1
|
I. Die Beteiligten streiten über den
Vorsteuerabzug aus der Errichtung einer Photovoltaikanlage.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erwarb im Jahr 2014 (Streitjahr) eine
Photovoltaikanlage. Den seit 22.09.2014 erzeugten Strom verbrauchte
er teilweise selbst, teilweise speiste er ihn in das Stromnetz
eines Netzbetreibers (X) ein. Der Einspeisevertrag mit X vom
25.09.2014 sieht für den gelieferten Strom eine Vergütung
pro kWh zuzüglich Umsatzsteuer vor. Entsprechend wurden in
einer Gutschrift des X vom 19.01.2015 die im Streitjahr
ausgeführten Stromlieferungen des Klägers an X
abgerechnet.
|
|
|
3
|
Gegenüber dem Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) gab der Kläger
zunächst weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch sonstige
Erklärungen zu den Ausgangs- und Eingangsumsätzen aus dem
Betrieb der Photovoltaikanlage sowie den unentgeltlichen
Wertabgaben ab. Am 29.02.2016 reichte er eine
Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ein und zog
darin u.a. die in der Rechnung vom 11.09.2014 offen ausgewiesene
Umsatzsteuer (... EUR) als Vorsteuer ab.
|
|
|
4
|
Das FA stimmte der Steuererklärung
zunächst zu, versagte später aber den Vorsteuerabzug
für die Photovoltaikanlage, weil der Kläger nicht
rechtzeitig (bis zum 31. Mai des Folgejahres) eine
Zuordnungsentscheidung getroffen habe. Das FA machte als Folge
hiervon auch den Ansatz der unentgeltlichen Wertabgabe
rückgängig. Es setzte mit
Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Streitjahr,
zuletzt vom 27.03.2017, die Umsatzsteuer entsprechend höher
fest. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom
18.05.2017).
|
|
|
5
|
Das Finanzgericht (FG)
Baden-Württemberg wies die Klage, mit der der Kläger
vortrug, er habe mit Abschluss des Einspeisevertrags seine
Zuordnungsentscheidung nach außen dokumentiert, ab. Es nahm
an, der Kläger habe die Photovoltaikanlage nicht rechtzeitig
seinem Unternehmen zugeordnet. Die Zuordnung habe der Kläger
gegenüber dem FA als Adressaten dokumentieren müssen. Das
Urteil ist in EFG 2019, 2005 = SIS 19 17 87
veröffentlicht.
|
|
|
6
|
Der Kläger rügt mit seiner
Revision die Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
7
|
Er beantragt sinngemäß, die
Vorentscheidung des FG, die Einspruchsentscheidung vom 18.05.2017
sowie die Änderungsbescheide vom 30.11.2016 und 27.03.2017
ersatzlos aufzuheben.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Der Senat hat mit Beschluss vom 18.09.2019
- XI R 7/19 (BFHE 266, 472, BStBl II 2021, 118 = SIS 20 00 16) das
Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) um Vorabentscheidung folgender
Fragen ersucht:
|
|
|
|
“1. Steht Art. 168
Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der das Recht auf
Vorsteuerabzug in den Fällen, in denen ein Zuordnungswahlrecht
beim Leistungsbezug besteht, ausgeschlossen ist, wenn bis zum
Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die
Umsatzsteuer-Jahreserklärung keine für die
Finanzbehörden erkennbare Zuordnungsentscheidung abgegeben
wurde?
