Steuerrückstände, Aufteilung nach Änderungsveranlagung: Lässt sich für Steuerrückstände, die aus einer geänderten Steuerfestsetzung herrühren, ein Aufteilungsmaßstab nach § 273 Abs. 1 AO nicht ermitteln, weil die fiktiven getrennten Veranlagungen bei keinem der Gesamtschuldner zu einem Mehrbetrag führen, so ist auf den allgemeinen Aufteilungsmaßstab nach § 270 Satz 1 AO zurückzugreifen. - Urt.; BFH 13.12.2007, VI R 75/04; SIS 08 10 26
I. Die Beteiligten streiten über die
Aufteilung von Steuerschulden zwecks Beschränkung der
Vollstreckung.
Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wurden für die Streitjahre 1998 und 1999
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hatte
negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb, seine Ehefrau (die
Klägerin) positive Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit. Nach einer Außenprüfung erließ der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
geänderte Einkommensteuerbescheide, mit denen die
Einkünfte des Klägers für beide Streitjahre jeweils
erhöht wurden, aber weiterhin negativ blieben, während
die Einkünfte der Klägerin sich nicht änderten. Da
sich das zu versteuernde Einkommen der Kläger
vergrößerte, ergab sich eine Steuernachforderung. Die
Kläger beantragten, die aus den Änderungsveranlagungen
sich ergebenden Steuerrückstände aufzuteilen. Nachdem sie
gegen die ursprünglichen Aufteilungsbescheide Einspruch
eingelegt hatten, verteilte das FA die Mehrsteuern unter Bezugnahme
auf § 270 der Abgabenordnung (AO) in der Weise, dass es die
aufzuteilenden Beträge jeweils in voller Höhe der
Klägerin zurechnete. Die Aufteilung sei nicht nach § 273
AO vorzunehmen, weil der Vergleich der fiktiven Steuerfestsetzungen
1998 und 1999 nicht zu Mehrbeträgen führe.
Die Klage, mit der die Kläger
begehrten, die rückständige Steuer für beide
Streitjahre allein dem Ehemann zuzuteilen, hatte keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) entschied, § 273 AO setze voraus, dass sich
bei der vorzunehmenden Vergleichsrechnung wenigstens für einen
der Ehepartner ein fiktiver Steuermehrbetrag durch ein von ihm
erstmals oder höher zu versteuerndes Einkommen ergebe. Dies
sei hier nicht der Fall, so dass es bei dem allgemeinen
Aufteilungsmaßstab des § 270 Satz 1 AO verbleibe. Das
vorinstanzliche Urteil ist in EFG 2005, 329 = SIS 05 13 66
veröffentlicht.
Gegen das Urteil des FG haben die
Kläger Revision eingelegt. Die Frist zur Begründung der
Revision wurde bis zum 9.1.2005 verlängert. Nach einem Hinweis
des Senatsvorsitzenden, dass die Revisionsbegründung nicht
eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte der
Kläger mit Schreiben vom 26.1.2005 Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand beantragt. Er bringt vor, die Begründungsschrift
sei bereits am 5.1.2005 mit einfachem Brief an den Bundesfinanzhof
(BFH) gesandt worden, wie sich aus den beigefügten Kopien des
Postausgangsbuchs und der Postversendungsliste ergebe. Vermutlich
sei die Sendung auf dem Postweg verloren gegangen. Mit Schriftsatz
vom 31.5.2005 wird ergänzend vorgetragen, die Sendung sei vor
16.20 Uhr bei der Poststelle X eingeliefert worden, nach der
Paraphe im Postausgangsbuch von dem Prozessbevollmächtigten
persönlich.
Mit der nachgereichten
Revisionsbegründung tragen die Kläger vor, nach der
Rechenregel des § 273 AO ergebe sich im Streitfall kein
Ergebnis, da mit Null multipliziert werden müsse. Die Absicht
des Gesetzgebers dürfte ausschließlich darin bestanden
haben, dem Ehepartner, in dessen Einkommensänderung der
Zuwachs an Steuern begründet sei, auch die zusätzliche
Steuer zuzuordnen. Änderten sich die Einkommen beider
Ehegatten, solle die zusätzliche Steuer im Verhältnis der
Änderungen den einzelnen Ehepartnern zugeordnet werden;
ändere sich das Einkommen nur eines Ehegatten, sei allein
diesem die zusätzliche Steuer aufzuerlegen.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wegen der Versäumung der
Revisionsbegründungsfrist das erstinstanzliche Urteil
aufzuheben und die Aufteilungsbescheide zur Einkommensteuer 1998
und 1999 vom 15.7.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
10.9.2003 dahin zu ändern, dass die rückständige
Steuer für beide Streitjahre allein dem Kläger (Ehemann)
zugeteilt wird.
