Korruptionsverdacht, Steuergeheimnis: 1. Begründen Tatsachen den Verdacht einer Tat, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen i.S. des § 299 Abs. 2 StGB erfüllt, so ist die Finanzbehörde ohne eigene Prüfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht kommt, verpflichtet, die erlangten Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. - Das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten es nicht, dass das FA vor der Übermittlung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen prüft, ob hinsichtlich der festgestellten Zuwendungen Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist oder Verwertungs- bzw. Verwendungsverbote vorliegen. - 2. Ein Verdacht i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen. - Urt.; BFH 14.7.2008, VII B 92/08; SIS 08 32 60
I. Die Antragstellerin und
Beschwerdeführerin (Antragstellerin), ein produzierendes
Unternehmen, leistete in den Jahren 1995 bis 2002 Zahlungen an
Herrn S., den Einkäufer eines maßgeblichen Kunden, in
Höhe von 10 v.H. des Wertes der von diesem im Namen des Kunden
bei der Antragstellerin bestellten Waren.
Anlässlich einer Betriebsprüfung
bei der Antragstellerin im Jahr 2006 gelangte der Antragsgegner und
Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - ) zu der Auffassung, dass
die Zahlungen der Antragstellerin an Herrn S. den Tatbestand des
§ 299 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) - Bestechung im
geschäftlichen Verkehr - erfüllen könnten. Er
beabsichtigt daher, die erlangten Erkenntnisse über diese
Zahlungen wegen des Verdachts einer Strafbarkeit gemäß
§ 299 StGB an die Strafverfolgungsbehörden
weiterzuleiten.
Den daraufhin gestellten Antrag, dem FA im
Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die im Rahmen der
Betriebsprüfung erlangten Informationen über die
Zahlungen an Herrn S. an die zuständige Straf- und
Bußgeldstelle zur Weiterleitung an die zuständige
Staatsanwaltschaft weiterzugeben, wies das Finanzgericht (FG) durch
den in EFG 2008, 760 = SIS 08 15 99 veröffentlichten Beschluss
als unbegründet zurück. Es führte im Wesentlichen
aus, nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) sei die
Offenbarung von nach § 30 Abs. 2 AO erlangten Kenntnissen in
gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Fällen
zulässig. § 4 Abs. 5 Nr. 10 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) begründe sowohl in der Fassung des Jahressteuergesetzes
1996 (JStG 1996) vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, 1250) als auch in der
Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG
1999/2000/2002) vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) eine solche
gesetzliche Offenbarungsbefugnis bei Verdacht einer Straftat, die
Zuwendung von Vorteilen und damit zusammenhängender
Aufwendungen betreffend. Im Streitfall ergäben sich
zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht einer
Straftat nach § 299 StGB bzw. nach § 12 a.F. des Gesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG a.F.) begründeten,
daraus, dass die Zahlungen unbestritten an Herrn S. geleistet
wurden, um von ihm weiterhin Aufträge im Namen der Y-GmbH zu
erhalten. Die Möglichkeit bereits eingetretener
Strafverfolgungsverjährung oder eines strafrechtlichen
Verwertungsverbotes stehe der Mitteilungspflicht des FA nicht
entgegen. Denn die Prüfung der verfahrensrechtlichen
Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
unterliege der ausschließlichen Beurteilung durch die
dafür zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Es
wäre ein sachwidriger Eingriff der Finanzbehörde in den
Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der
Strafverfolgungsbehörden, wenn sie den
Strafverfolgungsbehörden Erkenntnisse, die sie nach einer
gesetzlichen Vorschrift zu übermitteln habe, aufgrund eigener
Einschätzung strafverfahrensrechtlicher Voraussetzungen
vorenthalten könnte. Eine die Offenbarungspflicht
einschränkende Auslegung der Regelung des § 4 Abs. 5 Nr.
