Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Düsseldorf vom 11.11.2021 - 14 K 2577/20 E
= SIS 22 02 04 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind japanische Staatsbürger und wurden im
Streitjahr (2018) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie
wohnten im Streitjahr in X und haben zwei Kinder.
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Als Angestellter der A Ltd., Japan
arbeitete der Kläger im Rahmen einer befristeten Entsendung
von Oktober 2017 bis August 2019 für die B GmbH (GmbH) in Y.
Hierfür erhielt er sowohl von der japanischen
Muttergesellschaft als auch von der GmbH Gehalt. Die Auszahlung
erfolgte im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung.
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Im Mai 2018 beantragte der Kläger
Kindergeld für die beiden Kinder der Eheleute und bestimmte,
das Kindergeld solle auf ein Konto einer anderen Person,
nämlich der GmbH, überwiesen werden. Die Klägerin
erklärte sich damit einverstanden, dass das Kindergeld
zugunsten des Klägers festgesetzt wurde. Zusammen mit dem
Kindergeldantrag gaben die Kläger eine
„Verzichtserklärung“ ab, in der sie
ihr Einverständnis erklärten, dass das von der
Familienkasse zu zahlende Kindergeld nicht an sie ausgezahlt,
sondern zugunsten der GmbH verbucht werde. Hintergrund sei, dass
die GmbH für sämtliche Lohnsteuern, die im Zusammenhang
mit der Entsendung anfielen, eintrete.
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Die zuständige Familienkasse setzte
Kindergeld ab Januar 2018 fest und zahlte dieses für das
Streitjahr in Höhe von 4.656 EUR antragsgemäß auf
ein Konto der GmbH aus.
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Die GmbH verbuchte das vereinnahmte
Kindergeld in ihrer Finanzbuchhaltung gegen Personalaufwand. Den
Bruttoarbeitslohn in Höhe von 336.098 EUR unterwarf sie dem
Lohnsteuerabzug, ohne die Kindergeldzahlungen als negative
Einnahmen zu berücksichtigen.
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In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr erklärten die Kläger einen um das
Kindergeld gekürzten Bruttoarbeitslohn in Höhe von
331.442 EUR.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) lehnte eine Kürzung des Bruttoarbeitslohns
um das Kindergeld ab. Er berücksichtigte bei der
Einkommensteuerfestsetzung unter anderem zwei
Kinderfreibeträge und erhöhte die Einkommensteuer um das
Kindergeld.
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Den Einspruch der Kläger wies das FA
als unbegründet zurück.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus
den in EFG 2022, 759 = SIS 22 02 04 veröffentlichten Gründen statt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt sinngemäß,
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das FG-Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist zu Recht davon
ausgegangen, dass der Bruttoarbeitslohn des Klägers im
Streitjahr um das an die GmbH abgetretene Kindergeld zu kürzen
ist.
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1. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sämtliche
Bezüge und Vorteile, die dem Arbeitnehmer für eine
Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst
gewährt werden. Für die Qualifizierung eines Vorteils als
Arbeitslohn ist nach ständiger Rechtsprechung maßgebend,
ob der Vorteil durch das individuelle Arbeitsverhältnis
veranlasst ist, insbesondere ob ihm Entlohnungscharakter zukommt
(z.B. Senatsurteile vom 20.05.2010 - VI R 12/08, BFHE 230, 136,
BStBl II 2010, 1069 = SIS 10 26 88 und vom 30.06.2011 - VI R 80/10,
BFHE 234, 195, BStBl II 2011, 948 = SIS 11 29 94). Dieser
Arbeitslohnbegriff ist auch im Fall einer Nettolohnvereinbarung
zugrunde zu legen (Senatsurteil vom 03.09.2015 - VI R 1/14, BFHE
251, 1, BStBl II 2016, 31 = SIS 15 25 61, Rz 10, m.w.N.).