Das FA beantragt, die Revision wegen
Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig zu
verwerfen, hilfsweise, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand sei abzulehnen, weil der Prozessbevollmächtigte
der Kläger es versäumt habe, die eine Wiedereinsetzung
rechtfertigenden Tatsachen detailliert vorzutragen und den
Sachvortrag glaubhaft zu machen. In der Sache habe das FG
zutreffend § 270 Satz 1 AO herangezogen und nicht den
besonderen Aufteilungsmaßstab des § 273 Abs. 1 AO, weil
dieser bei der vorliegenden Fallkonstellation ins Leere gehe. Falls
die Anwendung des gesetzlich vorgesehenen
Aufteilungsmaßstabes tatsächlich nicht zu einer
Vollstreckungsbeschränkung führe, schließe das
Gesetz es nicht aus, die Aufteilung durch Anwendung eines anderen
in Betracht kommenden Aufteilungsmaßstabes zu
erreichen.
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Zwar ist die Revision nicht rechtzeitig
begründet worden. Gemäß § 120 Abs. 2
Sätze 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die
Revisionsbegründung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung
des finanzgerichtlichen Urteils bei dem BFH einzureichen. Sie kann
auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden
des Senats verlängert werden (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Im Streitfall endete die antragsgemäß verlängerte
Frist am 9.1.2005, während - nach entsprechendem Hinweis - die
Revisionsbegründung erst am 18.1.2005 und damit verspätet
beim BFH eingegangen ist.
Den Klägern war jedoch wegen der
Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gemäß § 56 FGO zu gewähren.
a) Eine Wiedereinsetzung setzt voraus, dass
ein Verfahrensbeteiligter ohne Verschulden gehindert war, eine
gesetzliche Frist einzuhalten. Gesetzliche Frist ist auch die
verlängerte Frist zur Begründung der Revision
(BFH-Beschluss vom 22.5.1970 III R 72/69, BFHE 99, 298, BStBl II
1970, 642 = SIS 70 03 56). Im Falle der Versäumung dieser
Frist ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses der
Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen sowie die versäumte
Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 3
FGO). Ferner müssen die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung
rechtfertigen können, innerhalb der genannten Antragsfrist
dargelegt werden. Die erforderliche Glaubhaftmachung der Tatsachen
kann auch noch im weiteren Verfahren über den Antrag
geschehen.
b) Der Prozessbevollmächtigte, dessen
Verschulden die Kläger sich gegebenenfalls zurechnen lassen
müssen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung), hat zur Begründung des
Wiedereinsetzungsantrags innerhalb der Antragsfrist vorgetragen,
dass der beim BFH nicht eingegangene Schriftsatz mit der
Revisionsbegründung rechtzeitig (am 5.1.2005) abgesandt worden
sei; als Beleg hierzu hat er Kopien aus dem Postausgangsbuch und
aus einer Postversendungsliste vorgelegt. Dieses Vorbringen
genügt nicht vollständig den Anforderungen, die an die
Darlegung eines fehlenden Verschuldens an der Fristversäumnis
gestellt werden. Denn wird der Wiedereinsetzungsantrag wie hier mit
der fristgerechten Absendung eines beim Empfänger nicht
eingegangenen Schriftstücks begründet, ist im Einzelnen
auszuführen, wann, von wem und in welcher Weise es zur Post
aufgegeben wurde; der Vortrag ist durch präsente Beweismittel
glaubhaft zu machen (ständige Rechtsprechung, z.B.
BFH-Beschluss vom 3.8.2005 IX B 26/05, BFH/NV 2006, 307 = SIS 06 07 97, m.w.N.). Jedoch können unklare oder unvollständige
Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist noch erläutert oder
ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist der Kern der
Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen ist
(BFH-Beschluss vom 26.4.2005 I B 248/04, BFH/NV 2005, 1591 = SIS 05 37 40; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl.,
§ 56 Rz 41, m.w.N.). Dies trifft hier zu. Der
Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mit dem Schriftsatz
vom 31.5.2005 seinen Vortrag dahingehend ergänzt, dass er
selbst das Schreiben mit der Revisionsbegründung am 5.1.2005
bei der Poststelle in X aufgegeben habe, was durch seine Paraphe im
Postausgangsbuch bestätigt werde. Damit ist der
Wiedereinsetzungsantrag hinreichend begründet.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet.
Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG
hat zu Recht entschieden, dass die Aufteilung der
Steuerrückstände der Kläger gemäß §
270 AO vorzunehmen war.
a) Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt wurden (§ 26b des Einkommensteuergesetzes - EStG - )
und deshalb Gesamtschuldner der sich aus der Steuerfestsetzung
ergebenden Steuerschuld sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO),
können auf Antrag hin für das Vollstreckungsverfahren so
gestellt werden, als seien sie Einzelschuldner (§ 268 AO).
