Wechsel von unbeschränkter zu beschränkter Steuerpflicht, LSt-Berechnung: Bei der Berechnung der Lohnsteuer für einen "sonstigen Bezug", der einem (ehemaligen) Arbeitnehmer nach einem Wechsel von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht in diesem Kalenderjahr zufließt, ist der während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht gezahlte Arbeitslohn im "Jahresarbeitslohn" (§ 39 d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39 b Abs. 3 Satz 7 EStG 2002) zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 25.8.2009, I R 33/08; SIS 09 33 02
I. Streitig ist die
Rechtmäßigkeit eines
Lohnsteuer-Haftungsbescheides.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine Tochtergesellschaft
eines japanischen Unternehmens, beschäftigte Arbeitnehmer, die
von der Muttergesellschaft nach Deutschland entsandt worden waren
(sog. Expatriates). Zwischen der Klägerin als Arbeitgeberin
und diesen Arbeitnehmern bestand eine Nettolohnvereinbarung, die
die Übernahme etwa anfallender Steuernachforderungen durch die
Klägerin einschloss. Die Arbeitnehmer erhielten neben ihren
Gehaltszahlungen auch Bonuszahlungen. Im Jahr 2002 und im Jahr 2004
schied jeweils ein Arbeitnehmer aus und kehrte nach Japan
zurück. Die auf die Tätigkeit in Deutschland im
Rückkehrjahr entfallenden Bonuszahlungen wurden jeweils im
Jahr der Ausreise nachgezahlt.
Bei der Berechnung der Lohnsteuer auf diese
Zahlungen berücksichtigte die Klägerin den während
der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in demselben
Kalenderjahr in Deutschland bezogenen Arbeitslohn nicht. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) vertrat
hingegen die Ansicht, bei der Berechnung der Lohnsteuer auf die
Bonuszahlungen sei der im jeweiligen Kalenderjahr während der
Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht bezogene Arbeitslohn
einzubeziehen, wobei aus Billigkeitsgründen die zuletzt
für den jeweiligen Arbeitnehmer maßgebende Steuerklasse
(Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht) zugrunde gelegt
werden müsse. Das FA nahm die Klägerin auf dieser
Grundlage mit einem Lohnsteuer-Haftungsbescheid in Anspruch,
beschränkte die Haftung aber später auf den die
Bonuszahlung 2004 betreffenden Lohnsteuerbetrag. Die Klage blieb
erfolglos (Finanzgericht - FG - Düsseldorf, Urteil vom
4.3.2008 17 K 3874/07 H(L), EFG 2008, 929 = SIS 08 23 86).
Mit der Revision macht die Klägerin
die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung des angefochtenen Urteils den Lohnsteuer-Haftungsbescheid
vom 2.1.2006, geändert durch Bescheid vom 22.3.2007, in der
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.9.2007 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die zulässige Revision ist
unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht
entschieden, dass der Haftungsbescheid, mit dem die Klägerin
vom FA als Haftende auf der Grundlage des § 42d Abs. 1 Nr. 1
des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) in Anspruch genommen
wird, rechtmäßig ist.
1. Die Revision ist zulässig. Das FG hat
die Revision in den Gründen seiner Entscheidung
ausdrücklich unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO
zugelassen. Diese Zulassung eröffnet den Weg in das
Revisionsverfahren, auch wenn der Tenor des FG-Urteils einen
entsprechenden Ausspruch nicht enthält und auch die
Rechtsmittelbelehrung des Urteils („Die Nichtzulassung der
Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
...“) einer Belehrung bei einem Urteil
ohne Revisionszulassung entspricht (s. insoweit Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 107; Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 115 FGO Rz 280; Seer
in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 115 FGO Rz 124; Beermann in
Beermann/Gosch, AO/FGO, § 115 FGO Rz 46, 49, je m.w.N.).
2. Der Haftungsbescheid ist
rechtmäßig; die Klägerin hat die Lohnsteuer
unzutreffend ermittelt. Bei der Berechnung der Lohnsteuer für
einen sonstigen Bezug, der einem (ehemaligen) Arbeitnehmer nach
einem Wechsel von der unbeschränkten in die beschränkte
Steuerpflicht in diesem Kalenderjahr zufließt, ist der
während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht
gezahlte Arbeitslohn im
„Jahresarbeitslohn“ zu
berücksichtigen.
a) Durch die Aufgabe des inländischen
Wohnsitzes nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit
der Klägerin endete die unbeschränkte Steuerpflicht des
Arbeitnehmers. Die Nachzahlung des Bonusbetrages führte zur
beschränkten Steuerpflicht dieses Arbeitnehmers i.S. des
§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002.
