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I. In der Sache ist die Aufteilung der
Einkommensteuerschuld während eines Insolvenzverfahrens
zwischen dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), der
als Insolvenzschuldner Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit erzielte, und dem gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1
der Insolvenzordnung (InsO) zum Insolvenzverwalter bestellten
Beigeladenen (Insolvenzverwalter) als Vertreter der Insolvenzmasse
streitig.
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Im Jahr ... (vor den Streitjahren) wurde
über das Vermögen des Klägers, der damals gewerblich
tätig war und seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 3
des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte, das
Insolvenzverfahren eröffnet (§§ 2 ff., 11 ff. InsO).
In den Streitjahren 2016 und 2017 erlangte die Insolvenzmasse
infolge von Anfechtungen gemäß §§ 129 ff. InsO
Einnahmen aus Gewerbebetrieb. Die Masseeinkünfte beliefen sich
im Jahr 2016 auf 1.592 EUR und im Jahr 2017 (vor
Verlustrücktrag) auf 119.807 EUR. Der Kläger erzielte
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von
17.600 EUR im Jahr 2016 und 17.840 EUR im Jahr 2017.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) ermittelte die Einkommensteuer für 2016
und für 2017 einheitlich für die Einkünfte des
Klägers und der Insolvenzmasse. Hiernach ergab sich für
2016 eine Gesamt-Einkommensteuer in Höhe von 1.559 EUR, ein
Solidaritätszuschlag in Höhe von 85,74 EUR sowie Zinsen
zur Einkommensteuer in Höhe von 21 EUR und für 2017 eine
Gesamt-Einkommensteuer in Höhe von 48.019 EUR sowie ein
Solidaritätszuschlag in Höhe von 2.641,04 EUR.
Anschließend teilte das FA die Gesamt-Einkommensteuer
einschließlich Solidaritätszuschlag und Zinsen zur
Einkommensteuer im Verhältnis der Einkünfte zwischen dem
Kläger und der Insolvenzmasse auf und erließ am
27.03.2019 gegenüber dem Kläger und der Insolvenzmasse
jeweils gesonderte Einkommensteuerbescheide.
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Dabei wurde die Einkommensteuer im
Verhältnis der Einkünfte gegenüber der
Insolvenzmasse für 2016 in Höhe von 129,32 EUR
zuzüglich 7,11 EUR Solidaritätszuschlag und 1,74 EUR
Zinsen zur Einkommensteuer festgesetzt und gegenüber dem
Kläger in Höhe von 1.429,68 EUR zuzüglich 78,63 EUR
Solidaritätszuschlag und 19,26 EUR Zinsen zur Einkommensteuer.
Für 2017 wurde die Einkommensteuer gegenüber der
Insolvenzmasse in Höhe von 41.795,41 EUR sowie der
Solidaritätszuschlag in Höhe von 2.298,74 EUR festgesetzt
und gegenüber dem Kläger in Höhe von 6.223,59 EUR
zuzüglich 342,30 EUR Solidaritätszuschlag.
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Der Kläger legte erfolglos
Einsprüche ein und erhob dann Klage.
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Während des Klageverfahrens
erließ das FA am 11.10.2019 wegen eines den
Masseeinkünften zuzuordnenden Verlustrücktrags in
Höhe von 20.916 EUR, durch den die Masseeinkünfte 2017
auf 98.891 EUR und die Gesamt-Einkommensteuer 2017 auf 39.234 EUR
sowie der Gesamt-Solidaritätszuschlag auf 2.157,87 EUR sanken,
für das Jahr 2017 geänderte Bescheide. Das FA setzte
entsprechend dem geänderten Verhältnis der Einkünfte
nun gegenüber der Masse 33.237,87 EUR Einkommensteuer sowie
1.828,08 EUR Solidaritätszuschlag und gegenüber dem
Kläger 5.996,13 EUR Einkommensteuer sowie 329,79 EUR
Solidaritätszuschlag fest. Dem Kläger verblieben hiernach
von seinen im Jahr 2017 erzielten Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 17.840 EUR nach
Abzug seiner abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen in Höhe
von 3.099 EUR und der Einkommensteuer und des
Solidaritätszuschlags in Höhe von zusammen 6.325,92 EUR
noch 8.415,08 EUR. Der Grundfreibetrag betrug 2017 8.820
EUR.
