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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt werden. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung der D-AG
erwarb der Kläger im Streitjahr (2010) junge Aktien der D-AG
über die Ausübung von Bezugsrechten. Diese waren von
Aktien abgespalten worden, die der Kläger bereits vor dem
1.1.2009 angeschafft hatte (sog. Altaktien). Die Anschaffungskosten
der Bezugsrechte beliefen sich auf 7,20 EUR je Aktie. Noch im
Streitjahr veräußerte der Kläger zehn der jungen
Aktien und erzielte einen Veräußerungserlös in
Höhe von insgesamt 410,35 EUR. Nach der Bescheinigung der Bank
über den Wertpapierverkauf belief sich der
Veräußerungsgewinn, bei dessen Ermittlung der Wert der
Bezugsrechte unberücksichtigt blieb, auf 58,15 EUR.
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Die Kläger beantragten in der
Einkommensteuererklärung für 2010 die
Überprüfung des Steuereinbehalts für
Kapitalerträge gemäß § 32d Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung
(EStG). Sie erklärten Kapitalerträge des Klägers in
Höhe von insgesamt 135 EUR, darin enthalten der Gewinn aus der
Veräußerung der jungen Aktien in Höhe von 58 EUR.
Der Kläger minderte die Summe der Kapitalerträge um die
Anschaffungskosten der Bezugsrechte für die zehn Aktien der
D-AG in Höhe von 72 EUR (10 x 7,20 EUR), so dass er nach
seiner Berechnung Kapitaleinkünfte in Höhe von insgesamt
63 EUR erzielte. Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid
für 2010 vom 22.7.2011 einen Gewinn aus Aktienverkäufen
in Höhe von 58 EUR und Kapitaleinkünfte in Höhe von
insgesamt 135 EUR und legte nach Abzug des Sparer-Pauschbetrags die
Kapitaleinkünfte der Besteuerung mit 0 EUR zugrunde. In dem
geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 2.10.2012
erhöhte das FA die Kapitaleinkünfte des Klägers auf
19.433 EUR. Den Gewinn aus der Veräußerung der Aktien
legte es dabei unverändert in Höhe von 58 EUR der
Besteuerung zugrunde. Das FA wies den hiergegen erhobenen
Einspruch, mit dem die Kläger den Abzug der Anschaffungskosten
der Bezugsrechte in Höhe von 72 EUR begehrten, unter Hinweis
auf § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG und Rz 108 ff. des Schreibens des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22.12.2009 IV C 1-S
2252/08/10004 (BStBl I 2010, 94 = SIS 09 37 93; aktuell
BMF-Schreiben vom 18.1.2016 IV C 1-S 2252/08/10004:017,
2015/0468306, BStBl I 2016, 85 = SIS 16 02 36) als unbegründet
zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in EFG
2015, 209 = SIS 14 33 89 veröffentlichen Urteil vom 23.10.2014
10 K 3473/12 statt.
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Hiergegen wendet sich die Revision des FA,
der das BMF beigetreten ist. Das Urteil des FG verletze § 20
Abs. 4a Satz 4 EStG. Danach sei bei der Gewinnermittlung des
Aktienverkaufs nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der Teil der
Anschaffungskosten der Altanteile, der auf das Bezugsrecht
entfalle, mit 0 EUR anzusetzen. Die Regelung gelte nach der
Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG für
alle Kapitalerträge, die dem Anteilseigner nach dem 31.12.2008
zugeflossen seien. Maßgeblicher Zeitpunkt sei nach § 20
Abs. 4a Satz 6 EStG die Einbuchung in das Depot. Dies gelte nach
dem BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94 = SIS 09 37 93, Rz 108
unabhängig davon, ob die Altanteile vor dem 1.1.2009 oder nach
dem 31.12.2008 angeschafft worden seien. Ziel der gesetzlichen
Regelung sei, das Besteuerungsverfahren zu vereinfachen. Der
Gesetzgeber habe darauf reagiert, dass in der Praxis bei der
Ermittlung des Bezugswerts gravierende Probleme aufgetreten seien.
Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn am ersten Handelstag ein
Börsenkurs für das Bezugsrecht fehle, so dass eine
Berechnung der Anschaffungskosten nach der Gesamtwertmethode nicht
möglich sei. In diesen Fällen führe die rein
rechnerische Ermittlung der Anschaffungskosten des Bezugsrechts zu
unrealistischen Ergebnissen.
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Das BMF schließt sich der
Argumentation des FA an. Die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4
EStG sei verfassungsgemäß, so dass entgegen der
Auffassung des FG eine einschränkende verfassungskonforme
Auslegung nicht in Betracht komme.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
der Vorinstanz aufzuheben und die Klage als unbegründet
abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
des FA als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Einkommensteuerbescheid
für 2010 vom 16.12.2014 im Umfang des Tenors zu ändern
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
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1. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, ohne dass es einer
Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß §
127 FGO bedarf.
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a) Der im FG-Verfahren angefochtene
Einkommensteuerbescheid und die hierzu ergangene
Einspruchsentscheidung wurden während des Revisionsverfahrens
durch den Änderungsbescheid vom 16.12.2014 ersetzt. Damit
liegen dem FG-Urteil nunmehr nicht mehr existierende Bescheide
zugrunde, so dass es keinen Bestand haben kann (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
15.5.2013 VI R 28/12, BFHE 241, 200, BStBl II 2013, 737 = SIS 13 22 46).
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b) Der geänderte Einkommensteuerbescheid
vom 16.12.2014 ist gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand
des Revisionsverfahrens geworden. Es haben sich hinsichtlich der in
Streit stehenden Punkte keine Änderungen ergeben. Die
Beteiligten haben auch keine weitergehenden Anträge gestellt.
Es bedarf danach keiner Zurückverweisung der Sache
gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren
leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG
getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung
des Urteils nicht weggefallen sind. Sie bilden nach wie vor die
Grundlage für die Entscheidung des Senats (vgl. BFH-Urteil vom
23.1.2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43 = SIS 03 23 11).
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2. Die Revision des FA hat auch in der Sache
Erfolg. Die Sache ist spruchreif. Das FG ist zwar zu Recht davon
ausgegangen, dass bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns
des Klägers aus dem Verkauf der jungen Aktien der D-AG
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG
der Teil der Anschaffungskosten der Altanteile, der auf das
Bezugsrecht entfällt, nicht gemäß § 20 Abs. 4a
Satz 4 EStG mit 0 EUR, sondern mit den tatsächlichen
Anschaffungskosten des Bezugsrechts in Höhe von 72 EUR
anzusetzen ist (s. hierzu nachfolgend unter 3.). Der danach
verbleibende Verlust in Höhe von 14 EUR kann aufgrund der
Einschränkung der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6
Satz 5 EStG nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von
Aktien i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG
verrechnet werden. Er ist mangels
Verlustverrechnungsmöglichkeit im Streitjahr gemäß
§ 10d Abs. 4 EStG gesondert festzustellen (s. hierzu
nachfolgend unter 4.).
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3. Bei der Ermittlung des
Veräußerungsgewinns der jungen Aktien gemäß
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG sind die
Anschaffungskosten des Bezugsrechts entgegen der Regelung des
§ 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht mit 0 EUR, sondern mit 72 EUR
zu berücksichtigen.
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a) Der Kläger erzielte durch den Verkauf
der jungen Aktien der D-AG Kapitaleinkünfte i.S. des § 20
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Da er die Aktien erst nach dem
31.12.2008 erworben hatte, fällt der
Veräußerungsgewinn unter das Regime der Abgeltungsteuer
(§ 52a Abs. 10 Satz 1 EStG). Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2
EStG ist gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der
Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung
nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen
Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen,
und den Anschaffungskosten. Werden Bezugsrechte
veräußert oder ausgeübt, die nach § 186 des
Aktiengesetzes einen Anspruch auf Abschluss eines
Zeichnungsvertrags begründen, wird gemäß § 20
Abs. 4a Satz 4 EStG der Teil der Anschaffungskosten der Altanteile,
der auf das Bezugsrecht entfällt, bei der Ermittlung des
Gewinns nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG mit 0 EUR angesetzt. Die
Regelung findet nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erstmals auf
nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge
Anwendung.
