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I. Die Beschwerde der Beschwerdeführer
richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von jeweils
200 EUR.
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In dem beim Finanzgericht (FG)
anhängigen Hauptsacheverfahren 10 K 400/11 der
Grundstücksgemeinschaft (Klägerin) wandte sich diese
gegen die Festsetzung und die Höhe eines
Verspätungszuschlags in Höhe von 1.030 EUR. Zu der auf
den 26.4.2012 terminierten mündlichen Verhandlung hatte das FG
den Prozessbevollmächtigten der Klägerin und die
Beschwerdeführer geladen. Hinsichtlich der
Beschwerdeführer war deren persönliches Erscheinen
angeordnet und für den Fall des Nichterscheinens ein
Ordnungsgeld in Höhe von jeweils 200 EUR angedroht
worden.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung
stellte der Vorsitzende fest, dass die Beschwerdeführer trotz
ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen waren. Nach dem
Vortrag des Sach- und Streitstands durch den Berichterstatter und
die Erörterung der Rechtslage mit dem Beklagtenvertreter und
dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nahm dieser die
Klage für die Klägerin zurück. Das Verfahren wurde
daraufhin gemäß § 72 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) eingestellt.
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Durch die Beschlüsse vom 4.5.2012
setzte das FG gegen die Beschwerdeführer jeweils ein
Ordnungsgeld in Höhe von 200 EUR fest. Zur Begründung
führte es aus, dass die Anordnung des persönlichen
Erscheinens erfolgt sei, um mit den Beschwerdeführern die
Gründe für die verspätete Abgabe der
Umsatzsteuererklärung zu erörtern. Da diese ohne Angaben
von Gründen zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen
waren, wurde das gegen sie angedrohte Ordnungsgeld
festgesetzt.
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Gegen diese Beschlüsse legten die
Beschwerdeführer am 23.5.2012 beim FG Beschwerde ein, ohne sie
zu begründen. Nachdem eine Begründung auch nicht
innerhalb der vom FG gesetzten Frist erfolgt war, beschloss das FG
am 4.6.2012, den Beschwerden nicht abzuhelfen.
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II. Die Beschwerde ist begründet.
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Das FG hat zu Unrecht gegen die beiden
Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld festgesetzt. Das FG hatte
für diese zwar ordnungsgemäß ein persönliches
Erscheinen angeordnet und bei Nichterscheinen die Festsetzung eines
Ordnungsgeldes in Höhe von 200 EUR angedroht. Nachdem die
Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten jedoch die
Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.4.2012
zurückgenommen hatte, durfte das angedrohte Ordnungsgeld nicht
mehr festgesetzt werden.
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1. Nach § 80 Abs. 1 FGO kann das Gericht
das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen.
Für den Fall des Ausbleibens kann es Ordnungsgeld wie gegen
einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen androhen. Bei
schuldhaftem Ausbleiben setzt das Gericht durch Beschluss das
angedrohte Ordnungsgeld fest. Ist der Beteiligte - wie im
Streitfall - eine Vereinigung, so ist das Ordnungsgeld dem nach
Gesetz oder Satzung Vertretungsberechtigten anzudrohen und gegen
ihn festzusetzen (§ 80 Abs. 2 FGO).
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Als ergänzende Vorschrift zu § 76
Abs. 1 FGO dient die Vorschrift der Aufklärung des
Sachverhalts durch Mitwirkung der Beteiligten (Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.12.2010 X B 103/10, BFH/NV 2011,
618 = SIS 11 06 93 II.1.a; Stöcker in Beermann/Gosch,
Steuerliches Verfahrensrecht, § 80 FGO Rz 1 und 2;
Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 80
FGO Rz 11) sowie der Konzentration und Beschleunigung des
Verfahrens (Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl.,
§ 80 Rz 1; Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 12). Die
Pflicht zum Erscheinen bei Gericht ist daher kein Selbstzweck (Seer
in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 80
FGO Rz 3).
