Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 14.12.2021 - 6 K
20/21 = SIS 22 07 85 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Bei dem Partner der im Streitjahr (2019)
ledigen Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin)
besteht eine chromosomale Translokation (Chromosomenmutation, hier
in Form einer sogenannten balancierten reziproken Translokation),
welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein auf
natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten
körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter
Umständen nicht lebensfähig ist.
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Aus diesem Grund begaben sich die
Klägerin und ihr Partner zum Ende des Jahres 2018 im
Kinderwunschzentrum A in Behandlung. Dem gingen humangenetische
Beratungen am Universitätsklinikum B sowie am Institut C
voraus. Das Institut bestätigte mit Schreiben vom xx.xx.2018,
dass im vorliegenden Fall aufgrund des Kinderwunsches der
Klägerin und ihres Partners die Durchführung einer
Präimplantationsdiagnostik (PID) indiziert
sei. Des Weiteren erfolgten ein Beratungsgespräch im
Kinderwunschzentrum zur künstlichen Befruchtung sowie eine
psychosoziale Beratung. Im Anschluss hieran entschieden sich die
Klägerin und ihr Partner dazu, eine künstliche
Befruchtung mit PID durchführen zu lassen, um dadurch die
chromosomale Fehlstellung auszuschließen und eine
fortlaufende Schwangerschaft zu erreichen. Die PID-Kommission der
zuständigen Ärztekammer erteilte mit Schreiben vom
xx.xx.2018 die erforderliche Zustimmung zur Durchführung der
PID.
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Im Streitjahr fanden im Kinderwunschzentrum
mehrere Behandlungen zur Durchführung der künstlichen
Befruchtung statt, wobei aus medizinischen Gründen bei der
chromosomalen Translokation des Partners der Klägerin der
Großteil der Behandlungsschritte am Körper der
Klägerin erfolgen musste.
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In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr beantragte die Klägerin den Abzug von
Aufwendungen im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung
in Höhe von 22.965 EUR als außergewöhnliche
Belastungen im Sinne von § 33 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Hierbei handelte es sich im
Wesentlichen um Kosten für an die Klägerin adressierte
Rechnungen und auf sie ausgestellte Rezepte, die teilweise von ihr
gezahlt, teilweise aber auch von ihrem Partner beglichen
wurden.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) lehnte eine Berücksichtigung der
Behandlungskosten der Klägerin auch im Einspruchsverfahren
ab.
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Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen
erhobenen Klage teilweise statt und erkannte - neben
geschätzten Fahrtkosten der Klägerin in Höhe von
658,80 EUR - die Aufwendungen insoweit als
außergewöhnliche Belastungen an, als die Kosten von der
Klägerin selbst getragen worden waren (9.344,95 EUR). Im
Übrigen wies es die Klage ab.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung des § 33 EStG.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend entschieden,
dass die der Klägerin im Zusammenhang mit der bei ihr
durchgeführten homologen künstlichen Befruchtung
entstandenen und von ihr selbst getragenen Kosten als
außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu
berücksichtigen sind.
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1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die
Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen
als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands
erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen,
tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen
kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig
sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§
33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
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a) In ständiger Rechtsprechung geht der
Bundesfinanzhof (BFH) davon aus, dass Krankheitskosten und damit
Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen
Körperzustand geschuldet sind, ohne Rücksicht auf die Art
und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus
tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen
(Senatsurteil vom 10.08.2023 - VI R 29/21, BFHE 281, 70, BStBl II
2023, 1110 = SIS 23 15 78, Rz 12). Allerdings werden nur solche
Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum
Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt
werden, die Krankheit erträglich zu machen (Senatsurteile vom
02.09.2010 - VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119 = SIS 10 36 90, Rz 12 und vom 14.11.2013 - VI R 20/12, BFHE 244, 285, BStBl
II 2014, 456 = SIS 14 08 63, Rz 13).
