Auf die Revision des Klägers werden das
Urteil des Finanzgerichts München vom 15.10.2014 1 K 1008/14
sowie die Bescheide vom 1.2.2006 über die Ablehnung des
Antrags auf Änderung der Einkommensteuerbescheide 2002 und
2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.11.2008
aufgehoben.
Die Einkommensteuerbescheide für das Jahr
2002 vom 13.2.2006 und für die Jahre 2003 und 2004 vom
18.12.2006, letzterer in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
27.11.2008, werden dahin geändert, dass ein anteiliger
Zinsaufwand in Höhe von 6.508,90 EUR im Jahr 2002, 10.710,70
EUR im Jahr 2003 und 9.274,50 EUR im Jahr 2004 bei den
Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen als
Werbungskosten berücksichtigt wird.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten
übertragen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob Schuldzinsen für ein Darlehen, das im Zusammenhang mit der
Finanzierung einer Einkommensteuernachzahlung aufgenommen worden
ist, in den Streitjahren (2002 bis 2004) als Werbungskosten bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen
sind, da der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
die Einkommensteuer später wieder herabgesetzt und dem
Kläger und Revisionskläger (Kläger) steuerpflichtige
Erstattungszinsen gezahlt hat.
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Der Kläger ist Gesellschafter zweier
Personengesellschaften, für die das FA im Anschluss an
Betriebsprüfungen für die Jahre 1994 bis 1998
geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche
Feststellung der Besteuerungsgrundlagen erließ. Auf Grundlage
dieser Bescheide änderte das FA im Jahr 2002 die
Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Jahre 1994
bis 1998. Die daraus resultierenden Steuernachzahlungen beglich der
Kläger am 7.6.2002 (232.021,77 EUR) und am 5.11.2002
(52.365,23 EUR).
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Zur Finanzierung der Nachzahlung vom
7.6.2002 schloss der Kläger mit seiner Bank einen Vertrag
über ein Darlehen in Höhe von 232.000 EUR, das mit einem
effektiven Jahreszinssatz in Höhe von 6,06 % zu verzinsen war.
Das hierzu geführte Darlehenskonto weist die Sollbuchung des
Darlehensbetrags mit Wertstellung zum 6.6.2002 aus. Am 25.6.2003
wurde der Darlehensvertrag durch einen neuen Darlehensvertrag mit
einem effektiven Jahreszinssatz in Höhe von 5,22 %
abgelöst. Die Steuernachzahlung vom 5.11.2002 finanzierte der
Kläger ebenfalls durch Aufnahme eines Bankdarlehens.
Sämtliche Darlehensverträge wiesen im Verwendungszweck
auf die Steuernachzahlungen hin.
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Die gegen die geänderten
Feststellungsbescheide eingelegten Einsprüche waren teilweise
erfolgreich und führten im Jahr 2004 zu geänderten
Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1994 bis 1998 mit
Steuererstattungen in Höhe von insgesamt 194.452 EUR und der
Erstattung von Nachzahlungszinsen in Höhe von 37.600 EUR.
Für die Steuererstattungen erhielt der Kläger
Erstattungszinsen i.S. des § 233a der Abgabenordnung (AO) in
Höhe von 33.128 EUR.
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Der Kläger beantragte mit Schreiben
vom 14.12.2005, den Zinsaufwand und die Gebühren (im Folgenden
„Zinsaufwand“) für das in Höhe
von 232.000 EUR aufgenommene Darlehen in den Jahren 2002 und 2003
als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
zu berücksichtigen, die er in Gestalt der Erstattungszinsen
erzielt habe. Für das Jahr 2004 setzte der Kläger in der
Einkommensteuererklärung die Erstattungszinsen als
Einkünfte aus Kapitalvermögen an und machte ebenfalls den
Zinsaufwand als Werbungskosten geltend.
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Das FA lehnte eine Berücksichtigung
des Zinsaufwands als Werbungskosten in den Jahren 2002 bis 2004 ab,
behandelte aber die Erstattungszinsen im Jahr 2004 als
steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die
Einsprüche gegen die Ablehnung der Änderungsanträge
für die Jahre 2002 und 2003 sowie gegen den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 wies das FA mit den
Einspruchsentscheidungen vom 27.11.2008 als unbegründet
zurück.
