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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine kurz nach dem ersten Weltkrieg zur
Erhebung von Zuschlägen auf den Kohlepreis zwecks Errichtung
und Verwaltung von Wohnungen für Bergleute gegründete
Gesellschaft. Sie erwarb aus den Zuschlägen Grundstücke
im eigenen Namen, errichtete Wohnungen für Bergleute und
beteiligte sich an Wohnungsbaugenossenschaften. Nach § 2 Abs.
2 Satz 2 des Bergmannssiedlungsgesetzes (BergSiedlG) vom 10.3.1930
war das Vermögen, das durch Zuschläge auf die Kohlepreise
geschaffen worden war (das sog. Bergmannssiedlungsvermögen),
Eigentum des Reichs und sollte von Treuhandstellen, zu denen auch
die Klägerin gehörte, verwaltet werden. § 2 Abs. 2
Satz 2 BergSiedlG ermächtigte die Treuhandstellen, die Rechte
am Bergmannssiedlungsvermögen in eigenem Namen geltend zu
machen. Nach Art. II Nr. 1 BergSiedlG vom 2.5.1934 gingen die
Anteile der Gesellschafter an den Treuhandstellen
entschädigungslos auf das Reich über.
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Nach 1945 wurde der Gesellschaftsvertrag
der Klägerin mehrfach geändert. Die auf die
Bundesrepublik Deutschland (Bund) als Nachfolgerin des Deutschen
Reichs übergegangenen Gesellschaftsanteile wurden zwischen
1964 und 1973 sukzessive auf die früheren Gesellschafter der
Klägerin bzw. deren Rechtsnachfolger
zurückübertragen. Nach § 4 Abs. 7 Satz 1 des ab 1973
geltenden Gesellschaftsvertrags verwaltete die Klägerin das
Bergmannssiedlungsvermögen als Treuhänderin des Bundes.
Das Bergmannssiedlungsvermögen war nach § 4 Abs. 7 Satz 2
des Gesellschaftsvertrags wie eine stimmrechtslose Stammeinlage des
Bundes zu behandeln. Dem Bund waren im Gesellschaftsvertrag
Aufsichts- und Kontrollrechte eingeräumt. Im Falle der
Auflösung der Gesellschaft sollten die Gesellschafter und der
Bund nach Befriedigung sämtlicher Gläubiger und Deckung
der Kosten ihre Einlagen und das Bergmannssiedlungsvermögen
zurückerhalten.
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Die Klägerin erwarb und
veräußerte seit ihrem Bestehen Grundstücke des
Bergmannssiedlungsvermögens. Weder das Deutsche Reich noch der
Bund erteilten ihr dabei Weisungen. Die Klägerin war und ist
als Eigentümerin der jeweiligen Grundstücke in den
Grundbüchern eingetragen. Ein Hinweis auf eine Treuhandschaft
erfolgte weder in den Verträgen noch in den Grundbüchern.
Weder das Deutsche Reich noch der Bund wurden als Treugeber zur
Grunderwerbsteuer herangezogen.
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Zwischen der Klägerin und dem Bund
bestand seit Jahrzehnten Uneinigkeit darüber, ob und in
welchem Umfang das Bergmannssiedlungsvermögen Eigentum des
Bundes sei. Während der Bund die Auffassung vertrat, dass die
Klägerin das Bergmannssiedlungsvermögen lediglich
treuhänderisch für ihn verwalte, war die Klägerin
der Ansicht, dass das Bergmannssiedlungsvermögen Vermögen
der Gesellschaft sei. Mit Vertrag vom 14.6.2007 vereinbarten die
Klägerin und der Bund, dass dieser gegen eine Abfindung auf
etwaige gegenwärtige oder zukünftige Ansprüche auf
das Bergmannssiedlungsvermögen verzichtet.
