1
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I. Streitig ist, welche Rechtsfolgen sich
aus der Ausübung des Beibehaltungswahlrechts nach Art. 67 Abs.
1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch (EGHGB)
in der Handelsbilanz der Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin) für die Bewertung einer
Nachsorgerückstellung in deren Steuerbilanz zum 31.12.2010
ergeben.
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2
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Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, die
ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt, ist Eigentümerin von
14 abgeschlossenen Deponien, die im Jahr 2010 (Streitjahr) entweder
rekultiviert wurden oder bereits stillgelegt waren. Die
längste Restlaufzeit beträgt ab dem Ende des Streitjahres
22 Jahre. Für laufende Betriebskosten, ausstehende
Rekultivierungs- und Abdichtungskosten und sonstigen
zukünftigen Aufwand für Nachsorgeverpflichtungen bildete
die Klägerin eine Rückstellung
(Nachsorgerückstellung). Den Rückstellungswerten lagen
Gutachten zugrunde, in denen der zu erwartende Aufwand für den
verbleibenden Nachsorgezeitraum teils deponiebezogen und teils auch
deponieübergreifend ermittelt worden war. Zwei Gutachten, u.a.
das der Firma G vom
01.12.2009, enthielten einen pauschalen Sicherheitszuschlag in
Höhe von 10 % auf die ermittelten Werte.
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3
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Der Teilbericht zu einer für die Jahre
2005 bis 2007 durchgeführten Außenprüfung vom
12.08.2011 stellt fest, dass es sich bei den der Rückstellung
zugrundeliegenden Nachsorgeverpflichtungen der Klägerin um
Pflichten aus §§ 36 ff. des Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) handele, die nach § 61 KrW-/AbfG
sanktionsbewehrt seien. Die Sachleistungsverpflichtungen seien mit
den in den vorgelegten Gutachten ermittelten Werten anzusetzen.
Lediglich der pauschale Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 %
sei mangels hinreichender Konkretisierung nicht zu
berücksichtigen. Allerdings sei im Gegenzug bisher nicht
erfasster Aufwand für Kosten der allgemeinen Verwaltung zu
berücksichtigen. Der Sicherheitszuschlag wurde gekürzt
den deponieübergreifenden Aufwendungen zugeordnet.
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4
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In der Handelsbilanz auf den 31.12.2010
setzte die Klägerin sonstige Rückstellungen an, in denen
die Nachsorgerückstellung in Höhe von insgesamt
11.873.216,81 EUR enthalten war. Diesen Wert hatte die
Klägerin ausgehend von dem im Gutachten vom 01.12.2009
festgestellten, zu erwartenden Aufwand für die
Deponienachsorge zum 31.12.2009 unter Berücksichtigung eines
Sicherheitszuschlags in Höhe von 1.104.120 EUR ermittelt.
Für die Bemessung der Nachsorgerückstellung zum
31.12.2010 kürzte die Klägerin den Wert zum 31.12.2009 um
Inanspruchnahmen im Jahr 2010 in Höhe von 446.783,19 EUR. Im
Anhang zum Jahresabschluss heißt es, die durch die erstmalige
Anwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom
25.05.2009 (BGBl I 2009, 1102) entstandenen
Auflösungsbeträge würden in Anwendung des Wahlrechts
nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB nicht bilanziell umgesetzt. Die
Überdeckung aus der Beibehaltung der höheren
Rückstellungsbeträge bei der Nachsorgerückstellung
betrage 2.927.000 EUR.
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Unter Anwendung des BilMoG hätte sich
die Nachsorgerückstellung (ohne
„Sicherheitszuschlag“) zum 31.12.2010
auf 7.841.754 EUR belaufen.
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Auch für die Jahre 2008 bis 2010 fand
bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Der
Prüfer setzte für die Nachsorgerückstellung (ohne
„Sicherheitszuschlag“) unter Anwendung
des BilMoG einen - um einen Rechenfehler korrigierten - Wert von
7.845.756 EUR an, da das Wahlrecht nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB
steuerlich nicht anzuerkennen sei. Er berücksichtigte - in
Anlehnung an die Vorprüfung - daneben den
„Sicherheitszuschlag“ in Höhe von
1.104.120 EUR, sodass sich zum Stichtag ein Gesamtbetrag für
die Nachsorgerückstellung in Höhe von 8.949.876 EUR
ergab. Im Gegenzug setzte der Prüfer auf Antrag der
Klägerin eine Rücklage nach R 6.11 Abs. 3 der
Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 2012 in Höhe von 2.271.117
EUR an. Im Rahmen der Berechnung des Unterschiedsbetrags wurde der
„Sicherheitszuschlag“ in Anlehnung an
die Ergebnisse der Vorprüfung zum 31.12.2010 um 490.000 EUR
gekürzt.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) setzte die Feststellungen des
Betriebsprüfungsberichts im Bescheid für 2010 über
die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach §
15a Abs. 4 EStG vom 05.01.2015 um.
