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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) führt seit 1992 ein als
entfluoriertes Calciumphosphat bezeichnetes Produkt in die
Europäische Union ein. Die Warenbeschreibung in der zuletzt
erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) lautet:
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„Die als entfluoriertes
Calciumphosphat bezeichnete Ware wird aus Naturphosphat mit
Apatitstruktur durch Glühen im Drehrohrofen bei Temperaturen
oberhalb 1250°C unter Zusatz geringer Mengen Phosphorsäure
und Soda hergestellt. Zusammensetzung (Angaben): min. 41,5 % P2O5,
min. 42-44 % CaO, ca. 6,5-7,2 % Na2O, max. 0,2 % F. Der
Glühverlust beträgt weniger als 1 %. Weitere vertrauliche
Angaben liegen vor. Die Ware kann als mineralisches
Einzelfuttermittel, Düngemittel und als Rohstoff
(Phosphorträger) in der chemischen Industrie verwendet werden.
Sie wird in feinkörniger und in mehliger Form mit grauer bis
brauner Farbe gehandelt. Danach handelt es sich um ein
natürliches Phosphat, geröstet, gebrannt oder
weitergehend thermisch behandelt, als zum Entfernen von
Verunreinigungen erforderlich. Derartige Erzeugnisse gehören
als andere mineralische oder chemische Phosphatdüngemittel zur
Pos. 3103, auch wenn sie nicht als Düngemittel verwendet
werden. Handelsbezeichnung (...) Entfluoriertes Calciumphosphat;
Hauptbestandteil Ca5Na2(PO4)4 Phase A“.
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Seit dem Jahr 2000 waren der Klägerin
drei vZTA erteilt worden, mit denen diese Ware in die Pos. 3103 der
Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht worden war.
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Unter dem 24.10.2000 erließ die
Kommission die Verordnung (EG) Nr. 2354/2000 (VO Nr. 2354/2000) zur
Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur
(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 272/10).
Danach ist in die Unterpos. 2309 90 97 KN einzureihen eine
„Tierfutterzubereitung, hergestellt durch eine bei hoher
Temperatur erfolgte chemische Reaktion eines Apatit-,
Phosphorsäure- und Natriumcarbonat- oder
Natriumhydroxid-Gemisches. Das Erzeugnis ist entfluoriert und
besteht hauptsächlich aus einer Mischung von Calcium- und
Calcium-Natrium-Phosphaten.“
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Am 16.11.2007 erteilte die
Oberfinanzdirektion (OFD) A der Klägerin eine vZTA, mit der
sie die Ware in die Unterpos. 3103 90 00 KN einreihte.
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Im Februar 2009 wies das
Bundesfinanzministerium auf die VO Nr. 2354/2000 hin und forderte
die Zollbehörden auf, die vZTA, die Erzeugnisse beträfen,
die mit denen der VO Nr. 2354/2000 vergleichbar seien, zu
überprüfen. Daraufhin widerrief der inzwischen
zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt -
HZA - ) mit Bescheid vom 28.5.2009 die vZTA vom 16.11.2007
gemäß Art. 9 Abs. 1 des Zollkodex (ZK) mit der
Begründung, die Einreihungsauffassung habe sich geändert
und wies darauf hin, dass ggf. eine neue vZTA beantragt werden
könne.
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Einspruch und Klage gegen den Widerruf
stützte die Klägerin darauf, dass die
streitgegenständliche nicht mit der in der VO Nr. 2354/2000
beschriebenen Ware identisch sei. Insbesondere handele es sich
nicht um eine Mischung nach chemischen Grundsätzen, vielmehr
liege eine nichtstöchiometrische Verbindung vor, die nicht
wieder durch physikalische Methoden in ihre einzelnen Komponenten
zerlegt werden könne. Als mineralisches Düngemittel, das
auch als Einzelfuttermittel oder als Rohstoff in der chemischen
Industrie verwendet werden könne, falle das Erzeugnis unter
die Pos. 3103 KN.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Der Widerruf der unter dem 16.11.2007 erteilten vZTA sei
rechtmäßig. Die Voraussetzungen für den Erlass der
vZTA seien von Anfang an nicht erfüllt gewesen, weil die OFD A
als erteilende Zollbehörde die VO Nr. 2354/2000 nicht beachtet
habe und sich die Tarifierung vor dem Hintergrund dieser Verordnung
als unzutreffend darstelle. Die streitgegenständliche Ware
entspreche der in der Verordnung beschriebenen
Tierfutterzubereitung. Das Endprodukt, entfluoriertes
Calciumphosphat, Hauptbestandteil Ca5Na2(PO4)4 Phase A, sei bei
hoher Temperatur durch eine chemische Reaktion i.S. der VO Nr.