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Außerdem legte das FA während
des Klageverfahrens Probeberechnungen vor, wonach die
Einkommensteuer auf die Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit in Höhe von 17.600 EUR im Jahr 2016 und 17.840 EUR im
Jahr 2017 jeweils 1.165 EUR und der Solidaritätszuschlag
jeweils 38,60 EUR, zusammen also jeweils 1.203,60 EUR betragen
hätte und damit fast genau dem Lohnsteuerabzug entsprochen
hätte. Zinsen zur Einkommensteuer wären nicht festgesetzt
worden.
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Der Kläger beantragte, den
Einkommensteuerbescheid für 2016 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 04.09.2019 und den
Einkommensteuerbescheid für 2017 in Gestalt des Bescheides vom
11.10.2019 dahingehend zu ändern, dass die Einnahmen der Masse
nicht bei ihm berücksichtigt werden, d.h. entsprechend der
Probeberechnungen die Einkommensteuer für die Jahre 2016 und
2017 auf jeweils 1.165 EUR zuzüglich 38,60 EUR
Solidaritätszuschlag herabzusetzen und keine Zinsen zur
Einkommensteuer festzusetzen.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage
teilweise statt. Es hatte Bedenken gegen die Steuerfestsetzung, bei
der der Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 EStG in der jeweils geltenden Fassung nicht steuerfrei
bleibt, und entschied, dass dieser vorab von den Einkünften
des Klägers abzuziehen sei. Erst dann sei die Steuer im
Verhältnis der gekürzten Einkünfte des Klägers
zu den vollen Einkünften der Masse aufzuteilen. In der Folge
reduzierte es die gegenüber dem Kläger festzusetzende
Einkommensteuer für das Jahr 2016 auf 1.323,59 EUR und
für das Jahr 2017 auf 3.256,42 EUR. Im Übrigen wies das
FG die Klage ab. Die beantragte Einkommensteuerfestsetzung
entsprechend der bei einer Schattenveranlagung des Klägers
ermittelten Höhe von jeweils 1.165 EUR zuzüglich 38,60
EUR Solidaritätszuschlag zog das FG nicht in Betracht.
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Das Urteil ist u.a. in EFG 2020, 729 =
SIS 19 22 18
veröffentlicht.
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Hiergegen richtet sich die Revision des
FA.
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Das FA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Der Beigeladene hat sich nicht
geäußert.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Vorentscheidung
verstößt gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
FGO). Das FG hätte die Steuerfestsetzung für die
Streitjahre 2016 und 2017 nicht zu Gunsten des Klägers
ändern dürfen. Das FA hat gegenüber dem Kläger
zutreffend die Einkommensteuer für 2016 in Höhe von
1.429,68 EUR zuzüglich 78,63 EUR Solidaritätszuschlag und
19,26 EUR Zinsen zur Einkommensteuer und die Einkommensteuer
für 2017 zutreffend in Höhe von 5.996,13 EUR
zuzüglich 329,79 EUR Solidaritätszuschlag festgesetzt.
Die gegenüber dem Kläger erlassenen
Einkommensteuerbescheide 2016 (in Gestalt der
Einspruchsentscheidung) und 2017 (in Gestalt des letzten
Änderungsescheids) sind rechtmäßig.
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1. Die Vorentscheidung verstößt
schon deshalb gegen Bundesrecht, weil das FG den Grundfreibetrag
gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG zu Unrecht von
den Einkünften des Klägers abgezogen hat. Der
Grundfreibetrag ist Teil der Tarifvorschriften und nicht zum Abzug
von den Einkünften vorgesehen (Senatsurteil vom 27.07.2017 -
III R 1/09, BFHE 259, 279, BStBl II 2018, 96 = SIS 17 21 25, Rz
31).
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2. Das Urteil ist auch nicht aus anderen
Gründen i.S. des § 126 Abs. 4 FGO richtig. Das FA hat die
Steuer zutreffend festgesetzt.
