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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von
Phosphaten. Sie stellte für drei Produktionsprozesse in einem
Reaktor, einem Drehrohr und einem Schmelzofen einen Antrag auf
Entlastung von der Energiesteuer nach § 51 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. d des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) für die
Monate Oktober bis Dezember 2008. Diesen Produktionsprozessen liegt
jeweils folgendes Verfahren zur Herstellung von Polyphosphaten
zugrunde:
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Eine alkalische Phosphatlösung
(„Ansatzlauge“) erhält direkten Kontakt mit der
Flamme eines Erdgasbrenners und dessen heißen
Verbrennungsgasen. Hierdurch tritt eine chemische Reaktion ein, bei
der die eingesetzte Phosphatlösung in die gewünschten
Produkte (verschiedene Phosphattypen) umgewandelt wird
(Kondensation). Die restliche Natronlauge wird mit Hilfe des in den
Verbrennungsgasen enthaltenen Kohlendioxids aus dem Produkt
entfernt (Neutralisation). Dabei entstehen
Natriumcarbonate.
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Mit Bescheid vom 19.1.2009 lehnte der
Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA - ) den
Antrag der Klägerin ab, weil kein weiterer Verwendungszweck
als ein Verheizen i.S. des § 2 Abs. 6 EnergieStG erkennbar
sei. Das HZA bestätigte diese Auffassung in der
Einspruchsentscheidung vom 31.8.2009. Zur Begründung verwies
es insbesondere auf die Grundsätze des Senatsurteils vom
28.10.2008 VII R 6/08 (BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37).
Danach setze eine gleichzeitige Verwendung zu Heizzwecken und zu
anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff nach § 51 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. d EnergieStG voraus, dass die Erzeugung thermischer
Energie in den Hintergrund trete und das Energieerzeugnis im Rahmen
eines industriellen Prozesses oder Verfahrens zugleich als Roh-,
Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt werde.
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Mit Urteil vom 4.9.2012 6 K 2297/09 Z (ZfZ
2013, Beilage Nr. 1, 12) hob das Finanzgericht (FG) den
Ablehnungsbescheid vom 19.1.2009 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 31.8.2009 auf und verpflichtete das HZA,
die beantragte Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst.
d EnergieStG zu gewähren.
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Zwar erfülle die Klägerin nicht
die vom Bundesfinanzhof (BFH) festgelegten Voraussetzungen für
eine Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
EnergieStG, da die Erzeugung der prozessnotwendigen Energie durch
Verbrennen des Erdgases unstreitig keine sekundäre Verwendung
darstelle und das Erdgas - ebenfalls unstreitig - nicht unmittelbar
als Grund- oder Hilfsstoff in das Endprodukt eingehe. Allerdings
lasse sich weder aus dem EnergieStG noch aus der zugrunde liegenden
Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung
der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von
Energieerzeugnissen und elektrischem Strom - EnergieStRL -
(Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 283/51) eine Rangfolge
bzw. Wertigkeit der Verwendungszwecke ableiten. Vielmehr sei der
Begriff „gleichzeitig“ in § 51 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. d EnergieStG im Sinne von „zugleich“ bzw.
„auch“ ohne Vorgabe einer Rangfolge oder Wertigkeit zu
verstehen. Dies werde durch die Überlegung bestätigt,
dass die Norm bei einer Auslegung im Sinne von
„zeitgleich“ ins Leere liefe. Da das Erdgas durch das
Verbrennen nicht mehr in seiner ursprünglichen Form existiere,
könne es nicht zeitgleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff
eingesetzt werden. Darüber hinaus sei es für eine
Verwendung zu anderen Zwecken nicht erforderlich, dass das Erdgas
in seiner ursprünglichen Form in das Endprodukt eingehe.
Vielmehr sei es ausreichend, dass ein aus dem Energieerzeugnis
stammender Stoff für den weiteren Produktionsprozess
eingesetzt werde. Ein ausschließliches Verheizen im Sinne des
EnergieStG liege im Ergebnis nur dann vor, wenn weder das
Energieerzeugnis selbst noch ein Bestandteil daraus in das
Endprodukt eingehe bzw. zur Herstellung des Endprodukts zwingend
erforderlich sei.