Die Klägerin hatte für diesen „sonstigen
Bezug” (i.S. des § 38a Abs. 1 Satz 3
EStG 2002) einen Lohnsteuerabzug nach Maßgabe des § 39d
EStG 2002 vorzunehmen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im
Streit.
b) § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG 2002
verweist für den Lohnsteuerabzug „im
Übrigen“ - also soweit (wie im
Streitfall) § 39d EStG 2002 keine Sonderregelungen
enthält - auf den Lohnsteuerabzug nach (u.a.) § 39b Abs.
2 ff. EStG 2002, damit auf den Lohnsteuerabzug für
unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer. Daraus folgt, dass
der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug anhand der auf der
Bescheinigung des § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 eingetragenen
Besteuerungsmerkmale nach denselben Grundsätzen vorzunehmen
hat wie bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer
anhand der Lohnsteuerkarte (z.B. Blümich/Thürmer, §
39d EStG Rz 50 und § 39b EStG Rz 14).
c) § 39b Abs. 3 Satz 7 (für 2004:
Satz 8) EStG 2002 sieht vor, dass die Lohnsteuer auf einen
sonstigen Bezug - vereinfacht dargestellt - dem Differenzbetrag
zwischen der dem voraussichtlichen Jahresarbeitslohn (laufender
Arbeitslohn zzgl. bereits gezahlter sonstiger Bezüge)
entsprechenden Jahreslohnsteuer einerseits und der dem der
voraussichtlichen (Gesamt-) Jahresarbeitslohn (einschließlich
des jetzt zu besteuernden sonstigen Bezuges) entsprechenden
Jahreslohnsteuer andererseits entspricht (s. allgemein auch R 39b.6
Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 2008). Diese
Vergleichsberechnung ist erforderlich, da in dem Monat des
Zuflusses von sonstigen Bezügen die Grundlage der Berechnung
der Lohnsteuer - dass der im Lohnzahlungszeitraum zugeflossene
Arbeitslohn in gleicher Höhe auch in den übrigen
gleichlangen Lohnzahlungszeiträumen desselben Kalenderjahres
zufließen wird (§ 38a Abs. 3 Satz 1 EStG 2002) - nicht
zutrifft (s. z.B. Eisgruber in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 39b
Rz 11). Gegen diese Berechnungsmethode wird in der Situation der
beschränkten Steuerpflicht eingewendet, dass der
voraussichtliche Jahresarbeitslohn auf der Grundlage einer
Prognoseentscheidung zu treffen sei, die infolge der
Abgeltungswirkung der Lohnsteuer bei einer späteren
Änderung der Verhältnisse nicht mehr im Wege einer
Veranlagung ausgeglichen werden könne (s. insbesondere
Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 39d Rz D
3; Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 39d EStG Rz
9). Dieser Einwand ist indes nicht durchschlagend, wenn - wie im
Streitfall - in der retrospektiven Haftungssituation bei der
Bemessung des
„Jahresarbeitslohns“ nur der
tatsächlich erzielte laufende Arbeitslohn eingerechnet wird
(s. insoweit auch R 39b.6 Abs. 3 Satz 6 LStR 2008).
d) Jahresarbeitslohn im Sinne dieser
Vergleichsberechnung ist der Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer (bei
diesem Arbeitgeber) im Kalenderjahr bezieht (§ 38a Abs. 1 Satz
1 EStG 2002; s. auch Blümich/Thürmer, § 38a EStG Rz
23 f.; Eisgruber in Kirchhof, a.a.O., § 38a Rz 2). Eine weiter
gehende Differenzierung nach der Art der im Bezugszeitraum
bestehenden Steuerpflicht - bei einem Wechsel der Art der
persönlichen Steuerpflicht innerhalb eines Kalenderjahres -
lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.
aa) § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG 2002 sieht
für den Fall, dass im Laufe eines Kalenderjahrs sowohl die
Voraussetzungen unbeschränkter als auch beschränkter
Steuerpflicht erfüllt sind, vor, dass die während der
beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten
inländischen Einkünfte in eine Veranlagung zur
unbeschränkten Steuerpflicht einzubeziehen sind (Änderung
der früheren - eine Aufteilung befürwortenden -
Rechtslage durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11.10.1995, BGBl I
1995, 1250, BStBl I 1995, 438 - ab Veranlagungszeitraum 1996 - mit
einer geänderten Gesetzesformulierung durch das
Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996, BGBl I 1996, 2049, BStBl I
1996, 1523). Damit wird insbesondere die Abgeltungswirkung des
§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002 bei einem Quellensteuerabzug
für die der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden
Einkünfte ausgeschlossen (BTDrucks 13/5952, S. 44), ebenso der
Umstand, dass der sich auf ein Kalenderjahr als
Veranlagungszeitraum beziehende Grundfreibetrag der
Einkommensteuertabelle (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 2002)
ungekürzt auf eine unterjährige Dauer der
unbeschränkten Steuerpflicht Anwendung findet.