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a) In einem ersten Schritt ist während
des Insolvenzverfahrens die Jahreseinkommensteuer für alle im
jeweiligen Veranlagungszeitraum (§ 25 Abs. 1 EStG)
angefallenen Einkünfte, deren materiell-rechtlicher
Rechtsträger der Insolvenzschuldner ist, nach
steuerrechtlichen Vorschriften und Maßstäben einheitlich
zu ermitteln. Dann ist dieser Betrag in einem zweiten Schritt
aufzuteilen. Gegenüber dem Insolvenzschuldner - wegen seiner
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit - und
gegenüber dem Insolvenzverwalter - wegen der Einkünfte
der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 InsO) - ist der jeweilige
Teilbetrag in gesonderten Einkommensteuerbescheiden festzusetzen
(vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27.10.2020 - VIII R
19/18, BFHE 271, 15, BStBl
II 2021, 819 = SIS 21 02 85, Rz 37, und vom 16.05.2013 - IV R
23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759 = SIS 13 20 28, Rz 27 f.;
vgl. auch Senatsurteile vom 16.07.2015 - III R 32/13, BFHE 251,
102, BStBl II 2016, 251 = SIS 15 28 90, und vom 16.04.2015 - III R
21/11, BFHE 250, 7, BStBl II 2016, 29 = SIS 15 21 34; sowie
Kahlert, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rz
9.750 ff.). Insolvenzforderungen (§§ 38, 174 Abs. 1 Satz
1 InsO), die gemäß §§ 174, 175 InsO zur
Tabelle anzumelden wären (vgl. etwa BFH-Urteil vom 10.07.2019
- X R 31/16, BFHE 265, 300, BStBl II 2022, 488 = SIS 19 18 76, Rz
34), sind nicht streitgegenständlich.
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aa) Der Grund für die im ersten Schritt
vorzunehmende Ermittlung einer Gesamt-Einkommensteuer für alle
Einkünfte liegt darin, dass diese ununterscheidbar zur
Einkommensteuer beitragen, unabhängig davon, ob sie vor der
Insolvenzeröffnung, von der Masse (§ 55 InsO),
während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner oder
(im letzten Jahr der Insolvenz) nach Beendigung des
Insolvenzverfahrens erzielt wurden (zur Zwangsverwaltung vgl. auch
BFH-Urteile vom 10.02.2015 - IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II
2017, 367 = SIS 15 11 59, Rz 12 ff. und 35, und vom 09.12.2014 - X
R 12/12, BFHE 253, 482, BStBl II 2016, 852 = SIS 16 17 27, Rz 48
ff.; zur Zwangsversteigerung vgl. BFH-Urteil vom 07.07.2020 - X R
13/19, BFHE 270, 24, BStBl II 2021, 174 = SIS 20 17 24, Rz 25 ff.).
Würde man die Einkommensteile jeweils gesondert veranlagen,
würden derartige Einkünfte gegenüber
Einkünften, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens
erzielt wurden, durch den mehrfachen Ansatz des Grundfreibetrags
sowie etwaiger Pausch- und Freibeträge und eine niedrigere
Progression ohne sachlichen Grund privilegiert werden. Eine
Rückkehr zur sog. Separationstheorie des Reichsfinanzhofs
(RFH), die dieser 1938 aufgegeben hat (RFH-Urteil vom 22.06.1938 -
VI 687/37, RFHE 44, 162, RStBl 1938, 669), kommt nicht in Betracht
(BFH-Urteile vom 11.11.1993 - XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477, unter
II.2., und vom 07.11.1963 - IV 210/62 S, BFHE 78, 172, BStBl III
1964, 70 = SIS 64 00 44).
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bb) In den ersten Jahren nach Inkrafttreten
der InsO hat die Finanzverwaltung gegenüber einem
Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit erzielt hat, nur die gemäß § 36 Abs.