10 Satz 3 EStG im Hinblick auf die - bloße -
Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO sei wegen der
bewussten Schaffung einer Spezialregelung im Zusammenhang mit der
Nichtabziehbarkeit der Schmiergeldzahlungen als Betriebsausgaben
nicht möglich.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde
verfolgt die Antragstellerin ihren Anordnungsantrag unter
Bezugnahme auf ihre Antragsbegründung weiter.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die
Entscheidung des FG ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere hat das FG zutreffend einen
Anordnungsanspruch nach § 114 Abs. 1 Satz 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) (Regelungsanordnung) verneint, weil der
im Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Das FA
ist nach der ausdrücklichen Anweisung in § 4 Abs. 5 Nr.
10 EStG verpflichtet, den Strafverfolgungsbehörden die
angekündigte Mitteilung zu machen.
1. Sowohl nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 2
EStG i.d.F. des JStG 1996 als auch nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz
3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 teilt die
Finanzbehörde Tatsachen, die den Verdacht einer Tat (Straftat
oder Ordnungswidrigkeit) im Sinne des Satzes 1 der o.g.
Vorschriften begründen, der Staatsanwaltschaft oder der
Ordnungsbehörde bzw. der Verwaltungsbehörde mit. Eine Tat
im Sinne des Satzes 1 der o.g. Vorschriften ist insbesondere eine
solche, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von
Vorteilen erfüllt. Ein solcher Straftatbestand ist in §
299 Abs. 2 StGB normiert. Danach wird bestraft, wer im
geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem
Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes
einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung
dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder
einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen
in unlauterer Weise bevorzuge. Ein Verdacht i.S. des § 4 Abs.
5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der
Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein
Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es
müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte
für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen
(vgl. Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht,
Kommentar, §§ 4, 5 Rz 2039, 2041; Bahlau in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 1866, 1873, m.w.N.).
Wenn im Gesetzgebungsverfahren zum StEntlG
1999/2000/2002 davon die Rede war, dass die Mitteilungspflicht erst
bei hinreichendem Tatverdacht (vgl. BRDrucks 910/98, S. 170)
eingreifen soll, so kann dem nicht gefolgt werden. Denn
strafprozessual ist für die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nur ein
Anfangsverdacht, also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte
erforderlich (§ 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung - StPO - ).
Da mit der Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG aber
der Staatsanwaltschaft gerade die Prüfung ermöglicht
werden soll, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist, wäre
es sinnwidrig, die Mitteilung von einem Verdachtsgrad abhängig
zu machen, der nach der StPO erst für die Anklageerhebung
(§ 170 Abs. 1 StPO) und die Eröffnung des Hauptverfahrens
(§ 203 StPO) erforderlich ist (so auch zutreffend Randt,
Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, BB 2000, 1006,
1013).
2. Nach den Feststellungen des FG wurden die
als Betriebsausgaben verbuchten Zahlungen an Herrn S. geleistet, um
von ihm weiterhin Aufträge des Kunden, für den er als
Einkäufer tätig war, erteilt zu bekommen. Die
Würdigung des FG, dass dieser Sachverhalt, den die
Antragstellerin in ihrer Beschwerde ausdrücklich
bestätigt hat, zureichende tatsächliche Anhaltspunkte
für den Verdacht einer Straftat nach § 299 Abs. 2 StGB
bzw. nach § 12 UWG a.F. liefert, ist nicht zu beanstanden.
Daher ist die streitige Mitteilung geboten.
a) Die von der Antragstellerin im
Antragsverfahren vorgebrachten Einwände gegen die
Zulässigkeit der Information der Strafverfolgungsbehörden
beziehen sich allein auf die Möglichkeit, dass bereits
Strafverfolgungsverjährung eingetreten sein oder ein
strafrechtliches Verwertungsverbot bestehen könnte. Dieses
Vorbringen zielt darauf ab, dass die Finanzbehörde die
Mitteilung zur Wahrung des Rechts auf „informationelle
Selbstbestimmung“ (vgl. Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE
65, 1) zu unterlassen habe, obwohl diese Mitteilung nach dem
Wortlaut der Vorschrift nicht in ihr Ermessen gestellt ist. Denn
Einschränkungen dieses Rechts seien nur aufgrund einer
verfassungsgemäßen gesetzlichen Regelung unter Beachtung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
zulässig.