|
|
|
|
2. Steht Art. 168 Buchst. a der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach
der eine Zuordnung zum privaten Bereich unterstellt wird
beziehungsweise (bzw.) eine dahingehende Vermutung besteht, wenn
keine (ausreichenden) Indizien für eine unternehmerische
Zuordnung vorliegen?“
|
|
|
10
|
Der EuGH hat darauf mit Urteil Finanzamt N
(Mitteilung der Zuordnung) vom 14.10.2021 - C-45/20 und C-46/20
(EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25) wie folgt geantwortet:
|
|
|
|
“Art. 168 Buchst. a in
Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der
durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22.12.2009
geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen
Bestimmungen nicht entgegensteht, die von einem nationalen Gericht
so ausgelegt werden, dass die zuständige nationale
Steuerverwaltung den Vorsteuerabzug in Bezug auf einen Gegenstand
unter der Annahme, dass dieser dem Privatvermögen des
Steuerpflichtigen zugewiesen wurde, verweigern darf, wenn ein
Steuerpflichtiger ein Wahlrecht hat, ob er einen Gegenstand dem
Vermögen seines Unternehmens zuordnet, und diese
Steuerverwaltung nicht spätestens bis zum Ablauf der
gesetzlichen Frist für die Abgabe der
Umsatzsteuer-Jahreserklärung in die Lage versetzt wurde,
aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung oder hinreichender
Anhaltspunkte eine solche Zuordnung des Gegenstands festzustellen,
es sei denn, die besonderen rechtlichen Modalitäten für
die Ausübung dieser Befugnis lassen erkennen, dass sie nicht
mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar
ist.“
|
|
|
11
|
Der Senat hat anschließend das
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen XI R 29/21 (XI R 7/19)
fortgesetzt.
|
|
|
12
|
Der Kläger hat zum Urteil des EuGH
vorgetragen, der Einspeisevertrag sei als eindeutige Entscheidung
des Unternehmers zu werten, die Photovoltaikanlage dem Unternehmen
zuzuordnen.
|
|
|
13
|
Das FA vertritt die Auffassung, dass der
EuGH die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur
Zuordnungsentscheidung bestätigt habe. Der Kläger habe
die Zuordnung zum Unternehmen erst nach Fristablauf dem FA zur
Kenntnis gebracht.
|
|
|
14
|
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung
in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist zu Unrecht davon
ausgegangen, dass dem Kläger der begehrte Vorsteuerabzug nicht
zustehe, weil er die erforderliche Zuordnungsentscheidung nicht
gegenüber dem FA innerhalb der Zuordnungsfrist mitgeteilt
habe. Der Kläger hat die Photovoltaikanlage rechtzeitig voll
seinem Unternehmen zugeordnet.
|
|
|
15
|
1. Das FG ist im Ausgangspunkt zutreffend
davon ausgegangen, dass dem Kläger ein Zuordnungswahlrecht
zusteht.
|
|
|
16
|
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1
des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich
geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen
Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind,
als Vorsteuer abziehen. Die nach § 15 UStG abziehbaren
Vorsteuerbeträge sind für den Besteuerungszeitraum
abzusetzen, in den sie fallen (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG).
|
|
|
17
|
Dies beruht auf Art. 168 Buchst. a der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach ist der
Steuerpflichtige berechtigt, die geschuldete und entrichtete
Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen
abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert
bzw. erbracht wurden oder werden, soweit die Gegenstände und
Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze
verwendet werden. Gemäß Art. 167 MwStSystRL entsteht das
Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare
Steuer entsteht. Dabei handelt es sich um materielle
Voraussetzungen für das Entstehen des Rechts auf
Vorsteuerabzug (vgl. EuGH-Urteil Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 34 und 36).
|
|
|
18
|
b) Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands,
der gemischt verwendet wird oder werden soll, steht nach der
Rechtsprechung des EuGH und des BFH dem Unternehmer ein
Zuordnungswahlrecht zu: Er kann den Gegenstand insgesamt seinem
Unternehmen zuordnen oder in vollem Umfang in seinem
Privatvermögen belassen oder den Gegenstand entsprechend dem -
geschätzten - unternehmerischen Nutzungsanteil seinem
Unternehmen zuordnen (vgl. EuGH-Urteile Lennartz vom 11.07.1991 -
C-97/90, EU:C:1991:315 = SIS 91 23 19; Armbrecht vom 04.10.1995 -
C-291/92, EU:C:1995:304 = SIS 96 01 22, Rz 19 ff.; Bakcsi vom
08.03.2001 - C-415/98, EU:C:2001:136 = SIS 01 06 82, Rz 25 ff.;
BFH-Beschluss in BFHE 266, 472, BStBl II 2021, 118 = SIS 20 00 16,
Rz 18).