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Mit seiner Revision macht das HZA geltend,
dass die vom BFH entwickelten Voraussetzungen für eine
Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG
zutreffend seien. Ausgehend von einem verwendungsorientierten
Besteuerungsgebot sei davon auszugehen, dass der Richtliniengeber
eine Besteuerung von Energieerzeugnissen immer dann erreichen
wolle, wenn sie ausschließlich oder hauptsächlich zu
Heizzwecken eingesetzt würden. Dies folge auch aus Rz 4 der
Entscheidung der Europäischen Kommission vom 7.2.2007
über die „Staatliche Beihilfe Nr. 820/2006 –
Deutschland“. Dort werde ausgeführt, dass die Verwendung
zu anderen Zwecken als Heiz- oder Kraftstoff einen wesentlichen
Teil der von der Steuer zu befreienden Verwendung ausmachen
müsse, um eine steuerfreie Verwendung für zweierlei
Zwecke annehmen zu können. Im Streitfall mache die Verwendung
des Erdgases zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff aber
weder den überwiegenden noch einen wesentlichen Teil aus.
Stattdessen stehe klar die Erzeugung thermischer Energie im
Vordergrund. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der im Erdgas
enthaltene Kohlenstoff nach den Feststellungen des FG lediglich in
Form des durch die Verbrennung entstehenden Kohlendioxids zur
Neutralisation des Restgehalts an Natronlauge diene. Auch wenn das
FG keine Feststellungen zum Umfang der verbleibenden Natronlauge
getroffen habe, sei dieser Neutralisationsprozess gegenüber
der eigentlichen Phosphatherstellung von nachrangiger
Bedeutung.
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Des Weiteren laufe § 51 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. d EnergieStG auch bei einer Auslegung des Begriffes
„gleichzeitig“ im Sinne von „zeitgleich“
nicht ins Leere. Dieses Kriterium werde beispielsweise bei der
Herstellung von technischen Rußen im
Furnaceruß-Verfahren und bei der Rückgewinnung von
Chlorwasserstoff erfüllt. Im Übrigen stehe die Auffassung
des FG nicht nur im Widerspruch zum Senatsurteil in BFHE 223, 280,
ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37, sondern auch zu mehreren
Folgeentscheidungen (Senatsurteil vom 26.10.2010 VII R 50/09, BFHE
231, 443, ZfZ 2011, 23 = SIS 10 40 58; Urteil des Hessischen FG vom
26.2.2009 7 K 2900/07, nicht veröffentlicht - n.v. - ; Urteil
des FG München vom 28.6.2012 14 K 2235/09, n.v.).
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Die Klägerin schließt sich der
Begründung des FG an und macht geltend, dass das Erdgas
„gleichzeitig“ auch „zu anderen Zwecken“
als Heizstoff verwendet werde. Denn das Erdgas werde in einem
einheitlichen Verwendungsvorgang sowohl als Heizstoff als auch als
Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt. Dabei reiche es aus, dass
die Bestandteile des Erdgases zur Herstellung des Endprodukts
zwingend erforderlich seien. Weder im Gesetz noch in der
Rechtsprechung des BFH gebe es Anhaltspunkte, dass das
Energieerzeugnis als solches direkt in das Endprodukt eingehen
müsse.
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Dass darüber hinaus die Nutzung
thermischer Energie gegenüber dem anderen Zweck in den
Hintergrund treten müsse, könne weder aus dem EnergieStG
noch aus der EnergieStRL hergeleitet werden. Eine entsprechende
Regelung habe es lediglich in § 17 Abs. 11 der
Mineralölsteuer-Durchführungsverordnung (MinöStV)
gegeben. Diese Regelung sei mittlerweile aufgehoben und weder in
das EnergieStG noch in die EnergieStRL übernommen worden.
Außerdem seien keine Maßstäbe für die
Gewichtung der Verwendungszwecke erkennbar. Das angefochtene Urteil
stehe des Weiteren nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung, die
im Anschluss an das Senatsurteil in BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 =
SIS 08 43 37 ergangen sei. Die vom HZA zitierten Urteile
beträfen die bloße Befeuerung einer Anlage und
unterschieden sich dadurch deutlich von der
Vorentscheidung.
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Im Übrigen stelle sich die
Vorentscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§
126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Denn der aus dem
Erdgas stammende Kohlenstoff sei nach den Feststellungen des FG
für die Herstellung des Endprodukts zwingend erforderlich.
