Ausfuhrerstattung, Verjährung, Rückwirkung, EU-Recht: 1. Ist die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auch auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung infolge von Unregelmäßigkeiten gewährter Ausfuhrerstattung anzuwenden? - 2. Verjährt der Anspruch auf Rückforderung von Ausfuhrerstattung nach Ablauf von vier Jahren, nachdem die Unregelmäßigkeit begangen bzw. beendet worden ist, auch dann, wenn die Unregelmäßigkeit begangen oder beendet worden ist, bevor die VO Nr. Nr. 2988/95 in Kraft getreten ist? - 3. Kann eine längere Frist von einem Mitgliedstaat auch dann angewandt werden, wenn eine solche längere Frist in dem Recht des Mitgliedstaates bereits vor Erlass der vorgenannten Verordnung vorgesehen war? Kann eine solche längere Frist auch dann angewandt werden, wenn sie nicht in einer spezifischen Regelung für die Rückforderung von Ausfuhrerstattung oder für verwaltungsrechtliche Maßnahmen im Allgemeinen vorgesehen war, sondern sich aus einer allgemeinen Regelung in dem betreffenden Mitgliedstaat ergab? - Urt.; BFH 27.3.2007, VII R 22/06; SIS 07 20 83
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) hat 1993 Rindfleisch zur Ausfuhr nach Jordanien
abfertigen lassen. Ihr ist dafür antragsgemäß
vorschussweise Ausfuhrerstattung gewährt worden. Der Beklagte
und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA - ) hat die in
diesem Zusammenhang gestellte Sicherheit freigegeben. Nachdem
aufgrund Anfang 1998 durchgeführter Prüfungen
festgestellt worden war, dass das Fleisch im Transit- oder
Reexportverfahren in den Irak befördert worden ist, hat das
HZA jedoch die Ausfuhrerstattung von der Klägerin mit Bescheid
vom September 1999 zurückgefordert.
Hiergegen richtet sich die Klage, der das
Finanzgericht (FG) stattgegeben hat, weil der Rückforderung
Verjährung entgegenstehe (vgl. SIS 06 32 67). Dies ergebe sich
aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 (VO Nr.
2988/95) des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der
finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L
312/1).
Nach dieser Verordnung beträgt die
Verjährungsfrist für die Verfolgung von
Unregelmäßigkeiten bei einem Verstoß gegen eine
Gemeinschaftsbestimmung vier Jahre ab Begehung der
Unregelmäßigkeiten. Die einschlägige Vorschrift
lautet:
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„Artikel 3
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(1) Die Verjährungsfrist für die
Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der
Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in
den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen
werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
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Bei andauernden oder wiederholten
Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an
dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei
den mehrjährigen Programmen läuft die
Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen
Abschluß des Programms.
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...
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(3) Die Mitgliedstaaten behalten die
Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 bzw.
Absatz 2 vorgesehene Frist anzuwenden.“
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In Deutschland bestand in dem hier in
Betracht zu ziehenden Zeitraum keine Vorschrift, welche die
Verjährung eines Anspruches auf Rückforderung zu Unrecht
gewährter Ausfuhrerstattung oder - allgemeiner - zu Unrecht
gewährter verwaltungsrechtlicher Vergünstigungen speziell
regelte. Von der Verwaltung und der Rechtsprechung wurde insofern
vielmehr das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) entsprechend
angewandt, das bis Ende des Jahres 2001 Folgendes regelte:
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„§ 194
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(1) Das Recht, von einem anderen ein Tun
oder ein Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der
Verjährung.
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...
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§ 195
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Die regelmäßige
Verjährungsfrist beträgt dreißig
Jahre.“
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Inzwischen beträgt die in dieser
Vorschrift geregelte „regelmäßige“
Verjährungsfrist nur noch drei Jahre.
II. Die vom Senat zu treffende Entscheidung
erfordert die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts, welche dem Senat durch die bisherige
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH), insbesondere auch das Urteil vom 24.6.2004
Rs. C-278/02 („Handlbauer“ - EuGHE 2004, I-6171
= SIS 04 28 50), nicht ausreichend geklärt scheinen.
Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr.
2988/95 beträgt die Verjährungsfrist für die
Verfolgung einer Unregelmäßigkeit - wozu nach dem Urteil
des EuGH in EuGHE 2004, I-6171 auch das Verlangen der
Rückerstattung eines rechtswidrig gezahlten Geldbetrages
gemäß Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 2988/95 gehören soll -
vier Jahre ab Begehung der die Verfolgung auslösenden Tat.
Diese Frist war bei Erlass des angefochtenen Bescheides abgelaufen.
Die Unregelmäßigkeit, die zur Rückforderung der der
Klägerin gewährten Geldbeträge geführt hat, ist
jedoch bereits vor Inkrafttreten der Verordnung begangen worden.
Deshalb stellt sich die Frage der
„rückwirkenden“ Anwendung des Art. 3 VO Nr.
2988/95 auf die Rückforderung von Geldbeträgen, die
infolge einer vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift begangenen
Unregelmäßigkeit erlangt worden sind. Würde diese
Frage bejaht, stellten sich weitere Fragen, nämlich erstens,
ob gemäß Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 die ehemals
längere Verjährungsfrist des deutschen Rechts anzuwenden
ist, nämlich die in entsprechender Anwendung des § 195
BGB in der hier noch anzuwendenden Fassung (im Folgenden: a.F.)
geltende 30-jährige Frist; und zweitens, ob, wenn § 195
BGB a.F. nicht anzuwenden ist, die gemeinschaftsrechtlich
festgelegte Vier-Jahres-Frist bereits mit Begehung der betreffenden
Unregelmäßigkeit oder dem Erlass des
Erstattungsbescheides oder vielmehr erst mit Inkrafttreten der VO
Nr. 2988/95 beginnt, wenn dieser Zeitpunkt auf die zuvor
bezeichneten folgt, die Verjährungsregelung also in diesem
Sinne zurückwirkt.
1. Der beschließende Senat ersucht
zunächst um Beantwortung der Frage, ob die 4-jährige
Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr.
2988/95 einschlägig ist, wenn vor dem Inkrafttreten der
Verordnung gewährte Ausfuhrerstattung zurückgefordert
wird und die dafür ursächlichen
Unregelmäßigkeiten vor dem Inkrafttreten der Verordnung
begangen worden sind. Diese Frage ist in der Rechtsprechung des
EuGH und des Gerichts erster Instanz bisher nicht, jedenfalls nicht
klar und eindeutig beantwortet.
Sie stellt sich in dem vorliegenden Verfahren.
Denn die Verordnung ist in dem am 23.12.1995 ausgegebenen Amtsblatt
veröffentlicht worden und nach ihrem Art. 11 am dritten Tag
nach dieser Veröffentlichung, mithin am 26.12.1995 in Kraft
getreten. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist im
September 1999 ergangen, also nach Inkrafttreten der Verordnung;
alle Handlungen und Unterlassungen der Klägerin, welche
gemäß Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 als
Unregelmäßigkeit in Betracht kommen, sind jedoch vor dem
Inkrafttreten der Verordnung begangen worden. Allerdings lag
zwischen diesen Unregelmäßigkeiten und dem Ergehen des
vorgenannten Bescheides kein so langer Zeitraum, dass nach den bis
zum Inkrafttreten der Verordnung zweifellos anzuwendenden
(nationalen) Vorschriften bei Inkrafttreten der Verordnung bereits
Verjährung eingetreten gewesen wäre; denn als nationale
Verjährungsregelung würde insofern nur § 195 des
deutschen BGB in seiner früheren, im Streitfall ggf. noch
anzuwendenden Fassung in Betracht kommen, da spezielle
marktordnungsrechtliche Vorschriften über die Verjährung
von Rückforderungsansprüchen bei zu Unrecht
gewährter Ausfuhrerstattung bis zum Inkrafttreten der VO Nr.
2988/95 nicht bestanden.