Zunächst begegnet keinen rechtlichen
Zweifeln, dass der Gesetzgeber die Mitteilungspflicht in den
genannten Fällen speziell regeln durfte. Zum einen ist
gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 2
AO eine Einschränkung des in § 30 AO allgemein
geregelten Schutzes des Steuergeheimnisses in gesetzlich ausdrücklich zugelassenen
Offenbarungsfällen möglich. Zum anderen stellt die
Regelung als solche auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht dar. Wenn auch nach der Neuregelung des
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG n.F. die Versagung des
Betriebsausgabenabzugs nicht mehr von einer rechtskräftigen
Verurteilung wegen einer Korruptionstat oder einer Einstellung des
Strafverfahrens gemäß den §§ 153 bis 154e StPO
abhängt und damit die Mitteilungspflicht für das
Funktionieren der steuerlichen Regelung nicht mehr notwendig ist,
durfte es dem Gesetzgeber erforderlich erscheinen, zur Durchsetzung
des staatlichen Strafanspruchs mit dem Ziel der
Korruptionsbekämpfung weiterhin an der Offenbarungspflicht
festzuhalten. Dieses Ziel kommt auch in der Gesetzesbegründung
zum Ausdruck, nach der insbesondere generalpräventive
Gesichtspunkte für eine Beibehaltung der Mitteilungspflicht
sprechen (BTDrucks 14/443, S. 21).
b) Der Senat
hält es auch nicht zur Wahrung der
Verhältnismäßigkeit für geboten, dem FA
vor der Übermittlung der die Verdachtstat begründenden
Tatsachen die zumindest überschlägige Prüfung
abzuverlangen, ob eine strafrechtliche Verfolgung durch die
Staatsanwaltschaft überhaupt in Betracht kommt oder von
vornherein ausgeschlossen ist. Denn die Feststellung, ob
Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist, kann in der Regel
nicht in jedem Falle zweifelsfrei „durch einen Blick ins
Gesetz“ getroffen werden. Selbst wenn im Streitfall
feststünde, dass die letzte Vorteilsgewährung mehr als
fünf Jahre zurückliegt, ist insbesondere nicht
ausgeschlossen, dass die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4
StGB für eine Tat nach § 299 Abs. 2 StGB geltende
5-jährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist,
weil die Verjährung möglicherweise unterbrochen worden
sein könnte (§ 78c Abs. 1 StGB).
Demgegenüber stellt die Offenbarung
selbst in einem offensichtlich strafverfolgungsverjährten Fall
keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte
des Steuerpflichtigen dar. Denn in einem solchen Fall hat er keine
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu befürchten, sie
schreitet nach § 152 Abs. 2 StPO selbst bei Bejahung eines
Anfangsverdachts nur wegen verfolgbarer Straftaten ein. Stellt die
Staatsanwaltschaft bei Eingang der Mitteilung des FA fest, dass die
angezeigte Tat bereits verfolgungsverjährt ist, ist die Sache
ohne weiteres erledigt.
Gleiches gilt hinsichtlich der Prüfung,
ob Verwertungs- bzw. Verwendungsverbote vorliegen (vgl. u.a. §
393 Abs. 3 AO), die prima facie die Offenbarung der Verdachtstat
unnötig erscheinen lassen mögen. Auch insoweit muss die
Entscheidung der für die Durchführung des Strafverfahrens
zuständigen Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben, deren
rechtsstaatliches Vorgehen grundsätzlich nicht in Zweifel
stehen kann.
c) Schließlich kann die Antragstellerin
der Offenbarung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG nicht
entgegenhalten, dass sie strafrechtliche Ermittlungen auch gegen
den Vorteilsempfänger auslösen und damit mittelbar ihre
Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden belasten könnte. Denn
bei diesen geschäftlichen Nachteilen, die die Antragstellerin
befürchtet, könnte es sich allenfalls um von der
Antragstellerin hinzunehmende Folgen der vom Gesetzgeber im
Interesse der Korruptionsbekämpfung für erforderlich
erachteten Mitteilung handeln.