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Auch die Klage, mit welcher der Kläger
nur noch den anteiligen Abzug von 84 % des Zinsaufwands in den
Streitjahren 2002 bis 2004 (entspricht dem Verhältnis der
Steuererstattung in Höhe von 194.452 EUR zur Darlehenssumme in
Höhe von 232.000 EUR) sowie hilfsweise die
Nichtberücksichtigung der Erstattungszinsen bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen im Streitjahr 2004
forderte, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, ein
Abzug des Zinsaufwands als Werbungskosten komme bereits wegen
§ 12 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das
jeweilige Streitjahr geltenden Fassung (EStG) nicht in Betracht.
Darüber hinaus fehle der erforderliche wirtschaftliche
Zusammenhang zwischen dem streitigen Zinsaufwand und den
Erstattungszinsen. Schließlich habe zum Zeitpunkt der
Aufnahme des ersten Darlehens keine Einkünfteerzielungsabsicht
bestanden.
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Mit seiner Revision macht der Kläger
geltend, § 12 Nr. 3 EStG betreffe nur rechtmäßige
Steuerfestsetzungen. Der für den Werbungskostenabzug
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG erforderliche
Veranlassungszusammenhang des Zinsaufwands mit den
Erstattungszinsen sei gegeben. Ohne Darlehensaufnahme seien die
Steuerüberzahlung und damit auch die Begründung des
steuerrelevanten Quellenverhältnisses nicht möglich
gewesen. Außerdem sei der materiell-rechtliche
Erstattungsanspruch nicht erst mit Erlass der
Änderungsbescheide, sondern bereits mit der
Einkommensteuernachzahlung im Jahr 2002 entstanden. Aufgrund des
planmäßigen Vorgehens sei bereits zu diesem Zeitpunkt
seine, des Klägers, Kenntnis über den Erstattungsanspruch
zu unterstellen. Im Übrigen sei das Merkmal der
Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen regelmäßig irrelevant.
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Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2002
bis 2004 dahin zu ändern, dass Zinsaufwand in Höhe von
6.508,90 EUR im Jahr 2002, in Höhe von 10.710,70 EUR im Jahr
2003 und in Höhe von 9.274,50 EUR im Jahr 2004 als
Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus
Kapitalvermögen berücksichtigt wird.
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Das FA beantragt, die Revision des
Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
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Es macht geltend, die Berücksichtigung
des Zinsaufwands als Werbungskosten sei bereits wegen § 12 Nr.
3 EStG ausgeschlossen. Die Zahlung der Einkommensteuer sei auch
unter Berücksichtigung etwaiger steuerpflichtiger
Erstattungszinsen primär auf die Begleichung der Steuerschuld
gerichtet gewesen und gehöre damit zu den Kosten der privaten
Lebensführung. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des
Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) vom 8.12.2010 (BGBl I 2010,
1768, BStBl I 2010, 1394) sei eine Spezial- und Ausnahmeregelung
für die Einnahmenseite, der keine korrespondierende Regelung
auf der Ausgabenseite gegenüberstehe.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Bescheide
über die Ablehnung des Antrags auf Änderung der
Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 27.11.2008 sowie zur Stattgabe der Klage
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
).
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Das FG hat rechtsfehlerhaft den Abzug des
anteiligen Zinsaufwands in Höhe von 6.508,90 EUR im Jahr 2002,
in Höhe von 10.710,70 EUR im Jahr 2003 und in Höhe von
9.274,50 EUR im Jahr 2004 als Werbungskosten bei den
Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen
abgelehnt. Vielmehr liegen in dieser Höhe Werbungskosten
für die vom Kläger zu versteuernden Erstattungszinsen
vor. Die Einkommensteuerbescheide sind entsprechend zu ändern
(§ 100 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO). Dies gilt nicht nur
für den noch nicht bestandskräftigen
Einkommensteuerbescheid 2004, sondern auch für die
Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003. Insofern steht jedenfalls
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO als Änderungsnorm zur
Verfügung.
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1. Werbungskosten sind gemäß §
9 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und
Erhaltung der Einnahmen. Hierzu gehören gemäß
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG auch Schuldzinsen, soweit sie mit
einer Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.
