihr Unternehmen von einem Handelsbetrieb in einen Betrieb des
verarbeitenden Gewerbes. Die Vorbereitungshandlungen hierfür
begannen bereits Anfang des Jahres 1998. Zu Beginn ihrer neuen
Tätigkeit hatte die Klägerin 372 Arbeitnehmer von der AG
übernommen.
Die Klägerin beantragte für das
Kalenderjahr 1998 die erhöhte Investitionszulage von 10 v.H.
für Investitionen in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes
gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Satz
1 Nr. 4 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1996. Sie hatte
die Wirtschaftsgüter, für die sie die Investitionszulage
in Höhe von ... DM begehrte, im Wesentlichen im zweiten
Halbjahr 1998 angeschafft.
Nach einer
Investitionszulagensonderprüfung setzte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die Zulage auf Null DM
fest. Zur Begründung führte das FA aus, die Klägerin
sei bis 30.6.1998 ausschließlich im Handel tätig
gewesen, sodass aufgrund ihres Tätigkeitsbildes keine
Investitionszulage gewährt werden könne. Ab 1.7.1998 sei
sie zwar dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen. Jedoch habe sie zu
diesem Zeitpunkt mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt
gehabt.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in EFG 2005, 1218 = SIS 05 23 02 veröffentlicht.
Mit der Revision trägt die
Klägerin vor: § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1996 lasse
nur die Auslegung zu, dass hinsichtlich der Anzahl der von dem
begünstigten Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer auf den
Beginn des Wirtschaftsjahrs abzustellen sei, in dem die
Investitionen vorgenommen würden. Die Voraussetzungen für
die Gewährung der erhöhten Zulage seien daher
erfüllt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG, den angefochtenen Investitionszulagenbescheid und die
Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage 1998
auf ... EUR (entspricht ... DM) festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Sie
wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Nach zutreffender Entscheidung des FG sind die
Voraussetzungen für eine Investitionszulage nach § 5 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1996 nicht gegeben, wenn der Betrieb zum
Investitionszeitpunkt aufgrund eines Strukturwandels im Laufe des
Wirtschaftsjahrs zwar einem begünstigten Wirtschaftszweig
angehörte, zu diesem Zeitpunkt aber mehr als 250 Arbeitnehmer
beschäftigte. Dass der Betrieb zu Beginn des Wirtschaftsjahrs,
zu dem er noch keinem begünstigten Wirtschaftszweig zuzuordnen
war, nicht mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigte, genügt
nicht.
1. Nach § 3 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1996
sind Investitionen u.a. begünstigt, wenn sie der
Anspruchsberechtigte nach dem 30.6.1994 begonnen sowie vor dem
1.1.1999 abgeschlossen hat und es sich um Investitionen in
Betrieben des verarbeitenden Gewerbes handelt. Nach § 5 Abs. 1
Nr. 3 InvZulG 1996 beträgt die Investitionszulage u.a. bei
Investitionen i.S. des § 3 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1996 5 v.H.
der Bemessungsgrundlage. Sie erhöht sich bei Investitionen
i.S. des § 3 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1996 auf 10 v.H., wenn -
neben anderen Voraussetzungen - der Betrieb zu Beginn des
Wirtschaftsjahrs, in dem die Investitionen vorgenommen wurden,
nicht mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigte und die
Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung
oder Herstellung zum Anlagevermögen eines Betriebs des
verarbeitenden Gewerbes des Anspruchsberechtigten gehören und
in einem solchen Betrieb des Anspruchsberechtigten verbleiben
(§ 5 Abs. 3 InvZulG 1996). Da der Betrieb der Klägerin in
Berlin-West belegen ist, findet § 5 Abs. 3 InvZulG 1996 bei
Erstinvestitionen Anwendung, mit denen der Anspruchsberechtigte
nach dem 31.12.1995 begonnen hat (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3
InvZulG 1996).
Entscheidend für die
Zulagengewährung ist im Streitfall somit, ob der Betrieb der
Klägerin, da ein anderer Wirtschaftszweig nicht in Betracht
kommt, dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen ist und ob die
Beschränkung der Höchstzahl der in dem Betrieb
beschäftigten Arbeitnehmer auf 250 eingehalten ist.
2. Die Zugehörigkeit zum verarbeitenden
Gewerbe ab dem 1.7.1998 ist nicht streitig, nachdem die
Klägerin zu diesem Zeitpunkt den Fertigungsbereich der AG
übernommen hat. Bei den Anschaffungen handelte es sich um
Investitionen in einen solchen Betrieb i.S. von § 3 Satz 1 Nr.
4 InvZulG 1996 die im Wesentlichen in dem maßgeblichen
Zeitraum begonnen und abgeschlossen wurden.