2354/2000 aus drei verschiedenen chemischen Substanzen entstanden.
Die verwendeten Begriffe (Mischung, Gemisch) seien nur im
untechnischen Sinne als Zusammenfügung von Bestandteilen zu
verstehen, die sodann chemisch miteinander reagieren.
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Die Klägerin hat gegen das Urteil
Revision eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor: Das FG
habe die Klage gegen den Widerruf der vZTA zu Unrecht abgewiesen.
In der vZTA vom 16.11.2007 sei die Ware zutreffend in die Pos. 3103
KN eingereiht worden. Die streitige Ware entspreche der
Beschreibung in der Anm. 3 Buchst. a Nr. 2 zu Kap. 31 KN, wonach
zur Pos. 3103 KN natürliche Phosphate der Pos. 2510 KN
gehörten, die geröstet, gebrannt oder weitergehend
thermisch behandelt seien, als zum Entfernen von Verunreinigungen
erforderlich. Anders als das in VO Nr. 2354/2000 beschriebene
Produkt werde das vorliegende Erzeugnis nicht durch eine chemische
Reaktion von Apatit mit Natriumverbindungen und Phosphorsäure,
sondern in einem Glühvorgang durch Einlagerung in einer
Vorstufe gebildeter Natriumphosphate in die Apatitstruktur
hergestellt. Auch entstehe es nicht durch eine Reaktion eines
Apatit-, Phosphorsäure- und Natriumcarbonat- oder
Natriumhydroxid-Gemisches und es handele sich bei der Ware nicht um
eine Mischung von Calcium- und Calcium-Natrium-Phosphaten. Es
handele sich vielmehr um ein gesintertes homogenes Produkt, eine
nichtstöchiometrische Verbindung. Schließlich sei das
Endprodukt trotz der Zuführung geringer Mengen von
Natriumphosphat ein „natürliches“ Phosphat.
„Natürlich“ i.S. der Pos. 3103 KN sei nicht als
„naturbelassen“ zu verstehen. Auch die
niederländische Tarifkommission (Rechtssache Nr. 0266/95 TC
vom 24.8.1999) habe die nämliche Ware in die Unterpos. 3103 90
00 KN und nicht gemäß der seinerzeit geltenden VO (EG)
Nr. 1533/92 in die Pos. 2309 KN eingereiht.
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Das HZA verweist zur Begründung
zunächst darauf, dass nach Anm. 3 Buchst. a Nr. 2 zu Kap. 31
KN nur natürliche Phosphate ohne Zusätze
gehörten, so dass das zu tarifierende entfluorierte
Calciumphosphat, das aus Naturphosphat mit Apatitstruktur unter
Zusatz von Phosphorsäure und Soda hergestellt werde, nicht
darunter fallen könne. Die EinreihungsVO Nr. 2354/2000
hält es für einschlägig, zumal die Ware nicht nur
als Düngemittel, sondern auch als Futtermittel verwendbar sei.
Im Übrigen hält es dem Revisionsvorbringen
sinngemäß entgegen, die VO Nr. 2354/2000 enthalte keine
ausführliche Beschreibung der Reaktionsführung, der
Herstellungsvorgang werde nicht in seine einzelnen Schritte
aufgeteilt, sondern ganzheitlich als eine Reaktion angesehen. Den
Begriff „Mischung“ verwende die VO Nr. 2354/2000 nicht
ausschließlich im Sinne einer mechanischen Mischung, vielmehr
erfasse er auch nichtstöchiometrische Verbindungen.
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme.
