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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich dagegen, dass
gegen sie vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA
- ) eine Verwaltungssanktion in Zusammenhang mit zwischen 1997 und
1998 durchgeführten Ausfuhren in sog. Isolierschlachtbetrieben
erschlachteten Rindfleisches verhängt worden ist.
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Da solches Fleisch nicht „von
gesunder und handelsüblicher Qualität“ und daher
nicht erstattungsfähig sei, wie inzwischen der Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 26.5.2005 C-409/03 -
SEPA - (Slg. 2005, I-4321 = SIS 05 30 10) entschieden hat, hatte
das HZA die der Klägerin gewährten Vorschüsse auf
die Ausfuhrerstattung zurückgefordert. Die
Rückforderungsbescheide sind aufgrund der Beschlüsse des
erkennenden Senats VII B 211-217/08 bestandskräftig.
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Mit dem verfahrensgegenständlichen
Bescheid vom 23.11.1999 hat das HZA darüber hinaus gegen die
Klägerin eine Sanktion von rd. 800.000 DM mit der
Begründung verhängt, die Klägerin habe eine
höhere als die ihr zustehende Erstattung beantragt und dadurch
den Tatbestand des Art. 11 Abs. 1 der hier noch anzuwendenden
Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) über gemeinsame
Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei
landwirtschaftlichen Erzeugnissen verwirklicht. Die Klägerin
hatte die betreffenden Sendungen beim Zollamt X zur Ausfuhr
angemeldet und den Anmeldungen Genusstauglichkeitsbescheinigungen
der Veterinärbehörde beigefügt, aus denen sich
ergab, dass das Fleisch in Isolierschlachtbetrieben erschlachtet
worden ist. Das Zollamt hat die Ausfuhranmeldungen angenommen und
entsprechend der Dienstanweisung an das beklagte HZA als zentrale
nationale Zahlstelle weitergeleitet. Die
Genusstauglichkeitsbescheinigungen hat es nicht mit
übersandt.
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Das nach erfolglosem Einspruchsverfahren
von der Klägerin angerufene Finanzgericht (FG) hat den
Sanktionsbescheid für rechtmäßig gehalten und
deshalb die Klage abgewiesen. Gegen dessen Urteil richtet sich die
Revision der Klägerin.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 7.9.2011
das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine
Sanktion gegen einen Ausführer zu verhängen ist, der
unter zutreffender Darstellung des für die Gewährung von
Ausfuhrerstattung maßgeblichen Sachverhalts einen
Erstattungsantrag stellt, obwohl für die betreffende Ausfuhr
ein Erstattungsanspruch tatsächlich nicht besteht.
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Auf dieses Vorabentscheidungsersuchen hat
der EuGH mit Urteil vom 6.12.2012 C-562/11 (ZfZ 2013, 52)
entschieden, Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 in der hier
anzuwendenden Fassung sei dahin auszulegen, dass vorbehaltlich
dessen Unterabs. 3 die Erstattung dann zu vermindern sei
(Sanktion), wenn sich erweise, dass die Ware, für deren
Ausfuhr eine Erstattung beantragt worden ist, nicht von gesunder
und handelsüblicher Qualität war. Dies gelte auch dann,
wenn der Ausführer in gutem Glauben gewesen sei und Art und
Herkunft der Ware zutreffend beschrieben habe. Der EuGH hat dazu
ausgeführt, die Sanktionsregelung sei auch in den Fällen
anwendbar, in denen der Ausführer unter Berufung auf Art und
Herkunft der Waren davon ausgegangen sei und versichert habe, dass
diese von gesunder und handelsüblicher Qualität seien,
und in denen sich später erweise, dass diese Information
falsch gewesen sei. Ein Erstattungsantrag bedeute stets, dass der
Ausführer stillschweigend versichere, die Ware sei von
gesunder und handelsüblicher Qualität; stelle sich
später heraus, dass diese Erklärung falsch gewesen sei,
werde gegen ihn die Sanktion verhängt. Deshalb sei unter
Umständen wie denen des vorliegenden Verfahrens die Sanktion
zu verhängen, es sei denn, es liege einer der in Unterabs. 3
aufgeführten Befreiungsgründe vor.
