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I. Streitig ist die
Rechtmäßigkeit einer Lohnsteueranrufungsauskunft nach
§ 42e des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine GmbH. Unternehmensgegenstand der
Klägerin ist insbesondere die Vermittlung von Finanzierungen,
Versicherungen, Immobilien, Kapitalanlagen und Arbeit. Sie
beabsichtigt, ihren Mitarbeitern einschließlich der
organschaftlichen Vertreter die Einrichtung eines flexiblen
Arbeitszeitmodells anzubieten.
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Mit Schreiben vom 11.9.2008 bzw. vom
30.9.2009 beantragte die Klägerin die Erteilung einer
Lohnsteueranrufungsauskunft gemäß § 42e
EStG.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erteilte unter Hinweis auf das Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17.6.2009 IV C 5-S
2332/07/0004, 2009/0406609 (BStBl I 2009, 1286 = SIS 09 19 83) u.a.
die Auskunft, ein Zeitwertkonto könne für alle
Arbeitnehmer eingerichtet werden. Besonderheiten seien insbesondere
bei Arbeitnehmern, die zugleich als Organ einer Körperschaft
bestellt seien, zu beachten. Hier führe die Gutschrift auf dem
Zeitwertkonto zum Zufluss von Arbeitslohn. Die Errichtung von
Zeitwertkonten sei bei diesen Arbeitnehmern nicht anzuerkennen,
weil sie mit dem Aufgabengebiet eines Organs einer
Körperschaft nicht vereinbar seien. Entsprechendes gelte
für Arbeitnehmer, die von der Körperschaft
beschäftigt würden, deren beherrschende Gesellschafter
sie seien.
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Hiergegen erhob die Klägerin
Einspruch, den das FA als unbegründet zurückwies. Der
hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in EFG
2013, 1026 = SIS 13 15 44 veröffentlichten Gründen
statt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
Münster vom 13.3.2013 12 K 3812/10 E aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Das FG hat zu Unrecht entschieden, das FA habe der
Klägerin eine Lohnsteueranrufungsauskunft mit dem beantragten
Inhalt zu erteilen.
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1. Nach § 42e EStG hat das
Betriebsstättenfinanzamt auf Anfrage eines Beteiligten
darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall
die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind.
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Der Anfragende, vorliegend der Arbeitgeber,
hat danach einen - auch gerichtlich durchsetzbaren - Anspruch auf
Erteilung der Auskunft über die Anwendung
lohnsteuerrechtlicher Vorschriften. Dieser Anspruch bezieht sich
nicht nur darauf, dass der Arbeitgeber förmlich zu bescheiden
ist. § 42e EStG vermittelt vielmehr einen Anspruch darauf,
dass die Anrufungsauskunft inhaltlich richtig ist. Die Vorschrift
räumt nicht nur das Recht ein, die Auffassung des FA zu
erfahren, sondern auch Sicherheit über die zutreffende
Rechtslage zu erlangen und lohnsteuerliche Rechte und Pflichten in
einem besonderen Verfahren im Voraus (ggf. gerichtlich) verbindlich
feststellen zu lassen. Auf diese Weise wird dem Zweck der
Anrufungsauskunft hinreichend entsprochen, präventiv Konflikte
zwischen dem Betriebsstättenfinanzamt und dem Arbeitgeber zu
vermeiden und auftretende lohnsteuerrechtliche Fragen, die
häufig auch die Kostenkalkulation des Arbeitgebers
berühren, zeitnah einer Klärung zuzuführen. Denn es
wäre mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens
schwerlich vereinbar, dem vom Fiskus in die Pflicht genommenen
Arbeitgeber, der mit dem Inhalt einer Anrufungsauskunft nicht
einverstanden ist, anheim zu stellen, die Lohnsteuer zunächst
(rechtswidrig) einzubehalten und abzuführen, den
einschlägigen Rechtsschutz jedoch erst später durch
Anfechtung entsprechender Lohnsteuer- bzw. Haftungsbescheide zu
suchen (Senatsurteil vom 30.4.2009 VI R 54/07, BFHE 225, 50, BStBl
II 2010, 996 = SIS 09 22 54).