1 Satz 2 InsO i.V.m. § 850e Nr. 1 der Zivilprozessordnung
(ZPO) bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens
nicht mitzurechnende und somit auch nach Inkrafttreten der InsO
weiterhin privilegierte Lohnsteuer erhoben und die
Gesamt-Einkommensteuer im Übrigen gegenüber dem
Insolvenzverwalter festgesetzt. Der Verzicht auf eine
Einkommensteuerfestsetzung hatte zur Folge, dass gegenüber der
Insolvenzmasse auch in den Fällen, in denen der
Insolvenzschuldner heimlich
„schwarz“ gearbeitet hatte, die
gesamte Steuer festgesetzt wurde, obwohl die Masse auf die
Einkünfte des Insolvenzschuldners, auch soweit sie die
Pfändungsfreibeträge überstiegen, keinen Zugriff
hatte und obwohl gesetzwidrig keine Lohnsteuer abgeführt
worden war. Deshalb hat der BFH mit Urteil vom 24.02.2011 - VI R
21/10 (BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520 = SIS 11 13 35, Leitsatz
und Rz 15 ff.) entschieden, dass gegenüber dem
Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit erzielt, ein Teil der Einkommensteuer festzusetzen ist (so
auch BFH-Urteil vom 27.07.2011 - VI R 9/11, BFH/NV 2011, 2111 = SIS 11 36 90, Rz 13 und 15; Senatsurteil in BFHE 251, 102, BStBl II
2016, 251 = SIS 15 28 90, Rz 19 f.).
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cc) Die seit Ergehen des BFH-Urteils in BFHE
232, 318, BStBl II 2011, 520 = SIS 11 13 35 im Hinblick auf den
Erlass gesonderter Einkommensteuerbescheide erforderliche
Aufteilung der Gesamt-Einkommensteuer zwischen dem
Insolvenzverwalter und dem Insolvenzschuldner, der Einkünfte
aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt, ist nach
Auffassung des erkennenden Senats entsprechend der unter Geltung
der Konkursordnung entwickelten Rechtsprechung, die der BFH bereits
in zwei jüngeren Entscheidungen für die InsO
bestätigt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 265, 300, BStBl II
2022, 488 = SIS 19 18 76, Rz 63, und in BFHE 271, 15, BStBl II
2021, 819 = SIS 21 02 85, Rz 46), ausschließlich entsprechend
dem Verhältnis der jeweiligen Einkünfte (§ 2 Abs. 2
Satz 1 EStG) vorzunehmen.
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(1) Dies beruht darauf, dass der
Insolvenzschuldner materiell-rechtlich auch hinsichtlich des Teils
der Einkommensteuerschuld Steuerschuldner ist, der gegenüber
dem Insolvenzverwalter als Vertreter der Insolvenzmasse
festzusetzen ist. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG sind
dem Insolvenzschuldner nicht nur die Einkünfte zuzurechnen,
die er während des Insolvenzverfahrens durch eigene Arbeit
unmittelbar selbst erzielt, sondern auch alle Einkünfte aus
der Insolvenzmasse, auch wenn sie aus Handlungen oder
Maßnahmen des Insolvenzverwalters resultieren oder in
sonstiger Weise durch die Masse begründet sind und
unabhängig davon, ob der Insolvenzschuldner hierauf Zugriff
hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 78, 172, BStBl III 1964, 70 = SIS 64 00 44 zur Konkursordnung). Der Übergang der Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis über das Vermögen des
Insolvenzschuldners gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den
Insolvenzverwalter hat seine Ursache ausschließlich im
Insolvenzrecht und keinen Einfluss auf das materielle
Einkommensteuerrecht. Nach materiellem Steuerrecht bleibt es bei
der Einkommensteuerpflicht und -schuldnerschaft des
Insolvenzschuldners nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m.