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Dazu hat der EuGH weiter ausgeführt,
der von der Klägerin zu ihren Gunsten angeführte Umstand,
die (spätere) Auffassung der deutschen Behörden und das
Urteil des EuGH in Slg. 2005, I-4321, dass Fleisch aus
Isolierschlachtbetrieben nicht von handelsüblicher
Qualität sei, könne nicht als ungewöhnlich und
unvorhersehbar qualifiziert werden. Solche Ereignisse setze aber
der Begriff der höheren Gewalt im Bereich der
Agrarverordnungen voraus. Die Klägerin habe allerdings vor dem
EuGH vorgetragen, dass sich die zuständigen deutschen
Behörden, bevor der Erlass, demzufolge Fleisch aus
Isolierschlachtbetrieben keine handelsübliche Qualität
habe, ergangen sei, auf die gegenteilige Annahme gestützt
hätten und dass der genannte Erlass nicht veröffentlicht
worden sei. Es sei vom nationalen Gericht zu prüfen, ob diese
Angaben zutreffen und ob nicht andere Gesichtspunkte ihrer
Erheblichkeit entgegenstehen. Vorbehaltlich dieser Prüfung
könne eine Gesamtheit besonderer Umstände wie der
vorgenannten einem Ausnahmefall i.S. von Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3
Buchst. b VO Nr. 3665/87 gleichgestellt werden.
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Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung haben
sich die Beteiligten zu dem Streitverfahren wie folgt
eingelassen:
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Die Klägerin hält eine
Zurückverweisung der Sache an das FG für erforderlich,
weil die bisher getroffenen Feststellungen für die Anwendung
eben genannter Vorschrift nicht ausreichten und das FG über
deren Anwendung auch noch gar nicht entschieden habe; es sei
überdies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen, dass sich dazu weitere entscheidungserhebliche
Sachverhalte ergeben könnten.
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Die vom EuGH in ihrer Gesamtheit als
Ausnahmefall in Betracht gezogenen besonderen Umstände
lägen im Streitfall vor. Sowohl die Ausfuhrzollämter wie
das beklagte HZA seien vor dem Erlass des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF) vom 16.9.1997 davon ausgegangen, dass Fleisch aus
Isolierschlachtbetrieben von handelsüblicher Qualität
ist. Das HZA habe sogar noch später für solches Fleisch
Ausfuhrerstattung gewährt. Der vorgenannte Erlass sei
ausschließlich an die Oberfinanzdirektion gesandt und nicht
im Mitteilungsblatt des BMF veröffentlicht worden. Er sei auch
dem Fleischhandelsverband nicht übermittelt worden. Die
Klägerin habe daher erst im Januar 1998 beiläufig
erfahren, dass die Erstattungsfähigkeit von Rindfleisch aus
Isolierschlachtbetrieben zweifelhaft sei.
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Das HZA hebt hervor, das Ausfuhrzollamt
habe keinen Anlass gehabt, die Ausfuhranmeldungen der Klägerin
nicht anzunehmen, weil auch Fleisch aus Isolierschlachtbetrieben -
wenn auch ohne Gewährung von Ausfuhrerstattung -
ausfuhrfähig sei. Es habe auch im Rahmen der ihm obliegenden
marktordnungsrechtlichen Prüfung nur zu prüfen, was einer
Warenkontrolle zugänglich ist, nicht jedoch rechtliche
Eigenschaften der Ware. Die Handelsüblichkeit von
Isolierfleisch sei jedoch ausschließlich eine solche
rechtliche Eigenschaft. Es habe auch keine Verpflichtung bestanden,
die Genusstauglichkeitsbescheinigungen an die Zahlstelle
weiterzuleiten, zumal diese nicht zu den
erstattungsbegründenden Unterlagen gehörten.
Maßgebend für die Berechnung der Ausfuhrerstattung seien
nur die Angaben in der Ausfuhranmeldung.
