Praxis-Pkw, Diebstahl: Wird der zum Betriebsvermögen gehörende PKW eines selbständig tätigen Arztes während des privat veranlassten Besuchs eines Weihnachtsmarkts auf einem Parkplatz abgestellt und dort gestohlen, ist der Vermögensverlust der privaten Nutzung zuzurechnen und nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 18.4.2007, XI R 60/04; SIS 07 31 12
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist selbständiger Arzt. In seinem
Betriebsvermögen befand sich ein PKW, der ihm während
eines Besuchs des Weihnachtsmarkts in L am 17.12.1995 gestohlen und
nicht wiedergefunden wurde. Die Kaskoversicherung war wegen
Verletzung einer Obliegenheitsverpflichtung des Klägers von
der Regulierung des Schadens befreit. Zum 31.12.1995 belief sich
der Restbuchwert auf 44.761 DM.
Gegen den nach § 164 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 1995
vom 28.3.2000 legte der Kläger Einspruch ein. Er beantragte
die Minderung des Gewinns aus selbständiger Tätigkeit um
den Restbuchwert des entwendeten Fahrzeugs, weil das Fahrzeug im
Zeitpunkt des Ausscheidens Betriebsvermögen gewesen sei. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) wies den
Einspruch zurück.
Mit seiner Klage trug der Kläger vor,
die Fahrt selbst sei betrieblich veranlasst gewesen, da er aus
beruflichen Gründen einen Kollegen in X habe besuchen wollen.
Da er früh angereist sei, habe er die Zeit für einen
„Abstecher“ genutzt, um mit seiner Frau einen
Weihnachtsmarkt zu besuchen. Das Fahrzeug sei gegen seinen Willen
aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden, zum Zeitpunkt des
Diebstahls fehle es auch an einer konkreten Nutzungshandlung durch
ihn. Das einzig brauchbare Kriterium für die Zuordnung des
Wertverlustes sei die Betriebsvermögenseigenschaft des
Fahrzeugs.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(EFG 2005, 24 = SIS 05 01 57). Nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs (BFH) mindere ein Vermögensverlust an
einem betrieblichen Fahrzeug anlässlich einer Privatfahrt
nicht den Betriebsgewinn. Die private Nutzung des Fahrzeugs umfasse
den Umweg in seiner Gesamtheit.
Mit seiner Revision verfolgt der
Kläger sein Klagevorbringen weiter. Es fehle an einer
Entnahmehandlung und einem Entnahmewillen. Das FG habe die
Rechtsprechung des BFH fehlinterpretiert. Der Diebstahl eines
betrieblichen Wirtschaftsgutes stelle einen Fall höherer
Gewalt dar, bei dem die Zugehörigkeit des verschwundenen
Wirtschaftsgutes zum Betriebs- oder Privatvermögen das
Veranlassungsprinzip überlagere und letztendlich die allein
ausschlaggebende Bedeutung erlange. Unerheblich sei, ob das
Fahrzeug zuvor betrieblich oder privat genutzt worden sei bzw.
später genutzt werden sollte. Während des Parkens finde
keine Nutzungsentnahme statt und die Zugehörigkeit zum
Betriebsvermögen werde nicht unterbrochen.
Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den
Einkommensteueränderungsbescheid 1995 vom 8.1.2004 dahingehend
zu ändern, dass bei den Einkünften aus selbständiger
Arbeit weitere Betriebsausgaben in Höhe von 44.761 DM
angesetzt werden und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt
wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Rechtsprechung des BFH zu den sog.
Unfallfällen sei auf Diebstahlsfälle übertragbar.
Zutreffend habe dabei das FG auf den privat veranlassten Umweg in
seiner Gesamtheit abgestellt, der Vorgang des Parkens verklammere
die einzelnen Fahrtabschnitte zu einem einheitlichen
Lebenssachverhalt.
II. Die Revision ist unbegründet und
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Zutreffend hat das FG den Antrag des Klägers, weitere
Betriebsausgaben in Höhe von 44.761 DM anzuerkennen,
abgelehnt.