§§ 33, 43 der Abgabenordnung (AO). Wenn dem
Insolvenzschuldner danach alle Einkünfte weiterhin steuerlich
zuzurechnen sind und der Insolvenzverwalter insoweit lediglich als
Partei kraft Amtes mit Wirkung für den Insolvenzschuldner
handelt sowie das zu versteuernde Einkommen die Bemessungsgrundlage
für die tarifliche Einkommensteuer ist (vgl. § 2 Abs. 5
Satz 1 Halbsatz 2, § 32a Abs. 1 Satz 1 EStG), ist es nach
Auffassung des Senats folgerichtig, die Gesamt-Einkommensteuer
zwischen Insolvenzmasse und Insolvenzschuldner im Verhältnis
der Einkünfte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 EStG) aufzuteilen. Jede
andere Aufteilung - z.B. eine Aufteilung im Verhältnis des
Einkommens i.S. des § 2 Abs. 4 EStG unter
Berücksichtigung getragener Sonderausgaben oder
außergewöhnlicher Belastungen, des zu versteuernden
Einkommens i.S. des § 2 Abs. 5 EStG oder im Verhältnis
der durch fiktive Einzelveranlagungen (Schattenveranlagungen)
errechneten Einkommensteuer analog § 270 Satz 1 AO (vgl. dazu
etwa Dißars in
Schwarz/Pahlke, AO, § 251 Rz 79; Farr, Die Besteuerung in
der Insolvenz, 1. Aufl. 2005, Rz 295 ff.; Frotscher, Besteuerung
bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, S. 147 f.; Loose in Tipke/Kruse,
§ 251 AO Rz 72; Neumann in Gosch, AO § 251 Rz 72;
Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 13. Aufl.
2021, Rz 1461) - widerspräche der gesetzlichen Grundsystematik
und wäre auch nicht praktikabel (vgl. Jatzke in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 251 AO Rz 341 f.;
Roth, Insolvenzsteuerrecht, 3. Aufl. 2020, Rz 4.197, s. aber auch
Rz 4.193; vermittelnd Fehrenbacher in Jaeger, Insolvenzordnung, 1.
Aufl. 2016, Band 5, Teil 1, Steuerrecht in der Insolvenz,
Einkommensteuer, Rz 85). Der Senat hält deshalb an der
diesbezüglichen BFH-Rechtsprechung fest (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 265, 300, BStBl II 2022, 488 = SIS 19 18 76, Rz 63, und in
BFHE 271, 15, BStBl II 2021, 819 = SIS 21 02 85, Rz 46).
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(2) Auch in Ansehung der progressiven
Einkommensteuerbelastung hält der BFH an seiner Rechtsprechung
zur Aufteilung der Jahressteuerschuld zwischen einem
Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit erzielt hat, und dem Insolvenzverwalter nach dem
Verhältnis der auf die jeweiligen Vermögensbereiche
entfallenden Einkünfte fest, weil zur Jahressteuerschuld
ununterscheidbar alle Einkommensteile beitragen (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 265, 300, BStBl II 2022, 488 = SIS 19 18 76, Rz 63; vgl. auch
Jatzke in HHSp, § 251 AO Rz 341 f.). So kann im Falle von
Einkünften, die insolvenzrechtlich zu unterschiedlichen
Vermögensbereichen gehören, einkommensteuerlich nicht
bestimmt werden, welche Teile in welchem Umfang zur Progression
beigetragen haben. Denn nach Ablauf des Veranlagungszeitraums
entsteht, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Einkommensteuer
in einer Summe (§ 36 Abs. 1 EStG), ohne Unterscheidung danach,
in welchem Zeitabschnitt des Kalenderjahres und in welcher
Höhe die jeweiligen in das zu versteuernde Einkommen
eingegangenen Einkünfte erzielt wurden. Vor diesem Hintergrund
beinhaltet der in Rede stehende Rechtsgrundsatz des BFH eine
beachtliche Begründung für die Sachangemessenheit der von
der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angewendeten
Aufteilungsmethode.
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(3) Die Aufteilung der Einkommensteuer sowie
des Solidaritätszuschlags und der Zinsen zur Einkommensteuer
zwischen einem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielt hat, und dem
Insolvenzverwalter entsprechend dem Verhältnis der
Einkünfte ist nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlich
unbedenklich.
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(a) Natürliche Personen dürfen nur
hinsichtlich des ihr Existenzminimum übersteigenden Einkommens
besteuert werden (vgl. etwa Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - Grundfreibetrag,
Einkommensteuerrecht vom 25.09.1992 - 2 BvL 5/91, 8/91, 14/91,
BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 = SIS 92 21 01 -
Entscheidungsformel -, und Steuerpflicht bei Kindesunterhalt,
Kinderexistenzminimum vom 13.10.2009 - 2 BvL 3/05, BVerfGE 124, 282
= SIS 10 02 76, BGBl I 2009, 3785 - Entscheidungsformel - ). Der
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - (i.V.m.
Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG) verpflichtet
den Staat, das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu
stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen
eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie
benötigt. Ebenso wie der Staat nach Art. 1 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG
verpflichtet ist, dem mittellosen Bürger diese
Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen
zu sichern, darf er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen
jedenfalls bis zu diesem Betrag nicht entziehen (vgl.
BVerfG-Beschluss Erstausbildungskosten vom 19.11.2019 - 2 BvL
22-27/14, BVerfGE 152, 274 = SIS 20 01 16, Orientierungssatz 1b und
Rz 105, m.w.N.). Steuerlasten sind am Prinzip der finanziellen
Leistungsfähigkeit, der Folgerichtigkeit und der steuerlichen
Lastengleichheit des Steuerschuldners auszurichten (vgl. etwa
BVerfG-Beschluss häusliches Arbeitszimmer vom 06.07.2010 - 2
BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 = SIS 10 19 16, BGBl I 2010, 1157,
BStBl II 2011, 318 = SIS 10 19 16, Rz 36; BFH-Urteil vom 20.10.2010
- IX R 56/09, BFHE 231, 173, BStBl II 2011, 409 = SIS 10 40 59, Rz
23). § 32a EStG setzt diese Grundsätze für die
Einkommensbesteuerung um.
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(b) Diesen Anforderungen genügt die
materiell-rechtlich auf den Insolvenzschuldner entfallende
Gesamt-Einkommensteuer. Da die Aufteilung des
Schuldnervermögens in zwei Vermögensmassen, welche die
Aufteilung der Einkommensteuer notwendig macht, eine Folge der
Insolvenz ist, ist der Schuldnerschutz im Streitfall vorrangig
durch das Insolvenzrecht und die Schuldnerschutzvorschriften
gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 850a
ff. ZPO zu gewährleisten.
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Ob es rechtspolitisch zweckmäßig
wäre, gegenüber dem Insolvenzschuldner, der
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, die
Einkommensteuer nur in etwa in Höhe der Lohnsteuer
festzusetzen, kann der Senat offen lassen. Denn bloße
Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen eine
Durchbrechung der gesetzlichen Grundsystematik nicht.
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(c) Der Senat vermag auch nicht zu erkennen,
dass die Aufteilung der Gesamt-Einkommensteuerschuld nach dem
Verhältnis der auf die jeweiligen Vermögensbereiche
entfallenden Einkünfte zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstoßenden Ungleichbehandlung des Insolvenzschuldners
führt, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
erzielt, gegenüber einem Insolvenzschuldner, der nach Freigabe
durch den Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 und
3 InsO Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus
selbständiger Arbeit erzielt. Denn insoweit handelt es sich in
insolvenzrechtlicher Hinsicht um im Wesentlichen ungleiche
Sachverhalte, für die der Gesetzgeber in steuerrechtlicher
Hinsicht entsprechend dieser Ungleichheit auch unterschiedliche
Rechtsfolgen vorsehen durfte. Gelangt beim nichtselbständig
tätigen Insolvenzschuldner pfändbarer Arbeitslohn als
Neuerwerb nach § 35 Abs. 1 InsO automatisch zur
Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der
Insolvenzmasse in anderer Weise i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO (BFH-Urteil in BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520 = SIS 11 13 35, Rz 12 ff.). Folge ist die Notwendigkeit der Aufteilung der
Gesamt-Einkommensteuerschuld auf zwei Vermögensbereiche.
Dagegen hat die Rechtsprechung im Fall des gewerblich oder
selbständig tätigen Insolvenzschuldners unter bestimmten
Voraussetzungen ein massebezogenes Verwaltungshandeln des
Insolvenzverwalters i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO angenommen
(vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 250, 7, BStBl II 2016, 29 = SIS 15 21 34, Rz 13 ff., und in BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251 = SIS 15 28 90, Rz 20 ff.). Folge ist, dass die Einkommensteuer auch
hinsichtlich der gewerblichen oder selbständigen
Einkünfte des Insolvenzschuldners gegenüber der Masse
festgesetzt wird und schon keine Notwendigkeit der Aufteilung der
Gesamt-Einkommensteuerschuld entsteht.