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Mit dem dagegen gerichteten Einspruch
begehrte die Klägerin die Berücksichtigung der
Nachsorgerückstellung in Höhe von 11.383.216,81 EUR
(11.873.216,81 EUR ./. 490.000 EUR). Sie meint, das von ihr
ausgeübte Wahlrecht nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB sei auch
steuerlich maßgeblich.
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Dem folgte das FA nicht. Es wies den
Einspruch der Klägerin - nach einem Verböserungshinweis
wegen mehrerer Rechenfehler des Prüfers - mit
Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 als unbegründet
zurück und setzte die Nachsorgerückstellung in Höhe
von 8.459.878 EUR an. Im Gegenzug erhöhte es die Rücklage
nach R 6.11 Abs. 3 EStR 2012 auf 2.586.416 EUR.
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Die nachfolgende Klage wies das
Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 27.06.2019 - 8 K 2873/17 F als
unbegründet ab. Für die Nachsorgerückstellung
einschließlich
„Sicherheitszuschlag“ auf den 31.12.2010
sei kein höherer Wert anzusetzen als der in der
Einspruchsentscheidung ermittelte Wert in Höhe von 8.459.878
EUR. Das FG sah das Wahlrecht in Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB als
steuerlich unbeachtlich an und gelangte unter Berücksichtigung
des gemäß § 253 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB)
abgezinsten Betrags der Nachsorgerückstellung auf den
31.12.2010 in Höhe von 7.845.759 EUR und des ebenfalls
abgezinsten, als „Sicherheitszuschlag“
bezeichneten Teils der Gemeinkosten (Verwaltungskosten) in
Höhe von 368.920,64 EUR zu einem Rückstellungswert am
Bilanzstichtag in Höhe von (höchstens) 8.214.680 EUR. Die
Klägerin sei - so das FG - auch nicht durch die fehlerhafte
Berechnung der Rücklage seitens des FA beschwert, da die Summe
aus Rückstellung und Rücklage, die sich unter
Zugrundelegung der Auffassung des Gerichts ergebe, mit 11.046.294
EUR (2.831.614 EUR + 8.214.680 EUR) rechnerisch zufällig exakt
der vom FA angesetzten Summe entspreche.
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Ihre hiergegen gerichtete Revision
begründet die Klägerin mit der Verletzung von
Bundesrecht.
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Sie beantragt,
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das angefochtene FG-Urteil vom 27.06.2019
aufzuheben und den Bescheid für 2010 über die gesonderte
und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des
verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 05.01.2015
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 dahin zu
ändern, dass die laufenden Gesamthandseinkünfte unter
Berücksichtigung von Nachsorgerückstellungen in Höhe
von insgesamt 11.383.216,81 EUR sowie ohne Ansatz einer
Rücklage nach R 6.11 Abs. 3 EStR 2012 festgestellt
werden.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Das FG habe zutreffend entschieden, dass
der in der Handelsbilanz nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB
angesetzte Wert für die Nachsorgerückstellung nicht in
die Steuerbilanz zu übernehmen sei. Die Entscheidung stehe im
Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur
Behandlung handelsrechtlicher Ansatz- und Bewertungswahlrechte in
der Steuerbilanz.
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Das dem Verfahren beigetretene Ministerium
der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen hält das FG-Urteil
ebenfalls für zutreffend und betont ergänzend, dass auch
die Begründung zur Einführung von R 6.11 Abs. 3 EStR 2012
(BR-Drucks. 681/12 (Beschluss), S. 4) dafür spreche, dass die
Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2
EGHGB keine Auswirkung auf die Steuerbilanz habe. Es verweist
ferner darauf, dass die Bindung des Steuerrechts an das
Handelsrecht nur hinsichtlich des Betriebsvermögens bestehe,
das bei Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger
Buchführung (GoB) auszuweisen sei. Das Wahlrecht
gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB zähle aber gerade
nicht zu den GoB.
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II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Das FG hat zwar zutreffend erkannt, dass die
Klägerin dem Grunde nach verpflichtet war, eine
Nachsorgerückstellung zu bilden (hierzu unter 1.). Jedoch
hält die Ermittlung der Höhe der Rückstellung durch
das FG der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das FG
hat seiner Berechnung rechtsfehlerhaft den abgezinsten
Erfüllungsbetrag gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 Satz 1 HGB zugrunde gelegt, anstatt den von der
Klägerin zum 31.12.2010 angesetzten handelsbilanziellen
Rückstellungswert, der sich nach Ausübung des Wahlrechts
gemäß Art. 67 EGHGB ergeben hat, als Ausgangspunkt zu
wählen (hierzu unter 2.). Dies führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und - mangels Spruchreife - zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (hierzu unter 3.).