In dem (hier mithin nicht vorliegenden) Fall,
dass eine vor Inkrafttreten der VO Nr. 2988/95 angelaufene
Verjährungsfrist bei Inkrafttreten jener Verordnung bereits
abgelaufen war, erschiene es dem Senat nach dem Grundsatz der
Rechtssicherheit von vornherein ausgeschlossen anzunehmen, die
Verordnung messe sich mit dem Ergebnis Rückwirkung bei, dass
die Verjährungsfrist in einem solchen Fall erneut
eröffnet wird. Hingegen kann in Betracht kommen, der
Verordnung Rückwirkung beizulegen, wenn die Rückforderung
der unrechtmäßig erlangten Geldbeträge nach den
beim Inkrafttreten der Verordnung anzuwendenden (nationalen)
Verjährungsvorschriften noch hätte erfolgen können,
die Anwendung der Verordnung auf vor ihrem Inkrafttreten begangene
Unregelmäßigkeiten also lediglich zur Verkürzung
einer bereits angelaufenen Verjährungsfrist führt.
Ein dahin gehendes Verständnis der VO Nr.
2988/95 erscheint dem Senat jedoch nicht klar und eindeutig geboten
im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom
6.10.1982 Rs. 283/81 - C.I.L.F.I.T. - (EuGHE 1982, 3415). Der Senat
hat dazu folgende Überlegungen angestellt, um deren
Prüfung er den Gerichtshof ersucht:
Eine Verkürzung bereits angelaufener
(nationaler) Verjährungsfristen könnte je nach Lage des
Falls dazu führen, dass der nationalen Verwaltung nach dem
Inkrafttreten der Verordnung nur noch eine kurze, eine von
vornherein unzureichende oder sogar gar keine Zeitspanne verbleibt,
um zu Unrecht gewährte gemeinschaftsrechtliche Leistungen
zurückzufordern. Der vom HZA vorgeschlagene Weg, die
Verjährung bei den vorstehend erörterten
„Altfällen“ erst mit Inkrafttreten der
Verordnung beginnen zu lassen, kann nach Auffassung des Senats dem
nicht abhelfen, weil die VO Nr. 2988/95 keine dahin gehende
Regelung enthält und diese auch nicht im Wege der Auslegung zu
gewinnen ist.
Hätte der Rat dies bedacht und der
Verjährungsregelung Rückwirkung in solchen
(„Alt“-)Fällen beimessen wollen, so
wäre allerdings zu erwarten, dass er für solche
Fälle eine entsprechende Übergangsvorschrift schafft,
etwa von der Art, dass die 4-jährige Verjährungsfrist
erst mit Inkrafttreten der Verordnung zu laufen beginnt. Das ist
indes nicht geschehen. Es lässt sich, wenn nicht durch einen
gesetzgeberischen Mangel, nur dadurch erklären, dass
(jedenfalls die verwaltungsrechtliche) Verjährungsregelung nur
für Unregelmäßigkeiten oder Erstattungsbescheide
eingreifen soll, die nach dem Inkrafttreten derselben begangen bzw.
erlassen werden.