Hierzu wird nach Maßgabe der §§ 269 ff. AO die
Gesamtschuld auf die einzelnen Steuerschuldner aufgeteilt. Sofern
das FA nicht nach § 274 AO einer von den Gesamtschuldnern
gemeinschaftlich vorgeschlagenen Aufteilung zustimmt, sind zur
Bestimmung des Aufteilungsmaßstabs grundsätzlich fiktive
getrennte Veranlagungen durchzuführen; das Verhältnis der
daraus sich ergebenden Steuerbeträge ergibt den
Aufteilungsschlüssel für die rückständige
Steuer (§ 270 AO). Wird eine Steuerfestsetzung (nach Tilgung
der festgesetzten Steuer) geändert oder berichtigt und
führt das zu einer Steuernachforderung, ist diese
gemäß § 273 Abs. 1 AO im Verhältnis der
Mehrbeträge aufzuteilen, die sich bei einem Vergleich der
berichtigten getrennten Veranlagungen mit den früheren
getrennten Veranlagungen ergeben. Es sind daher jeweils zwei
Berechnungen nötig, weil für jeden Gesamtschuldner
fiktive getrennte Veranlagungen auf der Grundlage der
ursprünglichen Steuerfestsetzung und außerdem fiktive
getrennte Veranlagungen mit den Zahlen der
Änderungsfestsetzung durchzuführen sind; die
Mehrbeträge daraus gegenüber der ersten getrennten
Veranlagung sind ins Verhältnis zu setzen und ergeben den
Aufteilungsmaßstab. Die Sonderregelung des § 273 Abs. 1
AO ist erforderlich, weil die ursprünglich festgesetzte und
bereits getilgte Steuer wegen § 279 Abs. 1 AO nicht in die
Aufteilung einbezogen werden kann (vgl. Kruse in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 273 AO Rz 1).
b) Im Streitfall lässt sich ein
Aufteilungsmaßstab nach § 273 Abs. 1 AO nicht ermitteln.
Da es hierfür auf das Verhältnis der Mehrbeträge
ankommt, muss für die Anwendbarkeit der Vorschrift die
Vergleichsberechnung notwendigerweise zumindest bei einem der
Gesamtschuldner einen fiktiven Mehrbetrag ergeben (vgl.
Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 273 AO
Rz 10). Indessen resultiert aus dem Vergleich der fiktiven
Veranlagungen für keinen der Kläger ein Mehrbetrag, da
die Einkünfte der Klägerin sich nicht geändert haben
und die des Klägers negativ geblieben sind. Die Aufteilung
wäre demnach im Verhältnis 0 : 0 durchzuführen, was
rechnerisch zu keinem Ergebnis führen kann. Für diesen
Fall kommt auch nicht auf der Grundlage von § 44 AO i.V.m.
§ 426 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine Aufteilung
der Mehrsteuer zu gleichen Teilen („1 : 1“) in
Betracht (vgl. Schulenburg, FR 2006, 1118, Fußn. 5). Denn die
genannten Vorschriften regeln den internen zivilrechtlichen
Ausgleich unter den Gesamtschuldnern, während es hier
lediglich um die Aufteilung der Gesamtschuld zwecks
Beschränkung der steuerlichen Zwangsvollstreckung geht.
c) Da die Sonderregelung des § 273 AO auf
den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist, muss es für
die Aufteilung der Steuernachforderung bei dem allgemeinen
Aufteilungsmaßstab des § 270 Satz 1 AO verbleiben
(ebenso Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.5.2006 XII ZR 111/03, HFR
2006, 1037 = SIS 06 33 46, unter 4.e; Müller-Eiselt, a.a.O.,
§ 273 AO Rz 10; vgl. auch Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl.,
§ 273 Rz 2). Anderenfalls wäre, worauf das FA zutreffend
hinweist, dem aus § 268 AO folgenden Rechtsanspruch der
Gesamtschuldner auf die Aufteilung bzw. der entsprechenden
Verpflichtung der Finanzbehörde nicht genügt (vgl. Klein/
Brockmeyer, a.a.O., § 268 Rz 4). Hiergegen lässt sich
nicht einwenden, durch § 273 AO solle verhindert werden, dass
der eine Ehegatte mit einem Teil der Steuernachforderung belastet
werde, wenn diese ausschließlich auf einer Erhöhung der
Einkünfte des anderen Ehegatten beruhe (vgl. Kruse, a.a.O.,
§ 273 AO Rz 1; Müller-Eiselt, a.a.O., § 273 AO Rz 5;
Geist in Beermann/Gosch, AO, § 273 Rz 1). Denn diese
Billigkeitserwägung trifft dann nicht zu, wenn - wie im
Streitfall bei der Klägerin - in den fiktiven getrennten
Veranlagungen jeweils nur auf einen der Ehegatten positive
Einkünfte entfallen.