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b) Zwar enthält der Wortlaut des §
20 Abs. 4a Satz 4 EStG keine eindeutige Regelung zur Bewertung des
Bezugsrechts bei der Veräußerung von jungen Aktien. Der
Senat geht jedoch mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum
(Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 821 f.;
Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz Fa
56; Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 20 n.F.
Rz 338; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 416; Buge in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 20 EStG Rz 588; von
Beckerath in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 20 Rz 162;
Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M),
Kommentar zum KStG und EStG, § 20 EStG, Rz 301b; Steinlein,
Deutsches Steuer-Recht - DStR - 2009, 509, 511) davon aus, dass die
Einkünfteermittlungsvorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 4
EStG auch bei der Veräußerung von jungen Aktien
Anwendung findet, die aufgrund der Ausübung eines Bezugsrechts
erworben wurden. Da die Ausübung von Bezugsrechten selbst
nicht unter den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG
fällt (so Rz 110 des BMF-Schreibens in BStBl I 2010, 94 = SIS 09 37 93; aktuell BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85 = SIS 16 02 36,
und die h.M. in der Literatur s. Jachmann/Lindenberg in Lademann,
a.a.O., § 20 EStG Rz 820; Jochum, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 55;
Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338;
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 36. Aufl., § 20 Rz 163;
Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 354; Bron/Seidel, DStZ 2009, 268,
275; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 588; a.A. Hamacher/Dahm in Korn,
§ 20 EStG Rz 416) und es somit nicht zu einer Gewinnermittlung
nach § 20 Abs. 4 EStG kommen kann, ergibt die Regelung des
§ 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nur dann einen Sinn, wenn sie sich
auf die Ermittlung des Gewinns aus einer späteren
Veräußerung der durch Ausübung des Bezugsrechts
erlangten Anteile bezieht (Jochum, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 56).
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c) Entgegen der Auffassung des FA und des BMF
findet die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG jedoch -
trotz der Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10
EStG - keine Anwendung, wenn die veräußerten jungen
Aktien aufgrund der Ausübung von Bezugsrechten erworben
wurden, die von vor dem 1.1.2009 angeschafften Altanteilen
abgespalten wurden, bei denen - wie im vorliegenden Fall - die
Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
in der am 1.1.1999 geltenden Fassung (EStG a.F.) zum Zeitpunkt der
Veräußerung der jungen Aktien bereits abgelaufen war (so
im Ergebnis auch Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 20 Rz 163;
Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa
57 ff.; Wüllenkemper, EFG 2015, 214; Dötsch/Werner in
Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), a.a.O., § 20 EStG,
Rz 301b; Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338;
Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 354 f.). In diesem Fall sind bei der
Ermittlung des Veräußerungsgewinns die
tatsächlichen Anschaffungskosten des Bezugsrechts zu
berücksichtigen.
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aa) Eine Kapitalerhöhung gegen Einlage
führt hinsichtlich der bereits bestehenden Anteile zu einer
Substanzabspaltung zugunsten der aufgrund der Bezugsrechte
erworbenen neuen Anteile. Die Substanzabspaltung hat zur Folge,
dass Anschaffungskosten der bereits bestehenden Anteile den neuen
Anteilen zuzuordnen sind; entsprechend mindern sich die
Anschaffungskosten der Altanteile (Gesamtwertmethode). Der
Gesellschafter erhält danach durch die
„Verwässerung“ seiner Beteiligung aufgrund
der Kapitalerhöhung keinen weiteren Wertzuwachs der stillen
Reserven seiner Anteile (BFH-Urteil vom 21.9.2004 IX R 36/01, BFHE
207, 543, BStBl II 2006, 12 = SIS 05 04 83, m.w.N.; s.a.
Hahne/Krause, DStR 2008, 1724, 1727; BTDrucks 16/10189, S. 50).
