Vorlageverlangen an Bank, Kostenersatz: Ein (reines) Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO 1977 liegt nur dann vor, wenn das FA die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt. Das setzt bei der Anforderung von Bankunterlagen voraus, dass das FA die Konten- und Depotnummern benennt oder vergleichbar konkrete Angaben zu sonstigen Bankverbindungen macht. - Urt.; BFH 8.8.2006, VII R 29/05; SIS 06 45 44
I. Im März 2003 richtete der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) ein ausdrücklich
als „Vorlageersuchen an Dritte nach § 97 der
Abgabenordnung (AO)“ bezeichnetes Schreiben an die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine
Bank. Da im Rahmen der Betriebsprüfung die
Sachverhaltsaufklärung mit den Beteiligten nicht möglich
sei, weil sie zu weiteren Auskünften und Vorlagen von Urkunden
- abgesehen von einem Depotauszug zum 31.12.2002 zum Depot Nr. ...
- nicht bereit seien, forderte das FA die Klägerin
auf:
„1.) Ich bitte um Zusendung von
Kopien der Depotauszüge zu den Stichtagen 31.12.1998,
31.12.1999 und 31.12.2000 aller bei der ... vorhandenen
Wertpapierkonten.
2.) Ich bitte um Vorlage von Kopien der
Auszüge sämtlicher bei der ... geführten
Sparbücher zu den Stichtagen 31.12.1998, 31.12.1999 und
31.12.2000.
Das Vorlageersuchen erfolgt aufgrund §
97 der Abgabenordnung.“
Mit Schreiben vom 11.4.2003 übersandte
die Klägerin die geforderten Unterlagen und bat gleichzeitig
um Erstattung der entstandenen Kosten in Höhe von 38,60
EUR.
Eine Kostenerstattung lehnte das FA
ab.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene
Klage der Klägerin wies das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen
mit der Begründung ab, der Bescheid sei als Vorlageersuchen
nach § 97 der Abgabenordnung (AO 1977) bestandskräftig
geworden und eine analoge Anwendung der Erstattungsregelung des
§ 107 Satz 1 AO 1977 scheide aus. Das Urteil ist in EFG 2005,
1159 = SIS 05 29 53 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin
im Wesentlichen geltend, dass sie das Ersuchen des FA als
kombiniertes Auskunfts- und Vorlageverlangen i.S. der §§
93 und 97 AO 1977 habe verstehen dürfen. Die darin geforderte
Übersendung von Unterlagen habe im Dienste der
Auskunftspflicht gestanden. Das ergebe sich daraus, dass ihre
Tätigkeit weit über die bloße Lesbarmachung und
Vorlage konkret benannter Unterlagen hinausgegangen sei. Sie habe
Ermittlungen durchführen müssen, um dem Ersuchen
pflichtgemäß zu entsprechen, denn zunächst habe
festgestellt werden müssen, ob und ggf. für welche
Zeiträume Depots und/oder Konten der Eheleute C überhaupt
vorhanden gewesen seien. Der Hinweis des FG auf die
zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft des Ersuchens vom
März 2003 sei für das vorliegende Verfahren unbeachtlich,
denn eine Bindungswirkung für die Frage des Kostenersatzes
komme ihm nicht zu.
Das FA führt aus, das FG habe das
Ersuchen vom März 2003 in revisionsrechtlich nicht
angreifbarer Weise als Vorlageersuchen gemäß § 97
AO 1977 qualifiziert. Im Revisionsverfahren sei daher nur noch die
Frage klärungsbedürftig und klärungsfähig, ob
nach § 107 AO 1977 eine Kostenerstattung auch für
Vorlageersuchen gewährt werden könne, denn das Ersuchen
habe Tatbestandswirkung für die Frage, ob die Klägerin
als Vorlageverpflichtete oder als Auskunftspflichtige herangezogen
worden sei. Eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der
Erstattung der Kosten für Vorlageersuchen liege nicht vor, so
dass auch für eine analoge Anwendung des § 107 AO 1977
kein Raum sei.
II. Die Revision der Klägerin ist
begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Verpflichtung des FA, die geltend gemachten Kosten zu
erstatten.
