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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist der Vater des im Mai 1994 geborenen C und der im
August 1998 geborenen T. Als vietnamesischer Staatsangehöriger
verfügte der Kläger zumindest seit September 1997 und bis
zum 11.3.2001 im Inland über Duldungen; er ist zudem seit 1991
bei der Firma W beschäftigt. In der Zeit vom 15.3.2001 bis zum
15.5.2001 bestanden Ausreiseaufforderungen. Zusätzlich wurde
dem Kläger eine Grenzübertrittsbescheinigung
ausgehändigt. Ab dem 8.6.2001 erhielt er Aufenthaltsbefugnisse
nach § 30 des Ausländergesetzes (AuslG 1990). Seit dem
17.6.2005 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) lehnte den Kindergeldantrag des Klägers
zunächst ab. Für die Zeit ab Juni 2005 setzte sie
Kindergeld fest. Der gegen den Ablehnungsbescheid eingelegte
Einspruch blieb ohne Erfolg. Im Klageverfahren verpflichtete sich
die Familienkasse, Kindergeld auch für die Monate Juni 2004
bis Mai 2005 festzusetzen. Für die verbleibenden Monate Juni
2001 bis Mai 2004 gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit den in
EFG 2010, 1056 = SIS 10 14 65 veröffentlichten Gründen
statt. Eine - wie im Fall des Klägers - zeitlich kurzfristige
Unterbrechung des in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur
Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld,
Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 - EStG -
(BGBl I 2006, 2915) geforderten Dreijahreszeitraums, die jedenfalls
bis zur Grenze von drei Monaten angenommen werden könne, sei
im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a
EStG unschädlich.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision
rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des §
62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG.
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Die Vorschrift setze zusätzlich zum
Besitz der Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 2
Buchst. c EStG voraus, dass sich der Kindergeldberechtigte seit
mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder
geduldet im Bundesgebiet aufhalte. Das Wort „seit“
lasse bei der zeitlichen Betrachtung keine Unterbrechung zu,
sondern beinhalte, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt in einem
zusammenhängenden zeitlichen Segment beständig ein
zumindest geduldeter Aufenthalt vorgelegen haben müsse. Es
besage weiter, dass dieser Zeitraum nicht unterbrochen sein
dürfe. Die Frist des dreijährigen
rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts
müsse mithin nach jeder Unterbrechung erneut von Anfang an zu
laufen beginnen.
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Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Unrecht hat das FG die
Anspruchsberechtigung des Klägers nach § 62 Abs. 2 Nr. 3
EStG für die Monate Juni 2001 bis Mai 2004 bejaht.
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1. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter
Ausländer, der eine in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG
genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt, erhält Kindergeld nur,
wenn er sich - neben der weiteren, hier nicht streitigen
Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG - seit
mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder
geduldet im Bundesgebiet aufhält (§ 62 Abs. 2 Nr. 3
Buchst. a EStG). Die Voraussetzungen müssen dabei kumulativ
erfüllt sein.
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a) Nach dem Wortlaut der Vorschrift
genügt es nicht, dass der Betreffende sich irgendwann einmal
drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im
Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Präposition
„seit“ dient vielmehr zur Angabe eines
Zeitpunkts, zu dem, oder einer Zeitspanne, bei deren Beginn ein
noch anhaltender Zustand oder Vorgang begonnen hat; „noch
anhaltend“ ist wiederum gleichzusetzen mit
„ununterbrochen“ oder
„zusammenhängend“. Eine Unterbrechung des
rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts
ist nach dem Wortlaut der Norm deshalb generell schädlich. Der
Wortlaut lässt es nicht zu, mehrere kürzere
Einzelabschnitte eines rechtmäßigen, gestatteten oder
geduldeten Aufenthalts zusammenzurechnen (so auch FG München,
Urteil vom 9.12.2008 12 K 2255/07, EFG 2009, 1572 = SIS 09 23 71).
Ebenso wenig ist es mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar, einen
dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder
geduldeten Aufenthalt anzuerkennen, der - wie im Streitfall -
einige Zeit vor dem für die Kindergeldberechtigung
maßgebenden Titelerwerb endete. Der mindestens drei Jahre
andauernde qualifizierte Aufenthalt ist vielmehr in zeitlicher
Hinsicht mit dem „Besitz“ eines in § 62
Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Titels insofern
verknüpft, als der Titel zumindest im unmittelbaren zeitlichen
Anschluss an die ununterbrochene Aufenthaltszeit erworben werden
muss. Wird der Aufenthaltstitel bereits zu Beginn oder im Laufe der
Aufenthaltszeit erworben, sind die Anspruchsvoraussetzungen
insoweit mit Ablauf der Drei-Jahres-Frist erfüllt.
