1
|
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) führt Lesegeräte für elektronische
Bücher (E-Book-Reader) ein. Die Geräte verfügen
neben der für das Lesen elektronischer Bücher
erforderlichen Hard- und Software, einer Sprachausgabeoption und
einem Programm zur Wiedergabe von Audioformaten über eine
Wörterbuchfunktion. Vorinstalliert sind die
Wörterbücher „New Oxford American Dictionary“
und „Oxford dictonary of English“. Zudem können
weitere Wörterbücher heruntergeladen und installiert
werden.
|
|
|
2
|
Für eine dem Streitfall
vorausgegangene Einfuhr waren die Geräte zunächst unter
Zugrundelegung der Unterposition 8543 7090 der Verordnung (EWG) Nr.
2658/87 des Rates vom 23.7.1987 über die zolltarifliche und
statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der
Fassung der Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom
5.10.2010 - KN - (Amtsblatt der Europäischen Union - ABlEU -
Nr. L 284/1) „Elektrische Maschinen, Apparate und
Geräte, mit eigener Funktion, in diesem Kapitel anderweit
weder genannt noch inbegriffen; andere“ (Zollsatz 3,7 %), auf
Einspruch dann in die Unterposition 8543 7010 KN „Geräte
mit Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen“
(Zollsatz frei) eingereiht worden.
|
|
|
3
|
Daraufhin beantragte die Klägerin die
Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) und schlug
die Einreihung in die Unterposition 8543 7010 KN vor.
|
|
|
4
|
Mit der streitgegenständlichen vZTA
reihte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt -
HZA - ) die E-Book-Reader in die Unterposition 8543 7090 KN ein mit
der Begründung, das Lesegerät für elektronische
Bücher bestimme den Charakter des Ganzen.
|
|
|
5
|
Der zulässigen Sprungklage der
Klägerin gab das Finanzgericht (FG) statt und verpflichtete
das HZA, eine vZTA zu erteilen, mit der die streitigen
E-Book-Reader in die Unterposition 8543 7010 KN eingereiht
werden.
|
|
|
6
|
Hiergegen richtet sich die Revision des
HZA.
|
|
|
7
|
II. Der Senat setzt das Verfahren aus (§
121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß
Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union die im Tenor bezeichneten Fragen zur
Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für die
Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschriften des
Unionsrechts Zweifelsfragen aufwirft.
|
|
|
8
|
1. Zur ersten Vorlagefrage:
|
|
|
9
|
Die Vorinstanz hat die Ansicht vertreten, die
Einreihung der Geräte in die Unterposition 8543 7010 KN ergebe
sich in Anwendung der Allgemeinen Vorschriften für die
Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 3a und des Wortlauts
der Unterposition 8543 7010 KN. Das Gerät verfüge
über eine Übersetzungs- und Wörterbuchfunktion,
weshalb die Unterposition 8543 7010 KN die Position mit der im
Verhältnis zur Unterposition 8543 7090 KN genaueren
Warenbezeichnung sei.
|
|
|
10
|
Gestützt werde diese Auffassung auch
durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 763/2011 (VO Nr.
763/2011) der Kommission vom 29.7.2011 (ABlEU Nr. L 200/6). Mit
dieser Verordnung werde ein E-Book-Reader in die Unterposition 8543
7090 KN eingereiht, der, worauf in Spalte 1 des Anhangs
ausdrücklich hingewiesen werde, über keine
Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen verfüge.
|
|
|
11
|
Auch die Rz 14.4 der Erläuterungen zur
Kombinierten Nomenklatur (ErlKN) zu Unterposition 8543 7090 KN
bestätige seine Auffassung. Danach gehörten kleine
elektronische Geräte ohne Grundplatte (einschließlich so
genannter „Mini-Computer“) mit
ausschließlicher Übersetzungsfunktion in die
Unterposition 8543 7090 KN. Das spreche dafür, in die
Unterposition 8543 7010 KN Geräte einzureihen, bei welchen die
Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen zusätzliche
Funktionen seien, mit denen ein auch über andere Funktionen
verfügendes Gerät ausgestattet sei.