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b) Im Hinblick auf die für den Abzug nach
§ 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht
danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen
oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder
lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen.
Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als
außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl
der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme
nicht behoben, sondern nur „umgangen“
oder kompensiert wird (Senatsurteil vom 16.12.2010 - VI R 43/10,
BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414 = SIS 11 05 55, Rz 13).
Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung
Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als
Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in
Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen
für Ärzte vorgenommen wird (zuletzt Senatsurteil vom
25.01.2022 - VI R 34/19 = SIS 22 06 26, Rz 19).
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c) Voraussetzung ist weiter, dass die den
Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen
Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht
verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand im
Sinne des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von
den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote
beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen
Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind
selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder
bußgeldbewehrt sind oder wegen eines
Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden. Als
außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für
eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn
die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen
das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verstößt (Senatsurteil
vom 25.01.2022 - VI R 34/19 = SIS 22 06 26, Rz 20, m.w.N.).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist das FG zu
Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin
selbst getragenen Aufwendungen für die künstliche
Befruchtung unter Verwendung homologen Samens als
außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind.
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a) Bei der im Streitfall vorliegenden
chromosomalen Translokation des Partners der Klägerin mit der
wahrscheinlichen Folge schwerster Schädigungen für ein
ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind
handelt es sich um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand
und mithin um eine Krankheit im Sinne der angeführten
Rechtsgrundsätze. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht
auch nicht streitig.
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b) Die durchgeführten
Behandlungsmaßnahmen der PID in Verbindung mit der
künstlichen Befruchtung der Klägerin waren medizinisch
auch indiziert, um die Krankheit des Partners auszugleichen und
mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Denn die durch die
chromosomale Translokation des Partners der Klägerin
entstehende Gefährdung des Kindes bei natürlicher
Befruchtung konnte durch eine PID einschließlich
nachfolgender künstlicher Befruchtung umgangen werden.
Unerheblich ist, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht
bezweckt ist, die Ursachen der chromosomalen Translokation zu
beseitigen. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohnt
gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen
verbunden ist. Von der Linderung einer Krankheit kann vielmehr
schon dann gesprochen werden, wenn die ärztliche
Tätigkeit auf die Abschwächung oder eine partielle oder
völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen gerichtet ist
(Senatsurteil vom 16.12.2010 - VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II
2011, 414 = SIS 11 05 55, Rz 18).
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c) Da die ärztlichen Maßnahmen in
ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit
beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der
Klägerin auszugleichen, sind ausnahmsweise auch die
Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der -
unstreitig gesunden - Klägerin vorzunehmen waren,
zwangsläufig entstanden. Denn wegen der biologischen
Zusammenhänge konnte - anders als bei anderen Erkrankungen -
durch eine medizinische Behandlung allein des Partners der
Klägerin keine Linderung der Krankheit eintreten (vgl. bereits
Senatsurteil vom 16.12.2010 - VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II
2011, 414 = SIS 11 05 55, Rz 18). Entsprechend steht es der
Zwangsläufigkeit der an der Klägerin vorgenommenen
Behandlungsmaßnahmen nicht entgegen, dass hierfür ein
anomaler Zustand auf Seiten ihres Partners ursächlich war.
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d) Der Abziehbarkeit steht zudem nicht
entgegen, dass die Klägerin und ihr Partner nicht verheiratet
waren. Denn in Fällen künstlicher Befruchtung können
grundsätzlich auch Behandlungsmaßnahmen von nicht
verheirateten Partnern als außergewöhnliche Belastungen
abziehbar sein (vgl. Senatsurteil vom 05.10.2017 - VI R 2/17 =
SIS 17 22 74, Rz 23). Dies gilt
auch für Behandlungsmaßnahmen, die an dem selbst nicht
erkrankten Partner vorzunehmen sind, soweit diese aufgrund
untrennbarer biologischer Zusammenhänge zur Linderung einer
Krankheit erforderlich sind.