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Mit einem auf § 17 des
Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) beruhenden Feststellungsbescheid
vom 8.7.2008 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) fest, dass Grunderwerbsteuer auf die gezahlte
Abfindung zu erheben sei. Durch den Verzicht auf seinen
Herausgabeanspruch habe der Bund der Klägerin die
Verwertungsbefugnis an dem Bergmannssiedlungsvermögen
verschafft. Hierdurch werde der Tatbestand des § 1 Abs. 2
GrEStG erfüllt.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Seiner
Ansicht nach bestand vor dem Vergleich kein rechtsgeschäftlich
vereinbartes Treuhandverhältnis im Hinblick auf die im
Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke. Ein solches
Treuhandverhältnis lasse sich auch nicht aus den gesetzlichen
Regelungen über das Bergmannssiedlungsvermögen oder aus
den Gesellschaftsverträgen der Klägerin
herleiten.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung des § 1 Abs. 2 GrEStG. Aus dem BergSiedlG ergebe
sich eine Treuhandschaft zwischen der Klägerin und dem
Deutschen Reich, später zwischen ihr und dem Bund. Die
Klägerin sei als Treuhänderin jederzeit zur Herausgabe
der Grundstücke verpflichtet gewesen. Eigenes wirtschaftliches
Eigentum an dem Grundvermögen habe die Klägerin erst
durch den Vergleich aus dem Jahre 2007 erlangt.
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Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zutreffend ist das FG davon
ausgegangen, dass die Vereinbarung zwischen der Klägerin und
dem Bund die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 GrEStG nicht
erfüllt.
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Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen der
Grunderwerbsteuer auch solche Rechtsvorgänge, die vom Wechsel
im Eigentum abgesehen den in § 1 Abs. 1 GrEStG beschriebenen
Erwerbsvorgängen so nahe kommen, dass sie es dem Erwerber
ermöglichen, sich den Wert des Grundstücks für
eigene Rechnung nutzbar zu machen (Urteile des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 3.5.1973 II R 37/68, BFHE 109, 476, BStBl II 1973, 709 =
SIS 73 03 83; vom 27.7.1994 II R 67/91, BFH/NV 1995, 269, und vom
1.3.2000 II R 53/98, BFHE 191, 416, BStBl II 2000, 357 = SIS 00 07 67).
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a) Der Rechtsvorgang, auf dem diese sog.
Verwertungsbefugnis beruht, kann sowohl privatrechtlicher als auch
öffentlich-rechtlicher Natur sein (vgl. Fischer in Boruttau,
Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 1 Rz 645). Verzichtet
ein Treugeber auf seinen Herausgabeanspruch gegenüber dem
Treuhänder, kann darin die Verschaffung der
Verwertungsbefugnis zu sehen sein, wenn zuvor ein
Treuhandverhältnis bestand, aufgrund dessen der Treugeber sich
den Wert eines Grundstücks jederzeit nutzbar machen
konnte.
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b) Einwirkungsmöglichkeiten eines
Gesellschafters auf Gesellschaftsebene reichen für eine
Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG nicht aus. Das
folgt aus der Systematik des Grunderwerbsteuerrechts, das
Gesamthandsgemeinschaften und Kapitalgesellschaften als eigene
Rechtssubjekte behandelt und Gesellschaftern die im Eigentum der
Gesellschaft stehenden Grundstücke grunderwerbsteuerrechtlich
nur ausnahmsweise zuordnet, wenn mindestens 95 % der Anteile an der
Gesellschaft in einer Hand vereinigt sind (§ 1 Abs. 3 GrEStG;
vgl. Pahlke/ Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl.,
§ 1 Rz 247). Selbst die Stellung als Alleingesellschafter
einer GmbH begründet keine Verwertungsbefugnis i.S. des §
1 Abs. 2 GrEStG. Dieser kann zwar darauf hinwirken, dass
Grundstücke veräußert werden, und über den
Gewinn der Gesellschaft einen etwaigen Mehrerlös aus der
Veräußerung an sich ziehen. Er ist dafür jedoch auf
seine Mitwirkungsrechte in den Organen der GmbH, deren Handeln der
GmbH zuzurechnen ist, angewiesen (BFH-Urteil in BFHE 191, 416,
BStBl II 2000, 357 = SIS 00 07 67; Fischer, a.a.O., § 1 Rz
760; Pahlke/Franz, a.a.O., § 1 Rz 247).