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Nach ständiger Senatsrechtsprechung
(Urteile vom 24.5.2011 VIII R 46/09, BFHE 234, 49, BStBl II 2011,
920 = SIS 11 30 82, Rz 12, und vom 16.3.2010 VIII R 20/08, BFHE
229, 151, BStBl II 2010, 787 = SIS 10 20 99, unter II.3.a aa,
jeweils m.w.N.) kommt es für die Qualifizierung als
Werbungskosten darauf an, ob die Aufwendungen durch die Erzielung
steuerpflichtiger Überschusseinkünfte veranlasst sind,
d.h. zu einer dieser Einkunftsarten in einem steuerrechtlich
anzuerkennenden Zurechnungszusammenhang stehen. Maßgebend ist
hierfür zum einen die wertende Beurteilung des die
betreffenden Aufwendungen „auslösenden
Moments“ und zum anderen dessen Zuweisung
zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre
(Großer Senat des Bundesfinanzhofs - BFH -, Beschluss vom
21.9.2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37,
unter C.III.1.a).
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Ob Schuldzinsen mit Einkünften in einem
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG erforderlichen
wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, richtet sich nach der
tatsächlichen Verwendung des Darlehens (Großer Senat des
BFH, Beschluss vom 8.12.1997 GrS 1-2/95, BFHE 184, 7, BStBl II
1998, 193 = SIS 98 03 26, unter B.I.2.; Schmidt/Krüger, 37.
Aufl., § 9 Rz 140). Ein bloßer rechtlicher Zusammenhang
reicht nicht aus (Senatsurteil vom 2.9.2008 VIII R 2/07, BFHE 223,
15, BStBl II 2010, 25 = SIS 08 44 59, unter II.1.b bb, m.w.N.).
Auch kann der wirtschaftliche Zusammenhang nicht allein durch einen
bloßen Willensakt des Steuerpflichtigen hergestellt oder
geändert werden (Senatsurteil in BFHE 223, 15, BStBl II 2010,
25 = SIS 08 44 59, unter II.1.b bb; Senatsbeschluss vom 30.6.2009
VIII B 8/09, BFH/NV 2009, 1977 = SIS 09 36 22, unter II.1.a,
jeweils m.w.N.).
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Bei erzwungenen Kapitalüberlassungen
reicht es zur Begründung des wirtschaftlichen Zusammenhangs
zwischen Kreditaufnahme und späteren Zinseinnahmen aus, wenn
das Darlehen zu dem Zweck aufgenommen und verwendet worden ist,
eine (letztlich nicht gerechtfertigte) Forderung zu erfüllen
(vgl. Senatsurteil vom 24.5.2011 VIII R 3/09, BFHE 235, 197, BStBl
II 2012, 254 = SIS 12 04 58, Rz 18 zu einer fremdfinanzierten
Bürgschaftsinanspruchnahme „auf erstes
Anfordern“, sowie Senatsbeschluss in
BFH/NV 2009, 1977 = SIS 09 36 22, unter II.1.b). Denn bei
erzwungenen Kapitalüberlassungen liegt darin kein
willkürlicher Wechsel des Finanzierungszwecks, sondern der
wirtschaftliche Zusammenhang ergibt sich aus den objektiven
Umständen (Senatsurteil in BFHE 235, 197, BStBl II 2012, 254 =
SIS 12 04 58, Rz 20).
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze
hat das FG zu Unrecht den erforderlichen Veranlassungszusammenhang
des für die Streitjahre 2002 bis 2004 geltend gemachten
Zinsaufwands mit den Einkünften des Klägers aus
Kapitalvermögen verneint. Der Zinsaufwand ist vielmehr bei den
vom Kläger erzielten Erstattungszinsen (§ 233a AO), die
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG
2010 zu den steuerpflichtigen Einkünften aus
Kapitalvermögen gehören (vgl. auch Senatsurteile vom
12.11.2013 VIII R 36/10, BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168 = SIS 14 04 29, und VIII R 1/11, BFH/NV 2014, 830 = SIS 14 13 13,
Verfassungsbeschwerde anhängig unter 2 BvR 482/14; vom
24.6.2014 VIII R 29/12, BFHE 246, 306, BStBl II 2014, 998 = SIS 14 27 72, Verfassungsbeschwerde anhängig unter 2 BvR 2674/14, und
vom 15.4.2015 VIII R 30/13 = SIS 15 30 47, Verfassungsbeschwerde
anhängig unter 2 BvR 1711/15, wonach die Ablehnung der
Steuerpflicht von Erstattungszinsen im Senatsurteil vom 15.6.2010
VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 = SIS 10 23 36 mit
der Einführung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG durch
das JStG 2010 überholt ist und dessen rückwirkende
Anwendung gemäß § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG nicht
gegen die Verfassung verstößt; zustimmend BFH-Beschluss
vom 9.10.2014 I R 34/13, BFH/NV 2015, 167 = SIS 14 34 38, Rz 21;
BFH-Urteil vom 10.4.2014 III R 20/13, BFHE 244, 530, BStBl II 2016,
583 = SIS 14 16 49, Rz 31), als Werbungskosten i.S. des § 9
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen.