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2. Der Arbeitgeber kann daher eine erteilte
Anrufungsauskunft nach den allgemeinen Regeln anfechten und
Verpflichtungsklage erheben, um eine Auskunft darüber zu
erlangen, ob und inwieweit im Einzelfall Vorschriften über die
Lohnsteuer anzuwenden sind. Das FG entscheidet dann auch über
den Inhalt der Auskunft. Allerdings beschränkt sich die
inhaltliche Überprüfung einer Lohnsteueranrufungsauskunft
durch das FG nur darauf, ob die gegenwärtige rechtliche
Einordnung des - zutreffend erfassten - zur Prüfung gestellten
Sachverhalts in sich schlüssig und nicht evident
rechtsfehlerhaft ist.
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a) Denn die gerichtliche Kontrolldichte eines
angefochtenen Verwaltungsaktes hängt wesentlich von dessen
Regelungsaussage ab (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
29.2.2012 IX R 11/11, BFHE 237, 9, BStBl II 2012, 651 = SIS 12 16 87 zur verbindlichen Auskunft). Diese erschöpft sich bei einer
Lohnsteueranrufungsauskunft darin, wie die Finanzbehörde einen
ihr zur Prüfung gestellten typischerweise hypothetischen
Sachverhalt im Hinblick auf die Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug
gegenwärtig beurteilt. Die Lohnsteuerauskunft entscheidet
weder über den Einkommensteueranspruch noch setzt sie die
Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers fest (Senatsurteile vom
13.11.1959 VI 124/59 U, BFHE 70, 290, BStBl III 1960, 108 = SIS 60 00 67; vom 9.10.1992 VI R 97/90, BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166
= SIS 92 24 28; Senatsbeschluss vom 22.5.2007 VI B 143/06, BFH/NV
2007, 1658 = SIS 07 27 62). Denn das Lohnsteuerabzugsverfahren ist
nur ein Vorauszahlungsverfahren (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 10.4.1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1
= SIS 97 14 55) mit vorläufigem Charakter. Seine
Besonderheiten und Regelungen wirken nicht in das
Veranlagungsverfahren hinein (Trzaskalik, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 38 Rz A 7). Auch wird
der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Lohnsteuer entsprechend der
ihm erteilten Auskunft zu berechnen und abzuführen.
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b) Trifft die Lohnsteueranrufungsauskunft aber
keine Entscheidung über den materiellen
Einkommensteueranspruch, bedarf es keiner umfassenden gerichtlichen
Kontrolle, welche lohn- und einkommensteuerrechtlichen Folgen der
Sachverhalt tatsächlich zeitigen wird, sollte er - wie in der
Anfrage angekündigt - verwirklicht werden. Vielmehr ist
aufgrund des vorläufigen Charakters des
Lohnsteuerabzugsverfahrens nur zu untersuchen, ob das
Betriebsstättenfinanzamt mit der Mitteilung über die
gegenwärtige Einschätzung der Rechtslage den
Anforderungen an ein faires Verwaltungsverfahren genügt hat
(ebenso für die verbindliche Auskunft BFH-Urteil in BFHE 237,
9, BStBl II 2012, 651 = SIS 12 16 87). So hat die
Finanzbehörde den ihr im Rahmen einer
Lohnsteueranrufungsauskunft zur Prüfung gestellten Sachverhalt
zutreffend zu erfassen. Das Gebot der Durchführung eines
fairen Verwaltungsverfahrens fordert auch, dass die Behörde
keine Auskunft erteilt, die offensichtlich nicht mit dem Gesetz
oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung - soweit sie von
der Finanzverwaltung angewandt wird, d.h. kein
Nichtanwendungserlass besteht - in Einklang steht. Anhand dieses
Maßstabs hat das FG die sachliche Richtigkeit einer erteilten
Auskunft zu prüfen. Einer umfassenden inhaltlichen
Überprüfung durch das FG bedarf es nicht.
