Kreditinstitut, Konto eines Erben im Ausland, Sorgfaltspflicht: Gehen nach Eintritt des Erbfalls auf einem Bankkonto des Erblassers für diesen bestimmte Rentenzahlungen ein, die der Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI unterliegen, und hat das FA der Bank mitgeteilt, sie könne das Kontoguthaben einem außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten bis auf einen bestimmten Betrag zur Verfügung stellen, muss sie die Rentenzahlungen zusätzlich zu diesem Betrag zurückbehalten, um eine Haftung für die Steuer nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG zu vermeiden. - Urt.; BFH 18.7.2007, II R 18/06; SIS 07 31 13
I. Die im Dezember 2001 verstorbene H
unterhielt bei der Klägerin und Revisionsbeklagten
(Klägerin) ein Girokonto, auf dem am Todestag ein Guthaben von
ca. 214.000 DM ausgewiesen war. H wurde von ihrem in
Großbritannien lebenden Sohn (S) beerbt. Ein
Leistungsträger (V) überwies der H noch bis April 2003
Rente auf dieses Konto.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) gestattete der Klägerin durch
Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 13.2.2003 sinngemäß,
das nach Zahlung eines bestimmten Betrages an das FA auf dem Konto
verbleibende Guthaben bis auf 17.000 EUR dem S zur Verfügung
zu stellen. Die Klägerin überwies daraufhin dieses
Guthaben einschließlich der Rentenzahlungen bis auf 17.000
EUR an S.
Mit Schriftsatz vom 9.4.2003 forderte V die
für Januar 2002 bis April 2003 gezahlten Rentenbeträge
von der Klägerin unter Hinweis auf § 118 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück (Rentenrückruf).
Die Klägerin entsprach dieser Forderung und belastete das
Girokonto mit dem Rückzahlungsbetrag von 5.840 EUR.
Das verbliebene Guthaben reichte nicht mehr
aus, um den noch nicht entrichteten Teil der Erbschaftsteuer
zuzüglich der angefallenen Säumniszuschläge zu
begleichen.
Da S die Restforderung des FA trotz
mehrfacher Aufforderungen nicht erfüllte, nahm es die
Klägerin gemäß § 20 Abs. 6 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) mit Bescheid
vom 8.9.2004 für die restliche Erbschaftsteuer ohne
Nebenleistungen in Höhe von 2.642,57 EUR in Haftung.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Einspruch erhobenen Klage durch das in EFG 2006, 1265 =
SIS 06 39 96 veröffentlichte Urteil statt. Die Klägerin
habe zwar nicht den in der Unbedenklichkeitsbescheinigung
angegebenen Betrag von 17.000 EUR auf dem Konto
zurückbehalten, da sie auch die dem Konto zu Unrecht
gutgeschriebenen Rentenbeträge an S ausgezahlt habe. Es treffe
sie hieran aber kein Verschulden. Sie sei nicht verpflichtet
gewesen, die Gutschriften auf dem Konto auf Rentenzahlungen zu
überprüfen, die der Rückforderung nach § 118
Abs. 3 SGB VI unterliegen könnten. Auch wegen der
Rückzahlung der Renten an V hafte die Klägerin nicht. Die
Rückzahlung erfülle bereits nicht den objektiven
Tatbestand des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung von § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet; die
Vorentscheidung war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
verkannt, dass die Klägerin fahrlässig gehandelt hat, als
sie nur den in der Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA vom
13.2.2003 genannten Betrag, nicht aber zusätzlich die nach dem
Eintritt des Erbfalls eingegangenen Rentenzahlungen
zurückbehalten hat.
1. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2
ErbStG haften Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des
Erblassers befindet, für die Erbschaftsteuer, soweit sie das
Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung
oder Sicherstellung der Steuer - was im Streitfall allein
einschlägig sein kann - außerhalb des Geltungsbereiches
des ErbStG wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen. Die
Vorschrift soll verhindern, dass ein - da sich
Nachlassvermögen im Inland befindet - zunächst
realisierbarer Steueranspruch vereitelt wird. Zu diesem Zweck mutet
das Gesetz dem (inländischen) Gewahrsamsinhaber eine Art
Garantenstellung zu, die bei vorsätzlicher oder
fahrlässiger Verletzung zur Haftungsfolge führt. Zur
Vermeidung der Haftungsfolge ist der Gewahrsamsinhaber gehalten,
vor einer Aushändigung der Vermögensgegenstände an
den Erben zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs.
