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I. Der im Streitjahr in der Schweiz
ansässige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger)
erhielt 2005 im Wege der Schenkung von seinem Vater Anteile an
einer schwedischen AG. Der Vater unterhielt im Zeitpunkt der
Schenkung Wohnsitze in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland)
und im Königreich Schweden (Schweden). Sein Lebensmittelpunkt
lag im Zeitpunkt der Schenkung - unstreitig - in Schweden. Schweden
hatte die Erbschaft- und Schenkungsteuer zu Beginn des Jahres 2005
abgeschafft.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) setzte mit Bescheid vom 01.03.2017 gegen den
Kläger Schenkungsteuer in Höhe von X EUR fest. Mit
Bescheid vom 17.03.2017 setzte das FA die Steuer aus nicht
streitigen Gründen auf Y EUR herab.
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Mit seinem Einspruch vertrat der
Kläger die Auffassung, sein Vater, der Schenker, sei
abkommensrechtlich allein in Schweden ansässig gewesen, sodass
Schweden allein über das Besteuerungsrecht verfügt
habe.
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Das FA wies den Einspruch mit
Einspruchsentscheidung vom 19.09.2018 als unbegründet
zurück. Die dagegen eingelegte Klage hatte Erfolg.
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Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG)
ergibt sich aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich Schweden zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen sowie bei den Erbschafts- und Schenkungsteuern und
zur Leistung gegenseitigen Beistands bei den Steuern vom 14.07.1992
(BGBl II 1994, 686) - DBA-Schweden 1992 - das alleinige
Besteuerungsrecht Schwedens. Durch die Abschaffung der Erbschaft-
und Schenkungsteuer in Schweden habe das DBA-Schweden 1992 keine
Änderung erfahren. Das Urteil ist in IStR (IStR) 2021, 108
veröffentlicht.
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Dagegen richtet sich die Revision des
FA.
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Seiner Ansicht nach ist die Schenkung
grundsätzlich in Deutschland steuerbar, da der Schenker einen
inländischen Wohnsitz gehabt habe. Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweden
1992 verlange für die Ansässigkeit, dass eine Person in
dem betreffenden Staat aufgrund ihres Wohnsitzes steuerpflichtig
sei. Da es zum Besteuerungszeitpunkt in Schweden kein Erbschaft-
und Schenkungsteuergesetz mehr gegeben habe, habe es dort nicht zu
einer Steuerpflicht kommen können. Dieser Fall sei nicht
vergleichbar mit der Situation, in der beispielsweise aufgrund
einer persönlichen Steuerbefreiung die Schenkung nicht der
Steuer unterliege.
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Das FA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Seiner Auffassung nach hat das FG zu Recht
entschieden, dass das alleinige Besteuerungsrecht Schweden zustehe.
Das DBA-Schweden 1992 habe nach Abschaffung der Erbschaft- und
Schenkungsteuer in Schweden unverändert fortbestanden, eine
Kündigung seitens Deutschland sei bis heute nicht erfolgt. Auf
das Bestehen einer konkreten sachlichen oder persönlichen
Steuerpflicht in Schweden komme es nicht an.
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Bei verständiger Würdigung der
Regelungen des DBA-Schweden 1992 richte sich die Ansässigkeit
im Sinne des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweden 1992 im Ergebnis
ausschließlich nach dem tatsächlichen Aufenthalt der
Person. Die Vorschrift sei nach ihrem Wortlaut, ihrer Historie, der
Systematik und nach ihrem Sinn und Zweck dahingehend auszulegen,
dass es nicht auf das Bestehen einer konkreten Steuerpflicht in
beiden Abkommensstaaten ankomme. Da der Schenker zum Zeitpunkt der
Schenkung seinen Lebensmittelpunkt in Schweden gehabt habe,
dürfe die Schenkung allein in Schweden besteuert
werden.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Es stellt keinen Antrag.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Schenkung der
Anteile durch den Vater an den Kläger unterliegt in
Deutschland der Schenkungsteuer. Die Regelung in Art. 4
DBA-Schweden 1992 steht der Besteuerung in Deutschland nicht
entgegen.
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1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) unterliegen
der Schenkungsteuer die Schenkungen unter Lebenden. Dazu
gehören freigebige Zuwendungen unter Lebenden, soweit der
Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird
(§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
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Die persönliche Steuerpflicht für
den gesamten Vermögensanfall setzt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1
Satz 1 ErbStG voraus, dass der Schenker im Zeitpunkt der
Ausführung der Schenkung oder der Erwerber im Zeitpunkt der
Entstehung der Steuer Inländer ist. Als Inländer gelten
nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG natürliche
Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen
Aufenthalt haben. Dies trifft auf den Vater des Klägers, den
Schenker, zu, denn er hatte neben einem Wohnsitz in Schweden auch
einen Wohnsitz im Inland.
