Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 24.10.2019 - 3 K 3549/17 Erb =
SIS 19 20 89 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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A. Im Januar 2013 verstarb die Tante der
Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin). Als Vorerbe
war deren Ehemann, als Nacherbin die Klägerin berufen. Im Mai
2013 verstarb auch der Ehemann der Tante. Zu dessen Erbin war
ebenfalls die Klägerin berufen, die dieses Erbe jedoch
ausschlug. Der Klägerin entstanden aufgrund der Nacherbschaft
Kosten in Höhe von 40 EUR beim Nachlassgericht. Der Vorerbe
hatte keine Kosten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) geltend
gemacht. Aufgrund des ihm zukommenden Freibetrags für
Ehegatten erfolgte keine Festsetzung der Erbschaftsteuer.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) setzte die Erbschaftsteuer für die
Nacherbschaft gegenüber der Klägerin ohne
Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten mit Bescheid
vom 07.06.2017 auf 3.960 EUR fest. Den Einspruch dagegen wies das
FA mit Einspruchsentscheidung vom 16.10.2017 zurück.
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Im Klageverfahren machte die Klägerin
den Pauschbetrag nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG geltend.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Der Klägerin seien
Kosten im Sinne der Vorschrift entstanden. Sowohl dem Vorerben als
auch dem Nacherben könne der Pauschbetrag zugutekommen, denn
es lägen zwei voneinander getrennt zu beurteilende
Erbfälle vor. Zudem habe der Vorerbe den
Erbfallkostenpauschbetrag im vorliegenden Fall nicht verbraucht.
Das Urteil des FG ist in EFG 2020, 391 veröffentlicht.
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Mit der Revision macht das FA eine
Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG geltend. Die
Klägerin habe die Beerdigungskosten der Tante weder tragen
müssen noch tatsächlich getragen und habe neben dem
Nacherbschaftsvermögen nichts von dem Vorerben erworben.
Soweit ihr aufgrund der Nacherbschaft tatsächlich Aufwendungen
entstanden seien, die sich auf die Erlangung des Erwerbs bezogen
hätten, könnten diese unabhängig von dem
Pauschbetrag mit Einzelfallnachweis abgezogen werden (R E 10.9 Abs.
4 „Pauschbetrag für
Nachlassverbindlichkeiten“, der
Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 vom 19.12.2011, BStBl I 2011,
Sondernummer 1/2011, S. 2), was sich vorliegend wegen § 10
Abs. 1 Satz 6 ErbStG nicht auswirke. Der Pauschbetrag stehe
hingegen im Falle von Vor- und Nacherbschaft nur einmal zur
Verfügung. Er werde für den Erbfall im Sinne von
Todesfall, nicht für den Erbanfall gewährt, zumal er in
erster Linie die Bestattungskosten abdecken solle. Die Vorerbschaft
verbrauche deshalb die Pauschale unabhängig davon, wie sich
dies im Einzelfall steuerlich auswirke.
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Das FA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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B. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
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I. Die Revision hat nicht bereits aus
formellen Gründen Erfolg. Das angefochtene Urteil entspricht
noch den Anforderungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Eine
Tenorierung muss dem Bestimmtheitserfordernis genügen (vgl.
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 06.11.2019 - II R 34/16,
BFHE 267, 440, BStBl II 2020, 465 = SIS 20 01 38, Rz 44). Die
Übertragung der Steuerberechnung nach § 100 Abs. 2 Satz 2
FGO setzt voraus, dass dem FA nur noch die Berechnung der Steuer
verbleibt (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9.
Aufl., § 100 Rz 42). Es darf keine Wertungs-, Beurteilungs-
oder Entscheidungsspielräume mehr geben. Sind noch
Ermittlungen zur Höhe der Bemessungsgrundlage anzustellen,
kommt die Übertragung der Steuerberechnung nicht in Betracht.