Für die Behauptung des HZA, der Neutralisationsvorgang habe
nur nachrangige Bedeutung, fänden sich in den
tatsächlichen Feststellungen des FG keine
Anhaltspunkte.
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Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss
vom 17.12.2013 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-426/12
ausgesetzt. Dieses Verfahren endete mit dem Urteil vom 2.10.2014
(ZfZ 2014, 308).
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Auch wenn der EuGH in diesem Urteil
für die Erzeugung von Zucker aus Zuckerrüben eine
Verwendung der eingesetzten Kohle zu zweierlei Zwecken bejahte,
sieht sich das HZA in seiner Auffassung bestätigt. Der EuGH
habe darauf abgestellt, dass das für die Herstellung von
Zucker benötigte Kalkofengas nur durch die Verbrennung des
eingesetzten Energieerzeugnisses erzeugt werden könne. Im
Streitfall könnte das Erdgas dagegen auch durch Butan oder
Propan ersetzt werden. Außerdem werde das durch die
Verbrennung des Erdgases entstandene Kohlendioxid nur zu einem sehr
geringen Teil für die Neutralisation benötigt,
während das zur Zuckerherstellung benötigte Kalkofengas
zu 40 % aus Kohlendioxid bestehe und 88 % des Kalkofengases zur
Neutralisation verwendet werde. Darüber hinaus betont das HZA,
der EuGH habe den Mitgliedstaaten eine engere Definition von
zweierlei Verwendungszweck erlaubt. Damit seien die vom Senat in
BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37 entwickelten
Grundsätze weiterhin anwendbar.
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Auch die Klägerin sieht ihre
Auffassung durch das EuGH-Urteil bestätigt. Nach den
Feststellungen des FG seien die Verbrennungsgase zur
Durchführung des Produktionsprozesses erforderlich. Dass das
Erdgas auch durch Butan oder Propan hätte ersetzt werden
können, sei schon deshalb unschädlich, weil diese drei
Energieerzeugnisse unter dieselbe Pos. 2711 der Kombinierten
Nomenklatur (KN) fielen. Dagegen bezeichne der Oberbegriff
„Kohle“, auf den sich der EuGH in seinem Urteil
beziehe, Stoffe der Pos. 2701, 2702 oder 2704 der KN.
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II. Die Revision des HZA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das Urteil
entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat zu
Recht entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf eine
Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG
zusteht.
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Die Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr.
1 Buchst. d EnergieStG setzt unter anderem voraus, dass das
Energieerzeugnis „gleichzeitig zu Heizzwecken und zu
anderen Zwecken als Heiz- oder Kraftstoff“ verwendet
worden ist (sog. „dual use“ bzw.
„zweierlei Verwendungszweck“).
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1. Der Begriff des Verheizens wird in der
für das Streitjahr geltenden Fassung des § 2 Abs. 6
EnergieStG (durch das Vierte Gesetz zur Änderung von
Verbrauchsteuergesetzen, BGBl I 2009, 1870 nunmehr § 1a Nr. 12
EnergieStG) näher erläutert. Danach ist Verheizen im
Sinne des EnergieStG das Verbrennen von Energieerzeugnissen zur
Erzeugung von Wärme. Nach der Rechtsprechung des Senats in
BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37 ist damit keine
Änderung gegenüber der Richtlinie 92/81/EWG des Rates vom
19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf
Mineralöle (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -
ABlEG - Nr. L 316/12), geändert durch die Richtlinie 94/74/EG
des Rates vom 22.12.1994 (ABlEG Nr. L 365/46), eingetreten. Eine
Verwendung zum Verheizen liegt deshalb immer dann vor, wenn
Energieerzeugnisse verbrannt werden und die so erzeugte thermische
Energie zum Heizen genutzt wird, und zwar unabhängig vom Zweck
des Heizens, der auch die Umwandlung oder Vernichtung des Stoffes
umfassen kann, auf den die thermische Energie bei einem chemischen
und industriellen Prozess übertragen wird (EuGH-Urteil vom
29.4.2004 C-240/01, Slg. 2004, I-4733, ZfZ 2004, 231 = SIS 04 23 38). Daran hat sich auch durch das EuGH-Urteil in ZfZ 2014, 308
nichts geändert.