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a) Zwar hat der Kläger das zugrunde
liegende Darlehen im Jahr 2002 zur Zahlung festgesetzter
Einkommensteuernachzahlungen für die Jahre 1994 bis 1998
verwendet, wobei Einkommensteuerschulden sowie die hierauf
entfallenden Nebenleistungen i.S. des § 3 Abs. 4 AO der
steuerlich unbeachtlichen privaten Einkommensverwendung zuzuordnen
sind (vgl. § 12 Nr. 3 EStG). Dies spricht grundsätzlich
für eine private Veranlassung des Zinsaufwands (zur fehlenden
Abzugsfähigkeit der Zinsen bei fremdfinanzierten
Einkommensteuerzahlungen vgl. auch BFH-Urteil vom 21.2.1991 IV R
46/86, BFHE 163, 551, BStBl II 1991, 514 = SIS 91 12 16, unter
II.1.; Senatsurteil vom 10.7.1991 VIII R 241/80, BFH/NV 1992, 171,
Rz 14; BFH-Urteil vom 6.10.2009 I R 39/09, BFH/NV 2010, 470 = SIS 10 06 12, unter II.2.f aa; Senatsurteile in BFHE 243, 506, BStBl II
2014, 168 = SIS 14 04 29, Rz 24; in BFH/NV 2014, 830 = SIS 14 13 13, Rz 26; vom 15.4.2015 VIII R 30/13 = SIS 15 30 47, Rz 28; Arndt
in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 12 Rz D 12;
Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 12 EStG Rz
136).
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b) Soweit die Einkommensteuerbescheide
für die Jahre 1994 bis 1998 im Jahr 2004 zu Gunsten des
Klägers geändert worden sind und der Kläger eine
entsprechende Erstattung erhielt, stellen sich die Zahlungen des
Klägers im Jahr 2002 aber im Ergebnis als eine erzwungene
Kapitalüberlassung an das FA dar. Der Kläger war trotz
Rechtswidrigkeit der im Jahr 2002 erlassenen Nachzahlungsbescheide
zunächst zur Zahlung der Steuerschulden verpflichtet. Dass er
(bewusst) keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
gemäß § 361 AO bzw. § 69 FGO gestellt hat,
ändert nichts an dem Charakter einer erzwungenen
Kapitalüberlassung.
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Unter Anwendung der im Senatsurteil in BFHE
235, 197, BStBl II 2012, 254 = SIS 12 04 58, Rz 17 entwickelten
Grundsätze reicht es deshalb zur Begründung des
wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen Kreditaufnahme und
späteren Erstattungszinsen aus, dass das Darlehen zu dem Zweck
aufgenommen und verwendet worden ist, eine (letztlich nicht
gerechtfertigte) Forderung zu erfüllen. Nach den bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ist in den
Darlehensverträgen als Verwendungszweck auf die
Steuernachzahlungen Bezug genommen worden. Diese
Steuernachzahlungen haben sich unter Berücksichtigung der
Änderungsbescheide des Jahres 2004 auch als teilweise nicht
gerechtfertigt herausgestellt. Ob der daraus resultierende
Erstattungsanspruch bereits mit Erlass der materiell rechtswidrigen
Bescheide im Jahr 2002 oder erst mit deren formeller Korrektur im
Jahr 2004 entstand (vgl. zum Streitstand Klein/Ratschow, AO, 13.
Aufl., § 37 Rz 25 ff.), ist für die wertende Betrachtung
des Veranlassungszusammenhangs letztlich ebenso unerheblich wie die
formelle Bescheidlage zum Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung des
Darlehens. Maßgebend sind allein die objektiven
Umstände, wie sie sich nach Korrektur der
Einkommensteuerbescheide 1994 bis 1998 und Zahlung der
Erstattungszinsen im Jahr 2004 darstellen.
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3. Soweit das FG die Versagung des
Werbungskostenabzugs unmittelbar auf § 12 Nr. 3 EStG
gestützt hat, ist seine Entscheidung ebenfalls
rechtsfehlerhaft.