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e) Der Abzug der von der Klägerin selbst
getragenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen
steht auch mit den Richtlinien der von der zuständigen
Landesärztekammer erlassenen Berufsordnung in Einklang. Denn
die Richtlinie zur assistierten Reproduktion gemäß
§ 13 Abs. 3 der Berufsordnung für die nordrheinischen
Ärztinnen und Ärzte sieht insoweit keine
Einschränkung vor.
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f) Der Zwangsläufigkeit der im Streitfall
angefallenen Aufwendungen stehen weiter auch gesetzliche
Vorschriften nicht entgegen. Denn die PID-Kommission der
zuständigen Ärztekammer hat die erforderliche Zustimmung
erteilt.
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aa) Gemäß § 3a Abs. 1 ESchG
ist die genetische Untersuchung eines außerhalb des
Körpers erzeugten Embryos grundsätzlich unzulässig.
Nach § 3a Abs. 2 ESchG gilt dies unter anderem dann nicht,
wenn aufgrund der genetischen Disposition des Mannes, von dem die
Samenzelle stammt, das hohe Risiko einer schwerwiegenden
Erbkrankheit besteht, oder die Frau, von der die Eizelle stammt,
der Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos,
die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt
führen wird, zustimmt. Zusätzliche Voraussetzung für
die Zulässigkeit der PID ist, dass eine vorherige
Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und
sozialen Folgen der gewünschten genetischen Untersuchung
stattfindet (§ 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ESchG), die
zuständige Ethikkommission die Einhaltung der genannten
Voraussetzungen geprüft und zugestimmt hat (§ 3a Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 ESchG), sowie die Untersuchung durch einen
qualifizierten Arzt in für die PID zugelassenen Zentren
vorgenommen wird (§ 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ESchG).
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bb) Nach den bindenden Feststellungen der
Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden diese Vorschriften
eingehalten. Es bestand aufgrund der beim Partner der Klägerin
vorliegenden genetischen Veränderung das hohe Risiko einer
schwerwiegenden Schädigung des Embryos. Nach vorheriger
Beratung haben die Klägerin und ihr Partner die Zustimmung der
zuständigen PID-Kommission zur Durchführung der
Diagnostik eingeholt (vgl. § 3a ESchG i.V.m. § 4 der
Präimplantationsdiagnostikverordnung vom 21.02.2013, BGBl I
2013, 323 i.V.m. § 5 des
Präimplantationsdiagnostikgesetzes Nordrhein-Westfalen vom
04.07.2014).
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g) Entgegen der Auffassung des FA steht dem
Abzug der Aufwendungen für die an der Klägerin
vorgenommenen und von ihr selbst getragenen
Behandlungsmaßnahmen schließlich auch nicht der
Grundsatz der Individualbesteuerung entgegen. Danach ist die
Einkommensteuer eine Personensteuer, die die im Einkommen zu Tage
tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen
Person der Besteuerung zugrunde legt und damit die Verwirklichung
des verfassungsrechtlich fundierten Gebots der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sicherstellt (s.
BFH-Beschluss vom 18.04.2018 - I R 2/16, BFHE 261, 298, BStBl II
2018, 567 = SIS 18 09 91, Rz 19). Entsprechend ist
grundsätzlich die einzelne natürliche Person
Zurechnungssubjekt der von ihr erzielten Einkünfte (§ 2
Abs. 1 EStG, Beschluss des Großen Senats des BFH vom
17.12.2007 - GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73).
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Im Streitfall hatte die Klägerin aufgrund
der notwendigerweise an ihrem Körper durchzuführenden
Behandlungsmaßnahmen die ihr in Rechnung gestellten
Aufwendungen zu tragen. Indem das FG die der Klägerin
entstandenen und von ihr getragenen Kosten als
außergewöhnliche Belastungen berücksichtigte, hat
es mithin nicht gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung
verstoßen, sondern der geminderten wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Klägerin Rechnung getragen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
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