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1. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise angenommen, dass die Klägerin dem Grunde
nach verpflichtet war, im Streitjahr eine
Nachsorgerückstellung zu bilden.
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a) Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1
HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für
ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche
Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen
gehört zu den GoB und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG
auch für die Steuerbilanz (z.B. BFH-Urteile vom 29.09.2022 -
IV R 20/19 = SIS 22 20 81, zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 41; vom 17.10.2013 -
IV R 7/11, BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302 = SIS 13 33 35, Rz 16;
vom 15.03.2017 - I R 11/15, BFHE 258, 8, BStBl II 2017, 1043 = SIS 17 12 78, Rz 16, jeweils m.w.N.). Voraussetzung für die
Bildung einer Rückstellung für ungewisse
Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach
ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit
des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach
- deren Höhe zudem ungewiss sein kann - sowie ihre
wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag.
Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner
Inanspruchnahme rechnen (BFH-Urteil in BFHE 243, 256, BStBl II
2014, 302 = SIS 13 33 35, Rz 17). Diese Voraussetzungen gelten auch
für Verpflichtungen aus öffentlichem Recht, die auf ein
bestimmtes Handeln in Form einer Geldzahlung oder eines anderen
Leistungsinhalts gerichtet sind, sofern die
öffentlich-rechtliche Verpflichtung bereits konkretisiert,
d.h. inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum
Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt ist
(ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 243, 256,
BStBl II 2014, 302 = SIS 13 33 35, Rz 18, m.w.N.).
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20
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b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze
hatte die Klägerin zum Bilanzstichtag eine
Nachsorgerückstellung für ihre in der Nachsorgephase
befindlichen Deponien zu bilden (vgl. zu entsprechenden
Rückstellungen BFH-Urteile vom 08.11.2016 - I R 35/15, BFHE
256, 253, BStBl II 2017, 768 = SIS 17 04 48; vom 05.05.2011 - IV R
32/07, BFHE 233, 524, BStBl II 2012, 98 = SIS 11 23 96), denn sie
war nach öffentlichem Recht sanktionsbewehrt (§§ 36
ff., § 61 KrW-/AbfG) zur Nachsorge verpflichtet. Da dies auch
zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht der Senat von
weiteren Ausführungen ab.
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2. Allerdings hält die Ermittlung der
Höhe der Nachsorgerückstellung der revisionsrechtlichen
Prüfung nicht stand. Das FG hat seiner Berechnung
rechtsfehlerhaft den abgezinsten Erfüllungsbetrag
gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 HGB
zugrunde gelegt, anstatt den von der Klägerin zum 31.12.2010
angesetzten handelsbilanziellen Rückstellungswert, der sich
nach Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 EGHGB
ergeben hat, als Ausgangspunkt zu wählen. Das angefochtene
Urteil war daher aufzuheben.
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22
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a) Die Bewertung von Wirtschaftsgütern in
der Steuerbilanz folgt den handelsrechtlichen Vorschriften, soweit
dem steuerrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen (§ 5
Abs. 6 EStG). Für die Bewertung der im Streitfall vorliegenden
Sachleistungsrückstellung sieht § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG
vor, dass Rückstellungen „höchstens
insbesondere“ unter Berücksichtigung
der in den Buchst. a bis f der Vorschrift genannten Grundsätze
anzusetzen sind. Danach dürfen die sich aus § 6 Abs. 1
Nr. 3a Buchst. a bis f EStG ergebenden
Rückstellungsbeträge den zulässigen Ansatz nach der
Handelsbilanz nicht überschreiten (vgl. BFH-Urteile vom
20.11.2019 - XI R 46/17, BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz 24, m.w.N.; vom 11.10.2012 - I R 66/11, BFHE 239, 315,
BStBl II 2013, 676 = SIS 13 06 25, Rz 14, zu Zeiträumen vor
Inkrafttreten des BilMoG; vom 13.07.2017 - IV R 34/14 =
SIS 17 18 66, Rz 29, ohne
Bindungswirkung für den dortigen Streitfall und ebenfalls zu
Zeiträumen vor Inkrafttreten des BilMoG, jeweils m.w.N.).
