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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist Landwirtin und wendete auf ihre Umsätze
die Durchschnittssätze für Land- und Forstwirte nach
§ 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an. Mit ihren
Milchkühen produzierte sie ca. 650.000 Liter Milch, von denen
sie ca. 10.000 Liter für ihre Joghurtproduktion verwendete.
Dabei stellte sie in den Streitjahren 2008 und 2009 auch
Fruchtjoghurt her, bei den sie den von ihr hergestellten Joghurt
mit zugekauften Fruchtmischungen vermischte. Der so hergestellte
Fruchtjoghurt verfügte über einen Fruchtanteil von 14
%.
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Die Klägerin sah in dem von ihr
hergestellten Fruchtjoghurt ein landwirtschaftliches Erzeugnis,
dessen Lieferung sie nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG
versteuerte.
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Demgegenüber ging der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) im Anschluss an eine
Außenprüfung davon aus, dass der Fruchtjoghurt als
Erzeugnis einer sog. zweiten Verarbeitungsstufe anzusehen sei und
daher kein landwirtschaftliches Erzeugnis vorliege. Das FA
änderte die Steuerfestsetzungen für beide Streitjahre und
ging von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes
aus.
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Der hiergegen eingelegten Klage gab das
Finanzgericht (FG) mit seinem in EFG 2017, 1483 = SIS 17 16 85
veröffentlichten Urteil statt. Unter Berücksichtigung von
Art. 296 der Richtlinie des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) und der
hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führe
die händische Vermischung von Naturjoghurt und Fruchtanteil
nicht zu einer landwirtschaftsuntypischen Be- oder Verarbeitung
außerhalb des traditionellen Bildes des Landwirts.
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Hiergegen wendet sich die Revision des FA.
Auf die Lieferung der Fruchtjoghurtprodukte sei § 24 UStG
nicht anzuwenden. Das Herstellen von Fruchtjoghurt gehöre
nicht mehr zur Milchviehhaltung. Durch die Verarbeitung der Milch
zu Fruchtjoghurt entstehe ein Erzeugnis der zweiten
Verarbeitungsstufe. Die erste Verarbeitungsstufe sei bereits mit
der Pasteurisierung der Milch durch Erhitzung und dem
Hinzufügen von Bakterienkulturen und damit mit dem Entstehen
von Naturjoghurt abgeschlossen. Bei Produkten der zweiten
Verarbeitungsstufe komme es auf den Beimischungsgrad nicht an. Die
Unterscheidung zwischen erster und zweiter Verarbeitungsstufe
entspreche Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL. Die unschädliche erste
Verarbeitungsstufe liege nur vor, wenn das selbst erzeugte Produkt
nicht wesentlich verändert werde, eine transportbedingte
Bearbeitung vorliege oder es um das bloße Haltbarmachen gehe.
Auf die Anzahl der Arbeitsschritte komme es nicht an. Zu beachten
sei auch der Neutralitätsgrundsatz. Es dürfe nicht nach
der Art der Produktionsmittel zu einer ungleichen Behandlung
gleicher Endprodukte kommen. Durch das Hinzufügen der
Fruchtmischung entwickele sich Joghurt zu einem höherwertigen
Produkt der zweiten Verarbeitungsstufe und trete in Konkurrenz zu
Erzeugnissen nichtlandwirtschaftlicher Molkereien.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Nach Maßgabe der Wesentlichkeit liege
eine zulässige Verarbeitungstätigkeit vor.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend entschieden,
dass die Klägerin zur Anwendung von § 24 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 UStG auf den von ihr gelieferten Fruchtjoghurt berechtigt
ist.
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1. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG setzt
voraus, dass der Inhaber eines land- und forstwirtschaftlichen
Betriebs landwirtschaftliche Erzeugnisse liefert oder
landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringt.
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a) Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG
wird die Steuer für die im Rahmen eines land- und
forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Lieferungen und
sonstigen Leistungen, bei denen es sich nicht um die in Satz 1
dieser Vorschrift näher bezeichnete Lieferung von
forstwirtschaftlichen Erzeugnissen oder um Leistungen mit
Getränken oder mit alkoholischen Flüssigkeiten handelt,
auf 10,7 % festgesetzt. Aus § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG ergibt
sich ein Vorsteuerabzug in gleicher Höhe. Zu den land- und forstwirtschaftlichen
Betrieben gehören nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG
insbesondere Tierhaltungsbetriebe.
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Weitergehende Regelungen zum Umfang der
Umsätze, die § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG unterliegen,
enthält das nationale Recht nicht.
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b) Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist
§ 24 Abs. 1 UStG richtlinienkonform entsprechend Art. 295 ff.