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bb) Dies hat zur Folge, dass die Besteuerung
der durch die Abspaltung von den Altanteilen auf die neuen
Geschäftsanteile übergegangenen stillen Reserven nach
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. erfolgt, wenn die
Altanteile vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden (§ 52a Abs. 11
Satz 4 EStG). Waren die übergegangenen stillen Reserven
aufgrund des Ablaufs der Veräußerungsfrist des § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. nicht mehr steuerbar, dürfen sie
nicht lediglich aufgrund der Kapitalerhöhung bei einer
Weiterveräußerung der jungen Aktien erneut
steuerverhaftet werden (BFH-Urteil in BFHE 207, 543, BStBl II 2006,
12 = SIS 05 04 83).
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cc) Dies wäre jedoch der Fall, wenn bei
der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der jungen Aktien
die auf die Neuanteile übergegangenen Anschaffungskosten der
Altanteile gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 EUR
angesetzt würden. Die Regelung führte zu einer
Besteuerung der bereits steuerentstrickten stillen Reserven der
Altanteile (Jachmann/Lindenberg in Lademann, a.a.O., § 20 EStG
Rz 823; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., §
20 Rz Fa 59; Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz
338; von Beckerath in Kirchhof, a.a.O., § 20 Rz 162;
Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M),
a.a.O., § 20 EStG, Rz 301b; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 588;
Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 354; Hahne/Krause, DStR 2008, 1724,
1727; Wüllenkemper, EFG 2015, 214; Meilicke, DB 2009, 476).
Dagegen spricht aber, dass es sich bei der Regelung des § 20
Abs. 4a Satz 4 EStG um eine Einkünfteermittlungsvorschrift
handelt, die ein Besteuerungsrecht voraussetzt, jedoch kein
Besteuerungsrecht für bereits steuerentstrickte
Vermögenswerte begründet (vgl. hierzu Senatsurteil vom
20.10.2016 VIII R 10/13, BFHE 255, 537, BStBl II 2017, 262 = SIS 16 27 62).
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dd) Auch aus der Gesetzesbegründung
ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 20
Abs. 4a Satz 4 EStG lediglich eine Erleichterung für die zum
Kapitalertragsteuerabzug verpflichteten Kreditinstitute (s.
BTDrucks 16/10189, S. 50) und keinen Besteuerungstatbestand
für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte schaffen
wollte (s.a. Wüllenkemper in EFG 2015, 214). Die Regelung des
§ 20 Abs. 4a EStG sollte lediglich zu einer zeitlichen
Verschiebung der Besteuerung führen (Jachmann/Lindenberg in
Lademann, a.a.O., § 20 EStG Rz 822; Hamacher/Dahm in Korn,
§ 20 EStG Rz 416; s.a. BTDrucks 16/10189, S. 50). Dies setzt
jedoch voraus, dass auch der Altanteil, von dem das Bezugsrecht
abgespalten wird, stets und dauerhaft nach § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 EStG, § 52a Abs. 10 Satz 1 EStG steuerlich verstrickt
ist, weil er nach dem 31.12.2008 erworben wurde. Denn nur in diesem
Fall führt der Ansatz des Bezugsrechts mit 0 EUR dazu, dass
die Besteuerung der stillen Reserven auf den
Veräußerungszeitpunkt der neuen Aktien verschoben wird,
ohne dass dies zu einer insgesamt höheren Besteuerung des
Anlegers führt.
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ee) Zudem wollte der Gesetzgeber durch die
Übergangsregelungen des § 52a Abs. 10 Satz 1, Abs. 11
Satz 4 EStG erkennbar verhindern, dass stille Reserven, die am
31.12.2008 keiner Besteuerung mehr unterlagen, durch die
Einführung der Abgeltungsteuer wieder steuerverstrickt werden.
Der Finanzausschuss hat darauf im Zusammenhang mit § 20 Abs.
4a EStG auch ausdrücklich hingewiesen (BTDrucks 16/11108, S.
