Unentgeltliche Wohnungsnutzung, doppelte Haushaltsführung: Im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände ist zu klären, ob ein alleinstehender Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand unterhält oder in einem fremden Haushalt eingegliedert ist. Dabei ist auch von Bedeutung, ob der Arbeitnehmer die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich nutzt. - Urt.; BFH 14.6.2007, VI R 60/05; SIS 07 29 07
I. Der unverheiratete, 1972 geborene
Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Innenarchitekt.
Nach Beendigung seines Studiums im Jahr 2000 war er zunächst
in B nichtselbständig tätig. Am 1. April des Streitjahres
(2001) nahm er eine Tätigkeit in E auf. Dort mietete er, wie
zuvor in B, eine Wohnung an. An den Wochenenden und im Urlaub hielt
er sich in seinem Heimatort auf. Hier nutzt er seit der Zeit seines
Studiums eine ca. 34 qm große abgeschlossene
Dachgeschosswohnung im Haus seiner Eltern. Diese bewohnen die
Erdgeschosswohnung, das Obergeschoss ist fremdvermietet. Im
Streitjahr nutzte der Kläger die Wohnung ohne finanzielle
Gegenleistung.
In seiner Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machte der Kläger Mehraufwendungen
wegen doppelter Haushaltsführung in Höhe von 2.704 DM als
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) veranlagte ihn erklärungsgemäß.
Im Einspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid, mit dem
das FA u.a. den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob,
erklärte der Kläger nunmehr Mehraufwendungen wegen
doppelter Haushaltsführung in Höhe von 11.312 DM, die das
FA nicht anerkannte.
Der dagegen gerichteten Klage, mit der der
Kläger die Berücksichtigung weiterer Werbungskosten
einschließlich „Umzugskostenpauschale“ und
„Stellplatzmiete“ in Höhe von insgesamt 11.263 DM,
begehrte, gab das Finanzgericht (FG) statt. Das Urteil ist in EFG
2005, 1755 = SIS 05 46 32 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des
Einkommensteuergesetzes (EStG).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA führt zur
Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die geltend gemachten
Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung des Klägers
dem Grunde nach zu Recht als Werbungskosten bei den Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt. Es hat
allerdings zu Unrecht Umzugskosten pauschal anerkannt.
1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer
wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten
Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte
Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor,
wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen
eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am
Beschäftigungsort wohnt.
a) Hausstand im Sinne der Vorschrift ist der
Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt,
also sein Erst- oder Haupthaushalt (von Bornhaupt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz G 30). Unter dem
Begriff des Haushalts ist die Wirtschaftsführung mehrerer (in
einer Familie) zusammenlebender Personen oder einer einzelnen
Person zu verstehen (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 1.2.2007 VI R 77/05, BFH/NV 2007, 1024 = SIS 07 10 16). Dabei
ist die Wohnung der räumliche Bereich, in dem sich der
Haushalt entfaltet (von Bornhaupt, a.a.O., § 9 Rz G 32).
b) Ein „eigener“ Hausstand
erfordert, dass er vom Arbeitnehmer aus eigenem oder abgeleitetem
Recht genutzt wird (BFH-Urteil vom 5.10.1994 VI R 62/90, BFHE 175,
430, BStBl II 1995, 180 = SIS 95 01 33). Der eigene Hausstand muss
vom Arbeitnehmer „unterhalten“ oder
mitunterhalten werden. Unterhalten bedeutet die Führung eines
Haushalts (von Bornhaupt, a.a.O., § 9 Rz G 31). Dazu
gehört auch, dass der Arbeitnehmer für die Kosten des
Haushalts aufkommt.
Nach der früheren Rechtsprechung des BFH
setzte das Unterhalten des eigenen Hausstands voraus, dass der
Arbeitnehmer eine Wohnung besaß, deren Einrichtung seinen
Lebensbedürfnissen entsprach und in der auch in seiner
beruflich bedingten Abwesenheit hauswirtschaftliches Leben
herrschte, das er durch finanzielle und persönliche Mitwirkung
maßgeblich mitbestimmte (vgl. u.a. Urteil vom 22.9.1988 VI R
53/85, BFHE 155, 77, BStBl II 1989, 293 = SIS 89 04 36). Der BFH
hat diese Rechtsprechung, die grundsätzlich einen
Familienhaushalt voraussetzte, mit dem Urteil in BFHE 175, 430,
BStBl II 1995, 180 = SIS 95 01 33 aufgegeben. Er vertritt nunmehr
die Auffassung, dass der Haupthaushalt auch von einem
Alleinstehenden unterhalten, d.h. geführt werden kann. Statt
der Forderung nach ununterbrochenem hauswirtschaftlichen Leben
kommt es darauf an, dass der nicht verheiratete Arbeitnehmer sich
in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die
arbeitsbedingte Abwesenheit und ggf. Urlaubsfahrten, aufhält;
denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche
Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als
Unterhalten eines Hausstandes zu bewerten. Ebenfalls wird ein
eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die
Haushaltsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern in einen
fremden Haushalt (z.B. in den der Eltern oder als Gast)
eingegliedert ist, so dass von einer eigenen Haushaltsführung
nicht gesprochen werden kann.