|
|
|
19
|
c) Im Streitfall bestand danach, wovon das FG
zutreffend ausgegangen ist, ein solches Zuordnungswahlrecht des
Klägers, da er den von der Photovoltaikanlage erzeugten Strom
teilweise steuerpflichtig an X geliefert und teilweise für
private Zwecke verbraucht hat (vgl. BFH-Urteil vom 11.04.2008 - V R
10/07, BFHE 221, 456, BStBl II 2009, 741 = SIS 08 31 45, Rz 36;
Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom
07.03.2013 in der Rechtssache C-219/12, Finanzamt Freistadt
Rohrbach Urfahr, EU:C:2013:152, Rz 36 ff.).
|
|
|
20
|
2. Steht anhand objektiver Anhaltspunkte, die
innerhalb der Zuordnungsfrist erkennbar geworden sind, fest, dass
der Steuerpflichtige einen Gegenstand dem Unternehmen zugeordnet
hat, ist es entgegen dem Urteil des FG nicht zusätzlich
erforderlich, dass er die erfolgte Zuordnung der Finanzverwaltung
innerhalb dieser Frist mitteilt.
|
|
|
21
|
a) Der BFH hat mit seinen Urteilen vom
07.07.2011 - V R 42/09 (BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76 = SIS 11 31 06) und vom 07.07.2011 - V R 21/10 (BFHE 234, 531, BStBl II
2014, 81 = SIS 11 38 66) entschieden, dass keine
„zeitnahe“ Dokumentation der
Zuordnungsentscheidung vorliegt, wenn sie dem Finanzamt erst nach
Ablauf der - früher für alle Steuerpflichtigen geltenden
- gesetzlichen Abgabefrist für Steuererklärungen (§
149 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung - AO - a.F., d.h. dem 31. Mai
des Folgejahres) mitgeteilt wird. Dabei hat er allerdings
ausdrücklich offen gelassen, ob eine Zuordnung aus anderen
objektiven Beweisanzeichen gefolgert werden kann (vgl. BFH-Urteil
in BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76 = SIS 11 31 06, Rz 41). Andere
objektive Beweisanzeichen lagen in den dort entschiedenen
Fällen nicht vor (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 234, 531, BStBl
II 2014, 81 = SIS 11 38 66, Rz 40 ff.). Die Aussage, dass die
Zuordnung mitgeteilt werden muss, bezog sich folglich auf
Situationen, in denen die Zuordnung nur aus einer (Steuer- oder
Willens-)Erklärung gegenüber der Finanzverwaltung
folgte.
|
|
|
22
|
In der Folgezeit hat der BFH diese
Rechtsprechung mehrfach bestätigt (vgl. BFH-Urteile vom
15.12.2011 - V R 48/10, BFH/NV 2012, 808 = SIS 12 10 81, Rz 18 ff.;
vom 18.04.2012 - XI R 14/10, BFH/NV 2012, 1828 = SIS 12 27 60, Rz
29 f., 35 ff.; vom 11.07.2012 - XI R 17/09, BFH/NV 2013, 266 = SIS 13 01 92, Rz 40 f., 52 ff.; BFH-Beschlüsse vom 20.09.2012 - V
B 109/11, BFH/NV 2013, 98 = SIS 12 33 36; vom 25.02.2014 - V B
75/13, BFH/NV 2014, 914 = SIS 14 13 70; vom 18.07.2014 - XI B
37/14, BFH/NV 2014, 1779 = SIS 14 27 42; vom 14.03.2017 - V B
109/16, BFH/NV 2017, 922 = SIS 17 10 49), aber auch dort in keinem
Fall ausgesprochen, dass andere innerhalb der Zuordnungsfrist
objektiv erkennbar gewordene Beweisanzeichen zusätzlich
innerhalb der Frist der Finanzverwaltung mitgeteilt werden
müssten. Vielmehr hat er zum Teil andere, nicht dem Finanzamt
mitgeteilte objektive Anhaltspunkte geprüft, aber jeweils
für den konkreten Streitfall verneint, dass sich daraus eine
rechtzeitige Zuordnung ergebe (vgl. auch BFH-Urteil vom 19.07.2011
- XI R 29/09, BFHE 234, 556, BStBl II 2012, 430 = SIS 11 36 19, Rz
34). In allen Entscheidungen hat er außerdem darauf
hingewiesen, dass sich eine Zuordnung auch aus anderen objektiven
Beweisanzeichen ergeben kann.