6 Satz 2 ErbStG vorliegen. Diese Garantenstellung trifft in erster
Linie diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls Gewahrsam am
Vermögen des Erblassers haben (Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 11.8.1993 II R 14/90, BFHE 172, 209, BStBl II 1994, 116 =
SIS 94 01 07). Fahrlässig handelt der Gewahrsamsinhaber, wenn
er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht
lässt (§ 276 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -
BGB - analog; vgl. BFH-Urteil vom 12.8.1964 II 125/62 U, BFHE 80,
481, BStBl III 1964, 647 = SIS 64 03 71). Eine Bank als
Gewahrsamsinhaberin kann sich hierbei nicht auf die
Erkenntnismöglichkeiten und -fähigkeiten des einzelnen
Bankangestellten, insbesondere auch nicht darauf berufen, der
Sachbearbeiter habe die Möglichkeit der
Rentenrückforderung nicht gekannt. Vielmehr muss sie
sicherstellen, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen des
§ 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG vorliegen, von ausreichend
qualifizierten Mitarbeitern vorgenommen wird.
Ist das FA der Ansicht, dass das Guthaben auf
einem vom Erblasser herrührenden Bankkonto nicht in vollem
Umfang zur Sicherstellung der Erbschaftsteuer erforderlich ist,
kann es der Bank auf deren Bitte mitteilen, dass sie das Guthaben
bis auf einen bestimmten Betrag den außerhalb des
Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten (Erben) zur
Verfügung stellen kann (BFH-Urteil in BFHE 80, 481, BStBl III
1964, 647 = SIS 64 03 71). Macht die Bank von einer solchen
Unbedenklichkeitsbescheinigung Gebrauch, handelt sie
regelmäßig nicht schuldhaft i.S. des § 20 Abs. 6
Satz 2 ErbStG.
Das gilt allerdings nicht ausnahmslos. Sind
auf dem Konto nach dem Eintritt des Erbfalls Rentenzahlungen
eingegangen, die nach den vom Leistungsträger bei der
Überweisung gemachten Angaben für den Erblasser bestimmt
waren und die der Leistungsträger wegen zu Unrecht erfolgter
Zahlung nach § 118 Abs. 3 SGB VI von der Bank
zurückfordern kann (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom
4.8.1998 B 4 RA 72/97 R, BSGE 82, 239; vom 20.12.2001 B 4 RA 126/00
R, Sozialversicherung 2002, 334), und hatte die Bank dies dem FA
vor der Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht
mitgeteilt, muss die Bank die überwiesenen Renten
zusätzlich zu dem vom FA in der Bescheinigung bestimmten
Betrag zurückbehalten, um die durch § 20 Abs. 6 Satz 2
ErbStG bezweckte Sicherstellung der Steuer zu gewährleisten.
Das gilt auch dann, wenn die Rückforderung noch nicht
ausgesprochen worden war. Entspricht die Bank diesen Anforderungen
nicht, lässt sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
außer Acht und handelt trotz formaler Beachtung der
Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA bei der Auskehrung des
Guthabens an die Berechtigten fahrlässig i.S. des § 20
Abs. 6 Satz 2 ErbStG. Unter diesen Umständen ist es
nämlich für die Bank ohne weiteres ersichtlich, dass der
nach der Unbedenklichkeitsbescheinigung zurückzubehaltende
Betrag allein für die Sicherstellung der Steuer und nicht auch
für die Rückzahlung der zu Unrecht überwiesenen
Rentenbeträge bestimmt ist. Das muss die Bank bei der
Auskehrung von Guthaben an im Ausland wohnhafte Berechtigte
beachten.
Diese sich aus § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG
ergebenden Anforderungen sind nicht
unverhältnismäßig. Es ist der Bank zumutbar, das
Konto vor Auskehrung des Guthabens auf solche Zahlungen hin zu
überprüfen, die nach dem Tod eines Erblassers und in
offensichtlicher Unkenntnis von seinem Tod geleistet worden sind.
Es handelt sich dabei nicht um Zahlungsvorgänge im
Massenverfahren, sondern um einen Sonderfall, in dem die
Klägerin bei sorgfältiger und qualifizierter Bearbeitung
in der Lage gewesen wäre, die Sicherungsinteressen des FA
vollständig zu wahren.
2. Da das FG von anderen Grundsätzen
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Die Klägerin haftet nach § 20 Abs. 6 Satz 2
ErbStG für die Erbschaftsteuer, die aus dem bei ihr
geführten Konto nicht entrichtet werden konnte, weil sie
fahrlässig die Rentenzahlungen, die 16 Monate über den
Tod der H hinaus weiter geleistet worden waren, nicht
zusätzlich zu dem Betrag zurückbehalten hatte, der vom FA
in der Unbedenklichkeitsbescheinigung bestimmt worden war.
Die Inanspruchnahme der Klägerin durch
Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO
- ) lag zwar im Ermessen des FA (§ 5 AO). Da S die restliche
Erbschaftsteuer trotz wiederholter Aufforderungen nicht entrichtet
hatte und im Ausland wohnhaft war, hat das FA jedoch die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten und von
seinem Ermessen auch in einer dem Zweck der Ermächtigung
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 102 Satz 1 FGO).