Trotz der nur pauschalen Verweisung auf die Gründe der
Entscheidung ist aber angesichts des einfach strukturierten
Sachverhalts und der betragsmäßig eindeutigen Höhe
der Erbfallkostenpauschale nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2
ErbStG im konkreten Fall die Formulierung des Tenors noch
ausreichend.
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II. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
Erbschaftsteuerpauschale steuermindernd zu berücksichtigen
ist.
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1. Sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe
verwirklichen den Besteuerungstatbestand gemäß § 1
Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG
für einen Erwerb von Todes wegen.
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a) Der Anfall der Nacherbschaft gilt
grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Während
zivilrechtlich nach §§ 2100, 2139 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber
beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt
erbschaftsteuerrechtlich nach § 6 Abs. 1 ErbStG der Vorerbe
als Erbe. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne
Berücksichtigung der Beschränkungen durch das
Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer. Bei Eintritt der Nacherbfolge
haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das
Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend
zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für
erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des
Vorerben wird. Tritt der Nacherbfall durch den Tod des Vorerben ein
und wird der Nacherbe zugleich Erbe nach dem Vorerben, liegen zwar
zivilrechtlich zwei Erbfälle vor, erbschaftsteuerrechtlich
jedoch nur ein einheitlicher Erwerb vom Vorerben (zum Ganzen
BFH-Urteile vom 31.08.2021 - II R 2/20, BFHE 273, 572, BStBl II
2022, 387 = SIS 21 20 79, Rz 13, m.w.N., und vom 01.12.2021 - II R
1/20, BFHE 275, 355, BStBl II 2022, 518 = SIS 22 08 92, Rz 11 bis
13).
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b) Für jeden der Erwerbe gilt als
Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach §
12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten
Vermögensanfalls‚ soweit er der Besteuerung nach dem
ErbStG unterliegt, die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG
abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden
(§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG, vgl. BFH-Urteil vom 22.01.2020 -
II R 41/17, BFHE 267, 460, BStBl II 2020, 459 = SIS 20 04 66, Rz
20). Als Nachlassverbindlichkeiten sind von dem Erwerb
abzugsfähig, soweit sich nicht aus den Absätzen 6 bis 9
etwas anderes ergibt, nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG die
Kosten der Bestattung des Erblassers, die Kosten für ein
angemessenes Grabdenkmal, die Kosten für die übliche
Grabpflege mit ihrem Kapitalwert für eine unbestimmte Dauer
sowie die Kosten, die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit
der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit
der Erlangung des Erwerbs entstehen. Der Begriff der
Nachlassregelungskosten ist grundsätzlich weit auszulegen und
umfasst u.a. die Kosten der tatsächlichen und rechtlichen
Feststellung des Nachlasses, sowie alle Kosten, die aufgewendet
werden müssen, um die Erben in den Besitz der ihnen aus der
Erbschaft zukommenden Güter zu setzen (BFH-Urteile vom
02.12.2020 - II R 17/18, BFHE 272, 108 = SIS 21 08 99, Rz 24, und
vom 06.05.2021 - II R 24/19, BFHE 272, 530, BStBl II 2022, 340 =
SIS 21 16 48‚ Rz 17, jeweils m.w.N.).
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2. Beim Erwerb des Nacherben schließt
die Ermittlung der Nachlassverbindlichkeiten auch den Pauschbetrag
nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG ein (ebenso BeckOK
ErbStG/Königer, 15. Ed. [01.04.2022], ErbStG § 10 Rz 259;
Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer und
Schenkungsteuergesetz‚ Kommentar, 18. Aufl., § 10 Rz
55; a.A. Weinmann in Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 90;
Höne, Neue Wirtschafts-Briefe Erben und Vermögen 6/2013,
201; Billig, UVR 2021, 92; zweifelnd Geck in Kapp/Ebeling, §
10 ErbStG Rz 154.1).
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a) Nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG
wird für die in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG genannten
Kosten insgesamt ein Betrag von 10.300 EUR ohne Nachweis abgezogen.