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2. Art. 26 DBA-Schweden 1992 enthält
Regelungen, die eine Doppelbesteuerung mit Schenkungsteuer bei
einer doppelten Ansässigkeit des Schenkers oder des
Beschenkten in Schweden und in Deutschland verhindern sollen.
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a) Nach Art. 24 Abs. 3 DBA-Schweden 1992 kann
bewegliches Vermögen, das kein Betriebsvermögen darstellt
und Teil einer Schenkung einer in einem Vertragsstaat
ansässigen Person ist, ohne Rücksicht auf seine
Belegenheit nur in diesem Staat besteuert werden, soweit Art. 26
DBA Schweden 1992 nichts anderes bestimmt.
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b) In welchem Staat eine Person in diesem
Sinne „ansässig“ ist, bestimmt Art.
4 DBA-Schweden 1992 für sämtliche Regelungen innerhalb
des Abkommens mit dem Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat
ansässige Person“. Nach Art. 4 Abs. 1
Buchst. b Satz 1 DBA-Schweden 1992 ist für Zwecke der
Nachlass-, Erbschaft- und Schenkungsteuern „eine in einem
Vertragsstaat ansässige Person“, deren
Nachlass oder Schenkung oder deren Erwerb nach dem Recht dieses
Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen
Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines
anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist.
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Ist eine natürliche Person in beiden
Vertragsstaaten ansässig, gilt sie nach Art. 4 Abs. 2 Buchst.
a DBA-Schweden 1992 als in dem Staat ansässig, in dem sie
über eine ständige Wohnstätte verfügt;
verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige
Wohnstätte, so gilt sie als in dem Staat ansässig, zu dem
sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen
hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).
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c) Danach wäre nach dem DBA-Schweden 1992
an sich die Schenkung in Schweden zu besteuern, da der Schenker zum
Zeitpunkt der Schenkung in diesem Land den Mittelpunkt seiner
Lebensinteressen hatte.
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3. Jedoch besteht seit der Abschaffung der
Erbschaft- und Schenkungsteuer in Schweden - ungeachtet eines
tatsächlich bestehenden Wohnsitzes - für Zwecke der
Schenkungsteuer keine
„Ansässigkeit“ in Schweden im Sinne
des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweden 1992
mehr (gl.A. Pohl, Neue Wirtschafts-Briefe 2021, 240, 241; a.A.
Schmid in Wassermeyer, DBA, Schweden, Vor Art. 24 bis 28 Rz 5;
Eisele in Kapp/Ebeling, § 21 ErbStG, Rz 71.1; Ehlig, IStR
2021, 433, 435 ff.). Denn Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweden 1992
verweist für den Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat
ansässige Person“ im Sinne des Abkommens
für Zwecke der Schenkungsteuer auf eine Person, die
„nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres
Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer
Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals
steuerpflichtig ist“. Somit bestimmt sich die
Ansässigkeit des Schenkers allein nach dem inländischen
Recht.
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a) Entsprechend der allgemeinen
Abkommenspraxis (vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 des Musterabkommens der
Organisation for Economic Cooperation and Development zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und Vermögen) definiert Art. 4 Abs. 1 Buchst. b
DBA-Schweden 1992 den Begriff des Wohnsitzes oder ständigen
Aufenthaltsorts als örtlichen Anknüpfungspunkt für
die „Ansässigkeit“ im
abkommensrechtlichen Sinne nicht selbst, sondern verweist insoweit
auf das nationale Recht des jeweiligen Vertragsstaats. Die
Ansässigkeit einer Person (Erblasser oder Schenker) setzt
danach voraus, dass deren Nachlass oder Schenkung „nach dem
Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes ... oder eines
anderen Merkmals steuerpflichtig ist“.
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b) Es bedarf folglich für die
abkommensrechtliche Ansässigkeit einer tatsächlich
existierenden nationalen Vorschrift („nach dem Recht dieses
Staates“), die für die
(unbeschränkte) Steuerpflicht der Schenkung an den Wohnsitz
des Schenkers oder ein ähnliches ortsbezogenes Merkmal
anknüpft. Für Deutschland folgt dies aus § 2 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a ErbStG, der für die unbeschränkte
Schenkungsteuerpflicht an einen inländischen Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt des Schenkers anknüpft. Für
Schweden fehlte es hingegen seit der Abschaffung der
Schenkungsteuer ab dem 01.01.2005 und damit auch im
Schenkungszeitpunkt an einer entsprechenden nationalen Norm
für die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht
in Bezug auf die Schenkungsteuer.
