Nacherhebung von Eingangsabgaben, Irrtum der Zollbehörde, Erkennbarkeit: Werden Einfuhrabgaben irrtümlich mit einem zu geringen Betrag buchmäßig erfasst, ist hinsichtlich der bei der nachträglichen buchmäßigen Erfassung zu prüfenden Frage, ob der Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise erkannt werden konnte, nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung, sondern auf den Zeitpunkt der Mitteilung des ursprünglichen Abgabenbetrags abzustellen. - Urt.; BFH 24.4.2008, VII R 62/06; SIS 08 27 71
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) meldete am 18.8.1995 eine
Sendung entbeinter, gefrorener Hähnchenbrust mit Ursprung in
China unter Vorlage eines Ursprungszeugnisses zur Abfertigung zum
freien Verkehr unter Anwendung des Präferenzzollsatzes an. Die
Zollstelle nahm die Anmeldung an, überließ die Waren und
meldete die Sendung der Zentralstelle Zollkontingente zur
Anrechnung auf das Zollkontingent, wobei sie wegen eines Fehlers im
Deutschen Gebrauchszolltarif nicht erkannte, dass die Anwendung des
Präferenzzollsatzes die Vorlage einer Einfuhrlizenz
voraussetzte, welche von der Klägerin jedoch nicht vorgelegt
worden war. Dieser Fehler wurde aufgrund einer am selben Tag an das
Bundesministerium der Finanzen (BMF) gerichteten Anfrage entdeckt
und korrigiert. Die Mitarbeiterin P des mit der Klägerin
verbundenen Unternehmens B, die auch für die Zollabfertigungen
der Klägerin zuständig war, wurde am 22.8.1995 per
Telefax vom BMF über die Notwendigkeit der Vorlage einer
Einfuhrlizenz unterrichtet.
Mit Abgabenbescheid vom 24.8.1995 setzte
die Abfertigungszollstelle die Einfuhrabgaben für die
Warensendung gleichwohl unter Anwendung der im Rahmen des
Kontingents vorgesehenen präferenziellen Zollfreiheit fest.
Nachdem festgestellt worden war, dass die Warensendung mangels
Einfuhrlizenz nicht auf das Kontingent hätte angerechnet
werden dürfen, erhob das seinerzeit zuständige
Hauptzollamt, dessen Zuständigkeit auf den Beklagten und
Revisionsbeklagten (das Hauptzollamt - HZA - ) übergegangen
ist, die dem Zolltarif entsprechenden Einfuhrabgaben nach.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab = SIS 07 05 56. Das
FG urteilte, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex (ZK) der
Nacherhebung nicht entgegenstehe. Zwar beruhe die Nichterhebung der
gesetzlich geschuldeten Abgaben auf einem sog. aktiven Irrtum der
Zollbehörde. Dieser Irrtum sei aber für die Klägerin
erkennbar gewesen, weil die für die Zollabfertigung der
Klägerin zuständige Mitarbeiterin P bereits am 22.8.1995
vom BMF auf das Erfordernis einer Einfuhrlizenz für die
Inanspruchnahme des Präferenzzollsatzes hingewiesen worden
sei. Bei Erhalt des Abgabenbescheids vom 24.8.1995 hätte die
Klägerin daher erkennen können, dass ihr die
Zollbefreiung nicht hätte gewährt werden dürfen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin komme es bei der Frage nach
der Erkennbarkeit des Irrtums nicht auf den Zeitpunkt der
Zollanmeldung an.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin
weiterhin geltend, dass der maßgebliche Zeitpunkt
bezüglich der Erkennbarkeit des Irrtums der Zollbehörde
der Zeitpunkt der Zollanmeldung, im Streitfall also der 18.8.1995,
gewesen sei. Hierfür spreche u.a., dass die
buchmäßige Erfassung, an die Art. 220 Abs. 2 ZK
anknüpfe, nach Art. 218 Abs. 1 ZK im Fall des Entstehens einer
Zollschuld durch Annahme der Zollanmeldung spätestens am
zweiten Tag nach der Überlassung der Ware zu erfolgen habe.
Daraus ergebe sich, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK für die
Frage der Erkennbarkeit des Irrtums nur diesen Zwei-Tage-Zeitraum
im Blick habe und später eintretende Umstände für
die Beurteilung der Erkennbarkeit und der Gutgläubigkeit nicht
zu berücksichtigen seien. Dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK
verlange, dass der Zollanmelder alle geltenden Vorschriften
über die Zollanmeldung eingehalten habe, spreche ebenfalls
dafür, dass hinsichtlich der Erkennbarkeit des Irrtums nur
solche Umstände Berücksichtigung finden könnten, die
der Zollanmeldung zeitlich vorgelagert seien.
Das HZA schließt sich der Auffassung
des FG an.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme.