Die Rückwirkung der
Verjährungsregelung lässt sich nach Auffassung des
beschließenden Senats auch nicht daraus herleiten, dass sie
dem Gemeinschaftsgesetzgeber selbstverständlich gewesen
wäre. Denn die Verjährungsregelung stellt, soweit sie die
Rückforderung zu Unrecht gewährter Vergünstigungen
wie Ausfuhrerstattung betrifft, keine bloße, ihrer Natur nach
grundsätzlich auch in Verfahren, die unter früherem
Verfahrensrecht verwirklichte Sachverhalte betreffen, anwendbare
Verfahrensregelung dar - mag sie auch dem Wortlaut der Vorschrift
nach (wonach die Verjährungsfrist für die
„Verfolgung“ gilt) aus der Sicht des
Verfahrensrechts formuliert sein - . Sie hat vielmehr nicht anders
als z.B. Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex, welchem der EuGH in dem
Urteil vom 23.2.2006 Rs. C-201/04 (EuGHE 2006, I-2049 = SIS 06 16 81) zu Recht materiell-rechtliche Wirkung zugemessen hat, zur
Folge, dass der Rückforderungsanspruch nicht mehr geltend
gemacht werden kann. Deshalb ist kein tragfähiger Grund
erkennbar, weshalb sie anders als jene Vorschrift auf Sachverhalte
anwendbar sein sollte, die verwirklicht worden sind, als die
Vorschrift noch nicht galt. Dass der damals bestehende
Rechtszustand, dass in Deutschland
Rückforderungsansprüche praktisch unverjährbar
waren, im Lichte des Gebotes der Rechtssicherheit und vor allem des
Rechtsfriedens unbefriedigend gewesen sein mag, kann eine nicht
anderweit gebotene rückwirkende Anwendung des Art. 3 Abs. 3 VO
Nr. 2988/95 schwerlich rechtfertigen; denn es ist jedenfalls kein
zwingendes Gebot der vorgenannten gemeinschaftsrechtlichen
Grundsätze, dass Rückforderungsansprüche vier Jahre
nach Begehung einer sie auslösenden
Unregelmäßigkeit verjähren. Inwiefern der Grundsatz
des Vertrauensschutzes durch eine längere
Verjährungsfrist oder sogar faktische Unverjährbarkeit
von Rückforderungsansprüchen betroffen sein könnte,
wie solchen Ansprüchen ausgesetzte Marktbeteiligte geltend
gemacht haben, ist dem beschließenden Senat von vornherein
nicht nachvollziehbar; denn die Marktbeteiligten haben nicht darauf
vertraut, dass von ihnen begangene Unregelmäßigkeiten
nach vier Jahren verwaltungsrechtlich folgenlos bleiben
würden, und konnten darauf auch nicht vertrauen, ganz
abgesehen davon, dass ein diesbezügliches Vertrauen allenfalls
schutzwürdig wäre, wenn es die Betreffenden zu
wirtschaftlichen Dispositionen veranlasst hätte, die sie
jedoch offenkundig nicht getroffen haben.
Die Frage, ob die Verjährungsfrist des
Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 der
Rückforderung von Geldbeträgen entgegensteht, die infolge
einer vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift begangenen
Unregelmäßigkeit erlangt worden sind und deren
Rückforderung die bis zum Inkrafttreten der Verordnung
anzuwendenden Verjährungsvorschriften nicht entgegenstanden,
wird durch das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 13.3.2003
T-125/01 (EuGHE 2003, II-865) nicht beantwortet. Denn in
vorgenanntem Urteil ging es um einen Fall, bei dem, wie das Gericht
auch ausdrücklich hervorgehoben hat (vgl. Rz 81 der
Entscheidungsgründe), die Unregelmäßigkeit zwar vor
Inkrafttreten der Verordnung begonnen hatte, jedoch erst danach
beendet wurde und folglich die Verjährungsfrist, wie das
Gericht ausführt, erst an dem Tag beginnen konnte, an dem die
Unregelmäßigkeit beendet war.
2. Der beschließende Senat ist bei
diesen Überlegungen davon ausgegangen, dass Art. 3 Abs. 1
Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 grundsätzlich nicht nur die
Frist für die strafrechtliche Verfolgung von
Unregelmäßigkeiten bei der Beantragung von
Ausfuhrerstattung betrifft, sondern auch für die
Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung
gilt, wenn diese auf einer Unregelmäßigkeit bei der
Beantragung der Erstattung beruht. Das hätte freilich die
wenig gerechte Folge, dass der Marktbeteiligte, dem eine
Unregelmäßigkeit bei der Beantragung von
Ausfuhrerstattung vorzuwerfen ist, nach dem seinerzeit geltenden
Recht hinsichtlich der Verjährung der Ansprüche, denen er
seitens der Verwaltung ausgesetzt war, besser gestellt war, als
derjenige, dem Ausfuhrerstattung zu Unrecht gewährt worden
ist, ohne dass ihm eine Unregelmäßigkeit vorgeworfen
werden kann. Denn ein solcher Marktbeteiligter musste bis zum
Inkrafttreten der Verjährungsregelung in der Verordnung (EG)
Nr. 800/1999 (VO Nr. 800/1999) der Kommission vom 15.4.1999 (ABlEG
Nr. L 102/11) in Deutschland während eines Zeitraums von 30
Jahren mit der Rückforderung der ihm gewährten
Ausfuhrerstattung rechnen und wäre überdies noch heute
schlechter gestellt als der erstgenannte Marktbeteiligte, weil die
Verjährungsregelung der VO Nr. 800/1999 anders als Art. 3 Abs.