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Vor diesem Hintergrund ist das FG zutreffend
davon ausgegangen, dass im Streitfall - zumindest auch - eine
Verwendung des Erdgases zu Heizzwecken vorliegt. Die Klägerin
verbrennt das Erdgas, um thermische Energie zu erzeugen und damit
die prozessbedingt erforderlichen Temperaturen zu erreichen. Dass
letztlich eine Umwandlung der eingesetzten Orthophosphate bezweckt
wird, ist für den Begriff des Verheizens im Sinne der für
das Streitjahr geltenden Fassung des § 2 Abs. 6 EnergieStG
unerheblich.
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2. Im Streitfall ist auch die für die
Steuerentlastung maßgebliche Voraussetzung der gleichzeitigen
Verwendung des Energieerzeugnisses zu anderen Zwecken als als Heiz-
oder Kraftstoff erfüllt.
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Eine nähere Bestimmung der Begriffe
„gleichzeitig“ und „zu anderen
Zwecken“ fehlt sowohl im EnergieStG als auch in der
EnergieStRL. Im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung unter
Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 4 Buchst. b EnergieStR hatte
der Senat hierzu in BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37
entschieden, dass eine Begünstigung nur dann in Betracht
komme, wenn die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund
trete und das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen
Prozesses oder Verfahrens zugleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff
eingesetzt werde (vgl. auch Senatsurteile vom 23.2.2010 VII R
34/09, BFHE 229, 477, ZfZ 2010, 194 = SIS 10 15 05; in BFHE 231,
443, ZfZ 2011, 23 = SIS 10 40 58).
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Dagegen hat der EuGH in ZfZ 2014, 308 für
die Produktion von Zucker geurteilt, ein „zweierlei
Verwendungszweck“ liege vor, wenn in dem
Produktionsprozess zum einen Kohle als Heizstoff und zum anderen
das bei der Verbrennung dieses Energieerzeugnisses entstehende
Kohlendioxid verwendet werde, sofern feststehe, dass der
Produktionsprozess nicht ohne den Einsatz dieses Kohlendioxids zu
Ende geführt werden könne. Nicht ausreichend sei es, wenn
ein Rückstand aus dem Produktionsprozess des Zuckers zur
Herstellung eines landwirtschaftlichen Düngemittels verwertet
werde.
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Der Senat schließt sich der Auffassung
des EuGH an. Entgegen der Auffassung des HZA folgt daraus eine
Modifizierung der in BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37
vorgenommenen Bestimmung des Begriffs „zweierlei
Verwendungszweck“. Zwar hat der EuGH in ZfZ 2014, 308
auch entschieden, dass ein Mitgliedstaat dem Begriff
„zweierlei Verwendungszweck“ in seinem
innerstaatlichen Recht eine engere Bedeutung als in Art. 2 Abs. 4
Buchst. b 2. Anstrich EnergieStRL beimessen darf. Die vom Senat in
BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37 vorgenommene Auslegung
stützte sich aber entscheidend auf eine richtlinienkonforme
Auslegung, für die das Verständnis des EuGH zu Art. 2
Abs. 4 Buchst. b 2. Anstrich EnergieStRL maßgebend ist.
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a) Die Modifizierung betrifft insbesondere die
Formulierung, dass die Erzeugung thermischer Energie in den
Hintergrund treten müsse (zur Kritik vgl. Friedrich in
Friedrich/Meißner, Energiesteuern, § 51 EnergieStG, Rz
25; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski,
EnergieStG/StromStG, § 51 EnergieStG, Rz 17; Bongartz in
Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rz H 168;
Bongartz, „Dual-use“ im Energiesteuerrecht, ZfZ
2009, 57, 62; Falkenberg, Richtlinienkonforme Auslegung des §
51 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG schränkt dessen Anwendungsbereich
stark ein, ZfZ 2012, 117, 119; Stein/Thoms, Energiesteuern in der
Praxis, S. 159). Abgesehen davon, dass diese Aussage in den
bisherigen Entscheidungen des Senats nicht entscheidungserheblich
war und auch nicht in den Leitsätzen wiedergegeben worden ist,
lässt sich ein solches Kriterium weder aus der EnergieStRL
noch aus den nationalen Vorschriften ableiten.
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Der EuGH hat in ZfZ 2014, 308 für die
Auslegung des Begriffs „zweierlei
Verwendungszweck“ in der EnergieStRL allein darauf
abgestellt, dass der Produktionsprozess ohne den Einsatz der
Verbrennungsprodukte des Energieerzeugnisses nicht zu Ende
geführt werden kann. Daraus lässt sich weder eine
Rangfolge der Zwecke noch die (zusätzliche) Voraussetzung
einer wesentlichen Verwendung der Verbrennungsprodukte herleiten.