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b) Dieses Verständnis des Wortlauts des
§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG steht auch im Einklang mit
dem Sinn und Zweck der gesetzgeberischen Zielsetzung, Kindergeld
nur solchen Ausländern zu gewähren, die sich aufgrund
eines Aufenthaltstitels rechtmäßig und voraussichtlich
auf Dauer in Deutschland aufhalten (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8,
und BTDrucks 16/2940, S. 10 f.). Ob sich ein Ausländer
voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten wird, erfordert
dabei eine Prognose. Anstatt der Familienkasse diese Prognose
für jeden Einzelfall aufzubürden, hat der Gesetzgeber in
der Neuregelung den Weg einer gesetzlichen Typisierung gewählt
und die Prognose damit unmittelbar in der Norm selbst verankert.
Dabei ging er u.a. davon aus, dass bei einem Ausländer, der
(nur) über eine Aufenthaltserlaubnis i.S. von § 23a des
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG
verfügt, nicht ohne Weiteres mit einem dauerhaften Verbleib zu
rechnen und deshalb als zusätzliche Voraussetzung u.a. die
dreijährige Wartefrist gerechtfertigt ist. Hält der
Betreffende sich jedoch seit mindestens drei Jahren
rechtmäßig, gestattet oder geduldet in Deutschland auf,
kann nach dem Willen des Gesetzgebers von einem ausnahmsweise
voraussichtlich auf Dauer angelegten Aufenthalt ausgegangen werden
(vgl. BTDrucks 16/2940, S. 10 f.). Dem entspricht es, dass bei
einer Änderung des aufenthaltsrechtlichen Status - wie
beispielsweise bei dem Wegfall einer Duldung - auch keine
verlässliche Prognose mehr darüber möglich ist, ob
sich der Ausländer voraussichtlich dauerhaft in Deutschland
aufhalten wird. Entsprechend bedarf es im Falle eines erneuten
rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts
einer erneuten Prognose. Dies bedingt den Neuanlauf der
Drei-Jahres-Frist.
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2. Danach ist der Kläger für die
Monate Juni 2001 bis Mai 2004 nicht anspruchsberechtigt.
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a) Nach den Feststellungen des FG wurde dem
Kläger am 8.6.2001 eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30
AuslG 1990 erteilt und diese in der Folge bis Juni 2005 mehrfach
verlängert. Zutreffend ist das FG insoweit davon ausgegangen,
dass die dem Kläger erteilte Aufenthaltsbefugnis nach §
30 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101
AufenthG in eine Aufenthaltserlaubnis i.S. von § 25 Abs. 5
AufenthG umzuqualifizieren ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom
30.7.2009 III R 47/07, BFH/NV 2009, 1984 = SIS 09 36 27,
m.w.N.).
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b) Zwar war der Aufenthalt des Klägers
zuvor mehr als drei Jahre geduldet, nämlich zumindest seit dem
26.9.1997 bis zum 11.3.2001. Dieser zunächst geduldete und
sodann ab 8.6.2001 rechtmäßige Aufenthalt des
Klägers wurde jedoch durch zwei Ausreiseaufforderungen bis zum
15. April und 15.5.2001 unterbrochen. Insbesondere stand die dem
Kläger zusammen mit den Ausreiseaufforderungen
ausgehändigte Grenzübertrittsbescheinigung als formloses
Papier einer Duldung nicht gleich (vgl. Renner,
Ausländerrecht, 8. Aufl., § 55 AufenthG Rz 3;
Senatsbeschluss vom 31.7.2009 III B 152/08, BFH/NV 2009, 1811 = SIS 09 32 57). Da der zunächst geduldete Aufenthalt mithin nicht
ununterbrochen bis zum Erhalt der Aufenthaltsbefugnis am 8.6.2001
fortbestand, ist der Kläger im Streitzeitraum von Juni 2001
bis Mai 2004 nicht kindergeldberechtigt. Im Juni 2001 begann die
dreijährige Wartefrist infolge der Unterbrechung vielmehr
erneut zu laufen.
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