1. Gemäß § 4 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Betriebsausgaben solche
Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Aufwendungen
im Sinne dieser Vorschrift müssen nicht willentlich
getätigt werden. Auch Wertabgaben, die den Steuerpflichtigen
unfreiwillig treffen, sog. „Zwangsaufwendungen“,
können Betriebsausgaben sein (BFH-Urteile vom 22.10.1991 VIII
R 64/86, BFH/NV 1992, 449; vom 16.11.2005 X R 48/03, BFH/NV 2006,
534 = SIS 06 11 74). Entscheidend für die steuerliche
Beurteilung ist, in welchem Veranlassungszusammenhang der Verlust
eingetreten ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom
28.11.1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 = SIS 78 00 63).
a) Kosten eines Kraftfahrzeugunfalls teilen
grundsätzlich das rechtliche Schicksal der Fahrtkosten
(BFH-Urteile vom 6.4.1984 VI R 103/79, BFHE 141, 35, BStBl II 1984,
434 = SIS 84 11 33; vom 4.7.1986 VI R 227/83, BFHE 147, 161, BStBl
II 1986, 771 = SIS 86 18 43; vom 13.3.1996 VI R 94/95, BFHE 180,
138, BStBl II 1996, 375 = SIS 96 13 38). Wird die normale
(verkehrsgünstigste) Fahrtroute einer betrieblich veranlassten
Fahrt verlassen, kommt es darauf an, ob der Umweg beruflich
veranlasst war (vgl. BFH-Urteile vom 11.10.1984 VI R 48/81, BFHE
142, 137, BStBl II 1985, 10 = SIS 84 24 29, m.w.N.; vom 14.11.1986
VI R 79/83, BFHE 148, 310, BStBl II 1987, 275 = SIS 87 03 48; vom
22.3.1990 IV R 353/84, BFH/NV 1991, 512 = SIS 90 16 05). War er
dies nicht, so wird eine durch den Betrieb oder das
Arbeitsverhältnis zunächst gegebene Veranlassung
vorübergehend oder ganz aufgehoben, also unterbrochen oder
gelöst (BFH-Beschluss in BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 =
SIS 78 00 63).
Die berufliche Veranlassung des Umwegs ist
nach den Grundsätzen zu beurteilen, die der Große Senat
des BFH für die Abgrenzung beruflicher Fahrten bei privater
Mitveranlassung aufgestellt hat. Danach hängt die Anerkennung
als beruflich veranlasst davon ab, ob die Förderung des Berufs
bei weitem überwiegt und Umstände der Lebensführung
ganz in den Hintergrund treten. Dies ist nach subjektiven und
objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen, insbesondere nach den
beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen. Ob eine
Unfallfahrt betrieblich oder beruflich veranlasst ist, hängt
danach weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab
(BFH-Beschluss in BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 = SIS 78 00 63;
BFH-Urteile in BFHE 142, 137, BStBl II 1985, 10 = SIS 84 24 29; vom
11.7.1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 = SIS 80 03 38).
b) Entsprechendes gilt grundsätzlich,
soweit der Verlust eines Wirtschaftsgutes auf einem Diebstahl
beruht. Die Zugehörigkeit des entwendeten Wirtschaftsgutes zum
Betriebsvermögen indiziert noch nicht die betriebliche
Veranlassung des Verlustes. Erforderlich ist - wie stets -, dass
der Verlust so gut wie ausschließlich betrieblich und nicht
wesentlich durch den Steuerpflichtigen privat (mit-)veranlasst ist
(BFH-Urteil vom 9.12.2003 VI R 185/97, BFHE 204, 466, BStBl II
2004, 491 = SIS 04 14 38). Maßgeblich dafür, ob ein
solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die - wertende -
Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen
„auslösenden Moments“, zum anderen die
Zuweisung dieses maßgeblichen Bestimmungsgrundes zur
einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (vgl.