1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 die Verjährung erst mit
Ergehen des Ausfuhrerstattungsbescheides beginnen lässt.
Wenn der Senat bei seiner eben entwickelten
Fragestellung gleichwohl von der Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1
Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 auch auf die Rückforderung
von Ausfuhrerstattungen ausgeht, so beruht dies
ausschließlich auf dem Urteil des EuGH in EuGHE 2004, I-6171,
das in diesem Sinne allgemein verstanden worden ist. Sofern der
EuGH aufgrund entsprechender Beantwortung der unter 1.
aufgeworfenen Frage in eine Prüfung der richtigen Auslegung
vorgenannter Verjährungsregelung eintritt, mag ihm dies jedoch
Gelegenheit geben, die Rechtsauslegung insofern erneut zu
überprüfen bzw. klarzustellen.
Denn aus dem vom EuGH dort im Anschluss an das
Urteil des Gerichts erster Instanz in EuGHE 2003, II-865
erwähnten Umstand, dass nach Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 der
Regelungsbereich der Verordnung schuldhaft und schuldlos begangene
Verstöße gegen Gemeinschaftsregelungen umfasst, kann
nach Überzeugung des beschließenden Senats nicht ohne
weiteres geschlossen werden, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO
Nr. 2988/95 müsse ebenfalls nicht nur für Sanktionen, die
eine vorsätzliche oder durch Fahrlässigkeit verursachte
Unregelmäßigkeit voraussetzen (vgl. Art. 5 Abs. 1
Halbsatz 1), sondern auch für verwaltungsrechtliche
Maßnahmen (Art. 4) gelten, bei denen das nicht
notwendigerweise der Fall ist.
Die Verordnung unterscheidet zweifellos
zwischen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen
(vgl. schon Art. 1 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95). Art. 3 betrifft
letztere, während er für verwaltungsrechtliche
Maßnahmen nicht nur dem ersten Anschein nach nicht anwendbar
zu sein scheint. Das ist zwar in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1
VO Nr. 2988/95 nicht ganz deutlich, weil dort - anders als sonst in
der Verordnung (vgl. z.B. Art. 7 oder Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs.
2 Satz 1 sowie Art. 4 Abs. 1 und 4) - statt des vorgenannten
Begriffspaares bzw. eines der beiden Elemente desselben der - sonst
nicht verwendete - Begriff „Verfolgung“
gebraucht wird, der für sich gesehen dahin mag verstanden
werden können, dass er verwaltungsrechtliche Maßnahmen
ebenso wie Sanktionen umfasst. Dass dies indes nicht gemeint sein
kann, legt der systematische Zusammenhang vorgenannter Vorschrift
mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 und Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 nahe,
in denen klar und deutlich (nur) von Sanktionen, nicht von
verwaltungsrechtlichen Maßnahmen die Rede ist, welche
zweifellos keine „Sanktionen“ sind (Art. 4 Abs.
4 VO Nr. 2988/95). Dass die Verordnung Handlungen zum Nachteil der
finanziellen Interessen der Gemeinschaft (so die dritte
Begründungserwägung der Verordnung) bekämpfen will,
kann nicht dahin verstanden werden, dass ihre Regelungen gleichsam
im Zweifel immer für Sanktionen und Maßnahmen gelten
sollen; es verdeutlicht lediglich, dass solche Interessen in
unterschiedlichen Sachbereichen der Gemeinschaftspolitik betroffen
sind, von denen die Marktordnungen und die Ausfuhrerstattungen im
Besonderen nur einige sind.