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a) Unter einer Nettolohnvereinbarung ist eine
Abrede zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses des
Inhalts zu verstehen, dass der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer das
Arbeitsentgelt als Nettolohn zahlt, der Arbeitnehmer also den als
Nettolohn vereinbarten Betrag ungekürzt durch sämtliche
oder bestimmte gesetzliche Abgaben erhält, während sich
der Arbeitgeber verpflichtet, die Beträge für den
Arbeitnehmer zu tragen (Senatsurteil vom 03.09.2015 - VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II
2016, 31 = SIS 15 25 61, Rz 11, m.w.N.). Dabei ist der
Arbeitgeber aufgrund der Nettolohnvereinbarung gegenüber dem
Arbeitnehmer zu einer ungekürzten Auszahlung eines
gleichbleibenden Monatsnettolohns verpflichtet (s. Senatsurteile
vom 30.07.2009 - VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148 =
SIS 09 30 36 und vom 03.09.2015 - VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II
2016, 31 = SIS 15 25 61, Rz 19).
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b) Bei der Einkommensteuerveranlagung des
Arbeitnehmers führt die Nettolohnvereinbarung insbesondere
dazu, dass bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit neben dem Nettolohn diejenigen Vorteile zu erfassen sind,
die in der Übernahme von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteilen
zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber liegen (Senatsurteile
vom 16.08.1979 - VI R 13/77, BFHE 128, 467, BStBl II 1979, 771 =
SIS 79 03 93; vom 26.02.1982 - VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II
1982, 403 = SIS 82 25 65; vom 22.06.1990 - VI R 162/86, BFH/NV
1991, 156 = SIS 90 23 33 und vom 28.02.1992 - VI R 146/87, BFHE
167, 507, BStBl II 1992, 733 = SIS 92 16 34). Deshalb hat der
Arbeitnehmer in seiner Steuererklärung nicht lediglich den
Nettolohn, sondern den durch Hochrechnung ermittelten Bruttolohn zu
deklarieren. Denn der Arbeitnehmer bleibt auch bei Abschluss einer
Nettolohnvereinbarung Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2
Satz 1 EStG) und seiner persönlichen Einkommensteuer
(Senatsurteil vom 03.09.2015 - VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II
2016, 31 = SIS 15 25 61, Rz 12).
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c) Werden Erstattungsansprüche wegen zu
viel gezahlter Lohnsteuer an den Arbeitgeber abgetreten, sind diese
in dem Lohnzahlungszeitraum einkünftemindernd zu
berücksichtigen, in dem das Finanzamt den Erstattungsbetrag an
den Arbeitgeber geleistet hat, da zu diesem Zeitpunkt
tatsächlich Einnahmen des Arbeitnehmers nach § 11 Abs. 1
Satz 1 EStG an den Arbeitgeber zurückgeflossen sind
(Senatsurteil vom 30.07.2009 - VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II
2010, 148 = SIS 09 30 36, unter II.1.c bb). Durch die
Steuererstattung wird die in einer Nettolohnabrede strukturell
angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete
Gehalts- beziehungsweise Steuerüberzahlung in einem
späteren Veranlagungszeitraum ausgeglichen. Insoweit
fließt dem Steuerpflichtigen jedes Jahr ein Mehr an Einnahmen
zu, als arbeitsvertraglich als Jahreslohn geschuldet (Senatsurteil
vom 30.07.2009 - VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148 =
SIS 09 30 36, unter II.1.c dd).
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2. Nach diesen Maßstäben hat das FG
den Bruttoarbeitslohn des Klägers zu Recht um das im
Streitjahr an die GmbH geflossene Kindergeld gemindert (ebenso
Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 39b Rz 14 und
Büchter-Hole, EFG 2022, 761; a.A. Eisgruber in Kirchhof/Seer,
EStG, 22. Aufl., § 19 Rz 78
„Nettolohnvereinbarung“).