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4.7.1990 GrS 2-3/88,
BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817 = SIS 90 21 11, unter C.II.2.b bb
der Gründe).
c) Wird ein privater PKW auf einer
mehrtägigen Dienstreise entwendet, so rechtfertigt deren
berufliche Veranlassung die Zurechnung des Diebstahls zur
Berufssphäre auch dann, wenn sich der Diebstahl während
einer Übernachtung ereignet hat (BFH-Urteil vom 25.5.1992 VI R
171/88, BFHE 168, 542, BStBl II 1993, 44 = SIS 92 21 53). Der
berufliche Einsatz des PKW dauert - von evtl. Unterbrechungen durch
entsprechend zu wertende private Umwegfahrten etc. abgesehen - bis
zur Beendigung der Dienstreise fort. Die Dienstreise schließt
die notwendig werdenden Übernachtungen ein. Das Parken des
für die Dienstreise verwendeten PKW während der Nacht ist
der beruflichen Sphäre ebenso zuzurechnen, wie die Kosten der
Übernachtung bei einer mehrtägigen Dienstreise beruflich
veranlasst sind. Ob das den Schaden herbeiführende
außergewöhnliche Ereignis während der Fahrt als
Verkehrsunfall (BFH-Beschluss in BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 =
SIS 78 00 63; BFH-Urteil vom 9.11.1979 VI R 156/77, BFHE 129, 143,
BStBl II 1980, 71 = SIS 80 00 44) oder während des Parkens des
PKW eintritt, und ob der geparkte PKW nur beschädigt oder
entwendet wird, ist insoweit unerheblich (BFH-Urteil in BFHE 168,
542, BStBl II 1993, 44 = SIS 92 21 53).
d) Eine berufliche Veranlassung kann auch
gegeben sein, wenn das entwendete Fahrzeug eines Arbeitnehmers
nahezu ausschließlich beruflich genutzt und vor der eigenen
Wohnung abgestellt wurde. Bei einer nahezu ausschließlich
beruflichen Nutzung ist auch das Abstellen des PKW vor der eigenen
Wohnung nicht privat veranlasst, weil die als steuerrechtlich
bedeutungslos zu wertende ganz geringfügige Nutzung zu
privaten Zwecken bei der gebotenen typisierenden Beurteilung
außer Betracht bleiben muss (BFH-Urteil vom 29.4.1983 VI R
139/80, BFHE 138, 441, BStBl II 1983, 586 = SIS 83 16 35). Das
Abstellen des PKW über Nacht vor der eigenen Wohnung ist von
der fast ausschließlich beruflichen Nutzung mit umfasst.
Etwas anderes gilt allerdings, wenn das Schadensereignis
ausnahmsweise dem privaten Bereich zuzuordnen ist, dann sind die
Aufwendungen gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht
abziehbar.
2. Nach diesen Grundsätzen ist die
Revision unbegründet.
a) Nach den unangefochtenen
Tatsachenfeststellungen des FG ist der Kläger nicht auf
direktem Weg nach X gefahren, sondern hat aus ausschließlich
privaten Gründen einen Umweg über L genommen, um den
dortigen Weihnachtsmarkt zu besuchen. Es bedarf keiner
Prüfung, von wo aus die betrieblich veranlasste Reise nach X
durch den privaten Umweg über L unterbrochen wurde. Denn
jedenfalls der Aufenthalt des Klägers in L zählt zum
Bereich seiner privaten Lebensführung. Die hierfür
angefallenen Aufwendungen dürfen gemäß § 12
Nr. 1 EStG nicht bei seinen Einkünften aus selbständiger
Arbeit abgezogen werden. Das gilt sowohl für die Fahrtkosten
als auch bspw. für die durch das Parken verursachten Kosten.
Der private Besuch des Markts war nur möglich, nachdem der
Kläger seinen PKW geparkt hatte; die privaten
Zielvorstellungen des Klägers umfassten das Parken des PKW
ebenso wie den Besuch des Markts (BFH-Urteile in BFHE 142, 137,
BStBl II 1985, 10 = SIS 84 24 29; in BFHE 131, 67, BStBl II 1980,
655 = SIS 80 03 38; Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 4 Rz E 763, 765). Es kann daher auch dahingestellt
bleiben, ob die Reise, wenn sie vom Kläger fortgesetzt worden
wäre, bereits ab der Abfahrt in L oder erst ab Wiedererreichen
der normalen (verkehrsgünstigsten) Fahrtroute wieder
betrieblich veranlasst gewesen wäre.
b) Ein Abzug kommt auch nicht deswegen in
Betracht, weil das entwendete Fahrzeug zum Betriebsvermögen
gehörte.
