Verlustvortrag, Feststellung trotz bestandskräftigem ESt-Bescheid: Ein verbleibender Verlustvortrag ist auch dann erstmals gemäß § 10 d Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr zwar bestandskräftig ist, darin aber keine nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte berücksichtigt worden sind (Änderung der Rechtsprechung gegenüber BFH-Urteilen vom 9.12.1998 XI R 62/97, BFHE 187 S. 523, BStBl 2000 II S. 3 = SIS 99 09 41, und vom 9.5.2001 XI R 25/99, BFHE 195 S. 545, BStBl 2002 II S. 817 = SIS 02 01 64). - Urt.; BFH 17.9.2008, IX R 70/06; SIS 08 42 96
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer des Klägers und
Revisionsklägers (Kläger) für das Streitjahr 2001
mit Bescheid vom 11.8.2003 auf 0 EUR fest; der Festsetzung legte
das FA einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM
zugrunde.
Im Dezember 2004 reichte der Kläger
eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags für das Streitjahr ein, mit der er
Aufwendungen für seine Ausbildung zum Piloten als vorab
entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit geltend machte. Das FA lehnte die
gesonderte Feststellung des zum 31.12.2001 verbleibenden
Verlustvortrags ab.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg
(vgl. SIS 07 18 41). Das Finanzgericht (FG) führte im
Wesentlichen aus, die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags sei nach § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 des
Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden
Fassung (EStG) nicht zulässig, da der Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr nicht mehr geändert werden könne.
Der Kläger habe auch nicht innerhalb eines Jahres nach
Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids die Feststellung des
verbleibenden Verlustvortrags beantragt (vgl. Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.12.1998 XI R 62/97, BFHE 187, 523,
BStBl II 2000, 3 = SIS 99 09 41, und vom 9.5.2001 XI R 25/99, BFHE
195, 545, BStBl II 2002, 817 = SIS 02 01 64).
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der zum 31.12.2001
verbleibende Verlustvortrag sei gemäß § 10d Abs. 4
Satz 1 EStG gesondert festzustellen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil und den Ablehnungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung
aufzuheben und das FA zu verpflichten, den verbleibenden
Verlustabzug zur Einkommensteuer auf den 31.12.2001 in Höhe
von 94.349 DM gesondert festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das dem Verfahren beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) hält die bisherige
Rechtsprechung des BFH in BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3 = SIS 99 09 41, und in BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817 = SIS 02 01 64
für zutreffend, nach der der erstmalige Erlass eines
Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustvortrag
gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG voraussetze, dass
der zugrunde liegende - bisher keinen Verlust ausweisende -
Steuerbescheid noch entsprechend geändert werden
könne.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Entgegen der Auffassung des FG ist der zum
31.12.2001 verbleibende Verlustvortrag gemäß § 10d
Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festzustellen; § 10d Abs. 4 Satz
4 EStG ist mangels einer Änderung der nach Satz 2 der
Vorschrift zu berücksichtigenden Beträge nicht
anwendbar.
1. Nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG ist der
am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag
getrennt nach Einkunftsarten gesondert festzustellen. Verbleibender
Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der
Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte,
vermindert um die nach Abs. 1 abgezogenen und die nach Abs. 2
abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des
vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden
Verlustvortrag (§ 10d Abs. 4 Satz 2 EStG). Gemäß
§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG sind Feststellungsbescheide u.a. zu
erlassen, soweit sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden
Beträge ändern und deshalb der entsprechende
Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist.
Ändern sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden
Beträge aber nicht, ist die Vorschrift von vornherein
unanwendbar.
2. Nach diesen Maßstäben ist der
zum 31.12.2001 verbleibende Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4
Satz 1 EStG gesondert festzustellen. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG
ist nicht anwendbar, da sich die bei der Ermittlung des
Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen
Einkünfte nicht geändert haben. Insoweit kann
dahinstehen, ob Bezugspunkt für eine Änderung der
Feststellungsbescheid nach § 10d EStG oder der
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ist.
a) Betrachtet man den Feststellungsbescheid
nach § 10d EStG als Bezugspunkt für eine Änderung
der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichenen negativen Einkünfte, so scheidet eine solche
Änderung schon deshalb aus, weil der zum 31.12.2001
verbleibende Verlustvortrag bislang nicht gesondert festgestellt
worden ist.
b) Auch wenn man - wie das BMF, das FA und das
FG - davon ausgeht, dass der Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr der maßgebliche Bezugspunkt ist, hat sich dieser
Betrag nicht geändert. Nach dem Wortlaut des § 10d Abs. 4
Satz 2 EStG gehören zu den „nach Satz 2 zu
berücksichtigenden Beträgen“ i.S. des §
10d Abs. 4 Satz 4 EStG nicht der Gesamtbetrag der Einkünfte,
sondern die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte
nicht ausgeglichen negativen Einkünfte. Im
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sind nur ein
Gesamtbetrag der Einkünfte von 0, nicht aber nicht
ausgeglichene negative Einkünfte berücksichtigt worden.
Waren solche danach bisher nicht vorhanden, können sie sich
auch nicht geändert haben (vgl. bereits BFH-Beschluss vom
24.10.2007 XI R 42/06, BFH/NV 2008, 48 = SIS 08 04 71; gl.A.
Meyer/Ball, DStR 1999, 1257). Soweit sich aus den BFH-Urteilen in
BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3 = SIS 99 09 41, und in BFHE 195,
545, BStBl II 2002, 817 = SIS 02 01 64 etwas anderes ergibt,
hält der BFH an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest.
3. Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache
ist nicht spruchreif. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu
Recht - keine Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung
ermöglichen, in welcher Höhe vorab entstandene
Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) des Klägers bei der
Ermittlung seiner Einkünfte nach § 19 EStG im Streitjahr
zu berücksichtigen sind. Zur Nachholung der erforderlichen
Feststellungen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen.