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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) errichtete in den Streitjahren 2011 bis 2013
Gebäude. Ganz überwiegend veräußerte sie diese
anschließend an Dritte. Diese Umsätze unterfielen der
Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a des
Umsatzsteuergesetzes in der Fassung der Streitjahre (UStG). Im
geringen Umfang behielt sie Gebäudeteile für sich und
vermietete sie steuerfrei.
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Für die Errichtung der Gebäude
bezog sie Bauleistungen von im Inland ansässigen Dritten,
welche mit der Klägerin übereinstimmend davon ausgingen,
dass die Klägerin als Leistungsempfängerin
Steuerschuldnerin sei, und ihr Nettorechnungen stellten.
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In ihren Steuererklärungen für
die Streitjahre erklärte sie dementsprechend Steuer nach
§ 13b UStG in Höhe von 31.688,06 EUR in 2011, in
Höhe von 201.677,65 EUR in 2012 sowie in Höhe von
318.956,24 EUR in 2013. Die Jahressteuer errechnete sie in
Höhe von 31.688,06 EUR für 2011, in Höhe von 203.096
EUR für 2012 und in Höhe von 318.956,24 EUR für
2013. Diese Erklärungen führten zu Festsetzungen unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung.
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Mit Bescheiden vom 25.6.2016 hob der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) jeweils
den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
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Hiergegen legte die Klägerin mit der
Begründung Einspruch ein, nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs
(BFH) vom 22.8.2013 V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 =
SIS 13 31 06) sei sie nicht Steuerschuldnerin. Das FA wies den
Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 13.1.2016 als
unbegründet zurück.
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Demgegenüber hatte die Klage zum
Finanzgericht (FG) Erfolg. Das FG gab der Klage mit seinem in EFG
2017, 1842 = SIS 17 19 87 veröffentlichten Urteil
statt.
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Hiergegen wendet sich das FA mit seiner
Revision. Nach Auffassung des FA habe das FG zwar zutreffend
entschieden, dass die Klägerin nicht Steuerschuldnerin nach
§ 13b UStG sei. Der Durchsetzbarkeit des mit der Klage
verfolgten Erstattungsanspruchs stehe aber § 17 UStG in
entsprechender Anwendung, der Grundsatz von Treu und Glauben und
das Unionsrecht entgegen. Festzuhalten sei an einer vom BFH in
einem summarischen Verfahren vertretenen Auffassung. Treu und
Glauben komme eine rechtsbegrenzende Wirkung zu. Es sei
rechtsmissbräuchlich und eine unzulässige
Rechtsausübung, wenn ein Anspruchsinhaber an einer formalen
Rechtsposition festhalte, ohne ein schutzwürdiges
Eigeninteresse zu haben. Das Erstattungsverlangen begründe die
Verpflichtung, an den Leistenden zu zahlen. Ein steuerrechtlicher
Zufallsgewinn führe nicht zu einem berechtigten
Eigeninteresse. Gleiches gelte im Hinblick auf die Verzinsung. Die
Klägerin verhalte sich zudem treuwidrig, wenn sie Erstattung
begehre, ohne an den Leistenden zu zahlen. Dies ergebe sich auch
aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom
26.7.2017, BStBl I 2017, 1001 = SIS 17 13 98, Rz 15a. Nach dem
Neutralitätsprinzip sei eine ungerechtfertigte Bereicherung zu
vermeiden. Zu beachten sei auch die BFH-Rechtsprechung, nach der es
bei § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG für das Entfallen der
Steuerschuld zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung
auf eine Rückzahlung überhöht ausgewiesener
Steuerbeträge ankomme.
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Während des Revisionsverfahrens
ergingen Teilabhilfebescheide vom 29.6.2018, die gemäß
§§ 68, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des
Revisionsverfahrens wurden. Das FA setzte die Umsatzsteuer 2011 auf
... EUR, die Umsatzsteuer 2012 auf ... EUR und die Umsatzsteuer
2013 auf ... EUR fest. Hieraus ergaben sich
Erstattungsansprüche in Höhe von ... EUR (2011), ... EUR
(2012) und ... EUR (2013), gegen die das FA mit Ausnahme eines
Restbetrages von ... EUR die Aufrechnung erklärte.
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Im Hinblick hierauf beantragt das FA
nunmehr, das Urteil des FG dahingehend abzuändern, dass die
Umsatzsteuer 2011 auf ... EUR, die Umsatzsteuer 2012 auf ... EUR
und die Umsatzsteuer 2013 auf ... EUR festgesetzt wird.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Festsetzungs- und Erhebungsverfahren seien
zu trennen. Sie sei nicht Steuerschuldner gewesen. Den
Steuerbescheiden stehe kein aufschiebend bedingtes
Durchsetzungshindernis entgegen. Dies könne nur für das
hier unerhebliche Erhebungsverfahren von Bedeutung sein. Das FA
beziehe sich für das streitige Verfahren zu Unrecht auf das
Erhebungsverfahren. Der Gesetzgeber gehe von einem
Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers aus. Auf einen
Zufallsgewinn komme es nicht an. § 17 UStG sei nicht analog
anzuwenden. Sie verstoße nicht gegen Treu und Glauben und
verhalte sich auch nicht widersprüchlich. Die Finanzverwaltung
habe die Bauträgerproblematik selbst verursacht.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Wie zwischen
den Beteiligten unstreitig ist, war die Klägerin nicht
Steuerschuldnerin nach § 13b UStG. Hat ein Bauträger
aufgrund der rechtsirrigen Annahme seiner Steuerschuld als
Leistungsempfänger für von ihm bezogene Bauleistungen
nach § 13b UStG versteuert, kann er das Entfallen dieser
rechtswidrigen Besteuerung geltend machen, ohne dass es darauf
ankommt, dass er einen gegen ihn gerichteten Nachforderungsanspruch
des leistenden Unternehmers erfüllt oder die Möglichkeit
für eine Aufrechnung durch das FA besteht.
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1. Eine rechtswidrig nach § 13b UStG als
Leistungsempfänger vorgenommene Versteuerung ist unter den
Voraussetzungen einer verfahrensrechtlichen
Korrekturmöglichkeit - hier: Einspruch gegen die Aufhebung des
Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3
Satz 2 der Abgabenordnung (AO) - rückgängig zu machen
(vgl. hierzu z.B. Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128
= SIS 13 31 06).
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2. Das materielle Recht macht das Entfallen
einer rechtswidrigen Besteuerung nach § 13b UStG nicht von
weiteren Bedingungen abhängig.
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a) Der Anspruch auf Änderung der
rechtswidrigen Steuerfestsetzung hängt nicht von einer
für das FA bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit ab. Denn
im Verhältnis zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
ist die Steuerfestsetzung für das Erhebungsverfahren
vorgreiflich. Grundlage für die Verwirklichung von
Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind
gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 AO Steuerbescheide und
Steuervergütungsbescheide (BFH-Urteil vom 8.3.2012 V R 24/11,
BFHE 236, 274, BStBl II 2012, 466 = SIS 12 07 83, Rz 42). Sind
Festsetzungs- und Erhebungsverfahren danach voneinander zu trennen,
ist die das Erhebungsverfahren betreffende Aufrechnung (vgl. §
226 AO) für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer
Steuerfestsetzung ohne Bedeutung.
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b) Auf der Grundlage des für das
Umsatzsteuerrecht maßgeblichen Sollprinzips (vgl. zur
Steuerentstehung § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG und beim
Vorsteuerabzug § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) kann dem
materiellen Recht kein allgemeiner Grundsatz entnommen werden, dass
der Leistungsempfänger eine bei ihm rechtswidrig nach §
13b UStG vorgenommene Besteuerung erst aufgrund einer einen
Steueranteil umfassenden Zahlung an den Leistenden
rückgängig machen kann. Soweit dies dem Senatsbeschluss
vom 27.1.2016 V B 87/15 (BFHE 252, 187 = SIS 16 03 09) und der dort
für möglich gehaltenen Auslegung von § 17 UStG zu
entnehmen sein sollte, hat der erkennende Senat hieran in seinem
Urteil vom 23.2.2017 V R 16, 24/16 (BFHE 257, 177, BStBl II 2017,
760 = SIS 17 04 53, Rz 62) nicht festgehalten.
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c) Bestätigt wird dies durch § 27
Abs. 19 UStG.
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aa) Sind Unternehmer und
Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der
Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine
vor dem 15.2.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und
stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist
gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den
leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern,
soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer
fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu
sein. Nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG steht § 176 AO der
Änderung nicht entgegen. § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG
enthält eine Abtretungsregelung, wobei § 27 Abs. 19 Satz
4 UStG die Erfüllungswirkung dieser Abtretung regelt.
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§ 27 Abs. 19 UStG bezweckt, den
Vertrauensschutz nach § 176 AO auszuschalten und durchbricht
dabei die grundsätzliche Trennung zwischen Festsetzungs- und
Erhebungsverfahren (BFH-Urteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128
= SIS 13 31 06, Rz 29 und 47). Für die Ausübung der
Änderungsbefugnis gegenüber dem Leistenden muss diesem
hier ein abtretbarer Nachforderungsanspruch gegen den
Leistungsempfänger zustehen (BFH-Urteil in BFHE 257, 177,
BStBl II 2017, 760 = SIS 17 04 53, Leitsatz 1 und unter II.2.d),
der sich entsprechend der Senatsrechtsprechung aus § 313 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs oder aus ergänzender
Vertragsauslegung (so Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.5.2018
VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469 = SIS 18 08 15) ergeben kann.
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bb) Eine vergleichbare Regelung zu Lasten des
Leistungsempfängers, der sich unzutreffend als Steuerschuldner
nach § 13b UStG angesehen hat, gibt es nicht. Damit besteht
hier die Trennung von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
unverändert fort. Für das Änderungsbegehren des
Leistungsempfängers kommt es daher nicht auf eine für das
FA bestehende Aufrechnungsmöglichkeit an.
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d) Das Verlangen nach einer gesetzeskonformen
Besteuerung ohne rechtsfehlerhafte Anwendung von § 13b UStG
ist entgegen der Auffassung des FA weder treuwidrig noch eine
unzulässige Rechtsausübung.
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Die Grundsätze von Treu und Glauben haben
lediglich rechtsbegrenzende Wirkung innerhalb bestehender
Schuldverhältnisse und bewirken nicht, dass
Steueransprüche oder -schulden überhaupt erst zum
Entstehen oder Erlöschen gebracht werden (BFH-Urteil vom
12.2.2015 V R 28/14, BFHE 248, 512, BStBl II 2017, 10 = SIS 15 11 06, Rz 31 f.).
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Im Streitfall war es die Finanzverwaltung, die
aufgrund einer unzutreffenden Beurteilung den Anwendungsbereich auf
Leistungsempfänger ohne Recht auf Vorsteuerabzug erweitert und
aus den im Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 = SIS 13 31 06 dargelegten Gründen die Klägerin als
Bauträgerin rechtswidrig besteuert hat. Das Verlangen nach
Korrektur dieser rechtswidrigen Besteuerung, ohne zuvor einen
Nachforderungsanspruch des leistenden Unternehmers erfüllt zu
haben, ist im Verhältnis zum FA (entgegen der Auffassung im
BMF-Schreiben vom 26.7.2017, BStBl I 2017, 1001 = SIS 17 13 98, Rz
15a) nicht treuwidrig.
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e) Es besteht auch kein Widerspruch zum
Neutralitätsgrundsatz. Hierzu hat der Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) bereits entschieden, dass dem Antrag
auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer der Anspruch auf
Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Beträge zugrunde
liegt, mit dem die mit der Abgabe zu Unrecht auferlegte
wirtschaftliche Belastung des Wirtschaftsteilnehmers zu
neutralisieren ist (EuGH-Urteil Compass Contract Services vom
14.6.2017 C-38/16, EU:C:2017:454, Rz 29 f.).
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f) Abweichendes ergibt sich entgegen der
Auffassung des FA auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 16.5.2018 XI R
28/16 (BFH/NV 2018, 1048 = SIS 18 10 59). Der XI. Senat des BFH hat
hier entschieden, dass die wirksame Berichtigung eines
Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 UStG
grundsätzlich erfordert, dass der Unternehmer die vereinnahmte
Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat.
Dies wurde insbesondere damit begründet, dass „eine
Erstattung durch das FA allein aufgrund der Rechnungsberichtigung
ohne Rückzahlung der Steuer den Leistenden ungerechtfertigt
bereichern“ würde.
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Denn das BFH-Urteil in BFH/NV 2018, 1048 = SIS 18 10 59 betrifft die Auslegung von § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG,
der anders als § 13b UStG auf § 17 UStG verweist. Wie der
erkennende Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 257, 177, BStBl
II 2017, 760 = SIS 17 04 53, Rz 62 entschieden hat, kommt eine
Berücksichtigung von § 17 UStG bei einer
rechtsfehlerhaften Anwendung von § 13b UStG nicht in
Betracht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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