AdV, BFH als erstmaliges Gericht, Kostenfestsetzung: Der Urkundsbeamte des FG ist auch dann für die Kostenfestsetzung nach § 149 Abs. 1 FGO zuständig, wenn der BFH als Gericht der Hauptsache in einem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung entschieden hat, das nicht zuvor beim FG anhängig war. - Urt.; BFH 3.12.2007, VI S 22/05; SIS 08 08 37
I. Der Kläger, Beschwerdeführer
und Antragsteller (Kläger) legte am 1.9.2005 beim
Bundesfinanzhof (BFH) Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision
gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster (FG) vom 27.7.2005
10 K 656/05 E, Ki ein. Mit Schriftsatz vom 27.10.2005 beantragte er
beim BFH die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des
Einkommensteuerbescheides des Streitjahres im angefochtenen Umfang.
Mit BFH-Beschluss vom 9.2.2006 VI S 22/05 wurde dem Kläger die
beantragte AdV gewährt. Der Kläger beantragte mit
Schriftsatz vom 31.10.2007 beim BFH die Festsetzung der Kosten
für das AdV-Verfahren.
Der Kostenfestsetzungsantrag wurde am
5.11.2007 unter Hinweis auf die Zuständigkeitsregelung des
§ 149 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG mit der
Bitte um Vornahme der Kostenfestsetzung übersandt. Der
Urkundsbeamte des FG hat die Kostenfestsetzung abgelehnt, da der
BFH für die Kostenfestsetzung zuständig sei.
II. Der Antrag des Klägers auf
Festsetzung der Kosten des AdV-Verfahrens ist unzulässig und
daher abzulehnen. Der Urkundsbeamte des BFH ist für die
Kostenfestsetzung nicht zuständig. Die Kostenfestsetzung ist
gemäß § 149 Abs. 1 FGO vom Urkundsbeamten des FG
als dem Gericht des ersten Rechtszugs vorzunehmen.
1. Gemäß § 149 Abs. 1 FGO
werden die den Beteiligten zu erstattenden Aufwendungen auf Antrag
von dem Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszugs
festgesetzt. Gericht des ersten Rechtszugs ist für das
Hauptsacheverfahren stets das FG. Das FG ist jedoch auch dann als
Gericht des ersten Rechtszugs i.S. des § 149 Abs. 1 FGO
anzusehen, wenn - wie im vorliegenden Fall - der BFH als Gericht
der Hauptsache mit einem nicht zuvor beim FG anhängigen
(erstmaligen) AdV-Verfahren befasst wird (Entscheidung des
Urkundsbeamten des BFH vom 11.5.1967 V S 7/66, BFHE 88, 368, BStBl
III 1967, 422 = SIS 67 02 80; Brandt in Beermann/Gosch, FGO §
149 Rz 32; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 149 Rz 6; Schwarz in Hübschmann/ Hepp/Spitaler,
§ 149 FGO Rz 3; anderer Ansicht Brandis in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 149 FGO Rz 6; Bartone
in: Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., FGO, § 149 Rz
2).
a) Der Wortlaut des § 149 Abs. 1 FGO ist
nicht eindeutig. Er lässt zum einen eine Auslegung dahin
gehend zu, dass es allein auf die abstrakte sachliche
Zuständigkeit ankommt, nach der das FG stets das Gericht des
ersten Rechtszugs bildet. Zum anderen erscheint es nach dem
Wortlaut auch möglich, auf die den Einzelfall betreffende
konkrete Zuständigkeit abzustellen. Danach wäre bei einem
AdV-Verfahren, das erstmalig beim BFH anhängig wird, der BFH
als Gericht des ersten Rechtszugs anzusehen (vgl. Brandt in
Beermann/Gosch, FGO § 149 Rz 34; Schwarz in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 149 FGO Rz 3).
b) Sinn und Zweck des § 149 Abs. 1 FGO
ist die Schaffung einer generellen Zuständigkeit des
Urkundsbeamten des FG für alle Kostenfestsetzungen, um eine
schnellere und ortsnähere Kostenfestsetzung zu
gewährleisten (Entscheidung des Urkundsbeamten des BFH in BFHE
88, 368, BStBl III 1967, 422 = SIS 67 02 80; vgl. Kummer in
Peters/Sautter/Wolff, 4. Aufl., SGG, § 197 Tz. 2.). Die
Zuständigkeitskonzentration gilt damit auch für
erstmalige AdV-Verfahren beim BFH. Das AdV-Verfahren ist zwar als
selbständiges Verfahren vom Verfahren in der Hauptsache
losgelöst, so dass der BFH bei einem erstmaligen AdV-Verfahren
erstinstanzlich tätig wird (Bartone in:
Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., FGO, § 149 Rz 2). Ein
erstmaliges AdV-Verfahren vor dem BFH ist jedoch nur dann
möglich, wenn beim BFH zugleich ein Revisions- oder
Beschwerdeverfahren anhängig ist (Seer in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 132,
m.w.N.). Ein solches Hauptverfahren setzt aber voraus, dass beim FG
bereits ein erstinstanzliches Hauptverfahren durchgeführt
worden ist. Das AdV-Verfahren stellt damit trotz seiner formellen
Selbständigkeit lediglich ein Nebenverfahren zum Verfahren in
der Hauptsache dar (Entscheidung des Urkundsbeamten des BFH in BFHE
88, 368, BStBl III 1967, 422 = SIS 67 02 80; vgl. auch
Oberverwaltungsgericht - OVG - Lüneburg, Beschluss vom
5.2.1986 3 OVG D 2/85, OVGE 39, 386, m.w.N.).