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Im Übrigen würden dadurch
Streitigkeiten - insbesondere aus dem Haftungsverfahren - in das
Anrufungsverfahren verlagert. Es ist jedoch nicht dessen Aufgabe,
ungeklärte Rechtsfragen (auch für das
Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers) abschließend zu
beantworten oder die Übereinstimmung von
Verwaltungsanweisungen mit dem Gesetz zu überprüfen. Denn
gemessen an der Regelungsaussage dient die
Lohnsteueranrufungsauskunft vornehmlich der Vermeidung des
Haftungsrisikos des Arbeitgebers, soweit er ihren Inhalt den von
ihm einzureichenden Lohnsteueranmeldungen zugrunde legt. Sie
bezweckt hingegen nicht, ihm das Prozessrisiko abzunehmen, falls er
nicht nach dem Inhalt der Auskunft verfahren will. In diesem Fall
muss er vielmehr seine Rechtsauffassung im Wege des
Steueranmeldungs- bzw. Haftungsverfahrens durchsetzen. Dabei
verkennt der Senat nicht, dass der Arbeitgeber als
Entrichtungspflichtiger für Lohnsteuerzwecke vom Fiskus in
Anspruch genommen wird (zu den einschlägigen
Arbeitgeberpflichten vgl. auch Drüen, FR 2004, 1134 ff.) und
damit ein latentes Zahlungs- und Haftungsrisiko trägt und dass
er ferner in Fällen, in denen streitig ist, ob er
überhaupt Arbeitnehmer (oder Selbstständige)
beschäftigt, zunächst durch eine entsprechende
Infrastruktur belastet ist. Diese Lasten verlangen jedoch für
den Arbeitgeber im Bereich des § 42e EStG nicht eine in vollem
Umfang inhaltlich überprüfbare
Lohnsteueranrufungsauskunft, sondern lediglich einen Rechtsschutz,
der nicht schwächer ausfällt als der im Rahmen einer
verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung
(Senatsurteil in BFHE 225, 50, BStBl II 2010, 996 = SIS 09 22 54).
Dem ist vorliegend nicht zuletzt zur Vermeidung von
Wertungswidersprüchen Rechnung zu tragen. Denn das FG
prüft auch den Inhalt einer erteilten verbindlichen Auskunft
nur darauf, ob die gegenwärtige rechtliche Einordnung des -
zutreffend erfassten - zur Prüfung gestellten Sachverhalts in
sich schlüssig und nicht evident rechtsfehlerhaft ist
(BFH-Urteil in BFHE 237, 9, BStBl II 2012, 651 = SIS 12 16 87).
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c) Schließlich trägt dieses
Verständnis der Lohnsteueranrufungsauskunft auch dem Grundsatz
der Gewaltenteilung in besonderer Weise Rechnung. Es entspricht dem
Wesen einer Auskunft, dass sie die Rechtsauffassung der sie
erteilenden Stelle, mithin der Finanzbehörde, beinhaltet.
Würde bereits in diesem Stadium des Steuererhebungsverfahrens
eine vollumfängliche inhaltliche Überprüfung der von
der Behörde geäußerten rechtlichen Beurteilung
erfolgen, so würde die Finanzbehörde im Wege der
Anrufungsauskunft durch das FG verpflichtet, eine behördliche
Auskunft zu erteilen, die nicht ihrer Rechtsauffassung
entspricht.
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3. Nach den angeführten
Rechtsgrundsätzen hatte die Klägerin vorliegend keinen
Anspruch auf die Erteilung einer Auskunft mit dem von ihr begehrten
Inhalt. Im Streitfall hatte die Finanzbehörde auf der
Grundlage des ihr in der Anrufungsauskunft zur Prüfung
vorgelegten Sachverhalts eine Auskunft über den Zufluss
künftig fällig werdenden Arbeitslohns bei Gutschrift auf
dem Zeitwertkonto eines Organs einer Körperschaft (vgl.
BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1286 = SIS 09 19 83) zu erteilen,
die auch bisher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
noch nicht geklärte Rechtsfragen betrifft. Die ihr zur
Prüfung gestellten Fragen beantworteten sich damit weder ohne
weiteres aus dem Gesetz noch aufgrund vorhandener ständiger
Rechtsprechung. Die Behörde hat auf der Grundlage des
vorgetragenen Sachverhalts eine Auffassung über die
lohnsteuerrechtlichen Pflichten der Klägerin vertreten, die
weder ersichtlich dem Gesetz noch der höchstrichterlichen
Rechtsprechung widerspricht. Da die erteilte Auskunft danach den
Anforderungen an eine Lohnsteueranrufungsauskunft nach § 42e
EStG entsprach, konnte eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der
begehrten für die Klägerin günstigen
Lohnsteueranrufungsauskunft keinen Erfolg haben.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
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