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Auch aus den Erstattungszahlungen der
Zahlstelle habe die Klägerin nicht auf die
Erstattungsfähigkeit von Isolierfleisch schließen
können. Eine diesbezügliche konkrete Anfrage habe sie an
das HZA nicht gerichtet. Die gesetzlich vorgeschriebene
Beschränkung des Betriebsweges solchen Fleisches habe ihr
bekannt sein müssen. Der Erlass des BMF vom 16.9.1997 habe ihr
nicht bekannt gegeben werden müssen; es handele sich um eine
rein verwaltungsinterne Anweisung. Deren Inhalt sei auch nicht
überraschend oder unvorhersehbar gewesen.
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II. Die Revision der Klägerin ist mit dem
Ergebnis der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) begründet. Der
Sachverhalt bedarf unter Berücksichtigung der nach der
Entscheidung des EuGH zu erwägenden rechtlichen Gesichtspunkte
erneuter tatrichterlicher Klärung, wobei den Beteiligten auch
Gelegenheit zu geben ist, sich ggf. mit neuem und ergänzendem
tatsächlichen Vorbringen Gehör zu verschaffen.
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Dabei wird das FG bei seiner Entscheidung
gemäß § 126 Abs. 5 FGO von folgenden
Rechtsgrundsätzen auszugehen haben:
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1. Die in diesem Verfahren ergangene
Vorabentscheidung des EuGH ist dahin zu verstehen, dass die Abgabe
einer Ausfuhranmeldung für Erstattungszwecke stets (zumindest
stillschweigend) die Versicherung enthält, dass die Ware
gesunde und handelsübliche Qualität hat, und dass ihr
also eine solche stillschweigende Versicherung selbst dann zu
entnehmen ist, wenn der Ausführer die tatsächlichen
Umstände offenbart, derentwegen die gesunde und
handelsübliche Qualität zweifelhaft sein kann, je
nachdem, wie man diesen Begriff auslegt und auf jenen vom
Ausführer offenbarten Sachverhalt anwendet. Der Ausführer
trägt das Risiko, dass er seine Ware rechtsirrig für
gesund und handelsüblich hält, muss mithin bei Gefahr der
Verhängung einer Sanktion bei zweifelhafter Rechtslage davon
absehen, eine Ausfuhranmeldung abzugeben, und die Frage der
Handelsüblichkeit seiner Ware vorab verbindlich zu klären
suchen, z.B. durch eine finanzgerichtliche Feststellungsklage.
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Ob sich dieses Auslegungsergebnis damit
rechtfertigen lässt, dass die Handelsüblichkeit einer
Ware, wie das HZA offenbar geltend machen will, eine
„rechtliche Eigenschaft“ derselben sei,
über die von dem Ausführer unbeschadet der
Rechtsschutzgarantie eine Versicherung verlangt werden kann, muss
dahinstehen, weil die vorgenannte Entscheidung des EuGH für
dieses Verfahren verbindlich ist, soweit sie die Auslegung des
Unionsrechts betrifft. Die Anwendung des Art. 11 Abs. 1 VO Nr.
3665/87 obliegt zwar unbeschadet der Entscheidung des EuGH dem
erkennenden Senat bzw. dem vor dem FG durchzuführenden zweiten
Rechtsgang. Bei der Auslegung der vorgenannten Vorschrift in dem
eben erläuterten Sinne besteht jedoch im Streitfall kein
Anwendungsspielraum, sodass davon auszugehen sein wird, dass die
Voraussetzungen für die Verhängung einer Sanktion gegen
die Klägerin erfüllt sind.