bb) Diese Orientierung an Kalenderjahreswerten
(Jahreslohnsteuertabelle) ist ein Grundprinzip der
Lohnsteuerbemessung (s. § 38a Abs. 3 Satz 1 EStG 2002), dem
seit der Einführung des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG (seit
1996) auch im Bereich der veranlagten Einkommensteuer entsprochen
wird. Es gilt der Grundsatz, dass die Jahreslohnsteuer des
Arbeitnehmers mit einer veranlagten Einkommensteuer dieses
Steuerpflichtigen, wenn er ausschließlich Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielt, übereinstimmen soll
(§ 38a Abs. 2 EStG 2002). Mit Blick darauf fehlt die
Berechtigung für eine Einschränkung des
kalenderjahresbezogenen Wortlauts. Daher ist bei der Ermittlung des
Jahresarbeitslohns zur Berechnung der auf den sonstigen Bezug
entfallenden Lohnsteuer der bisher erzielte Arbeitslohn auch
insoweit einzubeziehen, als er auf einen Zeitraum entfällt,
der vor einem Wechsel der Art der Steuerpflicht liegt (so auch
Niedersächsisches FG, Urteil vom 29.9.2005 11 K 396/04, juris
= SIS 06 23 26; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
a.a.O., § 39b Rz D 4; Hartz/Meeßen/ Wolf,
ABC-Führer Lohnsteuer, „Sonstige
Bezüge“ Rz 29; a.A. Stache in
Bordewin/Brandt, EStG, § 39b Rz 173, bzw. in
Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuerrecht, § 39b EStG
Rz 229). Ein solches Ergebnis folgt auch für die
Umkehrsituation - den Wechsel von der beschränkten zur
unbeschränkten Einkommensteuerpflicht - aus dem insoweit nicht
eingeschränkten Wortlaut des dann unmittelbar anzuwendenden
§ 39b Abs. 3 EStG 2002. In die Ermittlung des
Jahresarbeitslohns zur Berechnung der Lohnsteuer auf einen im
Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht zugeflossenen
sonstigen Bezug ist ein auf den vorherigen Zeitraum
beschränkter Steuerpflicht entfallender Arbeitslohn
einzubeziehen.
cc) Aus dem Senatsurteil vom 17.12.2003 I R
75/03 (BFHE 204, 481, BStBl II 2005, 96 = SIS 04 10 83) folgt
nichts anderes: Indem § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 die
„ausländischen Einkünfte”
auch bei einem Wechsel der Art der Steuerpflicht im
Veranlagungszeitraum dem Progressionsvorbehalt unterwirft, sind zur
Ermittlung dieser Einkünfte (§ 2 Abs. 2 EStG 2002)
Werbungskosten unabhängig von der Ermittlung der
inländischen Einkünfte (und einem etwa dort
berücksichtigten kalenderjahresbezogenen
Arbeitnehmer-Pauschbetrag des § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG 2002)
anzusetzen, mögen die Einkünfte auch der Sache nach zur
selben Einkunftsart gehören. Eine solche im Gesetzeswortlaut
angewiesene Trennung der Einkünfteermittlung ergibt sich
für den Begriff des Jahresarbeitslohns in § 39b Abs. 3
EStG 2002 nicht.
3. Der Senat teilt die von der Klägerin -
unter Hinweis auf eine im Vergleich zur (reinen)
Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers höhere
Lohnsteuerbelastung bei der Nettolohnvereinbarung vorgebrachten -
verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Das Lohnsteuerverfahren muss
als Massenverfahren möglichst praktikabel ausgestaltet sein;
dies gilt im besonderen Maße für die im Gesetz nicht
klar geregelte und als Ausnahmefall zum Regelfall der
Bruttolohnvereinbarung (s. insoweit Urteil des Bundesfinanzhofs vom
8.11.1985 VI R 238/80, BFHE 145, 198, BStBl II 1986, 186 = SIS 86 05 44) anzusehende und darüber hinaus vom Arbeitgeber und
Arbeitnehmer ausdrücklich zu treffende Nettolohnvereinbarung
(s. insoweit R 39b.9 LStR 2008). Außerdem begründet der
Umstand der Übernahme von Lohnabzugsbeträgen durch den
Arbeitgeber weder die Möglichkeit, als Vergleichspaar im
Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes auf den
Arbeitgeber bei einer Bruttolohnvereinbarung zu verweisen (dieser
trägt die Lohnsteuer nicht) noch auf den vertraglichen
Nachteil des Arbeitnehmers (als Schuldner der Lohnsteuer).