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23
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Auch wenn sich die handelsrechtliche
Maßgeblichkeit i.S. von § 5 Abs. 1 EStG seit der
Einführung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG verändert hat,
besteht sie zunächst für die Steuerbilanz. Sie wird nur
dann und nur insoweit durchbrochen, als der Gesetzgeber
steuerrechtliche Ansatz- oder Bewertungsvorbehalte festgeschrieben
hat (§ 5 Abs. 6 EStG). Da durch den „höchstens
insbesondere“-Verweis der Bezug zur
handelsrechtlichen Bewertung weiterhin bestehen bleiben sollte, hat
dies keine Loslösung der Steuerbilanzwerte von den
Handelsbilanzwerten zur Folge gehabt, selbst wenn die Steuerbilanz
durch das BilMoG gegenüber der Handelsbilanz deutlich
verselbständigt wurde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 266, 241, BStBl
II 2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz 29). § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG
stellt demnach keine abschließende steuerrechtliche
Normierung dar, die die Anwendung der handelsrechtlichen GoB nach
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ausschließt (zur Rechtslage vor
Inkrafttreten des BilMoG vgl. BFH-Urteil in BFHE 239, 315, BStBl II
2013, 676 = SIS 13 06 25, Rz 14, und vor Einführung des §
6 Abs. 1 Nr. 3a EStG bereits BFH-Urteil vom 15.07.1998 - I R 24/96,
BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728 = SIS 98 20 20, unter II.3.,
sowie zur Rechtslage nach Inkrafttreten des BilMoG vgl. BFH-Urteil
in BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz 30).
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24
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b) Die steuerrechtlichen
Bewertungsvorschriften in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG haben
folglich keinen absoluten Vorrang vor den handelsrechtlichen
Bewertungsregeln, sondern wirken - wie die Formulierung
„höchstens insbesondere“
zeigt - begrenzend: Überschreitet der steuerrechtliche
Wertansatz den handelsrechtlichen Wertansatz, gilt der niedrigere
handelsrechtliche Wert (BFH-Urteile in BFHE 266, 241, BStBl II
2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz 24 ff.; vom 13.07.2017 - IV R 34/14 =
SIS 17 18 66, Rz 29; in BFHE 239,
315, BStBl II 2013, 676 = SIS 13 06 25, Rz 14; vgl. z.B. auch
Brandis/Heuermann/Krumm, § 5 EStG Rz 186; BeckOK
EStG/Oellerich, 14. Ed. [01.07.2022], EStG § 6 Rz 1982;
Schindler in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 6 Rz 154;
Bünning, BB 2020, 689; Meurer, BB 2012, 2807, 2808; anderer
Ansicht Marx, Steuern und Bilanzen - StuB - 2019, 885, 888 f.;
Briesemeister/Joisten/Vossel, FR 2013, 164 ff.; Zwirner, DStR 2012,
2094, 2097; Prinz, StuB 2019, 1, 5 f.; Velte, Die Steuerberatung
2013, 486). Liegt der handelsrechtliche Wertansatz hingegen
über dem steuerlichen Wert, durchbricht § 6 Abs. 1 Nr. 3a
EStG die nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz zu beachtende
handelsrechtliche Bewertung. Die steuerrechtlichen
Sonderbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG
führen dann dazu, dass der handelsrechtliche Wertansatz
(Obergrenze) unterschritten wird (vgl. bereits BFH-Urteil in BFHE
239, 315, BStBl II 2013, 676 = SIS 13 06 25, Rz 14). Hieraus folgt,
dass stets der niedrigere Wert anzusetzen ist (vgl. Schmidt/Kulosa,
EStG, 41. Aufl., § 6 Rz 472; Bugge in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz D 235).
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25
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c) Der maßgebliche handelsrechtliche
Wertansatz bestimmt sich unter Berücksichtigung der als GoB zu
beurteilenden Bewertungsgrundsätze des Handelsrechts
(§§ 252 ff. HGB, vgl. BFH-Urteil in BFHE 186, 388, BStBl
II 1998, 728 = SIS 98 20 20, unter II.3.; Schmidt/Weber-Grellet,
a.a.O., § 5 Rz 33; wohl auch Marx, StuB 2019, 885, 889) und
damit auch unter Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts
des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB.
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26
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aa) Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB sieht vor,
dass, wenn aufgrund der geänderten Bewertung von
Verpflichtungen, die die Bildung einer Rückstellung erfordern,
eine Auflösung der Rückstellungen erforderlich ist, diese
beibehalten werden dürfen, soweit der aufzulösende Betrag
bis spätestens zum 31.12.2024 wieder zugeführt werden
müsste. Wird von dem Wahlrecht nach Satz 2 Gebrauch gemacht,
ist der Betrag der Überdeckung jeweils im Anhang und im
Konzernanhang anzugeben (Art. 67 Abs. 1 Satz 4 EGHGB).
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27
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Damit hat der Gesetzgeber betroffenen
Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, die bis zum
31.12.2009 nach altem Recht gebildeten Rückstellungen der
Höhe nach beizubehalten, soweit der aufzulösende Betrag
spätestens bis zum 31.12.2024 wieder zugeführt werden
müsste. So sollten zeitlich befristete
Rückstellungsauflösungen vermieden werden (vgl. z.B.
Marx, StuB 2019, 885, 887, m.w.N.).
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28
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bb) Das Wahlrecht besteht
regelmäßig (auch) im Zusammenhang mit
Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen, soweit
deren Restlaufzeit vor dem 01.01.2025 endet, da der Abzinsung in
den folgenden Geschäftsjahren eine entsprechende Aufzinsung
gegenübersteht (vgl. z.B. Buchholz, Die
Unternehmensbesteuerung - Ubg - 2012, 777, 782; Heinz/Kemper, Neue
Wirtschafts-Briefe - NWB - 2012, 3543, 3545; Kropp/Wirtz, DB 2011,
541, 544).
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29
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cc) Das Wahlrecht des Art. 67 Abs. 1 Satz 2
EGHGB gewährt demnach einmalig die Möglichkeit, den unter
Berücksichtigung der GoB gemäß § 253 Abs. 2
HGB a.F. ermittelten Rückstellungswert beizubehalten. Es
handelt sich um intertemporales Recht, das keine Regelung des
sachlichen Rechts beinhaltet, sondern Rechtsanwendungsregeln
bereitstellt, welche die Kollision verschiedener Normen nach
zeitlichen Gesichtspunkten auflösen (vgl. BFH-Urteil vom
27.03.2007 - VIII R 10/06, BFHE 217, 502, BStBl II 2007, 866 = SIS 07 25 21, unter II.1.a bb, zu § 52 EStG). Art. 67 Abs. 1 Satz
2 EGHGB begründet ein Rechtsanwendungswahlrecht, denn es
bezieht sich nicht auf den Wertansatz selbst, sondern auf das
für den Wertansatz maßgebliche Recht. Wird das Wahlrecht
ausgeübt, kommt es zu einem nach Maßgabe des
„alten Rechts“ GoB-konformen
Wertansatz. Dieser Wert bildet den maßgeblichen
handelsbilanziellen Wert (vgl. im Ergebnis auch Buchholz, Ubg 2012,
777, 782; Marx, StuB 2019, 885, 887, 890; Heinz/Kemper, NWB 2012,
3543, 3546; Künkele/Zwirner, StuB 2013, 439, 442 f.; anderer
Ansicht z.B. Brandis/Heuermann/Krumm, § 5 EStG Rz 187;
Schindler in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 6 Rz 154; vgl. auch
Glasenapp, BB 2020, 242). Nimmt der Steuerpflichtige das Wahlrecht
nicht in Anspruch, so bildet der sich bei erstmaliger Anwendung des
§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB ergebende, ebenfalls den GoB
entsprechende (niedrigere) abgezinste Erfüllungsbetrag (sog.
BilMoG-Wert - so im BFH-Urteil in BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195
= SIS 20 01 37) den maßgeblichen handelsbilanziellen
Wert.
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30
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d) Dieses Normverständnis steht im
Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zum Verhältnis von
handelsrechtlichen und steuerrechtlichen
(Passivierungs-)Wahlrechten.
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aa) Im Zusammenhang mit § 255 Abs. 2 Satz
3 HGB a.F. hat der Senat entschieden (BFH-Urteil vom 21.10.1993 -
IV R 87/92, BFHE 172, 462, BStBl II 1994, 176 = SIS 94 02 19, unter
I.5.), dass handelsrechtliche Wahlrechte, auch soweit sie sich auf
die Bewertung von Wirtschaftsgütern beziehen, steuerlich zum
Ansatz des höchsten nach dem Handels- und Steuerrecht
zulässigen Wertes führen, soweit nicht auch nach dem
Steuerrecht ein entsprechendes Bilanzierungswahlrecht besteht.
Übertragen auf die steuerliche Bewertung von
Rückstellungen folgt hieraus, dass ein entsprechendes
handelsrechtliches Wahlrecht zum Ansatz des niedrigsten
zulässigen Wertes führt, soweit nicht auch nach dem
Steuerrecht ein Bilanzierungswahlrecht besteht.
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32
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Dies entspricht dem Sinn und Zweck der
steuerlichen Gewinnermittlung, die darauf zielt, grundsätzlich
den Periodengewinn so zu erfassen, wie er sich aus den steuerlich
maßgeblichen Vorschriften ergibt. Dementsprechend steht es
nicht im Belieben des Kaufmanns, durch handelsbilanzrechtliche
Gestaltungsmöglichkeiten seine wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit mit steuerrechtlicher Wirkung unzutreffend
darzustellen. Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung
entschieden, dass handelsrechtliche Bilanzierungswahlrechte nicht
ohne eine ausdrückliche steuerrechtliche Regelung als
Grundlage der Besteuerung berücksichtigt werden können
(Beschluss des Großen Senats des BFH vom 03.02.1969 - GrS
2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291 = SIS 69 01 88, unter II.3.a;
BFH-Urteil in BFHE 172, 462, BStBl II 1994, 176 = SIS 94 02 19) und
es daher ausgeschlossen ist, dem Kaufmann hinsichtlich bilanzieller
Rechtsfragen bei der Gewinnermittlung mit für das Finanzamt
bindender Wirkung faktisch ein Wahlrecht zwischen mehreren
vertretbaren Rechtsansichten einzuräumen (Beschluss des
Großen Senats des BFH vom 31.01.2013 - GrS 1/10, BFHE 240,
162, BStBl II 2013, 317 = SIS 13 08 30, Rz 64).
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bb) Eine Übertragung dieser
Grundsätze auf das Beibehaltungswahlrecht des Art. 67 EGHGB
scheidet aus.
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(1) Zum einen unterscheidet sich das
Beibehaltungswahlrecht des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB als
intertemporales Rechtsanwendungswahlrecht bereits dem Grunde nach
von einem materiellen Ansatz- oder Bewertungswahlrecht, denn in
Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB geht es nicht darum, dem Kaufmann
hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen bei der Gewinnermittlung mit
für das Finanzamt bindender Wirkung faktisch ein Wahlrecht
zwischen mehreren vertretbaren Rechtsansichten zuzugestehen (vgl.
auch BFH-Urteil in BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz 36). Vielmehr gewährt der Gesetzgeber dem
Steuerpflichtigen in Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB im Zusammenhang
mit einer Gesetzesänderung einmalig die Möglichkeit, die
nach Maßgabe der alten Rechtslage gebildete Rückstellung
fortzuführen. Zwischen mehreren vertretbaren Rechtsansichten
zur Bewertung der Rückstellung wählen kann der
Steuerpflichtige indes nicht.
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(2) Zum anderen findet sich die
steuerrechtliche Grundlage für die Anerkennung des Wahlrechts
gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB in § 6 Abs. 1 Nr.
3a EStG. Diese Regelung mit dem „höchstens
insbesondere“-Verweis nimmt Bezug auf den
Handelsbilanzwert der Rückstellung und schreibt diesen als
Obergrenze fest. Sie bestimmt somit den Handelsbilanzwert für
eine Rückstellung auch nach dem Inkrafttreten des BilMoG
gegenüber einem höheren steuerrechtlichen
Rückstellungswert als Obergrenze (vgl. BFH-Urteil in BFHE 266,
241, BStBl II 2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz 24), und zwar
unabhängig davon, ob im konkreten Einzelfall ein Wahlrecht
gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB besteht oder nicht und
unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige ein bestehendes
Wahlrecht gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB
ausgeübt hat oder nicht. Der von § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG
in Bezug genommene maßgebliche Handelsbilanzwert ist danach
auch jener, der sich nach (zulässiger) Ausübung des
Wahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB ergibt und
den der Steuerpflichtige in seiner Handelsbilanz zum 31.12.2010
angesetzt hat. Die Berücksichtigung des handelsrechtlichen
Wahlrechts des Steuerpflichtigen beruht mithin auf der
steuerrechtlichen Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195 = SIS 20 01 37, Rz
36). Dass das Wahlrecht im EGHGB geregelt ist, spielt daher -
entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung - keine Rolle.
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(3) Die Beurteilung des in Art. 28 Abs. 1 Satz
2 EGHGB gewährten Passivierungswahlrechts durch die
BFH-Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 30.01.2002 - I R 71/00, BFHE
198, 420, BStBl II 2003, 279 = SIS 02 84 93, und vom 27.09.2017 - I
R 65/15 = SIS 17 26 03) steht dem
dargelegten Verständnis des Wahlrechts in Art. 67 Abs. 1 Satz
2 EGHGB nicht entgegen. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 EGHGB, der vorsieht,
dass für eine mittelbare Verpflichtung aus einer Zusage
für eine laufende Pension oder eine Anwartschaft auf eine
Pension sowie für eine ähnliche unmittelbare oder
mittelbare Verpflichtung eine Rückstellung in keinem Fall
gebildet zu werden braucht, stellt ein zeitlich nicht begrenztes
Passivierungswahlrecht (so auch BFH-Urteil in BFHE 198, 420, BStBl
II 2003, 279 = SIS 02 84 93, unter II.3.) dar, das im Zusammenhang
mit Pensionsrückstellungen steht. Als solches unterscheidet es
sich bereits dem Grunde nach maßgeblich von dem einmaligen
intertemporalen Rechtsanwendungswahlrecht des Art. 67 Abs. 1 Satz 2
EGHGB.
