Benennung eines Anzeigenerstatters, Akteneinsicht: 1. Seit dem 1.4.2005 ist ausschließlich der BFH für eine gerichtliche Entscheidung darüber zuständig, ob die Weigerung des FA, einem Beteiligten Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren zu gewähren, rechtmäßig ist. - 2. Hat das FG nach dem 31.3.2005 über einen Antrag eines Beteiligten auf Akteneinsicht entschieden, ist diese Entscheidung auf Beschwerde hin aufzuheben; der BFH trifft über die Frage der Akteneinsicht eine eigene Entscheidung. - 3. Die Identität eines Anzeigeerstatters kann gegenüber dem Steuerpflichtigen dem Steuergeheimnis unterliegen; im Einzelfall ist eine Abwägung vorzunehmen. Dabei kommt dem Informantenschutz regelmäßig ein höheres Gewicht gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zu, wenn sich die vertraulich mitgeteilten Informationen im Wesentlichen als zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (Bestätigung der Rechtsprechung). - Urt.; BFH 7.12.2006, V B 163/05; SIS 07 04 47
I. Der Kläger und
Beschwerdeführer/Antragsteller (Kläger) hat im Verfahren
vor dem Hessischen Finanzgericht (FG) wegen Umsatzsteuer 1992 bis
1994 Einsicht in die Akten des Beklagten und
Beschwerdegegners/Antragsgegners (Finanzamt - FA - ) beantragt. Das
FA hat die Einsichtnahme in bestimmte Aktenteile, die zwei Anzeigen
gegen den Kläger (vom 14.7.1995 und vom 25.4.1994) betreffen,
unter Hinweis auf das Steuergeheimnis mit Verfügungen vom
4.3.2002 und 22.4.2002 verweigert.
Mit Beschluss vom 27.1.2003 hat das FG
diese Verfügungen des FA aufgehoben und das FA verpflichtet,
den Antrag des Klägers im Rahmen einer Ermessensentscheidung
und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
bescheiden. Mit Schreiben vom 9.4.2003 hat das FA den Antrag auf
Akteneinsicht erneut abgelehnt.
Das FG hat daraufhin das
Hauptsacheverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung
über den Antrag des Klägers vom 26.5.2003 auf weitere
Akteneinsicht ausgesetzt. Mit Beschluss vom 25.7.2005 lehnte das FG
in einem Zwischenverfahren nach § 86 Abs. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) den Antrag des Klägers vom
26.5.2003 auf weitere Akteneinsicht ab. Hiergegen hat der
Kläger mit Schreiben vom 3.8.2005 Beschwerde erhoben, der das
FG nicht abhalf (Beschluss vom 27.9.2005) und die Beschwerde dem
Bundesfinanzhof (BFH) vorlegte. Trotz Aufforderungen vom 10.10.2005
und 17.11.2005 wurde die Beschwerde nicht begründet.
II. Die Beschwerde als solche hat zwar Erfolg,
weil das FG zur Entscheidung über den Antrag auf weitere
Akteneinsicht nicht mehr befugt war; gleichwohl ist der Antrag auf
weitere Akteneinsicht unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig
(§§ 62a Abs. 1 Satz 2, 128 Abs. 1 FGO) und
begründet.
Nach der seit dem 1.4.2005 geltenden Fassung
des § 86 Abs. 3 FGO war das FG über die Frage der
Rechtmäßigkeit der Verweigerung von Akteneinsicht nicht
mehr entscheidungsbefugt.
a) Das im Hauptsacheverfahren beteiligte FA
hat nach § 71 Abs. 2 FGO die den Streitfall betreffenden Akten
an das Gericht zu übermitteln; es ist - wie jede Behörde
- außerdem nach § 86 Abs. 1 FGO zur Vorlage von Akten
verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis (§ 30 der
Abgabenordnung - AO 1977 - ) geschützte Verhältnisse
Dritter unbefugt offenbart werden. Weigerte sich das FA, Akten oder
Aktenteile vorzulegen, konnte das Gericht - wenn und soweit es die
Akten oder Aktenteile für das Hauptsacheverfahren für
relevant hielt - bislang nach § 86 Abs. 3 FGO alter
Fassung verfahren (vgl. BFH-Beschluss vom 13.12.1972 VII B
71/72, BFHE 107, 560, BStBl II 1973, 253 = SIS 73 01 43).
b) § 86 Abs. 3 FGO wurde durch das
Justizkommunikationsgesetz (JKomG) vom 22.3.2005 (BGBl I 2005, 837,
845, erschienen am 29.3.2005) mit Wirkung vom 1.4.2005 (vgl. Art.