|
|
|
23
|
b) Die Finanzverwaltung hat sich dieser
Rechtsprechung insoweit angeschlossen, als sie zwar
grundsätzlich weiter auf die erstmögliche Voranmeldung
abstellt, aber eine Dokumentation in der Umsatzsteuererklärung
zulässt, „wenn frühere Anhaltspunkte für
eine vollständige oder teilweise Zuordnung der bezogenen
Leistung zum Unternehmen fehlen“ (Abschn.
15.2c Abs. 16 Satz 3 und 4 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses -
UStAE - ). Bei Gegenständen, bei denen der Vorsteuerabzug nach
§ 15 Abs. 1b UStG ausgeschlossen ist, verlangt sie hingegen
eine gegenüber dem Finanzamt abgegebene schriftliche
Erklärung, in welchem Umfang das Gebäude dem Unternehmen
zugeordnet wird, wenn sich aus dem Umfang des geltend gemachten
Vorsteuerabzugs nicht ergibt, mit welchem Anteil das Gebäude
dem Unternehmen zugeordnet wurde (Abschn. 15.2c Abs. 18 Satz 3
UStAE).
|
|
|
24
|
c) Zu den unionsrechtlichen Zweifeln im
Hinblick auf die an die Dokumentation der Zuordnung zu stellenden
Anforderungen (BFH-Beschluss in BFHE 266, 472, BStBl II 2021, 118 =
SIS 20 00 16, Rz 25 ff.) hat der EuGH im Urteil Finanzamt N
(EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25) geantwortet:
|
|
|
|
“Art. 168 Buchst. a in
Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG ... ist dahin
auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen nicht entgegensteht,
die von einem nationalen Gericht so ausgelegt werden, dass die
zuständige nationale Steuerverwaltung den Vorsteuerabzug in
Bezug auf einen Gegenstand unter der Annahme, dass dieser dem
Privatvermögen des Steuerpflichtigen zugewiesen wurde,
verweigern darf, wenn ein Steuerpflichtiger ein Wahlrecht hat, ob
er einen Gegenstand dem Vermögen seines Unternehmens zuordnet,
und diese Steuerverwaltung nicht spätestens bis zum Ablauf der
gesetzlichen Frist für die Abgabe der
Umsatzsteuer-Jahreserklärung in die Lage versetzt wurde,
aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung oder hinreichender
Anhaltspunkte eine solche Zuordnung des Gegenstands festzustellen,
es sei denn, die besonderen rechtlichen Modalitäten für
die Ausübung dieser Befugnis lassen erkennen, dass sie nicht
mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar
ist.“
|
|
|
25
|
d) Bei der Würdigung dieser Entscheidung
ist zu beachten, dass der EuGH, wie sich aus den Rz 50 ff. ergibt,
davon ausgegangen ist, dass nach dem nationalen Recht eine
Verpflichtung des Steuerpflichtigen bestehe, seine
Zuordnungsentscheidung spätestens bis zum Ablauf der
gesetzlichen Frist für die Abgabe der
Umsatzsteuer-Jahreserklärung der Steuerverwaltung
mitzuteilen.
|
|
|
26
|
Dagegen erfordert die Dokumentation der
Zuordnung keine Mitteilung gegenüber der Finanzbehörde.