Der Betrag ist für jeden Erbfall nur einmal zu gewähren,
namentlich für mehrere Miterben nur einmal (vgl. BFH-Beschluss
vom 24.02.2010 - II R 31/08, BFHE 228, 189, BStBl II 2010, 491 =
SIS 10 06 51, m.w.N.). Die Abfolge von Vor- und Nacherbfall stellt
jedoch erbschaftsteuerrechtlich nicht einen Erbfall mit mehreren
Erben dar. Vielmehr sind (s. oben unter 1.a) die beiden
Vorgänge als zwei getrennte Erbfälle zu behandeln. Es
entspricht dieser Systematik, im Rahmen der Ermittlung der
Bereicherung (s. oben unter 1.b) zweimal den Pauschbetrag
anzusetzen.
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b) Der Umstand, dass bei Vor- und
Nacherbschaft bezogen auf den ursprünglichen Erblasser nur ein
Todesfall zu verzeichnen ist, verlangt nicht nach einer
teleologischen Reduktion der Vorschrift. Es mag zutreffen, dass der
Pauschbetrag auch die Beerdigungskosten erfassen soll (vgl.
BT-Drucks. 8/3688, S. 23) und ursprünglich der Höhe nach
auch daran ausgerichtet war (BFH-Beschluss in BFHE 228, 189, BStBl
II 2010, 491 = SIS 10 06 51, Rz 5). Richtig ist somit, dass bei
zweimaliger Gewährung der Pauschale auch die Beerdigungskosten
zweimal typisierend berücksichtigt werden, obwohl sie nicht
zweimal anfallen. Der Pauschbetrag umfasst aber nicht nur
Beerdigungskosten, sondern dient außerdem dazu,
Nachlassregelungskosten im weiteren Sinne abzugelten.
Nachlassregelungskosten können jedoch ohne Weiteres zweimal in
jeweils unbegrenzter Höhe anfallen. Sie fallen in
unterschiedlicher Höhe typischerweise auch in einem
Nacherbfall an. Der Ansatz der Kostenpauschale dient der
Vereinfachung der Steuerfestsetzung. Dies gilt auch im Nacherbfall,
und zwar unabhängig davon, ob der Nacherbe außerdem
zivilrechtlich Erbe des Vorerben wird.
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c) Der Abzug des Pauschbetrags setzt nicht den
Nachweis voraus, dass zumindest dem Grunde nach tatsächlich
Kosten angefallen sind, die der Pauschbetrag erfasst. Das Gesetz
geht zutreffend davon aus, dass mit dem Erbanfall typischerweise
entsprechende Kosten entstehen. Der Abzug der Pauschale ist nach
dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich ohne Nachweis möglich.
Ein Nachweis darüber, dass Kosten dem Grunde nach entstanden
sind, würde dem Vereinfachungszweck entgegenstehen.
Anderenfalls müsste der Erwerber zunächst nachweisen,
dass Kosten entstanden sind, um anschließend - ohne Nachweis
- die Kosten in Höhe des Pauschbetrags geltend machen zu
können. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen eine
andere Rechtsauffassung vertreten hat (so die BFH-Beschlüsse
vom 28.11.1990 - II S 10/90, BFH/NV 1991, 243, unter 2.,
und vom 21.01.2005 - II B 6/04, BFH/NV
2005, 1092 = SIS 05 26 07), hält
er daran ausdrücklich nicht mehr fest.
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3. Das Urteil des FG entspricht diesen
Maßstäben. Die Klägerin ist in ihrer Eigenschaft
als zivilrechtliche Nacherbin nach ihrer Tante
erbschaftsteuerrechtlich als Erbin nach deren Ehemann zu behandeln.
Auf die Frage, ob sie diesen auch zivilrechtlich unmittelbar beerbt
hat, kommt es nicht an. Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen
Erwerbs für die Nacherbschaft ist der Pauschbetrag nach §
10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG zu berücksichtigen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
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