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Die Revision der Klägerin ist
zulässig, aber nicht begründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist
rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Widerruf der
vZTA rechtmäßig war, weil die als entfluoriertes
Calciumphosphat bezeichnete Ware nicht, wie in der vZTA festgelegt,
in die Unterpos. 3103 90 00 der hier maßgeblichen VO (EWG)
Nr. 2658/87 des Rates vom 23.7.1987 über die zolltarifliche
und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif i.d.F.
der Verordnung (EG) Nr. 1549/2006 der Kommission vom 17.10.2006
(Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 301/1) einzureihen
war.
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1. Das HZA und das FG haben die
Rechtsgrundlage für den Widerruf der vZTA zutreffend in Art. 9
Abs. 1 ZK gesehen.
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Hiernach wird eine begünstigende
Entscheidung widerrufen, wenn in anderen als in den in Art. 8 ZK
bezeichneten Fällen eine oder mehrere Voraussetzungen für
ihren Erlass nicht erfüllt waren oder nicht mehr erfüllt
sind. Die vZTA, ein Unterfall der verbindlichen Auskunft i.S. des
Art. 12 ZK, erfüllt die Begriffsmerkmale einer Entscheidung
i.S. des Art. 4 Nr. 5 ZK. Ihre begünstigende Wirkung für
den Berechtigten ergibt sich aus der Bindung der Zollbehörden
aller Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hinsichtlich der
zolltariflichen Einreihung (Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 ZK). Erweist
sich eine vZTA nach ihrer Erteilung als fehlerhaft, ohne dass eine
Rücknahme nach Art. 8 ZK in Betracht kommt, ist die erteilende
Zollbehörde verpflichtet, sie zu widerrufen, auch wenn der
Antragsteller für die Unrichtigkeit der Tarifierung keine
Ursache gesetzt hat (vgl. den Senatsbeschluss vom 11.3.2004 VII R
20/01, BFH/NV 2004, 1305 = SIS 04 33 27).
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2. Das FG hat weiter zutreffend entschieden,
dass die der Klägerin erteilte vZTA von Anfang an so nicht
hätte ergehen dürfen, weil das streitgegenständliche
Erzeugnis nicht in die Unterpos. 3103 90 00 KN eingereiht werden
kann.
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Unbeschadet der EinreihungsVO Nr. 2354/2000
wird die zu tarifierende Ware von der Pos. 3103 KN nicht erfasst,
weil sie nicht den Anforderungen der Anm. 3 Buchst. a zu Kap. 31 KN
entspricht.
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Nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (vgl. Urteil vom
7.2.2002 C-276/00, Slg. 2002, I-1389 = SIS 02 05 67, Rz 21) und des
erkennenden Senats (z.B. Senatsurteil vom 28.3.2006 VII R 50/04,
BFHE 213, 169 = SIS 06 31 72, m.w.N., ZfZ 2006, 293) ist das
entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von
Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu
suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und
in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der KN
festgelegt sind. Daneben stellen die vom Rat für die
Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens für das
Harmonisierte System bzw. die von der Europäischen Kommission
für die KN ausgearbeiteten Erläuterungen ein wichtiges,
wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die
Auslegung der einzelnen Tarifpositionen dar.
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Nach Anm. 3 Buchst. a Nr. 2 zu Kap. 31 KN
gehören zu Pos. 3103 KN ausdrücklich nur
natürliche Phosphate der Pos. 2510, die weitergehend thermisch
behandelt wurden, als zum Entfernen von Verunreinigungen
erforderlich. Die Pos. 2510 KN erfasst „Natürliche
Calciumphosphate, natürliche Aluminiumcalciumphosphate und
Phosphatkreiden“ und die dazu ergangenen
Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Pos. 2510
KN präzisieren unter Rz 01.0 „Zu dieser Position
gehören nur Apatit und andere natürliche Calciumphosphate
...“. Nach der ErlHS zu Pos. 3103 KN Rz 08.0 erfasst
diese Position nicht andere als die vorstehend aufgeführten
Phosphaterzeugnisse (chemische oder andere).