Zwar hat der EuGH im Sachverhalt ausgeführt, zu welchem
Prozentsatz das bei der Zuckerherstellung erforderliche Kalkofengas
aus Kohlendioxid besteht und in welchem Umfang dieses Kohlendioxid
bei der Carbonatation verwendet wird. In den
Entscheidungsgründen ist der EuGH aber nicht näher auf
diese Angaben eingegangen. Vielmehr kam es dem EuGH (nur) darauf
an, ob die Verbrennungsprodukte für den Abschluss des
Produktionsprozesses erforderlich sind.
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Entgegen der Auffassung des HZA war es
für den EuGH in ZfZ 2014, 308 auch nicht maßgeblich, ob
die für die weitere Produktion erforderlichen
Verbrennungsprodukte ausschließlich durch die Verbrennung
eines bestimmten Energieerzeugnisses entstehen konnten. Insofern
weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass nach der
zugrunde liegenden Vorlagefrage zur Herstellung des Kalkofengases
verschiedene Kohlearten der Pos. 2701, 2702 und 2704 KN in der am
1.1.2002 geltenden Fassung (§ 1a Nr. 2 EnergieStG) in Betracht
kamen. Dagegen fallen Erdgas sowie Butan und Propan unter dieselbe
Pos. 2711 KN. Die maßgeblichen Aussagen in Rz 24 f. des
EuGH-Urteils, auf die sich das HZA beruft, sind deshalb so zu
verstehen, dass es ausreicht, wenn in einem Herstellungsverfahren
allein das eingesetzte Energieerzeugnis in der Lage ist, einen zur
Fertigstellung des Produkts erforderlichen Stoff (im Streitfall
Kohlendioxid) zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen hat
der EuGH die fraglichen Formulierungen in Rz 24 f. des Urteils
nicht in die konkreten Antworten auf die Vorlagefragen
übernommen, sondern dort allgemein auf die Erforderlichkeit
von Kohlendioxid für den Abschluss der Zuckerherstellung
abgestellt.
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Auch aus den nationalen Vorschriften lassen
sich weder eine Rangfolge der Zwecke noch die (zusätzliche)
Voraussetzung einer wesentlichen Verwendung des erzeugten
Kohlendioxids ableiten. Hierfür spricht insbesondere die
historische Rechtsentwicklung in Zusammenhang mit dem vom
Gesetzgeber verfolgten Zweck. Nach der alten Rechtslage forderte
§ 17 Abs. 11 MinöStV unter anderem eine überwiegende
Verwendung zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff, um
eine Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 des
Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) zu erreichen. Eine mit
§ 4 Abs. 1 Nr. 2 MinöStG vergleichbare Steuerbefreiung
für die Verwendung zu anderen Zwecken als als Heiz- oder
Kraftstoff regelt nunmehr § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG
bzw. für Erdgas in Form einer nachträglichen
Steuerentlastung § 47 Abs. 1 Nr. 3 EnergieStG. Allerdings
fehlt eine mit § 17 Abs. 11 MinöStV vergleichbare
Vorschrift. Stattdessen regelt § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
EnergieStG eine zusätzliche Steuerentlastung, wenn das
Energieerzeugnis gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken
genutzt wird. Der Gesetzgeber wollte dadurch einen
Auffangtatbestand schaffen, der insbesondere solche Verwendungen
erfasst, die der Senat vor dem EuGH-Urteil in Slg. 2004, I-4733,
ZfZ 2004, 231 nicht als „Verheizen“ und somit
als steuerfrei angesehen hatte (BTDrucks 16/1172, S. 44). § 51
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG sollte also gegenüber der
alten Rechtslage nach dem MinöStG zu einer Erweiterung der
Steuerbegünstigung führen. Legte man § 51 Abs. 1 Nr.
1 Buchst. d EnergieStG dahingehend aus, dass für die
Steuerentlastung die Erzeugung thermischer Energie in den
Hintergrund treten muss, entspräche dies aber letztlich der
alten Regelung des § 17 Abs. 11 MinöStV. Auch eine
Beschränkung auf eine (mengenmäßig?) wesentliche
Verwendung zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff ist
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG nicht zu entnehmen.