Dass innerhalb der Zuordnungsfrist nach außen hin erkennbar
gewordene objektive Anhaltspunkte der Finanzbehörde nach
Fristablauf nicht mehr mitgeteilt werden dürften, hat der BFH
in keinem Fall entschieden. Soweit der BFH darauf abgestellt hat,
dass keine „zeitnahe“
Dokumentation der Zuordnungsentscheidung vorliege, wenn die
Zuordnungsentscheidung dem FA erst nach Ablauf der gesetzlichen
Abgabefrist von Steuererklärungen mitgeteilt werde bzw. eine
„zeitnahe“ Dokumentation der
Zuordnungsentscheidung nur dann vorliege, wenn diese bis zur
gesetzlichen Abgabefrist für Steuererklärungen dem FA
gegenüber abgegeben wurde (Leitsatz 3 und Rz 33 des
BFH-Urteils in BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76 = SIS 11 31 06; Rz
18 des BFH-Urteils in BFH/NV 2012, 808 = SIS 12 10 81; Rz 2 des
BFH-Beschlusses vom 11.11.2011 - V B 19/10, BFH/NV 2012, 459 = SIS 12 04 02, sowie Leitsatz 4 des BFH-Urteils in BFH/NV 2012, 1828 =
SIS 12 27 60), bezieht sich dies auf Fallgestaltungen, in denen
sich keine Zuordnung aus anderen vor Ablauf der Zuordnungsfrist
objektiv erkennbaren Anhaltspunkten ergab.
|
|
|
27
|
Die so verstandene Frist ist auch
verhältnismäßig. Dem Steuerpflichtigen wird dadurch
der Vorsteuerabzug weder praktisch unmöglich gemacht noch
übermäßig erschwert, weil er nach der
ständigen Rechtsprechung des EuGH ohnehin beim Erwerb
wählen muss, ob er als Steuerpflichtiger handelt, und dies
eine materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist (vgl.
EuGH-Urteil Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 41
ff.).
|
|
|
28
|
e) Danach steht - entgegen der Auffassung des
FG - dem Vorsteuerabzug des Klägers nicht entgegen, dass er
seine im Jahr 2014 erfolgte Zuordnung zum Unternehmen erst am
29.02.2016 dem FA mitgeteilt hat. Die Vorentscheidung ist deshalb
aufzuheben.
|
|
|
29
|
3. Die Sache ist spruchreif im Sinne einer
Klagestattgabe. Der Kläger hat - auch insoweit entgegen dem
Urteil des FG - sein Zuordnungswahlrecht bereits im Streitjahr
dahingehend ausgeübt, dass er die Photovoltaikanlage voll
seinem Unternehmen zugeordnet hat.
|
|
|
30
|
a) Beim Erwerb eines gemischt (für
unternehmerische und private Zwecke genutzten) Gegenstands
hängt es von der Wahl des Steuerpflichtigen, in dieser
Eigenschaft zu handeln, ab, ob das Mehrwertsteuersystem und damit
der Mechanismus des Vorsteuerabzugs zur Anwendung kommt (vgl.
EuGH-Urteil Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 41). Die
Zuordnung zum Unternehmen kommt dadurch zum Ausdruck, dass der
Steuerpflichtige beim Erwerb des Gegenstands ganz oder teilweise
als solcher handelt (vgl. bereits EuGH-Urteile Lennartz,
EU:C:1991:315 = SIS 91 23 19, Rz 15; Armbrecht, EU:C:1995:304 = SIS 96 01 22, Rz 16 ff.; Bakcsi, EU:C:2001:136 = SIS 01 06 82, Rz 24
und 29). Der Senat versteht daher die Begriffe „Zuordnung
zum Unternehmen“ und „Handeln als
Steuerpflichtiger“ synonym.
|
|
|
31
|
b) Ein Steuerpflichtiger handelt als solcher,
wenn er für die Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit
(Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) handelt (vgl. EuGH-Urteil
Klub vom 22.03.2012 - C-153/11, EU:C:2012:163 = SIS 12 11 59, Rz
40).
|
|
|
32
|
aa) Die durch objektive Anhaltspunkte
gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers ist
grundsätzlich bei Anschaffung, Herstellung oder Einlage des
Gegenstands zu treffen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 234, 519, BStBl II
2014, 76 = SIS 11 31 06, Rz 23, m.w.N.; BFH-Beschlüsse in BFHE
266, 472, BStBl II 2021, 118 = SIS 20 00 16, Rz 21 ff.; vom
10.02.2021 - XI B 24/20, BFH/NV 2021, 549 = SIS 21 03 13, Rz 8).