Die Revision der Klägerin ist nach §
126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen, denn das FG hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Der angefochtene Steueränderungsbescheid ist
rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Dass seinerzeit der Präferenzzollsatz
mangels Vorlage einer Einfuhrlizenz nicht angewendet werden konnte,
ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, weshalb
Ausführungen des Senats hierzu entbehrlich sind. Aus der
unzutreffenden Anwendung des Präferenzzollsatzes folgt, dass
die Einfuhrabgaben nicht in der gesetzlich geschuldeten Höhe
buchmäßig erfasst und erhoben worden sind, weshalb
gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK die bisher nicht erhobenen
Einfuhrabgaben nachträglich buchmäßig zu erfassen
waren.
2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass Art.
220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK der Nacherhebung des gesetzlich
geschuldeten Abgabenbetrags nicht entgegensteht.
Nach dieser Vorschrift erfolgt keine
nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der
gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der
Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist,
sofern dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht
erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle
geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet
hat. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
Zwar ist mit den Beteiligten und dem FG davon auszugehen, dass die
Abgabenerhebung unter Zugrundelegung des Präferenzzollsatzes
auf einem Irrtum der zuständigen Zollstelle beruhte. Dieser
Irrtum war jedoch - wie das FG zutreffend ausgeführt hat -
für die Klägerin erkennbar, weil bei Erhalt des
Abgabenbescheids vom 24.8.1995 die für die Zollabfertigungen
der Klägerin zuständige Mitarbeiterin P bereits durch das
vorangegangene Telefax des BMF vom 22.8.1995 über das
Erfordernis der Vorlage einer Einfuhrlizenz für die
Inanspruchnahme des Präferenzzollsatzes unterrichtet war.
Die Tatbestandsmerkmale des Art. 220 Abs. 2
Buchst. b Unterabs. 1 ZK, dass der Irrtum vom Zollschuldner
vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und er
gutgläubig gehandelt hat, werden in der Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
häufig zu der Voraussetzung zusammengefasst, dass der
behördliche Irrtum für einen gutgläubigen
Abgabenschuldner nicht erkennbar war (vgl. EuGH-Urteil vom 3.3.2005
Rs. C-499/03 P, EuGHE 2005, I-1751, ZfZ 2005, 228 = SIS 05 17 80,
m.w.N.). Dies mag daran liegen, dass die eine evtl.
Bösgläubigkeit des Abgabenschuldners begründenden
Umstände regelmäßig auch diejenigen sind, welche
zur Annahme der Erkennbarkeit des Irrtums führen (vgl.
Witte/Alexander, Zollkodex, 4. Aufl., Art. 220 Rz 44). Anders als
die Revision meint, kann aber aus den im Regelfall gemeinsam zu
prüfenden Merkmalen des „gutgläubigen
Handelns“ und der „Nichterkennbarkeit des
Irrtums“ nicht geschlossen werden, dass für die
Frage, ob der behördliche Irrtum erkennbar war,
maßgeblich auf den Zeitpunkt des letzten aktiven
„Handelns“ des Zollbeteiligten und damit in der
Regel auf den Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung abzustellen
ist.
Dass der Zollanmelder außerdem alle
geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten
haben muss, ist eine neben der fehlenden Erkennbarkeit des Irrtums
gesondert zu prüfende Voraussetzung für ein Absehen von
der Nacherhebung gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK.
Rückschlüsse auf den hinsichtlich der Erkennbarkeit des
Irrtums maßgeblichen Zeitpunkt erlaubt diese
Tatbestandsvoraussetzung nicht.
Entgegen der Ansicht der Revision kann auch
nicht aus Art. 218 Abs. 1 ZK hergeleitet werden, dass
Umstände, die erst später als zwei Tage nach Annahme der
Zollanmeldung eintreten, für die Frage der Erkennbarkeit des
Irrtums ohne Bedeutung sind. Art. 220 ZK setzt allein voraus, dass
der geschuldete Abgabenbetrag buchmäßig nicht erfasst
worden ist. Auf die in Art. 218 ZK vorgeschriebene Frist für
die buchmäßige Erfassung kommt es nicht an. Diese Frist
hat nur Bedeutung für die Abführung der Eigenmittel an
die Kommission; sie dient nicht dem Interesse des Zollschuldners,
aus einer Fristüberschreitung kann er keine Rechte herleiten
(Witte/Alexander, a.a.O., Art. 220 Rz 2).
Auch aus dem EuGH-Urteil in EuGHE 2005,
I-1751, ZfZ 2005, 228 = SIS 05 17 80 lässt sich nichts
für die Auffassung der Revision herleiten. Die
Ausführungen des EuGH unter Rz 55 des Urteils, auf die sich
die Revision bezieht, betreffen die Frage, ob der Fehler der
Zollverwaltung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt seitens der
Einführer hätte erkannt werden können und ob
dementsprechend die Einführer jenes Falles sich mit
ausreichender Sorgfalt über die Einfuhrbedingungen informiert
hatten. Für die im Streitfall allein maßgebende Frage,
ob Umstände, die in der Zeit zwischen der Abgabe der
Zollanmeldung und der Festsetzung der Einfuhrabgaben eintreten und
die den Irrtum der Zollbehörden bei der Abgabenfestsetzung
erkennbar machen, bei der Anwendung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b
ZK zu berücksichtigen sind oder nicht, trifft das vorgenannte
EuGH-Urteil keine Aussage.