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b) Unter Berücksichtigung des
EuGH-Urteils in ZfZ 2014, 308 ist darüber hinaus in denjenigen
Fällen, in denen es um die Nutzung der Verbrennungsgase
für andere Zwecke als als Heizzweck geht, der Einsatz des
Energieerzeugnisses als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff zur
Bearbeitung oder Herstellung eines anderen Produkts kein
entscheidungserhebliches Kriterium mehr. Vielmehr kommt es allein
darauf an, ob das Energieerzeugnis selbst oder dessen
Verbrennungsprodukte für den Abschluss des
Produktionsprozesses erforderlich sind.
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Dass der nationale Gesetzgeber eine strengere
Regelung vorsehen wollte, ist nicht erkennbar. Dies folgt bereits
aus dem Wortlaut, der für die Gesamtheit der Verwendungszwecke
lediglich zwischen Heiz- oder Kraftstoff und
„anderen“ Zwecken unterscheidet. Insbesondere
ist daraus keine Beschränkung dieser anderen Zwecke auf
stoffliche Verbindungen zwischen dem Energieerzeugnis und dem
Endprodukt zu entnehmen. Dieses Ergebnis wird durch eine
systematische Auslegung bestätigt. § 51 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. d EnergieStG ist als Auffangtatbestand konzipiert, da die
Begünstigungen in den Buchst. b bis d auf einer einheitlichen
Grundlage in Art. 2 Abs. 4 Buchst. b 2. Anstrich EnergieStRL
beruhen. Damit sind die Voraussetzungen des Buchst. d des § 51
Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG auch unter Berücksichtigung der in den
Buchst. b und c dieser Vorschrift genannten Prozesse und Verfahren
auszulegen. Diese führen aber nicht zwingend zu einer
stofflichen Verbindung zwischen dem Energieerzeugnis bzw. dessen
chemischen Bestandteilen und dem Endprodukt. Vor diesem Hintergrund
kann es darauf auch im Auffangtatbestand des Buchst. d nicht
ankommen.
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Im Übrigen hat der Senat schon vor der
Entscheidung des EuGH in ZfZ 2014, 308 keine stoffliche Verbindung
zwischen dem Energieerzeugnis und dem hergestellten Produkt
vorausgesetzt. Insofern hat das FG nicht ausreichend
berücksichtigt, dass der Senat in der Begründung seiner
Entscheidung in BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37 sowohl
auf das Erdgas als auch auf dessen chemische Bestandteile
abgestellt hat (vgl. Senatsurteil in BFHE 231, 443, ZfZ 2011, 23 =
SIS 10 40 58 unter Ziff. II.1. zu § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c
EnergieStG). Darüber hinaus hat der erkennende Senat in BFHE
223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37 als Beispiele für den
Einsatz des Energieerzeugnisses als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff
zur Bearbeitung oder Herstellung eines anderen Produkts die
Verwendungen als Reduktionsmittel oder Katalysator genannt. In
beiden Fällen gehen grundsätzlich weder das
Energieerzeugnis noch dessen chemische Bestandteile in das
Endprodukt ein. Besonders deutlich wird dies bei einer Verwendung
als Katalysator, da damit ein Stoff bezeichnet wird, der eine
chemische Reaktion in Gang setzt, ohne sich selbst zu
verbrauchen.
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c) Schließlich ergibt sich aus der
Entscheidung des EuGH in ZfZ 2014, 308, dass ein
„zweierlei Verwendungszweck“ keine streng
zeitgleiche Verwendung voraussetzt. Denn auch in dem vom EuGH
entschiedenen Fall der Zuckerproduktion finden die Verbrennung der
Kohle und die Carbonatation (Neutralisation bzw. Reinigung) des
Rohsafts nicht zeitgleich statt. Nach Auffassung des Senats reicht
es deshalb aus, wenn - wie im Streitfall aufgrund der unmittelbaren
räumlichen und zeitlichen Nähe in einer Anlage zur
Phosphatherstellung - das Energieerzeugnis im Rahmen eines
einheitlichen industriellen Prozesses oder Verfahrens sowohl als
Heizstoff als auch für andere Zwecke verwendet wird.