2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen
Grundsätzen. Seine Auffassung, dass der Kläger im
Streitjahr in seinem Heimatort den Haupthausstand unterhalten hat,
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Das FG ist - offensichtlich in
Übereinstimmung mit den Beteiligten - davon ausgegangen, dass
die doppelte Haushaltsführung aus beruflichem Anlass
begründet wurde und sich der Lebensmittelpunkt des
Klägers im Streitjahr noch in seinem Heimatort befand.
b) Das FG hat nach Durchführung einer
Beweisaufnahme ferner festgestellt, dass der Kläger eine
abgeschlossene Wohnung im Dachgeschoss seines Elternhauses nutzte.
Es hat weiter festgestellt, dass er diese Wohnung aufgrund der mit
seinen Eltern getroffenen Absprache dauerhaft zu eigenen
Wohnzwecken nutzen konnte und dass er „aus eigenen Mitteln
seine Haushaltsführung bestritten hat“. Es ist
deshalb im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände zu dem
Ergebnis gekommen, dass der Kläger dort seinen Haupthaushalt
unterhielt. Das FG hat dem Umstand, dass dem Kläger die
Wohnung unentgeltlich überlassen worden ist, keine
ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.
aa) In den Fällen, in denen dem
Arbeitnehmer die Wohnung unentgeltlich überlassen wird, kann
sich in besonderer Weise die Frage stellen, ob er einen eigenen
Hausstand unterhält oder in einen fremden eingegliedert ist.
Zwar ist die entgeltliche Einräumung einer Rechtsposition
nicht Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung bei
Alleinstehenden. Nutzt allerdings der Arbeitnehmer eine Wohnung
unentgeltlich, ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die
Wohnung eine eigene oder die des Überlassenden, z.B. der
Eltern, darstellt (vgl. von Twickel, Anm. in HFR 2004, 108). Dabei
ist das Merkmal der Entgeltlichkeit ein Indiz, das im Zusammenhang
mit einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu einer
zutreffenden Beurteilung führen kann, nicht jedoch eine
unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) für
die Beantwortung der Frage, ob ein eigener Hausstand unterhalten
wird. Denn ein eigener Hausstand kann bei Kostentragung im
Übrigen auch in einer unentgeltlich überlassenen Wohnung
geführt werden. Hier gilt nichts Anderes als bei einem
Familienhaushalt, bei dem es, wie dargestellt, auf die finanzielle
Beteiligung des auswärts Beschäftigten an der
„Haushaltsführung“ ankommt (s. dazu auch
BFH-Urteile vom 12.9.2000 VI R 165/97, BFHE 193, 282, BStBl II
2001, 29 = SIS 01 03 18; vom 4.11.2003 VI R 170/99, BFHE 203, 386,
BStBl II 2004, 16 = SIS 03 51 77; vom 14.10.2004 VI R 82/02, BFHE
207, 292, BStBl II 2005, 98 = SIS 04 41 15).
bb) Im Streitfall stand nach Würdigung
der Gesamtumstände des Falles zur Überzeugung des FG
fest, dass der Kläger in der ihm von seinen Eltern
überlassenen Dachgeschosswohnung einen eigenen Hausstand
führte, auch wenn er sich an den laufenden Kosten dieser
Wohnung nicht beteiligen musste. Diese Würdigung ist
möglich und deshalb nicht zu beanstanden. Nach den genannten
Grundsätzen kann aus dem Umstand der kostenlosen Nutzung der
Wohnung nicht ohne Weiteres auf die Eingliederung in den
elterlichen Haushalt geschlossen werden.
3. Nach Auffassung des FG ist die Höhe
des vom Kläger pauschal geltend gemachten Betrags für
Umzugsaufwendungen nicht zu beanstanden. Zur Begründung
verweist das FG u.a. auf R 41 Abs. 2 der Lohnsteuerrichtlinien 2001
(LStR). Dem kann nicht gefolgt werden. Denn es gilt
grundsätzlich die allgemeine Nachweispflicht des
Steuerpflichtigen für Werbungskosten. Und selbst nach der
Pauschalierungsregelung (vgl. dazu Küttner/Thomas,
Personalbuch 2007, Stichwort Pauschbeträge, Rz 11 ff.) in R 43
Abs. 10 LStR ist bei einem Umzug u.a. anlässlich des Wechsels
einer doppelten Haushaltsführung der Nachweis von Aufwendungen
erforderlich.
Durch eine doppelte Haushaltsführung
veranlasste Umzugskosten sind nur bei entsprechendem Nachweis zu
berücksichtigen. Im deshalb erforderlich gewordenen zweiten
Rechtsgang wird das FG daher zu prüfen haben, ob und in
welcher Höhe dem Kläger Umzugskosten entstanden sind.
Weiter wird es auch zu prüfen haben, ob es sich bei der vom
Kläger ebenfalls geltend gemachten Stellplatzmiete um
notwendige Mehraufwendungen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
Satz 1 EStG handelt.