MwStSystRL auszulegen (z.B. BFH-Urteile vom 24.1.2013 V R 34/11,
BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460 = SIS 13 11 19, unter II.1.b, und
vom 21.1.2015 XI R 13/13, BFHE 248, 462, BStBl II 2015, 730 = SIS 15 05 87, unter II.1.b). Danach finden die sog.
Pauschalausgleich-Prozentsätze gemäß Art. 300 f.
MwStSystRL auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und
landwirtschaftliche Dienstleistungen Anwendung. Landwirtschaftliche
Erzeugnisse sind dabei gemäß Art. 295 Abs. 1 Nr. 4
MwStSystRL die Gegenstände, die im Rahmen der in Anhang VII
zur Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten von land-, forst-
oder fischwirtschaftlichen Betrieben erzeugt werden. Nach Anhang
VII Nr. 2 Buchst. a zur Richtlinie gehört hierzu die
Viehhaltung.
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c) Den landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind
die Erzeugnisse gleichgestellt, die aus bestimmten
Verarbeitungstätigkeiten stammen. Denn Art. 295 Abs. 2
MwStSystRL stellt den in Anhang VII zur Richtlinie
aufgeführten Tätigkeiten die Verarbeitungstätigkeiten gleich, die ein
Landwirt bei im Wesentlichen aus seiner landwirtschaftlichen
Produktion stammenden Erzeugnissen mit Mitteln ausübt, die
normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben
verwendet werden.
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2. Im Streitfall hat das FG zu Recht
entschieden, dass die Herstellung von Fruchtjoghurt unter
Verwendung zugekaufter Fruchtmischungen eine
Verarbeitungstätigkeit eines Milchbauern ist, so dass die
Lieferung des Fruchtjoghurts § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG
unterliegt. Die Klägerin hat mit dem von ihr hergestellten
Fruchtjoghurt ein landwirtschaftliches Erzeugnis geliefert, da es
sich nicht nur bei der Herstellung des Joghurts, sondern auch bei
der Herstellung des Fruchtjoghurts um eine
Verarbeitungstätigkeit i.S. von Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL
handelte.
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a) Die Klägerin hat nicht nur mit der
Herstellung von Joghurt aus Milch, sondern auch mit der Beimischung
des Fruchtzusatzes eine Verarbeitungstätigkeit
ausgeübt.
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b) Gegenstand dieser
Verarbeitungstätigkeiten waren im Wesentlichen aus der
landwirtschaftlichen Produktion der Klägerin stammende
Erzeugnisse. Haupterzeugnis war die Milch. Die Beimischung des
zugekauften Fruchtzusatzes ist ohne Bedeutung. In Bezug auf die
verarbeiteten Erzeugnisse besteht kein
Ausschließlichkeitsgebot, nachdem nur aus der eigenen
landwirtschaftlichen Produktion stammende Erzeugnisse verarbeitet
werden dürfen, sondern nur ein Wesentlichkeitsgebot. Der im
Streitfall hinzugegebene Fruchtgehalt von 14 % entspricht dem.
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c) Die Klägerin hat die
Verarbeitungstätigkeit auch mit Mitteln ausgeübt, die
normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben
verwendet werden. Entscheidend ist insoweit, dass die Beimischung
nach den Feststellungen des FG händisch und nicht unter
Einsatz industrieller und landwirtschaftsuntypischer Maschinen
erfolgte.
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Eine weitergehende Einschränkung auf
völlig unwesentliche oder nur transportbedingte Bearbeitungen
oder auf das bloße Haltbarmachen lässt sich Art. 295
Abs. 2 MwStSystRL nicht entnehmen.
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3. Die weiteren Einwendungen des FA greifen
nicht durch.
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a) Soweit das FA auf Abschn. 24.2 Abs. 2 des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses verweist, findet die dort
vorgenommene Unterscheidung zwischen einer ersten und einer zweiten
Verarbeitungsstufe in der Richtlinie keine ausdrückliche
Grundlage und kann daher, wie das FA in der mündlichen
Verhandlung eingeräumt hat, nur zur begrifflichen Umschreibung
der nach Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL zulässigen und
unzulässigen Verarbeitungstätigkeiten dienen, ohne dass
dem weitergehende Bedeutung zukommt.
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b) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich
auch nicht aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität.
Zwar lässt es dieser Grundsatz nicht zu, gleichartige und
deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder
Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu
behandeln (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Pro
Med Logistik und Pongratz vom 27.2.2014 C-454/12 C-455/12,
EU:C:2014:111, BStBl II 2015, 437 = SIS 14 08 10, Rz 52). Eine
derartige Ungleichbehandlung ist aber der Anwendung der
Sonderregelung des § 24 UStG, die auf Art. 295 ff. MwStSystRL
beruht, immanent. Die Regelung führt zur Anwendung besonderer
Steuersätze auf Leistungen, obwohl gleiche Leistungen anderer
Unternehmer anderen Steuersätzen unterliegen können.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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