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c)
„Ansässigkeit“ im
abkommensrechtlichen Sinne und unbeschränkte Steuerpflicht
sind zwar grundsätzlich unterschiedlichen Regelungskreisen
zuzuordnen (vgl. Ehlig, IStR 2021, 433, 436). Jedoch verbindet Art.
4 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweden 1992 beide Regelungskreise, indem
er für die abkommensrechtliche Ansässigkeit auf die
jeweiligen nationalen Vorschriften über die unbeschränkte
Steuerpflicht verweist (Wassermeyer in Wassermeyer, MA Art. 4 Rz 2:
Ansässigkeit im abkommensrechtlichen Sinne setzt die
unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund eines ortsbezogenen
Merkmals voraus; vgl. auch Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7.
Aufl., Art. 4 Rz 77). Denn nach der Regelung bedeutet der Ausdruck
„eine in einem Vertragsstaat ansässige
Person“ für Zwecke der Schenkungsteuer,
dass diese Person nach dem „Recht dieses Staates dort
aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des
Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen
Merkmals steuerpflichtig ist“.
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d) Diesem Verständnis steht die vom FG
zitierte Rechtsprechung des I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH)
nicht entgegen, wonach die in der abkommensrechtlichen Definition
der Ansässigkeit angesprochene
„Steuerpflicht“ es nicht erfordert, dass
die im Einzelfall betroffenen Einkünfte in dem
Ansässigkeitsstaat tatsächlich der Besteuerung
unterliegen. Vielmehr genügt danach die abstrakte
(„virtuelle“) Steuerpflicht (BFH-Urteil
vom 06.06.2012 - I R 52/11, BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240 = SIS 12 22 63, Rz 12 - zur Körperschaftsteuerbefreiung von
Kapitalgesellschaften). Der Unterschied zum Streitfall liegt darin,
dass in dem vom I. Senat entschiedenen Fall weiterhin ein Gesetz
existiert hatte, nach welchem die Erträge der in der Republik
Frankreich residierenden Kapitalgesellschaften grundsätzlich
einer (unbeschränkten) Steuerpflicht unterlagen. Wird jedoch
in einem Vertragsstaat die Steuerart komplett und ersatzlos
abgeschafft, dann fehlt es nicht nur an einer tatsächlichen,
sondern auch an einer abstrakten oder virtuellen Steuerpflicht in
diesem Staat.
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e) Unerheblich ist, dass zum Zeitpunkt des
Abschlusses des DBA-Schweden 1992 im Jahr 1992 auch in Schweden die
Steuerart Schenkungsteuer noch existierte und folglich eine
„Ansässigkeit“ eines Schenkers in
Schweden möglich gewesen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt
für die Anwendung des Abkommens ist im Fall der Schenkung der
Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2
ErbStG). Die Voraussetzungen der abkommensrechtlichen
Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweden 1992
müssen daher in diesem Zeitpunkt vorgelegen haben und
beurteilen sich auch nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden
Rechtslage. Der bei Abschluss des DBA Schweden 1992 gegebene
Rechtszustand besteht indes nicht für die gesamte Laufzeit
fort, da die Schenkungsteuer in Schweden zu Beginn des Jahres 2005
abgeschafft worden ist. Das DBA-Schweden 1992 ist nicht so
auszulegen, als existierte in Schweden das bei seinem Abschluss
geltende Schenkungsteuergesetz weiterhin fort.
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4. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat
das FG zu Unrecht entschieden, dass die Regelungen des DBA-Schweden
1992 einer Besteuerung der freigebigen Zuwendung des Vaters an den
Kläger im Inland entgegenstehen. Die Vorentscheidung war daher
aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene
Schenkungsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten.
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a) Die Übertragung der Anteile unterliegt
- unstreitig - als freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG der Schenkungsteuer. Die Voraussetzungen für die
unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht sind erfüllt. Der
Kläger war im Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung im
Jahr 2005 zwar kein Inländer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr.
1 Satz 2 Buchst. a ErbStG, da er im Zeitpunkt der Schenkung seinen
Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hatte.
Jedoch bestand für seinen Vater als Schenker eine
persönliche Steuerpflicht nach dieser Vorschrift, da er einen
Wohnsitz im Inland hatte.
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b) Das DBA-Schweden 1992, das eine
Doppelbesteuerung verhindern soll, führt zu keinem anderen
Ergebnis. Eine Ansässigkeit des Vaters in Schweden lag nicht
vor, weil im Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung kein
nationales Recht in Schweden bestand, das die Besteuerung der
Schenkung an den Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in
Schweden angeknüpft hätte.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO. Das beigetretene BMF trägt keine Kosten, da es
keinen Antrag gestellt hat.
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