Bedeutung könnte zur Klärung der
Anwendbarkeit der 4-jährigen Verjährungsfrist des Art. 3
Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 auf verwaltungsrechtliche
Maßnahmen wie die Rückforderung von Ausfuhrerstattung
nach Ansicht des beschließenden Senats auch der
Entstehungsgeschichte der Verordnung zukommen. In einem dem Senat
vorliegenden Schreiben der Europäischen Kommission -
Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung - vom
28.5.2001 heißt es dazu, während der Beratung des
Verordnungsvorschlags habe sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten
ausdrücklich dagegen gewandt, für die Rückforderung
rechtswidrig erlangter Vorteile eine gemeinschaftsrechtliche
Verjährungsfrist festzulegen. Es erschiene in hohem Maße
unbefriedigend, wenn durch richterliche Auslegung einer
Ratsverordnung eine Regelung entnommen würde, gegen die sich
die Mitgliedstaaten im Gesetzgebungsverfahren mehrheitlich gerade
gewehrt und deretwegen sie eine entsprechende Änderung des
Verordnungstextes durchgesetzt haben.
Für eine Vorschrift, die eine
Verjährungsfrist für verwaltungsrechtliche
Maßnahmen vorsieht, erschiene es dem Senat zudem
ungewöhnlich, wenn nicht sachwidrig, die Frist wie in Art. 3
Abs. 1 VO Nr. 2988/95 von der Begehung der
Unregelmäßigkeit an - und nicht von der Gewährung
des infolge der Unregelmäßigkeit zu Unrecht erhaltenen
Betrages an - laufen zu lassen, so dass ein
„bösgläubiger“ Marktbeteiligter gut
beraten ist, das Erstattungsverfahren möglichst lange
hinauszuzögern und dadurch rechtzeitigen Prüfungen
vorzubeugen, die zur Aufdeckung der von ihm begangenen
Unregelmäßigkeit führen könnten.
3. Sollte die Verjährungsregelung trotz
dieser grundsätzlichen Bedenken gegen ihre Anwendung auf
verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung zu
Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung Rückwirkung für
Fälle haben, in denen vor Inkrafttreten derselben die zur
Zurückforderung Anlass gebenden Unregelmäßigkeiten
begangen worden sind und Ausfuhrerstattung gewährt worden ist,
so würde sich dem beschließenden Senat die weitere Frage
stellen, ob Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass
die Mitgliedstaaten eine längere als die in Abs. 1 und Abs. 2
der Verordnung vorgesehene Frist nur dann anwenden dürfen,
wenn dies in ihren Rechtsvorschriften ausdrücklich gerade im
Hinblick auf die (kürzere) Frist der VO Nr. 2988/95 oder
jedenfalls die wegen eines Verstoßes gegen eine
Gemeinschaftsbestimmung gebotene Rückforderung eines
rechtswidrig erhaltenen Geldbetrages vorgesehen ist.