Mit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK
soll das berechtigte Vertrauen des Zollschuldners in die
Richtigkeit aller Gesichtspunkte geschützt werden, die bei der
Entscheidung darüber, ob Zölle nacherhoben werden,
Berücksichtigung finden (vgl. EuGH-Urteil vom 27.6.1991 Rs.
C-348/89, EuGHE 1991, I-3277). Entscheidend ist (u.a.) - was aus
dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift folgt - die für den
Zollschuldner gegebene Erkennbarkeit des behördlichen Irrtums,
der die buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben durch
die Zollbehörde fehlerhaft macht. Die Frage, ob der Irrtum
für den Zollschuldner erkennbar ist, kann sich somit erst
stellen, wenn dieser die Höhe der buchmäßig
erfassten Abgaben erfährt, was regelmäßig erst mit
der Bekanntgabe des Einfuhrabgabenbescheids der Fall ist, also zu
einem nach der Abgabe der Zollanmeldung liegenden Zeitpunkt. All
dies hat das FG in dem angefochtenen Urteil bereits zutreffend
ausgeführt, so dass hierauf verwiesen werden kann.
Im Übrigen gehören zu den
behördlichen Irrtümern i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b
Unterabs. 1 ZK insbesondere diejenigen bei der Auslegung und
Anwendung des für den jeweiligen Zollfall maßgebenden
Rechts (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 1991, I-3277), die
naturgemäß erst begangen werden können, nachdem die
Zollanmeldung abgegeben worden ist. Die von der Klägerin
vertretene Auffassung liefe darauf hinaus, dass sich hinsichtlich
solcher behördlicher Rechtsirrtümer bei der
buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben die Frage nach
der Erkennbarkeit des Irrtums gar nicht stellen könnte, weil
im Zeitpunkt der Zollanmeldung der Irrtum noch gar nicht begangen
war.
Aus dem Urteil des FG Baden-Württemberg
vom 23.3.1993 11 K 65/91 Z (ZfZ 1994, 116) ergeben sich keine
für die Rechtsansicht der Klägerin sprechenden Argumente.
Wenn es in dem Leitsatz jener Entscheidung heißt, dass es
für die Erkennbarkeit des Irrtums maßgeblich auf die
Verhältnisse zur Zeit der Zollanmeldung ankomme, so ist das FG
in jener Entscheidung offenbar von dem üblichen Fall
ausgegangen, dass die Zollanmeldung und die Abgabenerhebung in etwa
zeitgleich stattfinden. Einen Fall, in dem die Abgaben erst mehrere
Tage nach Abgabe der Zollanmeldung erhoben werden und der
Abgabenschuldner während dieses Zeitraums weitere Erkenntnisse
hinsichtlich des gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrags gewinnt,
hatte das FG Baden-Württemberg nicht zu beurteilen. Das
Gleiche gilt hinsichtlich der von der Klägerin für ihren
Standpunkt angeführten Kommentierung von Alexander (in Witte,
a.a.O., Art. 220 Rz 24), welche den Leitsatz vorstehend genannter
Entscheidung des FG Baden-Württemberg lediglich
sinngemäß wiedergibt.
Der seitens der Klägerin hervorgehobene
Umstand, dass sich die Zollverwaltung hinsichtlich des
Erfordernisses einer Einfuhrlizenz schon seit geraumer Zeit in
einem „Dauerirrtum“ befunden habe, rechtfertigt
ebenfalls keine andere Entscheidung. Auch insofern kann auf die
zutreffenden Ausführungen des FG verwiesen werden. Soweit die
Klägerin des Weiteren geltend macht, dass sie spätestens
mit der Annahme der Zollanmeldung und Überlassung der Ware
jeglichen zollrechtlichen Handlungsspielraum verloren habe, hat das
FG zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das Vertrauen des
Zollschuldners, um dessen Schutz es in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b
Unterabs. 1 ZK geht, nicht auf die Richtigkeit seiner
Zollanmeldung, sondern auf die Richtigkeit der ursprünglichen
buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben durch die
Zollbehörde bezieht. Hätte die zuständige Zollstelle
den Irrtum nicht begangen, sondern die Abgaben sogleich in der
gesetzlich geschuldeten Höhe festgesetzt, hätte sich die
Klägerin nicht darauf berufen können, bisher hinsichtlich
der Entbehrlichkeit einer Einfuhrlizenz in gutem Glauben gewesen zu
sein.
Der Senat hat aus den dargelegten Gründen
keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung des Art. 220 Abs.
2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK und sieht deshalb keine Verpflichtung,
eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. dazu: EuGH-Urteil
vom 6.10.1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
3. Es bedarf schließlich keiner
Ausführungen zum Vorbringen der Revision, dass die
Klägerin alle Vorschriften über die Zollanmeldung
eingehalten habe, weil sich das angefochtene FG-Urteil nicht darauf
stützt, dass es an dieser Voraussetzung des Art. 220 Abs. 2
Buchst. b Unterabs. 1 ZK fehle.