16, allerdings zu § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG). Mit dieser
Zielsetzung stünde die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4
EStG bei der Bewertung von Bezugsrechten, die aus vor dem 1.1.2009
angeschafften Altaktien abgespalten wurden, in Widerspruch. Sie
würde zur Durchbrechung der Bestandsschutzregeln des §
52a Abs. 10 Satz 1, Abs. 11 Satz 4 EStG führen
(Jachmann/Lindenberg in Lademann, a.a.O., § 20 EStG Rz 823;
Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa
57; Hahne/Krause, DStR 2008, 1724, 1727; Wüllenkemper, EFG
2015, 214; Meilicke, DB 2009, 476).
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d) Eine Einschränkung des
Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auf
Bezugsrechte, die aus vor dem 1.1.2009 angeschafften Aktien
abgespalten wurden, ist auch aus verfassungsrechtlichen
Gründen geboten (so auch Jochum, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz Fa 57 ff.;
Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 338;
Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M),
a.a.O., § 20 EStG, Rz 301b; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 588;
Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 355; Meilicke, DB 2009, 476;
Wüllenkemper, EFG 2015, 214). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt,
rückwirkend auf bereits steuerentstrickte
Vermögenspositionen zuzugreifen.
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aa) Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Unzulässigkeit von
rückwirkenden Gesetzen verstößt eine Besteuerung
gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des
Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit sie auf
Vermögensgegenstände zugreift, die nach der zuvor
geltenden Rechtslage bereits steuerentstrickt waren und bis zum
Zeitpunkt der Verkündung der neuen gesetzlichen Regelung
steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten
realisiert werden können. Ein erhöhter
Rechtfertigungsbedarf liegt bereits dann vor, wenn der
Steuerpflichtige in Form der steuerentstrickten stillen Reserven
einen konkret vorhandenen Vermögensbestand im grundrechtlich
geschützten Bereich erworben hat und durch die Schaffung eines
neuen Besteuerungstatbestandes dieser nachträglich entwertet
wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2
BvL 13/05, BVerfGE 127, 1 = SIS 10 22 45, Rz 65 ff.). Dies
wäre vorliegend der Fall, wenn der auf das Bezugsrecht
abgespaltene Teil von Aktien, für die die einjährige
Haltefrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bereits
abgelaufen war, bei der Veräußerung der jungen Aktien
aufgrund einer Bewertung des Bezugsrechts gemäß §
20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 EUR wieder der Besteuerung unterliegen
würden.
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bb) Hinreichend gewichtige Gründe, die
geeignet sind, diese nachträgliche einkommensteuerrechtliche
Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener
Wertzuwächse zu rechtfertigen, sind nicht erkennbar. Die
Regelung des § 20 Abs. 4a EStG sollte nach der
Gesetzesbegründung dazu führen, die Abgeltungsteuer
für Steuerpflichtige und quellensteuerabzugsverpflichtete
Kreditinstitute praktikabel auszugestalten (BTDrucks 16/10189, S.
50; BTDrucks 16/11108, S. 16). Hieraus ergibt sich jedoch keine
Rechtfertigung für den steuerlichen Zugriff auf
steuerentstrickte stille Reserven aus Aktien, die vor dem 1.1.2009
angeschafft wurden. Ein solcher ist angesichts der durch § 32d
Abs. 4 EStG geschaffenen Möglichkeit, den Steuereinbehalt im
Festsetzungsverfahren überprüfen zu lassen und ggf.
rückgängig zu machen, auch nicht erforderlich. Zwar mag
die Ermittlung des tatsächlichen Werts der Bezugsrechte im
Besteuerungsverfahren zu einem erheblichen Aufwand führen.
Dies ist aber im Übergangszeitraum zur Abgeltungsteuer
hinzunehmen, da nur auf diese Weise die eindeutige Trennung
zwischen alten steuerentstrickten und neuen steuerverstrickten
stillen Reserven erreicht wird (s.a. Moritz/Strohm in Frotscher,
a.a.O., § 20 n.F. Rz 338; Wüllenkemper, EFG 2015, 214).