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a) § 12 Nr. 3 EStG ordnet an, dass
Steuern vom Einkommen sowie die auf diese Steuern entfallenden
Nebenleistungen weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom
Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen. Zu
den steuerlichen Nebenleistungen gehören gemäß
§ 3 Abs. 4 AO auch Nachzahlungszinsen i.S. des § 233a
AO.
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Die damit geregelte Zuordnung der
Einkommensteuer einschließlich der auf diese Steuer
entfallenden Nebenleistungen zur steuerlich unbeachtlichen
Privatsphäre hat grundsätzlich nur klarstellende
Bedeutung (BFH-Beschluss vom 21.10.2010 IV R 6/08, BFH/NV 2011, 430
= SIS 11 04 89, Rz 14; BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 470 = SIS 10 06 12, unter II.2.f aa; BFH-Beschluss vom 15.2.2012 I B 97/11, BFHE
236, 458, BStBl II 2012, 697 = SIS 12 07 31, Rz 7). Denn
Personensteuern wie die Einkommensteuer wären wegen ihrer
Anknüpfung an persönliche Verhältnisse auch ohne die
Regelung des § 12 Nr. 3 EStG nicht der durch die einzelnen
Einkunftsarten definierten Erwerbssphäre, sondern der
Sphäre der privaten Einkommensverwendung zuzuordnen
(HHR/Fissenewert, § 12 EStG Rz 122; Blümich/Thürmer,
§ 12 EStG, Rz 195).
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b) Im Streitfall sind die Voraussetzungen des
§ 12 Nr. 3 EStG nach dessen Wortlaut nicht erfüllt. Denn
es geht weder um den Abzug der (nachgeforderten) Einkommensteuer
noch um den Abzug der darauf entfallenden Nachzahlungszinsen
gemäß § 233a AO, sondern allein um den Abzug des
Zinsaufwands für ein Darlehen, das der Kläger zur
Refinanzierung der Zahlung der nachgeforderten Einkommensteuer und
der darauf entfallenden Nachzahlungszinsen aufgenommen hatte.
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Ob ein solcher Zinsaufwand durch weite
Auslegung der Vorschrift vom unmittelbaren Anwendungsbereich des
§ 12 Nr. 3 EStG erfasst wird (so HHR/Bergkemper, § 9 EStG
Rz 385; a.A. Arndt in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, §
12 Rz D 12; HHR/ Fissenewert, § 12 EStG Rz 136; Schmieszek in
Bordewin/Brandt, § 12 EStG Rz 239; vgl. auch BFH-Beschluss vom
1.8.2008 IV B 45/04 = SIS 05 48 25, BFH/NV 2005, 2186 zur
Einbeziehung von Rechtsverfolgungskosten, sowie BFH-Urteil in BFHE
163, 551, BStBl II 1991, 514 = SIS 91 12 16, unter II., in dem zwar
ausdrücklich auf § 12 Nr. 3 EStG verwiesen wird, aber
wohl nur im Rahmen der Prüfung des Veranlassungszusammenhangs
der Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStG),
braucht im Streitfall letztlich nicht abschließend
entschieden zu werden. Denn soweit das FA im Jahr 2004 die
Einkommensteuerbescheide wieder geändert und für die
ursprünglichen Nachforderungen Steuererstattungen festgesetzt
hat, liegen bereits keine nachträglichen
Einkommensteuerzahlungen oder Nachzahlungszinsen gemäß
§ 233a AO (mehr) vor. Auch insoweit sind im Fall der
erzwungenen Kapitalüberlassung allein die objektiven
Umstände maßgeblich, wie sie sich nach Änderung der
Einkommensteuerbescheide im Jahr 2004 darstellen.
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4. Darüber hinaus hat das FG den
beantragten Werbungskostenabzug zu Unrecht wegen fehlender
Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers abgelehnt.
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In den Fällen erzwungener
Kapitalüberlassungen kommt es letztlich nicht auf die
Feststellung der subjektiven Einkünfteerzielungsabsicht an.
Maßgebend ist allein die objektive Steigerung der
finanziellen Leistungsfähigkeit (Senatsurteile vom 8.11.2005
VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527 = SIS 06 11 68, unter II.3.; in
BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 = SIS 10 23 36, Rz 17; in BFHE
235, 197, BStBl II 2012, 254 = SIS 12 04 58, Rz 18; Senatsbeschluss
in BFH/NV 2009, 1977 = SIS 09 36 22, unter II.2.), d.h. die Frage,
ob die Erstattungszinsen nach Abzug des als Werbungskosten zu
berücksichtigenden Zinsaufwands bei objektiver
(nachträglicher) Betrachtung zu einem Totalüberschuss
führen.