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cc) Aus der Begründung zur
Einführung von R 6.11 Abs. 3 EStR 2012 (BR-Drucks. 681/12
(Beschluss), S. 4) ergibt sich keine andere Beurteilung des
Beibehaltungswahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2
EGHGB.
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(1) Die Verwaltungsvorschrift, die für
Altfälle eine Übergangsregelung enthält, bestimmt,
dass - mit Ausnahme der Pensionsrückstellungen - die Höhe
der Rückstellung in der Steuerbilanz den zulässigen
Ansatz in der Handelsbilanz nicht überschreiten darf (Satz 1).
Für den Gewinn, der sich aus der erstmaligen Anwendung des
BilMoG durch die Auflösung von Rückstellungen ergibt, die
bereits in dem vor dem 01.01.2010 endenden Wirtschaftsjahr
passiviert wurden, kann jeweils in Höhe von 14/15 eine
gewinnmindernde Rücklage passiviert werden, die in den
folgenden 14 Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens 1/15
gewinnerhöhend aufzulösen ist (Auflösungszeitraum,
Satz 2). Besteht eine Verpflichtung, für die eine
Rücklage passiviert wurde, bereits vor Ablauf des
maßgebenden Auflösungszeitraums nicht mehr, ist die
insoweit verbliebene Rücklage zum Ende des Wirtschaftsjahres
des Wegfalls der Verpflichtung in vollem Umfang gewinnerhöhend
aufzulösen; Entsprechendes gilt, wenn sich der
Verpflichtungsumfang innerhalb des Auflösungszeitraums
verringert (Satz 3).
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(2) Damit hat der Richtliniengeber zwar
letztlich die Auffassung der Oberfinanzdirektion (OFD) Münster
und der OFD Rheinland bestätigt, nach der der
Rückstellungsansatz in der Handelsbilanz - auch unter Geltung
des BilMoG - die Obergrenze für die steuerrechtliche
Rückstellungsbewertung darstellt (vgl. OFD Rheinland,
Verfügung vom 13.07.2012 - S 2133-2011/0003-St 141 (Rhld) =
SIS 12 24 07, und OFD
Münster, Verfügung vom 13.07.2012 - S 2170 a-234-St 12-33
(Ms), DB 2012, 1779 = SIS 12 24 07). Er hat allerdings zugleich - nach Intervention des
Finanzausschusses des Bundesrates (s. zur Entstehungsgeschichte
Prinz/Fellinger, Ubg 2013, 362; Velte, Ubg 2020, 360, 362) - eine
Übergangsregelung zur Abfederung der hieraus resultierenden
steuerlichen Folgen vorgesehen. Die sich aus der Auflösung von
Rückstellungen ergebenden Gewinnauswirkungen sollten durch
Bildung einer entsprechenden Rücklage abgemildert werden.
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(3) Aus der Tatsache, dass der
Richtliniengeber eine Billigkeitsregelung für erforderlich
gehalten hat, folgt - entgegen der Auffassung des Beigetretenen -
nicht, dass der Gesetzgeber den Rückstellungswert nach
Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2
EGHGB als steuerlich unmaßgeblich erachtet hat.
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Zum einen hat sich der Richtliniengeber mit
dem Fall der Wahlrechtsausübung nicht ausdrücklich
befasst, obwohl ihm bewusst gewesen sein muss, dass zum Zeitpunkt
seiner Entscheidung zu Beginn des Jahres 2013 die überwiegende
Zahl der Unternehmen ihre Wahl bereits getroffen hatte, und dies
zumeist ohne Kenntnis der erstmals im Juli 2012
veröffentlichten Verwaltungsauffassung (Verfügungen der
OFD Rheinland und der OFD Münster, beide vom 13.07.2012 =
SIS 12 24 07). Zum anderen zeigt
die Entscheidung der Finanzverwaltung, die aus dem eigenen
Verständnis des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG resultierenden
Gewinnauswirkungen durch eine Billigkeitsregelung abmildern zu
wollen, allein, dass der Richtliniengeber selbst die aus seinem
Gesetzesverständnis resultierenden Rechtsfolgen als unbillig
angesehen hat. Darüber hinaus kann dem Gesetzgeber die von der
Finanzverwaltung vertretene Auffassung zur Auslegung von § 6
Abs. 1 Nr. 3a EStG ohnehin nicht als eigenes
Gesetzesverständnis zugerechnet werden.