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c) Ausgehend von diesen Überlegungen hat
das FG zutreffend angenommen, dass der Vergleich zwischen der
Klägerin und dem Bund, durch die der Bund auf etwaige
Herausgabe- und Ausgleichsansprüche gegen Zahlung des
vereinbarten Betrags verzichtet hat, keine Verwertungsbefugnis der
Klägerin i.S. von § 1 Abs. 2 GrEStG begründet. Weder
das BergSiedlG noch die Regelungen des Gesellschaftsvertrags haben
ein Treuhandverhältnis begründet, das dem Bund als
Treugeber ermöglicht hätte, die im Eigentum der
Klägerin stehenden Grundstücke für eigene Rechnung
zu verwerten.
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aa) Aus den Regelungen des BergSiedlG
lässt sich ein solches Treuhandverhältnis nicht
herleiten. Danach ergab sich zwar, dass die Klägerin das
Bergmannssiedlungsvermögen für das Reich
treuhänderisch verwalten sollte. Es fehlt jedoch an konkreten
Aussagen dazu, wie diese treuhänderische Verwaltung rechtlich
ausgestaltet sein sollte und welche Rechte und welche Pflichten
Treuhänder und Treugeber zustanden. Aus der Feststellung der
treuhänderischen Verwaltung folgt nicht automatisch ein
jederzeitiger Herausgabeanspruch des Bundes in Bezug auf die
einzelnen im Eigentum der Klägerin befindlichen
Grundstücke. Nur mittels Geltendmachung solcher
Herausgabeansprüche hätte sich der Bund jedoch einen
etwaigen Wertzuwachs der Grundstücke jederzeit nutzbar machen
können. Dabei kann es letztlich dahinstehen, wem -
wirtschaftlich gesehen - das Eigentum an dem gesamten
Bergmannssiedlungsvermögen zustand. Im Rahmen der
Grunderwerbsteuer ist allein maßgeblich, dass sich die
Verwertungsbefugnis auf einzelne Grundstücke bezieht. Dies
lässt sich der gesetzlichen Regelung nicht entnehmen und folgt
auch nicht aus der tatsächlichen Durchführung derselben
durch den Bund und die Klägerin. Nach den Feststellungen des
FG hat die Klägerin während der über Jahrzehnte
gültigen gesetzlichen Regelung ohne Rücksprache mit dem
Reich oder dem Bund Grundstücke erworben und verkauft. Das
Reich und der Bund haben keine Herausgabeansprüche geltend
gemacht oder die Verwertung einzelner Grundstücke zu ihren
Gunsten verlangt. Selbst die gesellschaftsvertraglichen
Kontrollrechte wurden nicht wahrgenommen.
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bb) Ein Herausgabeanspruch an den einzelnen,
zum Bergmannssiedlungsvermögen gehörenden
Grundstücken folgt auch nicht aus dem Gesellschaftsvertrag der
Klägerin in der im Streitfall geltenden Fassung. Danach wird
dem Bund ausdrücklich die Rolle eines stillen Gesellschafters,
der das Bergmannssiedlungsvermögen als stille Einlage
geleistet hat, zugebilligt. Diese gesellschaftsrechtliche Stellung
begründet lediglich einen Anspruch auf einen Anteil am
Liquidationserlös bei Auflösung der Gesellschaft, nicht
jedoch einen Anspruch auf Übereignung einzelner
Grundstücke aus dem Bergmannssiedlungsvermögen oder gar
die Auskehrung des gesamten Bergmannssiedlungsvermögens. Dem
Bund standen nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags
lediglich Aufsichtsrechte über seinen Vertreter im
Verwaltungsrat zu. Damit konnte der Bund keinen unmittelbaren
Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen und diese z.B.
anweisen, bestimmte Grundstücke auf seine Rechnung
außerhalb der üblichen Geschäftstätigkeit der
Gesellschaft zu verwerten.
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cc) Aus dem Wortlaut des zwischen der
Klägerin und dem Bund geschlossenen Vergleichs lässt sich
nichts anderes herleiten. Danach gingen die Beteiligten selbst
nicht davon aus, dass dem Bund als Treuhänder die
Verwertungsbefugnis an den einzelnen Grundstücken zustand. Die
Abfindung wurde vielmehr für alle denkbaren Ansprüche im
Zusammenhang mit der Treuhandschaft und dem
Gesellschaftsverhältnis gezahlt. Sie bemaß sich nicht
nach dem Wert einzelner Grundstücke, sondern nach dem
Gesellschaftsvermögen, dessen Höhe zuvor im Rahmen einer
Unternehmensbewertung ermittelt worden war.
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