3. Die weitere Voraussetzung für die
erhöhte Förderung, die Beschäftigung von nicht mehr
als 250 Arbeitnehmern, ist im Streitfall jedoch nicht
erfüllt.
a) § 5 Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1996
verweist auf § 3 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1996, d.h. bei dem
Betrieb, in den investiert wird, muss es sich - in dem hier
maßgeblichen Zusammenhang - um einen Betrieb des
verarbeitenden Gewerbes handeln. Dieser Betrieb muss - ausgehend
von dem Verständnis nach dem Wortsinn der Regelung - bereits
zum Beginn des Wirtschaftsjahrs dem verarbeitenden Gewerbe
zuzurechnen sein. Denn § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1996,
wonach der Betrieb zum Beginn des Wirtschaftsjahrs, in dem die
Investitionen vorgenommen werden, nicht mehr als 250 Arbeitnehmer
beschäftigen darf, bezieht sich auf Investitionen i.S. von
§ 3 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1996 und somit auf Betriebe des
verarbeitenden Gewerbes. Die Auslegung der Klägerin, nach dem
Wortlaut sei in jedem Fall auf die Beschäftigtenzahl zum
Jahresbeginn abzustellen, trifft daher nicht zu. Da der Betrieb der
Klägerin zum Beginn des Streitjahrs 1998 nicht entsprechend
einzuordnen war, sind die Voraussetzungen der erhöhten
Förderung nicht erfüllt.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1996 nicht in dem Sinne -
erweiternd - zu verstehen, dass die Fördervoraussetzungen auch
dann gegeben sind, wenn in einen während des Wirtschaftsjahrs
durch Strukturwandel entstandenen verarbeitenden Betrieb mit mehr
als 250 Beschäftigten investiert wird, sofern die Anzahl der
Beschäftigten zu Beginn des Wirtschaftsjahrs, d.h. als der
Betrieb noch nicht einem begünstigten Wirtschaftszweig
angehörte, die Grenze von 250 Arbeitnehmern nicht
überschreitet.
Die Förderung mit dem erhöhten
Zulagensatz von 10 v.H. nach § 5 Abs. 3 InvZulG 1996 setzt die
bisherige Förderung mit dem Zulagensatz von 20 v.H. nach
§ 5 Abs. 2 InvZulG 1993 fort. Die Anschlussregelung umfasst
die gleichen Wirtschaftsbereiche, die schon bisher in die
Aufstockung der Investitionszulage einbezogen waren, dient nun
jedoch gezielt der Förderung kleiner und mittlerer Betriebe
der entsprechenden Wirtschaftsbereiche. Deshalb wurde die
erhöhte Förderung auf Betriebe des verarbeitenden
Gewerbes und des Handwerks beschränkt, die nicht mehr als 250
Arbeitnehmer beschäftigen. Das Abstellen auf die
Arbeitnehmerzahl zu Beginn des Wirtschaftsjahrs dient der
Vereinfachung (BTDrucks 12/7427, 34). Ohne diese Vereinfachung
müsste bei Investitionen in einen Betrieb des entsprechenden
Wirtschaftszweigs jeweils für den Zeitpunkt der Vornahme einer
Investition geprüft werden, ob die maßgebende
Arbeitnehmerzahl überschritten ist, was bei wechselnder
Beschäftigtenzahl zu Schwierigkeiten führen
könnte.
Die Vorschrift geht, da eine grundlegende
Veränderung im Betätigungsfeld eines Betriebs eher selten
bzw. nur in längeren Abständen vorkommt, von dem
Regelfall aus, dass ein Betrieb bereits zum Jahresbeginn dem
betreffenden Wirtschaftszweig angehört. Zur Vermeidung der
Schwierigkeiten bei der Feststellung der Beschäftigungszahl im
Investitionszeitpunkt ist es sachgerecht, auf einen bestimmten
Zeitpunkt abzustellen, den der Gesetzgeber auf den Jahresbeginn
festgelegt hat.
Anders ist es, wenn in einen Betrieb eines
begünstigten Wirtschaftszweigs investiert wird, der zum
Jahresbeginn noch nicht dem entsprechenden Wirtschaftszweig
angehört hat, sondern sich während des Wirtschaftsjahrs
in seiner Struktur zu einem begünstigten Betrieb gewandelt
hat. In einem solchen Fall wäre es nicht gerechtfertigt, auf
die Arbeitnehmerzahl zum Jahresbeginn abzustellen. Denn die Anzahl
der Arbeitnehmer dient dazu, die zu fördernden kleinen und
mittleren Betriebe von den nicht begünstigten
größeren Betrieben des verarbeitenden Gewerbes und des
Handwerks abzugrenzen.
Wandelt sich ein Betrieb erst im Laufe des
Wirtschaftsjahrs von einem nicht einem begünstigten
Wirtschaftszweig zuzurechnenden Betrieb in einen Betrieb des
verarbeitenden Gewerbes oder des Handwerks, kann indes die Anzahl
der Beschäftigten zum Jahresbeginn im Regelfall kein
Maßstab dafür sein, ob der Betrieb nach seinem
Strukturwandel ebenfalls den Größenverhältnissen
entspricht, die vom Gesetzgeber als ausschlaggebend für die
Förderung angesehen werden. Denn die einzelnen
Wirtschaftsbereiche stellen unterschiedliche Anforderungen an den
Einsatz von Personal. Dies macht der Streitfall besonders deutlich,
der dadurch gekennzeichnet ist, dass in dem von der Klägerin
zum Jahresbeginn 1998 unterhaltenen Handel kein Arbeitnehmer
beschäftigt war, nach Wandlung zu einem Betrieb des
verarbeitenden Gewerbes aber die Zahl von 250 Arbeitnehmern
erheblich überschritten war. Die Absicht des Gesetzgebers, die
zu fördernden Betriebe anhand der Beschäftigtenzahl
abzugrenzen, würde verfehlt, wenn man auch im Falle eines
Strukturwandels zu einem Betrieb eines geförderten
Wirtschaftszweigs auf die Beschäftigtenzahl zum Beginn des
Wirtschaftsjahrs abstellen würde.