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2. Von der Verhängung einer Sanktion
wegen höherer Gewalt abzusehen, ist nicht geboten. Dass in
Isolierschlachtbetrieben erschlachtetes Fleisch
erstattungsfähig, also von handelsüblicher Qualität
ist, mag zwar bis zum Ergehen der einschlägigen Entscheidung
des EuGH nicht zweifelsfrei zu verneinen gewesen sein. Wie der
erkennende Senat bereits in seinem Beschluss vom 30.7.2010 VII B
217/08 (BFH/NV 2011, 577 = SIS 11 06 64), auf den sich das HZA mit
Recht bezogen hat, näher ausgeführt hat, musste jedoch
ein umsichtiger Wirtschaftsteilnehmer auch vor Ergehen dieser
Entscheidung in Betracht ziehen, dass die Erstattungsfähigkeit
solchen Fleisches nicht umgekehrt zweifelsfrei feststeht; er konnte
also nicht von vornherein ausschließen, dass die
Rechtsprechung, insbesondere der EuGH, dahin entscheiden
könnte, solches Fleisch sei nicht von handelsüblicher
Qualität. Dann aber war die eben erwähnte Entscheidung
nicht im Sinne der in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten
Begriffsbestimmung der „höheren Gewalt“
unvorhersehbar. Es kann daher unerörtert bleiben, ob
überhaupt das Ergebnis einer Auslegung des Gesetzesrechts
jemals ein Ereignis höherer Gewalt sein kann.
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Die endgültige Entscheidung über den
angefochtenen Bescheid hängt demnach nur noch davon ab, ob von
der Erhebung einer Sanktion wegen eines
„Ausnahmefalls“ abzusehen ist (vgl. dazu heute
Art. 49 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung EG Nr. 612/2009). Dies
erfordert und ermöglicht - unbeschadet des engen Wortlauts der
betreffenden Vorschrift -, wie aus der Vorabentscheidung des EuGH
in dieser Sache entnommen werden muss, eine umfassende und die
einzelnen Umstände in ihrem Gewicht abwägende Betrachtung
und Bewertung der Situation, in der sich die Klägerin bei der
Abgabe der in diesem Verfahren streitigen Ausfuhranmeldungen
befunden hat. Dabei kommt es - anders als das HZA
möglicherweise meint - nicht entscheidend darauf an, ob der
Klägerin von der Ausfuhrzollstelle oder dem HZA eine -
ausdrückliche oder aus den Umständen zu entnehmende -
Zusicherung gegeben worden ist, dass in Isolierschlachtbetrieben
erschlachtetes Fleisch als erstattungsfähig behandelt werden
wird. Die Vorabentscheidung des EuGH ist vielmehr dahin zu
verstehen und anzuwenden, dass ein Ausnahmefall i.S. des Art. 11
Abs. 1 Unterabs. 3 Buchst. b VO Nr. 3665/87 auch schon dann
anzunehmen sein kann, wenn die Klägerin jedenfalls nach der
bisherigen Entscheidungspraxis des HZA und dem Verhalten der
Ausfuhrzollstelle ohne den Vorwurf der Fahrlässigkeit annehmen
konnte, die betreffenden Behörden gingen von der
Erstattungsfähigkeit solchen Fleisches aus. Es steht im
Übrigen der Klägerin, die sich offenbar auf einen
Ausnahmefall berufen will, frei, dazu weiter vorzutragen und andere
Umstände geltend zu machen, aus denen sich ein Ausnahmefall
ergibt. Solches Vorbringen zu überprüfen und zu bewerten,
muss dem FG als Tatsachengericht überlassen bleiben. Es wird
darüber hinaus im Einzelnen dem Vorbringen des HZA nachgehen
müssen, das zusammengefasst offenbar geltend machen will, der
Klägerin sei von vornherein bewusst gewesen oder habe
zumindest bewusst sein müssen, dass die zuständigen
staatlichen Stellen in Isolierschlachtbetrieben erschlachtetes
Fleisch nicht für erstattungsfähig halten oder zumindest
ernstliche Zweifel daran haben. In diesem Zusammenhang könnte
darüber hinaus auch eine von der Klägerin ihrem eigenen
Verhalten zugrunde gelegte Verwaltungspraxis anderer
Mitgliedstaaten - wenn auch nicht allein entscheidende - Bedeutung
haben, sofern diese erwarten ließ, dass sich der EuGH einen
etwa von der deutschen Verwaltung eingenommenen Rechtsstandpunkt,
solches Fleisch sei nicht erstattungsfähig, nicht zu eigen
machen würde.
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