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Im Streitfall kommt es zu einem solchen
Totalüberschuss, da die vom Kläger insgesamt geltend
gemachten Werbungskosten nicht den Betrag der erzielten
Erstattungszinsen erreichen. Hierfür kommt es auf den
objektiven periodenübergreifenden Totalüberschuss an
(vgl. Senatsurteil in BFHE 235, 197, BStBl II 2012, 254 = SIS 12 04 58, Rz 12 und 24). Deshalb ist es unerheblich, ob der Zinsaufwand
bei isolierter Betrachtung einzelner Darlehen oder Zeitabschnitte
über den erzielten Erstattungszinsen liegt.
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5. Schließlich ist die Entscheidung des
FG auch nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen im Ergebnis
richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Zwar hat das FG - ausgehend von
seiner Rechtsansicht - nicht die verfahrensrechtlichen
Änderungsmöglichkeiten der angegriffenen Bescheide
geprüft. Auf Grundlage der Feststellungen des FG (§ 118
Abs. 2 FGO) steht hinsichtlich des beantragten Werbungskostenabzugs
auch für die bereits bestandskräftigen
Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 jedenfalls die
Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur
Verfügung. Danach ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn
ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
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Im Streitfall stand erst durch die zur
Steuererstattung führenden Änderungsbescheide und die
anschließende Zahlung der Erstattungszinsen im Jahr 2004
fest, dass die Einkommensteuernachzahlung im Jahr 2002 zum Teil als
erzwungene Kapitalüberlassung zu qualifizieren ist und der
Zinsaufwand für das Refinanzierungsdarlehen in einem
wirtschaftlichen Zusammenhang mit den erzielten Erstattungszinsen
steht. Darin liegt ein rückwirkendes Ereignis i.S. des §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. auch BFH-Urteile vom 18.7.1990 I R
165/86, BFH/NV 1991, 212, und vom 22.5.1991 I R 26/89, BFH/NV 1992,
150 zur Änderung der Stundungszinsen nach Herabsetzung der
Einkommensteuerschuld), da die Ereignisse im Jahr 2004 nicht nur
den steuerlich erheblichen Sachverhalt geändert haben, sondern
dieser veränderte Sachverhalt auch für die Vergangenheit
der wertenden Prüfung des Veranlassungszusammenhangs zugrunde
zu legen ist, d.h. den Ereignissen im Jahr 2004 nicht nur eine
indizielle Bedeutung zukommt (zu dieser Abgrenzung vgl.
Senatsurteil vom 6.7.1999 VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl II
2000, 306 = SIS 99 21 33).
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6. Die Vorentscheidung beruht auf anderen
Grundsätzen und ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Der Klage ist nach den vorstehenden Ausführungen
stattzugeben.
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Die Spruchreife umfasst auch die Höhe des
Werbungskostenabzugs. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob
hierfür eine periodenübergreifende
Verhältnisrechnung vorzunehmen ist, um zum einen denjenigen
Zinsaufwand vom Abzug auszuschließen, der auf die
Nachzahlungszinsen i.S. des § 233a AO entfällt, da
für deren Erstattung keine Erstattungszinsen anfallen (vgl.
Senatsbeschluss vom 23.6.2014 VIII B 75/13, BFH/NV 2014, 1713 = SIS 14 27 00), und um zum anderen auch denjenigen Zinsaufwand
auszuschließen, der auf Steuernachzahlungen entfällt,
die nicht durch die Steuererstattungen im Jahr 2004
rückgängig gemacht worden sind und somit ebenfalls nicht
zu Erstattungszinsen geführt haben. Denn der Kläger hat
mit seiner Klage von vorneherein nur den anteiligen Zinsaufwand
geltend gemacht, der auf die tatsächliche Steuererstattung in
Höhe von 194.452 EUR entfiel. Dabei geht der Senat auf
Grundlage der bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2
FGO) von einer vollständigen Fremdfinanzierung der im Jahr
2002 für die Jahre 1994 bis 1998 gezahlten Beträge aus,
so dass es nicht zu beanstanden ist, wenn die
Verhältnisrechnung nur hinsichtlich der Darlehenssumme in
Höhe von 232.000 EUR vorgenommen wird.
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7. Dem FA wird gemäß § 100
Abs. 2 Satz 2 FGO die Berechnung der Steuer übertragen.
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8. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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