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Bei der Ware, die von der Klägerin zur
Tarifierung gestellt wurde, handelt es sich weder um Apatit noch um
ein anderes natürliches Calciumphosphat, das (lediglich)
thermisch behandelt wurde. Laut Warenbeschreibung wird sie
„aus Naturphosphat mit Apatitstruktur ... unter Zusatz
geringer Mengen Phosphorsäure und Soda hergestellt“.
In der Revisionsbegründung erläutert die Klägerin,
das Natriumphosphat werde in die Kristallstruktur des Apatit
eingelagert, bei einer Glühtemperatur verbänden sich die
Komponenten durch eine Festkörperreaktion. Und nach den
Feststellungen des FG, die - weil mit der Revision nicht
angegriffen - für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend
sind, handelt es sich bei den in der Strukturformel des
Hauptbestandteils der Ware CA5Na2(PO4)4 genannten Stoffen
Phosphorpentoxid und Natriumoxid um Anteile am Endprodukt und nicht
lediglich um bei der Herstellung eingesetzte Substanzen. Ob die
Herstellung des Endprodukts auf eine chemische Reaktion oder eine
thermische Behandlung zurückzuführen ist, ist
demgegenüber nicht entscheidend. Denn der von der
Klägerin eingehend beschriebene Prozess des (thermischen)
Aufschlusses der Apatitstruktur ist untrennbar verbunden mit der
Einlagerung von Natriumphosphat in diese Struktur und damit dem
Entstehen der gewünschten, zur Verwendung als Futtermittel
geeigneten nichtstöchiometrischen Verbindung. Das heißt,
eine thermische Behandlung des Naturphosphats allein hat nicht zur
Herstellung des zu tarifierenden Produkts geführt, sondern
erst die Zuführung von Phosphorpentoxid und Natriumoxid hat
die Veränderung der Kristallstruktur des Naturphosphats und
damit die Entstehung des Endprodukts bewirkt. Daran scheitert die
Einreihung der Ware in die Pos. 3103 KN. Denn es handelt sich um
ein anderes als von der Beschreibung in Anm. 3 Buchst. a Nr. 2 zu
Kap. 31 KN und in ErlHS zu Pos. 3103 Rz 05.0 erfasstes
Phosphaterzeugnis und wird damit nach der ErlHS zu Pos. 3103 Rz
08.0 von der Pos. 3103 KN nicht erfasst. Die Auffassung der
Klägerin, die in der Anm. 3 Buchst. a Nr. 2 zu Kap. 31 KN
beschriebene „weitergehende thermische
Behandlung“, welche zur Einreihung der natürlichen
Phosphate in die Pos. 3103 KN führt, erfasse auch den
Aufschluss der Apatitstruktur unter Einlagerung des
Natriumphosphats, findet weder in der genannten Anmerkung noch in
den ErlHS zu Pos. 3103 KN eine Stütze.
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3. Da die Rechtmäßigkeit des
Widerrufs der vZTA nicht davon abhängt, in welche Position der
KN die Ware zutreffend einzureihen ist, lässt der Senat offen,
ob das zu tarifierende entfluorierte Calciumphosphat von der VO Nr.
2354/2000 erfasst wird und damit in die dort genannte Unterpos.
2309 90 97 KN, bzw. in die im Jahr 2007 geltende Unterpos. 2309 90
99 KN einzureihen ist.
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Damit erübrigt sich auch eine Vorlage an
den EuGH zur Prüfung der Vereinbarkeit der VO Nr. 2354/2000
mit den einschlägigen Positionen der KN.
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4. Die von der Klägerin vorgelegte
Entscheidung der niederländischen Tarifkommission in der
Rechtssache Nr. 0266/95 TC vom 24.8.1999 ist für den
Streitfall unergiebig. Denn sie enthält keine Aussage
darüber, ob die zu beurteilende Ware entsprechend der Vorgaben
der Pos. 3103 KN und der Anm. 3 zu Kap. 31 KN in die Unterpos. 3103
90 00 KN einzureihen ist. Wie sich aus Tz 6.1.2. der Entscheidung
ergibt, erfolgte die Einreihung in diese Unterposition in jenem
Streitfall, weil sich die dortige Klägerin auf eine
dänische vZTA berufen konnte, in der die nämliche Ware in
diese Tarifposition eingereiht worden war.
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