16 JKomG) ohne weitere Übergangs- oder Anpassungsregelungen
geändert, so dass für alle Verfahrenshandlungen, die ab
dem 1.4.2005 vorgenommen werden, die gesetzliche Neuregelung gilt.
Danach stellt auf Antrag eines Beteiligten (ausschließlich)
der BFH in den Fällen des § 86 Abs. 1 und 2 FGO ohne
mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die
Verweigerung der Aktenvorlage oder die der Erteilung von
Auskünften rechtmäßig ist.
c) Am 25.7.2005 war deshalb das FG nicht mehr
zur Entscheidung über den Antrag des Klägers vom
26.5.2003 befugt. Aus diesem Grund war der Beschluss vom 25.7.2005
auf die Beschwerde vom 3.8.2005 aufzuheben.
2. Nach § 86 Abs. 3 FGO neuer
Fassung ist daher der BFH für die Entscheidung über
den Antrag des Klägers vom 26.5.2003 zuständig. Dieser
Antrag ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen.
Die Verweigerung der Akteneinsicht durch das FA war
rechtmäßig.
a) Die Verpflichtung zur Vorlage von Akten und
zur Erteilung von Auskünften ist nach § 86 Abs. 1 FGO
durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO 1977
eingeschränkt. Hiervon hat das FA zutreffend Gebrauch
gemacht.
b) Dem Steuergeheimnis unterliegt
grundsätzlich auch die Identität eines Anzeigeerstatters
(BFH-Urteile vom 7.5.1985 VII R 25/82, BFHE 143, 503, BStBl II
1985, 571 = SIS 85 19 44; vom 8.2.1994 VII R 88/92, BFHE 174, 197,
BStBl II 1994, 552 = SIS 94 16 15, und vom 25.7.1994 X B 333/93,
BFHE 174, 491, BStBl II 1994, 802 = SIS 94 22 39). Soweit es nach
§ 30 Abs. 4 AO 1977 zulässig ist, dem Steuergeheimnis
unterliegende Kenntnisse zu offenbaren, folgt daraus
grundsätzlich keine Pflicht; es muss vielmehr unter
Abwägung der gegenseitigen Interessen eine sachgerechte
Ermessensentscheidung getroffen werden. Dabei sind im Einzelfall
das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen -
wie auch das des Informanten - gegen den Zweck des
Steuergeheimnisses - die möglichst vollständige
Erschließung der Steuerquellen - abzuwägen; dieser Zweck
kann es auch erfordern, die Auskunftsbereitschaft Dritter zu
erhalten. In der Abwägung des Einzelfalles bedeutet dies, dass
dem Informantenschutz dann ein höheres Gewicht als dem
Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zukommt, wenn sich
die vertraulich mitgeteilten Informationen im Wesentlichen als
zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (vgl.
insbesondere BFH-Urteil in BFHE 174, 491, BStBl II 1994, 802 = SIS 94 22 39).
c) Die Anzeigen gegen den Kläger vom
14.7.1995 und vom 25.4.1994 haben sich in wesentlichen Teilen als
zutreffend erwiesen; auf ihrer Grundlage haben sich nach einer
Außenprüfung gegen den Kläger Steuernachforderungen
ergeben. Warum in dieser Situation gleichwohl dem
Persönlichkeitsrecht des Klägers ein höheres Gewicht
zukommen sollte als dem Zweck des Steuergeheimnisses, hat der
Kläger weder vorgetragen noch sind Gründe hierfür
ersichtlich. Die Begründung des Antrags vom 26.5.2003
enthält dazu keine konkreten Aussagen und erschöpft sich
vielmehr in einer Kritik angeblich unlogischer Rechtsanwendung
durch das FA; die Beschwerde vom 3.8.2005 wurde - trotz
Aufforderung - nicht begründet, so dass sich auch daraus keine
konkreten Hinweise auf ein ggf. individuell höher
einzuschätzendes Persönlichkeitsrecht des Klägers
ergeben.
d) Eine andere Beurteilung folgt auch nicht
aus dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes
vom 5.9.2005 (BGBl I 2005, 2722
„Informationsfreiheitsgesetz“ - IFG - ). Dieses
gilt nach § 1 Abs. 1 IFG zum einen nur gegenüber
Behörden des Bundes - während das FA eine
Landesbehörde ist -, zum anderen besteht ein Anspruch auf
Informationszugang nach § 3 Nr. 4 IFG dann nicht, wenn die
Information einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungs-
oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt; eine solche
Rechtsvorschrift stellt § 30 AO 1977 dar.