Eine sofortige Verwendung für die wirtschaftliche
Tätigkeit ist nicht erforderlich (vgl. EuGH-Urteil Lennartz,
EU:C:1991:315 = SIS 91 23 19, Rz 14; Finanzamt N, EU:C:2021:852 =
SIS 21 17 25, Rz 46).
|
|
|
33
|
bb) Die Beurteilung, ob eine Zuordnung erfolgt
ist, hat unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des
Sachverhalts zu erfolgen, zu denen die Art der betreffenden
Gegenstände und der zwischen dem Erwerb der Gegenstände
und ihrer Verwendung für Zwecke der wirtschaftlichen
Tätigkeiten des Steuerpflichtigen liegende Zeitraum
gehören (EuGH-Urteile Baksci, EU:C:2001:136 = SIS 01 06 82, Rz
29; Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 45; BFH-Urteil
vom 31.01.2002 - V R 61/96, BFHE 197, 372, BStBl II 2003, 813 = SIS 02 06 50, Rz 27). Eine entsprechende Absicht muss nicht
ausdrücklich mitgeteilt werden (EuGH-Urteil Finanzamt N,
EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 44), sondern kann auch
„implizit“ (konkludent) zum
Ausdruck kommen (vgl. EuGH-Urteile Gmina Ryjewo vom 25.07.2018 -
C-140/17, EU:C:2018:595 = SIS 18 11 97, Rz 47; EuGH-Urteil
Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 43). Die Feststellung
im Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht (vgl. EuGH-Urteil
Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 42).
|
|
|
34
|
cc) Als objektive Anhaltspunkte für eine
ausdrückliche oder konkludente Zuordnung zum Unternehmen
können neben der Geltendmachung oder Nichtgeltendmachung des
Vorsteuerabzugs (vgl. bereits BFH-Beschluss in BFHE 266, 472, BStBl
II 2021, 118 = SIS 20 00 16, Rz 22, m.w.N.; EuGH-Urteil Finanzamt
N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 48 und 49) auch andere
Beweisanzeichen herangezogen werden: So kann zu
berücksichtigen sein, ob der Unternehmer bei An- und Verkauf
des gemischt genutzten Gegenstands unter seinem Firmennamen
auftritt (vgl. BFH-Urteile vom 11.11.1993 - V R 52/91, BFHE 173,
239, BStBl II 1994, 335 = SIS 94 09 26, Rz 14; vom 17.09.1998 - V R
27/96, BFH/NV 1999, 832 = SIS 98 58 11, Rz 14), ob er den
Gegenstand betrieblich oder privat versichert hat (BFH-Urteil in
BFHE 197, 372, BStBl II 2003, 813 = SIS 02 06 50, unter II.2.b cc)
oder wie er den Gegenstand bilanziell bzw. ertragsteuerrechtlich
behandelt hat (vgl. BFH-Urteile vom 25.03.1988 - V R 101/83, BFHE
153, 171, BStBl II 1988, 649 = SIS 88 14 29; vom 17.12.2008 - XI R
64/06, BFH/NV 2009, 798 = SIS 09 12 87; in BFHE 234, 531, BStBl II
2014, 81 = SIS 11 38 66, Rz 23; in BFH/NV 2013, 266 = SIS 13 01 92,
Rz 37; BFH-Beschluss in BFHE 266, 472, BStBl II 2021, 118 = SIS 20 00 16, Rz 22). Einen Nachweis durch Zeugenbeweis oder
Parteivernehmung hat der BFH hingegen abgelehnt (vgl. BFH-Urteil in
BFH/NV 2009, 798 = SIS 09 12 87, Rz 43).
|
|
|
35
|
dd) Gibt es keine objektiv erkennbaren
Anhaltspunkte für eine Zuordnung zum Unternehmen, kann diese
nicht unterstellt werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 234, 519, BStBl
II 2014, 76 = SIS 11 31 06; BFH-Beschluss in BFHE 266, 472, BStBl
II 2021, 118 = SIS 20 00 16, Rz 23).