Der Diebstahl als das den Verlust
verursachende „auslösende Moment“
verhält sich zu der privaten bzw. betrieblichen Sphäre
des Steuerpflichtigen neutral (BFH-Urteil in BFHE 204, 466, BStBl
II 2004, 491 = SIS 04 14 38). Er stünde damit einem Abzug des
Restbuchwertes als Absetzungen für außergewöhnliche
technische oder wirtschaftliche Abnutzung nach § 7 Abs. 1 Satz
5 EStG 1995 nicht entgegen.
Gegen eine Zuweisung des eingetretenen
Verlustes zur einkommensteuerrechtlich relevanten
Erwerbssphäre spricht indes, dass die Aufwendungen auf dem
ausschließlich privat veranlassten Marktbesuch
einschließlich des dafür notwendigen Abstellens des
Fahrzeugs und damit auf der Lebensführung des
Steuerpflichtigen zuzurechnenden Umständen beruhen. Das
„auslösende Moment“ ereignete sich demnach
während der privaten Nutzung des betrieblichen
Wirtschaftsgutes, dessen betriebliche Zweckbestimmung zu diesem
Zeitpunkt unterbrochen war (BFH-Beschluss in BFHE 124, 43, BStBl II
1978, 105 = SIS 78 00 63).
c) Der Senat sieht keine Gründe
dafür, den Streitfall insoweit anders zu behandeln, als wenn
das Fahrzeug auf dem Parkplatz oder während der privat
veranlassten Fahrt beschädigt worden wäre. Auch dann
wäre die außergewöhnliche Abnutzung an dem nach wie
vor zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgut
eingetreten. Gleichwohl können während einer Privatfahrt
entstandene Unfallaufwendungen an einem betrieblichen PKW nach der
Rechtsprechung des BFH nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden
(BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 512 = SIS 90 16 05). Für diese -
wertende - Beurteilung spricht zudem die Rechtsprechung zu dem
Fall, dass ein privater PKW während einer Dienstreise
entwendet wird (BFH-Urteil in BFHE 168, 542, BStBl II 1993, 44 =
SIS 92 21 53). Wenn der BFH hier Werbungskosten annimmt, obwohl der
PKW zum Privatvermögen gehört, ergäbe sich ein
Wertungswiderspruch, wenn bei einem Diebstahl eines betrieblichen
PKW während einer privat veranlassten (Umweg-)Fahrt allein
wegen der Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen
Betriebsausgaben angenommen würden.
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht
von der Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab. Der IV. und der
X. Senat haben auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt,
gegen die Entscheidung bestünden keine Bedenken. Der IV. Senat
hat darauf hingewiesen, dass er es in seinem Urteil vom 20.11.2003
IV R 31/02 (BFHE 204, 166, BStBl II 2006, 7 = SIS 04 06 10)
für möglich gehalten habe, das Abstellen des betrieblich
genutzten Fahrzeugs am Urlaubsort in den Bereich der privaten
Nutzungen einzubeziehen; hiermit lasse sich das Abstellen des PKW
zum Zwecke des privaten Besuchs eines Weihnachtsmarkts im Rahmen
einer ansonsten beruflich veranlassten Fahrt vergleichen.
d) Der Streitfall gibt keine Veranlassung, zu
der Frage Stellung zu nehmen, wie über Einnahmen aus einer
Versicherungsleistung oder einer Schadensersatzforderung zu
entscheiden wäre (vgl. BFH-Urteil vom 24.5.1989 I R 213/85,
BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8 = SIS 89 21 23, und BFH-Beschluss
vom 23.1.2001 VIII R 48/98, BFHE 194, 383, BStBl II 2001, 395 = SIS 01 07 53).