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Auch insofern führt die nationale
Regelung zu keinen strengeren Anforderungen. Dies folgt
insbesondere aus dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
EnergieStG im Zusammenhang mit einer richtlinienkonformen Auslegung
unter Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 4 Buchst. b 2. Anstrich
EnergieStRL. Denn das Wort „gleichzeitig“ kann
nicht nur die Bedeutung „zeitgleich“, sondern
auch die Bedeutung „ebenso“ bzw.
„sowohl ... als auch“ haben. In Art. 2 Abs. 4
Buchst. b 2. Anstrich EnergieStRL wird aber gerade diese allgemeine
Formulierung „sowohl ... als auch“ gebraucht. Im
Übrigen bliebe entgegen der Intention des Gesetzgebers nur ein
sehr geringer Anwendungsbereich für eine Steuerentlastung nach
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG, wenn eine streng
zeitgleiche Verwendung für zweierlei Zwecke gefordert
wird.
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Dieses Auslegungsergebnis widerspricht nicht
den vom Senat in seinem Urteil in BFHE 223, 280, ZfZ 2009, 77 = SIS 08 43 37 aufgestellten Grundsätzen. Zwar wird in der
Entscheidung unter Ziff. II.4. ausgeführt, dass mit dem
Verbrennen des Erdgases dessen Verwendung abgeschlossen sei. Dies
bezog sich aber lediglich auf den Fall, dass es anschließend
(nur) zur Nutzung der erzeugten thermischen Energie kommt, und zwar
durch das Absengen von Textilfasern. Im Leitsatz wird ebenfalls nur
die allgemeine Formulierung „sowohl ... als
auch“ gebraucht.
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Des Weiteren weicht der Senat nicht von seinem
Beschluss vom 26.11.2009 VII B 15/09 (BFH/NV 2010, 953 = SIS 10 12 63) ab, in dem es um ein Verfahren zur Herstellung von
Kartoffelstärke ging. Das FG hatte hier bereits auf
tatsächlicher Ebene nach § 118 Abs. 2 FGO bindend
festgestellt, dass der Vorgang des Verheizens abgeschlossen ist,
wenn das Rauchgas auf das Nassgut trifft und dessen chemische und
physikalische Veränderung bewirkt. Im Streitfall spricht das
FG zwar grundsätzlich von einem zweistufigen Verfahren, macht
aber keine bindende Feststellung, ob bzw. inwieweit die erste Stufe
vor Beginn der zweiten Stufe vollständig abgeschlossen
ist.
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3. Der Senat hält die von ihm
vorgenommene Auslegung des einschlägigen Unionsrechts auf
Grund der Rechtsprechung des EuGH für eindeutig. Ein Anlass
zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht demnach
nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81 -C.I.L.F.I.T.-,
Slg. 1982, 3415).
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34
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Darüber hinaus besteht auch kein Anlass,
ein (weiteres) Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH
über den Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 3.7.2014 4 K
131/12 (ZfZ 2015, Beilage Nr. 1, 11) anzuordnen. Der
Vorlagebeschluss des FG Hamburg betrifft die in § 51 Abs. 1
Nr. 2 EnergieStG gesondert geregelte Fallgruppe der thermischen
Abluftbehandlung, die in Art. 2 Abs. 4 Buchst. b 2. Anstrich
EnergieStRL keine ausdrückliche Erwähnung findet. Damit
geht es um die Frage, ob die in ZfZ 2014, 308 entwickelten
Kriterien auch auf diese Fallgruppe anzuwenden sind oder eine
Ausdehnung des Begriffs „zweierlei
Verwendungszweck“ in Betracht kommt. Im Streitfall
führen aber bereits die in ZfZ 2014, 308 entwickelten
Kriterien zu einem „zweierlei Verwendungszweck“.
Außerdem ist der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt
im Kern mit dem in ZfZ 2014, 308 angenommenen Sachverhalt
vergleichbar (Reinigung eines Produkts durch Verbrennungsgase).
Auch die mit der dritten Vorlagefrage des FG Hamburg angesprochene
Frage, ob der neben den Heizzweck tretende andere Zweck ein
gewisses Gewicht haben muss, ist zumindest für den Streitfall
durch die EuGH-Entscheidung in ZfZ 2014, 308 beantwortet. Das von
der Literatur diskutierte Wesentlichkeitserfordernis ist hier
letztlich durch eine enge Definition von „zweierlei
Verwendungszweck“ aufgefangen worden. Damit bestehen
keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer
zusätzlichen Wesentlichkeitsprüfung.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
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