|
|
|
12
|
Demgegenüber ist das HZA der Auffassung,
der Wortlaut der Unterposition 8543 7010 KN könne nur
dahingehend ausgelegt werden, dass dort ausschließlich
elektrische Übersetzungsgeräte oder
Wörterbücher erfasst werden. Die Unterpositionen 8543
7030 KN bis 8543 7060 KN stellten entsprechend dem Wortlaut der
Position 8543 KN ausschließlich auf Geräte mit einer
genau benannten eigenen Funktion
(„Antennenverstärker“,
„Sonnenbänke, Sonnenlampen und ähnliche
Bräunungsgeräte“,
„Elektrozaungeräte“) ab. Dieser Systematik
folgend seien bei den „Geräten mit Übersetzungs-
oder Wörterbuchfunktionen“ diese Funktionen als die
einzigen des jeweiligen Gerätes zu verstehen. Nach einer
Auskunft der Europäischen Kommission sei es nicht
gerechtfertigt, der VO Nr. 763/2011 den Umkehrschluss zu entnehmen,
alle E-Book-Reader mit einer Wörterbuch- oder
Übersetzungsfunktion könnten nicht in die Unterposition
8543 7090 KN eingereiht werden (Hinweis auf den Erlass vom
23.1.2012 III B 5 - ZT 0270-XVI/10/10011: 001 DOK 2012/0052322).
Auch die britische und die niederländische Zollverwaltung
hätten E-Book-Reader in vZTA der Unterposition 8543 7090 KN
zugewiesen (GB 122370510 vom 16.11.2012 und NL RTD-2010-000377 vom
16.3.2010 bzw. NL RTD-2010-000764 vom 26.4.2010).
|
|
|
13
|
Der erkennende Senat hat Zweifel, ob bei der
gebotenen Anwendung der AV 1 und 6 eine andere als die Einreihung
der E-Book-Reader in die Unterposition 8543 7010 KN in Betracht
kommt.
|
|
|
14
|
a) Die objektiven Merkmale und Eigenschaften
der im Streitfall zu tarifierenden Waren entsprechen dem Wortlaut
der Unterposition 8543 7010 KN, in welche Geräte mit
Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen einzureihen sind.
Die E-Book-Reader verfügen nach den unbestrittenen
Feststellungen des FG über diese Funktionen.
|
|
|
15
|
b) Nach der AV 6 i.V.m. der AV 1 hat der
Wortlaut der Unterposition Vorrang vor jeder anderen Erwägung
(vgl. Erläuterungen zum Harmonisierten System zu AV 1 Rz
07.0). Der Wortlaut der Unterposition 8543 7010 KN erscheint nicht
auslegungsbedürftig. Damit dürfte die Einreihung der
streitgegenständlichen Waren festgelegt sein.
|
|
|
16
|
Dass die Geräte neben der
Wörterbuchfunktion eine weitere (Haupt-)Funktion haben, spielt
dabei keine Rolle. Zwar geht nach der AV 3a, die gemäß
AV 6 sinngemäß auch auf die Ermittlung der Unterposition
anzuwenden ist, die Position mit der genaueren Warenbezeichnung den
Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Allerdings scheint
es dem Senat offensichtlich, dass die Unterposition 8543 7010 KN
die genauere Warenbezeichnung gegenüber der Unterposition 8543
7090 KN „andere“ enthält. Darüber
hinaus fehlt es schon an der im Eingangssatz der AV 3 genannten
Voraussetzung für deren Anwendung: Für die Einreihung der
E-Book-Reader kommen nicht zwei (oder mehr) Unterpositionen in
Betracht. Die Unterposition 8543 7090 KN, in der
„andere“ Geräte genannt sind, ist - anders
als das FG meint - keine weitere Einreihungsmöglichkeit im
Sinne der AV 3. Als Auffangposition kommt sie nur zur Anwendung,
wenn die Einreihung in eine der vorstehenden Unterpositionen nicht
möglich ist. So verhält es sich bei den Geräten des
Streitfalls aber gerade nicht.
|
|
|
17
|
c) Die Gründe, die das HZA für die
von ihm vorgenommene Auslegung anführt, überzeugen nicht.