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e) Das FG-Urteil entspricht den dargelegten
Grundsätzen nur zum Teil. Das FG hat der Berechnung des von
ihm als zutreffend erachteten Rückstellungswertes zum
31.12.2010 in Höhe von 8.214.680 EUR nicht den von der
Klägerin zum 31.12.2010 unter Berücksichtigung der GoB
ermittelten und angesetzten handelsbilanziellen
Rückstellungswert zugrunde gelegt, der sich nach Ausübung
des Wahlrechts gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB ergeben
hat, sondern es hat den abgezinsten Erfüllungsbetrag
gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 HGB
angesetzt. Seine Entscheidung war daher aufzuheben.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif, denn eine
abschließende Ermittlung des zutreffenden
Rückstellungswertes ist dem Senat auf der Grundlage der
Feststellungen des FG nicht möglich.
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a) Ausgehend von den dargelegten
Grundsätzen ist für die Bewertung der
streitgegenständlichen Nachsorgerückstellung
zunächst der handelsrechtliche Wertansatz (Obergrenze) zu
ermitteln. Liegt dieser unter dem steuerrechtlichen Wert, bildet er
die Obergrenze für den Ansatz der Rückstellung.
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Danach bildet der von der Klägerin in
ihrer Handelsbilanz angesetzte Rückstellungsbetrag in
Höhe von 11.873.216,81 EUR, der - wie zwischen den Beteiligten
unstreitig ist - um 490.000 EUR auf 11.383.216,81 EUR zu
korrigieren ist, den relevanten handelsrechtlichen Wertansatz
(Obergrenze).
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Der Klägerin stand das handelsrechtliche
Wahlrecht gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB unstreitig
zu. Von diesem Wahlrecht hat die Klägerin in der nach dem
Gesetz vorgesehenen Weise Gebrauch gemacht, sodass sie die
(fortentwickelten) höheren Rückstellungsbeträge
für die Nachsorgerückstellung in ihrer Handelsbilanz zum
31.12.2010 beibehalten konnte.
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b) Die Tatsache, dass der klageweise geltend
gemachte Rückstellungsbetrag in Höhe von 11.383.216,81
EUR diesem (korrigierten) Höchstbetrag entspricht, führt
- anders als die Klägerin meint - nicht zur
Klagestattgabe.
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Wie dargelegt, ist die handelsrechtliche
Bewertung der Rückstellung nur dann maßgeblich, wenn die
steuerrechtlichen Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a
bis f EStG nicht dazu führen, dass der handelsrechtliche
Wertansatz (Obergrenze) unterschritten wird. Ist dies allerdings
der Fall, gilt der niedrigere, nach Maßgabe des Steuerrechts
ermittelte Wert. Ob dies vorliegend anzunehmen ist, kann der Senat
nicht abschließend feststellen.
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Zwar dürfte § 6 Abs. 1 Nr. 3a
Buchst. e EStG nicht zu einer Unterschreitung des
handelsrechtlichen Wertansatzes führen. Wie das FG zutreffend
erkannt hat, ist der Rückstellungsbetrag (auch) nach dieser
Regelung nicht abzuzinsen, da sich sämtliche Deponien der
Klägerin im Streitjahr in der Nachsorgephase befanden und die
Erfüllung bereits begonnen hatte. Jedoch kann der Senat auf
der Grundlage der Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob sich
unter Beachtung der weiteren Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr.
3a EStG ein niedrigerer Wertansatz ergibt. Der von der
Klägerin gewählte Wertansatz in der Handelsbilanz zum
31.12.2010 beruht im Ausgangspunkt auf gutachterlich festgestellten
Werten sowie einem
„Sicherheitszuschlag“. Jener
„Sicherheitszuschlag“ ist - den
Ergebnissen einer vorlaufenden Außenprüfung folgend -
von den Beteiligten in einen - der Höhe nach reduzierten -
Aufwand für Kosten der allgemeinen Verwaltung
„umqualifiziert“ worden. Ob der
so berücksichtigte Gemeinkostenanteil den Vorgaben des §
6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG entspricht, kann der Senat nicht
überprüfen. Gleiches gilt in Bezug auf die Beachtung der
Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c und f EStG. Der
Senat kann nicht feststellen, ob künftige Vorteile, die mit
der Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich verbunden sein
werden, nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c
EStG möglicherweise wertmindernd zu berücksichtigen sind.
Ebenso wenig kann der Senat entscheiden, ob bzw. inwieweit
künftige Preis- und Kostensteigerungen in den
handelsrechtlichen Wert eingeflossen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a
Buchst. f EStG).
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Das FG wird diese Fragen im zweiten Rechtsgang
zu beantworten und sodann den maßgeblichen
Rückstellungswert unter Berücksichtigung der dargelegten
Grundsätze zu ermitteln haben.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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