Die Schwierigkeit und Streitanfälligkeit der Feststellung der
auf das Bezugsrecht entfallenden Anschaffungskosten der Altanteile
rechtfertigen jedenfalls nicht die Besteuerung bereits
steuerentstrickter Wertsteigerungen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE
127, 1 = SIS 10 22 45).
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e) Der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 4
EStG steht dieser systematischen und verfassungsrechtlichen
Auslegung nicht entgegen, weil er keine eindeutige Regelung zur
Bewertung des Bezugsrechts bei der Veräußerung von
jungen Aktien enthält (s. hierzu vorstehend unter II.3.b).
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f) Da im vorliegenden Fall die
veräußerten Aktien aufgrund der Ausübung von
Bezugsrechten erworben wurden, die von vor dem 1.1.2009 erworbenen
Aktien abgespalten wurden, bei denen die
Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
a.F. bereits abgelaufen war, sind bei der Ermittlung des
Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf der jungen Aktien
die Anschaffungskosten der Bezugsrechte entgegen der Regelung des
§ 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht mit 0 EUR, sondern in der
tatsächlichen Höhe von 72 EUR zu
berücksichtigen.
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4. Der danach steuerlich zu
berücksichtigende Verlust aus der Veräußerung der
jungen Aktien der D-AG in Höhe von 14 EUR ist zwar nicht in
dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid zu berücksichtigen,
wird jedoch gemäß § 10d Abs. 4 EStG vom FA
gesondert festzustellen sein.
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a) Der Ansatz der Anschaffungskosten der
Bezugsrechte mit 72 EUR führt gemäß § 20 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG zu einem Verlust aus der
Veräußerung der jungen Aktien in Höhe von 14 EUR.
Dieser kann aufgrund der Einschränkung der Verlustverrechnung
nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur mit Gewinnen aus
Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1
EStG und nicht mit den positiven Einkünften des Klägers
aus Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 1 EStG
verrechnet werden. Da der Kläger im Streitjahr keine
Aktiengewinne erzielt hat, ist der verbleibende Verlust in
Höhe von 14 EUR gemäß § 10d Abs. 4 EStG
gesondert festzustellen.
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b) Die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6
EStG, nach der Verluste aus Kapitalvermögen, die der
Kapitalertragsteuer unterfallen, nur aufgrund einer Bescheinigung
i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG berücksichtigt werden
dürfen, steht der Verlustverrechnung in den folgenden
Veranlagungszeiträumen nicht entgegen. Die auszahlende Stelle
ist aufgrund der von der Finanzverwaltung geäußerten
Verwaltungsauffassung (s. Rz 108 des BMF-Schreibens in BStBl I
2010, 94 = SIS 09 37 93; aktuell BMF-Schreiben in BStBl I 2016, 85
= SIS 16 02 36) davon ausgegangen, dass die Anschaffungskosten bei
der Ermittlung des Veräußerungsgewinns mit 0 EUR
anzusetzen sind. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Verlust aus
der Veräußerung der jungen Aktien doppelt
berücksichtigt wurde. Es wäre reiner Formalismus, in
diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung i.S.
des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG zu verlangen (Senatsurteil vom
20.10.2016 VIII R 55/13, BFHE 256, 56, BStBl II 2017, 264 = SIS 16 27 94).
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5. Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen
die Kläger zu 20 % und das FA zu 80 % (§ 135 Abs. 1,
§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Kostenverteilung ergibt sich
nach dem Maße des Obsiegens bzw. Unterliegens, somit danach,
in welchem Umfang der Klageantrag erfolgreich ist. Es ist auf den
Unterschied zwischen der begehrten und der erreichten Änderung
des angefochtenen Verwaltungsaktes abzustellen (vgl. BFH-Urteil vom
27.9.2012 III R 70/11, BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544 = SIS 12 30 59). Die Kläger begehrten die Minderung der Einkünfte
aus Kapitalvermögen in Höhe von 72 EUR. Aufgrund der
Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5
EStG mindern sich diese lediglich um 58 EUR. Daraus ergibt sich
eine Quote des Obsiegens der Kläger von 80 % gegenüber
des Obsiegens des FA zu 20 %.
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