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b) Nach diesen Grundsätzen war die
angefochtene Steuerfestsetzung nach Auffassung des Senats im
Streitfall rechtmäßig.
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aa) Das FA hat zutreffend in einem ersten
Schritt die Gesamt-Einkommensteuer festgesetzt und diese in einem
zweiten Schritt entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte
zwischen dem Kläger und dem beigeladenen Insolvenzverwalter
aufgeteilt. Wie ausgeführt, lassen die gesetzliche
Grundsystematik und Praktikabilitätserwägungen
ausschließlich eine Aufteilung im Verhältnis der
Einkünfte zu. Die vom Kläger beantragte Aufteilung, bei
der ihm gegenüber die im Wege einer Schattenveranlagung
(Probeberechnung) ermittelte Einkommensteuer festgesetzt wird und
gegenüber der Masse die Differenz aus der
Gesamt-Einkommensteuer und der auf den Kläger entfallenden
Steuer, scheidet deshalb aus, ebenso der vom FG vorgenommene Abzug
des Grundfreibetrags von den Einkünften des Klägers. Da
nach Auffassung des Senats allein die Aufteilung der
Gesamt-Einkommensteuer im Verhältnis der Einkünfte
rechtmäßig ist, kommen auch alle anderen, in der
Literatur diskutierten Aufteilungsvarianten nicht in Betracht.
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bb) Der Streitfall gibt nach Auffassung des
Senats keinen Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit der
Aufteilung der Gesamt-Einkommensteuer im Verhältnis der
Einkünfte und der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber
einem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielt hat, zu zweifeln. So fehlt
es schon an einer schlüssigen Berechnung des FG, anhand derer
im Einzelnen erkennbar wird, dass aufgrund des steuerlichen
Zugriffs das Existenzminimum des Klägers tatsächlich
nicht mehr gewährleistet ist. Denn es ist streng auf das
sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine
das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen.
Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums
gewährleistet dem Steuerpflichtigen lediglich den Schutz des
Lebensstandards auf Sozialhilfeniveau, nicht aber auf dem Niveau,
das durch die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung
erreicht werden kann (BVerfG-Beschluss vom 13.02.2008 - 2 BvL 1/06,
BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87, unter D.II.3.; vgl. auch
BFH-Urteil vom 16.11.2011 - X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012,
325 = SIS 12 04 54, Rz 28 ff.; Verfassungsbeschwerde nicht zur
Entscheidung angenommen, BVerfG-Beschluss vom 27.09.2017 - 2 BvR
598/12, nicht veröffentlicht). Den Feststellungen des FG kann
nicht entnommen werden, dass die nach dem Einkommensteuergesetz
abzugsfähigen Aufwendungen des Klägers in voller
Höhe als verfassungsrechtlich zwingend zu
berücksichtigender Aufwand anzusehen sind. Die Auffassung des
FG, dass sämtliche abzugsfähigen Sonderausgaben (Renten-
und Krankenversicherungsbeiträge) auch nach Verfassungsrecht
berücksichtigt werden müssen, trifft nicht zu. Einer
Zurückverweisung zur Prüfung einer abweichenden
Steuerfestsetzung nach § 163 AO bedarf es nicht, da es sich
bei dem Steuerfestsetzungs- und dem Billigkeitsverfahren um zwei
selbständige Verfahren handelt (z.B. BFH-Urteile vom
23.02.2021 - II R 22/19, BFHE 273, 190, BStBl II 2021, 636 = SIS 21 11 54, Rz 11, und vom 09.03.2010 - VIII R 24/08, BFHE 228, 499,
BStBl II 2010, 903 = SIS 10 09 22, Rz 21).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO. Etwaige außergerichtliche Kosten des Beigeladenen
waren nicht aus Billigkeitsgründen zu erstatten (§ 139
Abs. 4 FGO), denn dieser hat weder Sachanträge gestellt noch
anderweitig das Verfahren wesentlich gefördert.
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