Die Klägerin hat einen Anspruch
gemäß § 107 AO 1977 auf Entschädigung für
die anlässlich des Heraussuchens und der Vorlage der vom FA
mit Schreiben vom März 2003 angeforderten Unterlagen
angefallenen Kosten, weil das FA die Klägerin mit dem besagten
Schreiben entgegen der Auffassung des FG auch als
Auskunftspflichtige herangezogen hat.
1. Nach § 107 AO 1977 erhalten
Auskunftspflichtige und Sachverständige, die die
Finanzbehörde als Dritte zu Beweiszwecken herangezogen hat,
auf Antrag eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des
Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und
Sachverständigen (jetzt: Justizvergütungs- und
Entschädigungsgesetz). Eine Entschädigung wird folglich
nur Personen gewährt, die von der Finanzbehörde als
Auskunftspflichtige (§ 93 AO 1977) oder Sachverständige
(§ 96 AO 1977) herangezogen worden sind; die Gewährung
einer Entschädigung für Personen, die
ausschließlich als Vorlageverpflichtete (§ 97 AO 1977)
herangezogen wurden, ist gesetzlich nicht vorgesehen.
2. Die Frage der Kostentragung hängt
danach entscheidend von der Abgrenzung zwischen dem Beweis durch
Auskünfte i.S. des § 93 AO 1977 und dem Beweis durch
Vorlage von Urkunden i.S. des § 97 AO 1977 ab.
Ein „reines“
Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO 1977 liegt nur dann vor,
wenn keinerlei eigenes Wissen des in Anspruch Genommenen - als
Vorfrage der Vorlage von Urkunden - abgefragt bzw. darauf
(unausgesprochen) zurückgegriffen werden muss. Anders
ausgedrückt darf die begehrte Urkundenvorlage auch nicht
inzident einer Auskunft gleichkommen, wie sie in anderen Verfahren
auch ein Zeuge bekundet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 24.3.1987 VII R 113/84, BFHE 149, 143, BStBl II 1988, 163 = SIS 87 14 51).
Ein (reines) Vorlageverlangen i.S. des §
97 AO 1977 liegt nach Auffassung des Senats nur dann vor, wenn das
FA die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt,
dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten
auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und
Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt. Das
setzt bei der Anforderung von Bankunterlagen voraus, dass das FA
bereits weiß, welche Konten und Depots oder sonstigen
Bankverbindungen der Steuerpflichtige bei dem in Anspruch
genommenen Kreditinstitut unterhält. Nur bei Angabe der Konto-
oder Depotnummer wird die ersuchte Bank ausschließlich durch
Herausgabe der geforderten Urkunden tätig, nur dann nimmt das
FA die Bank nur zur Führung eines Urkundsbeweises i.S. des
§ 92 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 in Anspruch.
Überlässt das FA es dagegen dem in
Anspruch Genommenen zu ermitteln, ob und ggf. welche Unterlagen
vorhanden sind, die dem FA auf sein Ersuchen hin vorgelegt werden
müssen, und gibt es dem Ersuchten auf, die erbetenen
Unterlagen nach abstrakten Vorgaben zusammenzustellen, so liegt
materiell ein kombiniertes Auskunfts- und Vorlageersuchen vor. In
diesem Fall verlangt das FA nämlich von dem Verpflichteten
nicht mehr nur mechanische Hilfstätigkeiten, sondern eine
eigene intellektuelle Leistung, was typisch für eine
Auskunftserteilung ist. So erhält die Vorlagepflicht den
Charakter einer Hilfspflicht zur Auskunftspflicht mit der Folge,
dass das Auskunftsersuchen die ihm nach § 97 Abs. 2 Satz 1 AO
1977 grundsätzlich zukommende Priorität und der Ersuchte
Anspruch auf Ersatz aller seiner mit dem Ersuchen
zusammenhängenden Aufwendungen hat, d.h. auch jener, die ihm
im Zusammenhang mit der Vorlage von Unterlagen entstanden sind.
Denn es ist praktisch nicht möglich, zwischen Maßnahmen
zu unterscheiden, die für die Auskunft erforderlich waren, und
solchen, die allein durch die Vorlage von Unterlagen veranlasst
waren (BFH-Urteil in BFHE 149, 143, BStBl II 1988, 163 = SIS 87 14 51).