|
|
|
36
|
c) Im Streitfall ist nach diesen
Grundsätzen bereits im Streitjahr die Zuordnung in vollem
Umfang dokumentiert erfolgt.
|
|
|
37
|
aa) Die erforderliche Dokumentation liegt dem
Grunde nach vor.
|
|
|
38
|
Denn der EuGH hat in Rz 48 des Urteils
Finanzamt N (EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25) darauf hingewiesen, dass
die Tatsache, dass im Lauf des Jahres, in dem eine
Photovoltaikanlage erworben und installiert wurde, ein Vertrag
über den Weiterverkauf des von dieser Anlage erzeugten Stroms
abgeschlossen wurde, ein Indiz dafür darstellen kann, dass
diese einer wirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet ist, sofern
die Bedingungen für diesen Weiterverkauf denen entsprechen,
die Unternehmern und nicht Privatpersonen angeboten werden (vgl.
auch Ulbrich, Der Umsatz-Steuer-Berater 2020, 114, 118).
|
|
|
39
|
Der Senat teilt nach erneuter
Überprüfung diese Auffassung; denn soweit die
wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers die Nutzung eines
Gegenstands zur Ausführung der Umsätze notwendigerweise
voraussetzt, setzt der Verzicht auf die Anwendung der
Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG - ebenso wie eine
wirksame Ausübung der Option zur Umsatzsteuerpflicht - voraus,
dass der Gegenstand dem Unternehmen zuvor zugeordnet und damit
Gegenstand des Mehrwertsteuersystems geworden ist (vgl. BFH-Urteil
in BFH/NV 2013, 266 = SIS 13 01 92, Rz 56; zur zeitnahen
steuerpflichtigen Weiterlieferung als Zuordnung vgl. BFH-Urteil vom
27.07.1995 - V R 44/94, BFHE 178, 482, BStBl II 1995, 853 = SIS 96 03 23, unter II.1.b a.E.).
|
|
|
40
|
Gemessen daran liegt im Streitfall eine
Zuordnung vor; denn der Kläger hat mit X in dem bereits im
Streitjahr abgeschlossenen Einspeisevertrag vereinbart, dass seine
Stromlieferungen umsatzsteuerpflichtig erfolgen sollen, so dass
bereits bei Erwerb der Photovoltaikanlage objektiv erkennbar die
Absicht bestand, diese als Unternehmer für eine
wirtschaftliche Tätigkeit verwenden zu wollen. Die Bedingungen
des Einspeisevertrags entsprechen denen, die Unternehmern und nicht
Privatpersonen angeboten werden. Daraus ergibt sich, dass der
Kläger bereits bei Erwerb der Photovoltaikanlage als
Steuerpflichtiger handeln wollte und gehandelt hat.
|
|
|
41
|
bb) Diese Zuordnung erfolgte in vollem Umfang
und nicht nur teilweise.
|
|
|
42
|
Aus der Vorabentscheidung ergibt sich, dass
die konkludente (implizite) Zuordnung durch Abschluss des
Einspeisevertrags vom 25.09./26.09.2014 als Indiz nach Auffassung
des EuGH die Photovoltaikanlage insgesamt erfasst (vgl. EuGH-Urteil
Finanzamt N, EU:C:2021:852 = SIS 21 17 25, Rz 48).
|
|
|
43
|
Dieser Sichtweise pflichtet der erkennende
Senat nach Auslegung des Einspeisevertrags, auf den das FG in
seinem Urteil konkret Bezug genommen hat und dessen Inhalt deshalb
festgestellt ist (§ 105 Abs. 3 Satz 2 FGO; vgl. BFH-Urteile
vom 03.12.2019 - X R 6/18, BFHE 267, 346, BStBl II 2021, 77 = SIS 20 06 62, Rz 35; vom 04.02.2020 - IX R 18/19, BFH/NV 2020, 867 =
SIS 20 07 49, Rz 23), bei; denn der Kläger ist nach § 2
Abs. 1 des Einspeisevertrags berechtigt, die gesamte elektrische
Energie, die in seiner Stromerzeugungsanlage erzeugt wird, in das
Netz des Netzbetreibers einzuspeisen. Dies schließt es aus,
im Wege der Auslegung des Einspeisevertrags von einer nur
anteiligen Zuordnung durch den Kläger auszugehen.