Eine Systematik der Position 8543 KN im Zusammenhang mit den
Unterpositionen 8543 7030 KN bis 8543 7060 KN, aus welcher sich
zwingend ergeben soll, dass in die Unterposition 8543 7010 KN nur
Geräte fallen, die ausschließlich Übersetzungs-
oder Wörterbuchfunktionen haben, kann der Senat nicht
erkennen. Allein die Benennung ganz bestimmter Apparate und
Geräte in den weiteren Unterpositionen unter 8543 70 KN
begründet noch keine Systematik dergestalt, dass nur die
Hauptfunktion einer Ware die Einreihung in diese Unterposition
entscheidet.
|
|
|
18
|
d) Auch die Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI KN
klärt die Zweifelsfrage nicht. Die Klägerin hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass die dort angeordnete Einreihung
mehrfunktionaler Maschinen nach der das Ganze kennzeichnenden
Hauptfunktion nur greift, „soweit nichts anderes bestimmt
ist“. Die Unterposition 8543 7010 KN ist eine solche
andere Bestimmung.
|
|
|
19
|
e) Die Einreihungsverordnung Nr. 763/2011 kann
zu keinem anderen Ergebnis führen. Sie betrifft nach ihrem
Wortlaut ausdrücklich E-Book-Reader ohne Übersetzungs-
oder Wörterbuchfunktionen. Nur diese reiht sie in die
Unterposition 8543 7090 KN ein. Daran kann auch eine abweichende
Interpretation der Europäischen Kommission nichts
ändern.
|
|
|
20
|
f) Aus der ErlKN zu Unterposition 8543 7090 Rz
14.4 lässt sich für die hier zu beantwortende Frage
nichts herleiten. Denn abgesehen davon, dass die von der
Europäischen Kommission für die KN ausgearbeiteten
Erläuterungen kein verbindliches Erkenntnismittel für die
Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind, bleibt unerfindlich,
weshalb sich die Kommission zur Einreihung dieser - dem Wortlaut
der Unterposition 8543 7010 KN offensichtlich unterfallenden -
Minicomputer mit (hauptsächlicher, wenn nicht
ausschließlicher) Übersetzungsfunktion in die
Unterposition 8543 7090 KN veranlasst sah.
|
|
|
21
|
Gleichwohl sieht der erkennende Senat - nicht
zuletzt aufgrund der vorgenannten, möglicherweise nicht
hinlänglich begründeten Einreihungsverordnung, der dazu
von der Kommission erlassenen Verfügung und der dieser und der
ErlKN zu Unterposition 8543 7090 Rz 14.4 offensichtlich zugrunde
liegenden Auslegung der Unterposition 8543 7010 KN - ausreichende
Gründe, den EuGH um Vorabentscheidung über die oben
formulierte Frage zu ersuchen.
|
|
|
22
|
2. Zur zweiten Vorlagefrage:
|
|
|
23
|
Für den Fall, dass in die Unterposition
8543 7010 KN nicht nur Geräte einzureihen sind, deren einzige
Funktionen Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen sind,
ist klärungsbedürftig, ob auch Geräte, bei welchen
die Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktion gegenüber
deren Hauptfunktion (hier Lesefunktion) unbedeutend ist, gleichwohl
in diese Unterposition fallen.
|
|
|
24
|
Zwar kann nach dem Urteil des EuGH vom
4.3.2004 C-130/02 - Krings GmbH -, Slg. 2004, I-2121 = SIS 04 17 35) eine Einreihungsverordnung bei lediglich geringfügigen
Abweichungen der zu tarifierenden von der durch die Verordnung
eingereihten Ware entsprechend anzuwenden sein. Voraussetzung
für die entsprechende Anwendung der VO Nr. 763/2011 auf die
hier zu tarifierenden E-Book-Reader wäre danach, dass die
Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktion der streitigen
Geräte eine nur geringfügige Abweichung gegenüber
dem mit der VO Nr. 763/2011 eingereihten Gerät ist, welches
nach der Warenbeschreibung gerade über keine dieser Funktionen
verfügte. Der Senat hat daran aber - unbeschadet der
tatsächlichen Bedeutung dieser Funktionen für den
Charakter eines E-Book-Readers - aus tarifrechtlicher Sicht
Zweifel. Denn eine durch Aufnahme in eine eigene Unterposition
für die Einreihung als maßgeblich hervorgehobene
Funktion kann nicht gleichzeitig wegen Geringfügigkeit im
Verhältnis zu anderen Funktionen tarifrechtlich unerheblich
sein. Dementsprechend erscheint das Argument der Klägerin, die
VO Nr. 763/2011 hätte für E-Book-Reader mit
Übersetzungs- oder Wörterbuchfunktionen wegen
Verstoßes gegen die Unterposition 8543 7010 KN auch gar nicht
ergehen dürfen, durchaus nachvollziehbar.
|