Die Zuständigkeit des BFH für einen
nach Abschluss des Klageverfahrens vor dem FG gestellten AdV-Antrag
ergibt sich allein daraus, dass der BFH aufgrund des bei ihm
anhängigen Revisions- oder Beschwerdeverfahrens zum Gericht
der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO geworden ist.
Der Begriff des „Gerichts der Hauptsache“ deckt
sich indessen nicht mit dem für die Kostenfestsetzung nach
§ 149 Abs. 1 FGO maßgeblichen Begriff des
„Gerichts des ersten Rechtszugs“. Dies ergibt
sich insbesondere aus § 114 Abs. 2 FGO, der bei der Regelung
der Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger
Anordnungen zwischen dem Gericht der Hauptsache in Satz 1 und dem
Gericht des ersten Rechtszugs in Satz 2 differenziert (Brandt in
Beermann/ Gosch, FGO § 149 Rz 34).
c) Aus dem systematischen Zusammenhang des
§ 149 Abs. 1 FGO zur Regelung des § 114 Abs. 2 FGO folgt,
dass als Gericht des ersten Rechtszugs stets das FG anzusehen ist.
Während gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 FGO für
den Erlass einstweiliger Anordnungen - in Übereinstimmung mit
§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO - das Gericht der Hauptsache
zuständig ist, weist § 114 Abs. 2 Satz 2 FGO die
Zuständigkeit stets dem Gericht des ersten Rechtszugs zu. Als
Gericht des ersten Rechtszugs kommt hierbei ausschließlich
das FG in Betracht, da durch die Regelung in § 114 Abs. 2 Satz
2 FGO erreicht wird, dass die einstweilige Anordnung auch dann vom
FG zu erlassen ist, wenn in der Hauptsache bereits ein Revisions-
oder Beschwerdeverfahren beim BFH anhängig ist (ständige
Rechtsprechung des BFH, zuletzt Beschluss vom 14.10.2003 VIII S
15/03, BFH/NV 2004, 81 = SIS 03 53 14; Gräber/ Koch,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 114 Rz 7; Loose in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO
Rz 62, jeweils m.w.N.). Das FG verliert die Eigenschaft als Gericht
des ersten Rechtszugs damit nicht dadurch, dass es während des
Revisions- oder Beschwerdeverfahrens nicht mehr Gericht der
Hauptsache ist (Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 149 Rz
34).
2. Entsprechend zur Regelung des § 149
Abs. 1 FGO ist auch im zivil-, sozial- und verwaltungsgerichtlichen
Verfahren der Rechtspfleger bzw. Urkundsbeamte des Gerichts des
ersten Rechtszugs für die Kostenfestsetzung zuständig.
Als Gericht des ersten Rechtszugs wird hierbei übereinstimmend
das jeweilige Gericht der ersten Instanz angesehen.
a) In zivilrechtlichen Streitigkeiten
entscheidet gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 der
Zivilprozessordnung i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 des
Rechtspflegergesetzes der Rechtspfleger beim Gericht des ersten
Rechtszugs über den Antrag auf Kostenfestsetzung. In der
zivilrechtlichen Literatur wird einhellig die Auffassung vertreten,
dass damit ausschließlich der Rechtspfleger des
Prozessgerichts der ersten Instanz, also des Amts- oder
Landgerichts, für die Kostenfestsetzung zuständig ist.
Dies gilt auch dann, wenn es sich um die Kostenfestsetzung in einem
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, das erstmalig
beim Berufungsgericht anhängig geworden ist (Stein/Jonas/Bork,
ZPO, 22. Aufl., § 103 Rz 14; Zöller/Herget, ZPO, 26.
Aufl., § 104 Rz 21 Stichwort
„Zuständigkeit“; MünchKommZPO/Belz, 2.
Aufl., § 103 Rz 57; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
Zivilprozessordnung, 65. Auflage, § 103 Rz 41).
b) Für das Verwaltungsprozessrecht regelt
§ 164 der Verwaltungsgerichtsordnung, dass - in
Übereinstimmung mit § 149 Abs. 1 FGO - der Urkundsbeamte
des Gerichts des ersten Rechtszugs auf Antrag den Betrag der zu
erstattenden Kosten festsetzt. Hierzu wird ebenfalls angenommen,
dass das Gericht der ersten Instanz über die Kostenfestsetzung
im Rahmen eines Eilverfahrens entscheidet, das während eines
Berufungsverfahrens in der Hauptsache beim Berufungsgericht
anhängig geworden ist (OVG Lüneburg in OVGE 39, 386;
Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 164 Rz
9; anderer Ansicht Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl.,
§ 164 Rz 35).
c) Im Verfahren vor den Sozialgerichten ist
gemäß § 197 Abs. 1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes - in Übereinstimmung mit § 149
Abs. 1 FGO - die Kostenfestsetzung auf Antrag vom Urkundsbeamten
des Gerichts des ersten Rechtszugs vorzunehmen. Die
Zuständigkeit für die Kostenfestsetzung liegt damit stets
beim Urkundsbeamten des Sozialgerichts, auch wenn die
Kostengrundentscheidung vom Berufungs- oder Revisionsgericht
getroffen worden ist (Kummer in Peters/Sautter/Wolff, 4. Aufl.,
SGG, § 197 Tz. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
8. Aufl., SGG, § 197 Rz 4; Knittel in Hennig, SGG, § 197
Rz 5).