|
|
|
44
|
d) Der Vorsteuerabzug des Klägers ist
nicht nach § 15 Abs. 1b UStG beschränkt, weil
Photovoltaikanlagen - jedenfalls im Streitjahr - von ihm
grundsätzlich nicht erfasst waren (vgl. Abschn. 15.6a Abs. 3
Satz 3 UStAE; Fleckenstein-Weiland in Wäger, UStG, 2. Aufl.,
§ 15 Rz 243; s. dazu auch BFH-Urteil vom 28.08.2014 - V R
7/14, BFHE 246, 569, BStBl II 2015, 682 = SIS 14 29 73, Rz 15 f.;
EuGH-Urteil Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr vom 20.06.2013 -
C-219/12, EU:C:2013:413 = SIS 13 17 61, Rz 22, 24 und 26 ff.;
Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom
07.03.2013 in der Rechtssache C-219/12, Finanzamt Freistadt
Rohrbach Urfahr, EU:C:2013:152, Rz 34 und 36; Schlussanträge
des Generalanwalts Mengozzi vom 29.06.2017 in der Rechtssache
C-303/16, Solar Electric Martinique, EU:C:2017:507, Rz 94;
BFH-Beschluss vom 26.05.2021 - V R 22/20, BFHE 273, 351 = SIS 21 13 49, Rz 19; Klenk, UR 2014, 179, 183 ff.; Frye in
Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15a Rz 314;
a.A. möglicherweise Schlussanträge des Generalanwalts
Tanchev vom 20.05.2021 in der Rechtssache C-45/20, Finanzamt N,
EU:C:2021:417, Rz 35).
|
|
|
45
|
Von der seit 2010 (auch) in Bezug auf
Photovoltaikanlagen bestehenden Möglichkeit des Art. 168a Abs.
2 MwStSystRL (vgl. dazu Schlussanträge der
Generalanwältin Sharpston vom 07.03.2013 in der Rechtssache
C-219/12, Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr, EU:C:2013:152, Rz
41) hat die Bundesrepublik Deutschland keinen Gebrauch gemacht.
|
|
|
46
|
e) Gleichzeitig ist die durch
Änderungsbescheid vom 27.03.2017 aus der Bemessungsgrundlage
der Umsatzsteuer herausgenommene unentgeltliche Entnahme des
selbstverbrauchten Stroms aufgrund der Gewährung des vollen
Vorsteuerabzugs wieder der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Deren
Bemessungsgrundlage hat der Kläger gemäß dem
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.09.2014 (BStBl
I 2014, 1287 = SIS 14 25 28, Tz. II.4.) berechnet, ohne dass die
Prüferin oder das FA Einwendungen gegen seine Berechnung
erhoben hätten.
|
|
|
47
|
4. Als Folge sind die Vorentscheidung, die
Einspruchsentscheidung vom 18.05.2017 sowie die
Änderungsbescheide vom 30.11.2016 und 27.03.2017 ersatzlos
aufzuheben, so dass der Umsatzsteuerbescheid vom 06.09.2016 wieder
wirksam wird.
|
|
|
48
|
5. Ob seit der Einfügung des § 149
Abs. 3 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des
Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679, BStBl I
2016, 694) zum 01.01.2017 aus Gründen der Gleichbehandlung bei
allen Steuerpflichtigen die Zuordnungsfrist erst zu dem in ihm
genannten Zeitpunkt abläuft (a.A. Abschn. 15.2c Abs. 16 Satz 5
UStAE: 31. Juli des Folgejahres), bedarf im Streitfall, der das
Streitjahr 2014 betrifft, noch keiner Entscheidung.
|
|
|
49
|
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
|
|
|
50
|
7. Der Senat entscheidet mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
durch Urteil (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO). Er hat die
Entscheidung in einer Videokonferenz unter den hierfür von der
BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 10.02.2021 - IV R 35/19, BFHE 272,
152 = SIS 21 06 74) aufgestellten Voraussetzungen getroffen.
|
|
|
|