3. Die vorstehenden Erwägungen sind im
vorliegenden Verfahren - entgegen der Auffassung des FG - auch
entscheidungserheblich. Es kann offenbleiben, ob das Schreiben des
FA vom März 2003 als Verwaltungsakt zu werten und als solcher
bestandskräftig geworden sein sollte. Denn diese Bestandskraft
stünde - unabhängig von dem in dem Schreiben als
Rechtsgrundlage genannten § 97 AO 1977 - einer Bewertung des
Ersuchens als Auskunftsverlangen i.S. des § 93 AO 1977 nicht
entgegen. In Bestandskraft erwächst der Verwaltungsakt mit
seinem wirklichen - ggf. im gerichtlichen Verfahren durch Auslegung
ermittelten - Regelungsgehalt.
Bei der Beurteilung, welcher Natur das
Ersuchen ist, welches das FA mit seinem Schreiben vom März
2003 an die Klägerin gerichtet hat, ist der Senat nicht an die
Würdigung des FG, das das Schreiben als Vorlageersuchen
angesehen hat, gebunden. Denn es geht nicht um die dem FG als
Tatsacheninstanz vorbehaltene Feststellung und Würdigung, was
das FA erklärt hat, was es erklären wollte oder wie die
Klägerin das Erklärte verstehen durfte, sondern allein um
die rechtliche Bewertung dieses Schreibens als Auskunfts- oder
Vorlageersuchen, d.h. um die Subsumtion des Erklärten unter
die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 bzw. § 97 AO 1977
und damit um revisible Rechtsanwendung.
4. Das FG hat zu Unrecht geurteilt, dass die
Klägerin mit dem Schreiben vom März 2003
ausschließlich als Vorlagepflichtige nach § 97 AO 1977
in Anspruch genommen worden sei und dass aufgrund der eingetretenen
Bestandskraft eine Kostenerstattung nicht in Betracht komme. Unter
Berücksichtigung der vorstehenden Abgrenzungskriterien handelt
es sich bei dem Schreiben um ein kombiniertes Auskunfts- und
Vorlageverlangen, so dass die Klägerin für die zu seiner
Erfüllung ergriffenen Maßnahmen eine Entschädigung
nach § 107 AO 1977 verlangen kann.
Das mit dem Ersuchen des FA von der
Klägerin abgeforderte Verhalten ging über die bloße
Vorlage von Unterlagen hinaus. Dem FA war ersichtlich nicht
bekannt, ob und ggf. welche Konten und Depots die Eheleute C in den
betreffenden Jahren bei der Klägerin unterhielten. Jedenfalls
forderte das FA von der Klägerin nicht die Vorlage im
Einzelnen konkret benannter Unterlagen, sondern undifferenziert die
Vorlage von Auszügen sämtlicher Konten und Depots der
Eheleute C, ohne diese - was bei einem reinen Vorlageersuchen
erforderlich gewesen wäre - im Einzelnen durch die Angabe der
jeweiligen Konto- und Depotnummern zu benennen. Die Klägerin
musste deshalb für sich intern zunächst die in den
betreffenden Jahren vorhandenen Konten und Depots der Eheleute C
ermitteln, bevor sie die vom FA angeforderten Konto- und
Depotauszüge heraussuchen und vorlegen konnte. Damit befragte
das FA die Klägerin implizit zunächst - wie eine Zeugin -
darüber, ob und ggf. welche Geschäftsbeziehungen die
Steuerpflichtigen zu den genannten Zeiten mit ihr unterhielten.
Denn darüber hatten die Steuerpflichtigen in der
Betriebsprüfung - wie in dem Ersuchen ausdrücklich
mitgeteilt - die Angaben verweigert. Erst nach Beantwortung dieser
Frage konnte durch den jeweiligen Kontoauszug zu den bezeichneten
Stichtagen Urkundsbeweis über die Salden geführt
werden.
5. Den als Leistungsantrag formulierten
Klageantrag deutet der Senat im Interesse der Klägerin (§
76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) als
Verpflichtungsantrag (vgl. Klein/ Brockmeyer, AO, 9. Aufl., §
107 Rz. 4), dem unter Aufhebung der entgegenstehenden
Vorentscheidungen stattzugeben ist.