Die schon in der Benennung der Verordnung
(„Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen
Gemeinschaften“) zum Ausdruck kommende allgemeine
Zielsetzung der Verordnung spricht indes dafür, dass diese
lediglich im Interesse der Gemeinschaft Mindeststandards bei der
Verfolgung von Unregelmäßigkeiten festlegen will, welche
die Mitgliedstaaten nicht unterschreiten dürfen, dass sie
jedoch die Mitgliedstaaten nicht daran hindern will, bei der
Verfolgung von Unregelmäßigkeiten strengere
Maßstäbe - hier: eine längere Verjährungsfrist
- anzuwenden als im Interesse des Schutzes der finanziellen
Interessen der Gemeinschaften vom gemeinschaftlichen
Verordnungsgeber für unverzichtbar gehalten wird. Deshalb ist
das beklagte HZA nach Auffassung des Senats durch die Verordnung
nicht gehindert gewesen, die der Klägerin zu Unrecht
gewährte Ausfuhrerstattung zurückzufordern; denn nach der
Rechtsprechung des Senats zum insofern einschlägigen
nationalen Recht stand ihm dafür in entsprechender Anwendung
des § 195 BGB a.F. eine Dreißig-Jahres-Frist zur
Verfügung. Diese Frist war nach deutschem Recht bei einer
Rückforderung solcher Geldbeträge, wie sie die
Klägerin erhalten hat, „anzuwenden“. Ob
ihre Anwendung in jedem Fall mit den allgemeinen Grundsätzen
des Gemeinschaftsrechts wie insbesondere mit dem Gebot, nach
angemessener Zeit Rechtsfrieden zu gewähren, vereinbar war,
mag zweifelhaft erscheinen; im Streitfall stellen sich jedoch dahin
gehende Fragen nicht, nachdem zwischen der Begehung der der
Klägerin vorgeworfenen Unregelmäßigkeit und der
Rückforderung ein Zeitraum von nur rund sechs Jahren
liegt.
Gegen die mithin vom Senat für richtig
gehaltene Auslegung der VO Nr. 2988/95 mag zwar sprechen, dass nach
deren Erwägungsgründen durch die Verordnung
„allgemeine Regeln“ für die Sanktionen
aufgestellt werden sollen bzw. ein „gemeinsamer
rechtlicher Rahmen“ festgelegt werden soll. Wenn jedoch
dieses Ziel nicht so weit gesteckt ist, dass abweichende, für
den Marktbeteiligten strengere nationale Regelungen nicht
zugelassen werden sollen, was, wie nach Art. 3 Abs. 3 VO Nr.
2988/95 außer Zweifel steht, nicht das Ziel der Verordnung
ist, so ist nicht ohne weiteres einsichtig, welche Erwägungen
den Verordnungsgeber veranlasst haben sollten, strengere nationale
Regeln nur zu dulden, wenn sie bereichsspezifisch sind, wenn sie
nach Inkrafttreten der VO Nr. 2988/95 erlassen werden oder wenn sie
sogar in gewollter Abweichung von derselben erlassen worden sind.
Art. 3 Abs. 3 VO Nr. 2988/95 erteilt den Mitgliedstaaten keine
Ermächtigung zu einer abweichenden Regelung der
Verjährungsfrist, sondern stellt lediglich klar, dass
bestehende abweichende Möglichkeiten zu einer längeren
Verfolgung von Unregelmäßigkeiten unberührt bleiben
sollen, die Verordnung also die Möglichkeiten der
Mitgliedstaaten, zu Unrecht gewährte Subventionen
zurückzufordern, nicht einschränken will, ganz gleich
woraus sich diese Möglichkeiten ergeben. Dass Art. 3 Abs. 3 VO
Nr. 2988/95 den Mitgliedstaaten die Anwendung einer längeren
Frist nicht nur insoweit vorbehält, als eine solche Frist
gerade im Hinblick auf die Regelungsgegenstände der Verordnung
festgelegt ist, legt überdies schon ein Vergleich des Abs. 3
mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 VO Nr. 2988/95 nahe, in
welchem dem gemeinschaftlichen Gesetzgeber die Festlegung einer
kürzeren Frist gerade nur in
„sektorbezogenen“ Regelungen vorbehalten
wird.
Den finanziellen Interessen der Gemeinschaft,
welche die VO Nr. 2988/95 schützen will, wäre im
Übrigen ohnehin mit einer einengenden Auslegung des Art. 3
Abs. 3 VO Nr. 2988/95 nicht gedient und der mutmaßliche
Gewinn an Rechtseinheit im Verhältnis der Mitgliedstaaten
durch eine sachgesetzlich nicht ohne weiteres legitime
Ungleichbehandlung von aufgrund gemeinschaftlicher und auf der
Grundlage rein nationaler Vorschriften gewährten Subventionen
erkauft.