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§ 80 FGO entspricht wörtlich §
95 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Ähnliche
Vorschriften über die Anordnung des persönlichen
Erscheinens finden sich in § 141 der Zivilprozessordnung (ZPO)
und § 111 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), wobei hinsichtlich
der Festsetzung von Ordnungsgeld durch § 202 SGG auf §
141 Abs. 3 ZPO verwiesen wird.
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2. Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO setzt das
Gericht bei schuldhaftem Ausbleiben das angedrohte Ordnungsgeld
durch Beschluss fest. Dabei ist zwar umstritten, ob die Festsetzung
von Ordnungsgeld - ebenso wie deren Androhung - im Ermessen des
Gerichts steht (so Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71, unter
Hinweis auf das verwaltungsrechtliche Schrifttum zur Rechtslage
nach § 95 VwGO) oder ob eine grundsätzliche
Festsetzungspflicht besteht. Diese Streitfrage kann der Senat
jedoch offen lassen, da auch dann, wenn dem Gericht bei der
Ordnungsgeldfestsetzung kein Ermessen zugebilligt wird, eine
Festsetzung von Ordnungsgeld in der Regel nur dann erfolgen darf,
wenn das unentschuldigte Ausbleiben zu einer
Verfahrensverzögerung führt. Eine
Verfahrensverzögerung liegt jedoch dann nicht vor, wenn sich
das Ausbleiben des Beteiligten für das Verfahren als
unschädlich erweist.
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a) Nach höchstrichterlicher
Zivilrechtsprechung zu § 141 Abs. 3 ZPO ist die
Verhängung eines Ordnungsgeldes ermessensfehlerhaft, wenn im
Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits keine
Fragen zum Sachverhalt offen geblieben sind und der Rechtsstreit
ohne weiteren Vortrag durch Urteil entschieden wird (Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12.6.2007 VI ZB 4/07, Neue
Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht -
NJW-RR - 2007, 1364; Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.8.2007
3 AZB 50/05, NJW 2008, 252). Da der Zweck der
Ordnungsgeldfestsetzung nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.1997 2 BvR 429/97 (NJW 1998,
892) nicht darin bestehe, eine vermeintliche Missachtung des
Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu
fördern, könne ein Ordnungsgeld nur festgesetzt werden,
wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die
Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess
verzögert habe (BGH-Urteil in NJW-RR 2007, 1364 II.2.a).
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b) Diese Rechtsprechungsgrundsätze
betreffen zwar die Auslegung von § 141 Abs. 3 ZPO, der die
Festsetzung eines Ordnungsgeldes - im Unterschied zu § 80 Abs.
1 Satz 3 FGO - in das Ermessen des Gerichts stellt. Selbst wenn es
sich bei den unterschiedlichen Formulierungen nicht um ein
bloßes Redaktionsversehen des Gesetzgebers (so Thürmer
in HHSp, § 80 FGO Rz 71 Fußnote 3) handeln sollte,
gebietet jedenfalls der mit § 141 Abs. 3 ZPO
übereinstimmende Normzweck eine einschränkende Auslegung
des Tatbestands von § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO dahingehend, dass
bei schuldhaftem Ausbleiben ein Ordnungsgeld nur festzusetzen ist,
wenn hierdurch die Sachaufklärung erschwert und der Prozess
verzögert wird. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes verliert
dagegen ihre Berechtigung, wenn sich das Ausbleiben des Beteiligten
oder seines gesetzlichen Vertreters nicht verfahrensverzögernd
ausgewirkt hat (vgl. Leipold in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung,
21. Aufl., § 141 Rz 35a), weil der Prozess im Laufe der
mündlichen Verhandlung - wie im Streitfall - durch
Klagerücknahme beendet wurde (vgl. Landesarbeitsgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 3.8.1987 13 Ta 6/87, Neue
Zeitschrift für Arbeitsrecht 1987, 827). In
Übereinstimmung damit wird im finanzgerichtlichen Schrifttum
allgemein vertreten, dass in derartigen Fällen von der
Festsetzung eines Ordnungsgeldes abzusehen ist (vgl. Thürmer
in HHSp, § 80 FGO Rz 71; Stöcker in Beermann/Gosch,
a.a.O., § 80 FGO Rz 53; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 80
FGO Rz 3; Koch in Gräber, a.a.O., § 80 Rz 10).
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c) Im Streitfall hat das FG die Festsetzung
des Ordnungsgeldes damit begründet, dass das persönliche
Erscheinen der Beschwerdeführer angeordnet worden sei, um mit
ihnen persönlich die Gründe für die verspätete
Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2009 zu erörtern.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Laufe
der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hatte
und dadurch das Verfahren beendet war, entfiel dieser Grund
für die Anordnung des persönlichen Erscheinens und eine
Verzögerung des Verfahrens war ausgeschlossen. Unter diesen
Umständen ist ein schuldhaftes Ausbleiben der
Beschwerdeführer nicht mit einem Ordnungsgeld zu belegen. Die
angefochtenen Beschlüsse waren daher aufzuheben.
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