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a) Das Kindergeld dient primär dazu, im
laufenden Kalenderjahr einen Einkommensbetrag in Höhe des
sächlichen Existenzminimums einschließlich der Bedarfe
für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung von der
Einkommensbesteuerung freizustellen (Wendl in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 31 EStG Rz 10 und 30). Es
wird als Steuervergütung im laufenden Kalenderjahr gezahlt
(z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31.08.2021 - III R 10/20,
BFHE 273, 536, BStBl II 2022, 186 = SIS 21 20 80, Rz 21) und ist
als solche Vorauszahlung auf eine mögliche
einkommensteuerrechtliche Kinderentlastung (Schmidt/Loschelder,
EStG, 42. Aufl., § 31 Rz 9). Entsprechend entfällt die
Berücksichtigung der Kinderfreibeträge bei der Erhebung
der Lohnsteuer (HHR/Wendl, § 31 EStG Rz 31). Bei der
Einkommensteuerveranlagung ist der Kinderfreibetrag nach § 32
Abs. 6 EStG vom Einkommen abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche
Freistellung des Existenzminimums und der weiteren
Bedarfsbeträge durch das Kindergeld nach §§ 62 ff.
EStG nicht vollständig bewirkt wird. In diesem Fall ist der
Anspruch auf Kindergeld der festzusetzenden Einkommensteuer wieder
hinzuzurechnen (§ 2 Abs. 6 Satz 3 EStG und § 31 Satz 4
Halbsatz 1 EStG), weil es sonst zu einer
Doppelberücksichtigung des Existenzminimums durch
Steuerfreibeträge und Steuervergütung käme. Die
Hinzurechnung erfolgt auch dann, wenn das Kindergeld an das Kind
selbst oder einen Dritten ausgezahlt wurde (ebenso R 31 Abs. 3 Satz
1 der Einkommensteuer-Richtlinien 2023).
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b) Lässt sich der Arbeitgeber - wie im
Streitfall die GmbH - nicht nur die spätere
Einkommensteuererstattung abtreten, sondern auch das Kindergeld als
Vorauszahlung hierauf, ist nicht nur der an diese abgetretene
Einkommensteuererstattungsanspruch im Erstattungsjahr durch Abzug
vom laufenden (Brutto-)Arbeitslohn zu berücksichtigen (hierzu
Senatsurteil vom 30.07.2009 - VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II
2010, 148 = SIS 09 30 36), sondern auch das an den Arbeitgeber
abgetretene und gezahlte Kindergeld.
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Denn insoweit wird ebenfalls eine in der
Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb
arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts-
beziehungsweise Steuerüberzahlung ausgeglichen. So wurden die
Kinder der Kläger im Lohnsteuerabzugsfahren des Streitjahres
nicht berücksichtigt. Dies erfolgte vielmehr zunächst
durch die Auszahlung des Kindergelds an die GmbH. Die gebotene
steuerliche Freistellung des Existenzminimums und der weiteren
Bedarfsbeträge wurde im Streitfall durch das Kindergeld
allerdings nicht vollständig bewirkt, so dass bei der
Einkommensteuerveranlagung die Kinderfreibeträge abzuziehen
waren. Über den Familienleistungsausgleich nach § 31 Satz
4 EStG hat sich das an die GmbH vorab ausgezahlte Kindergeld im
Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Kläger wiederum
unmittelbar mindernd auf die Höhe des
Steuererstattungsanspruchs ausgewirkt. Die in Gestalt des monatlich
ausgezahlten Kindergelds gewährte Steuervergütung
verminderte folglich aufgrund der Hinzurechnung zur tariflichen
Einkommensteuer den unter anderem durch die Kinderfreibeträge
ausgelösten Erstattungsanspruch. Die durch die Hochrechnung
des vereinbarten Nettogehalts strukturell erfolgte Gehalts-
beziehungsweise Steuerüberzahlung wurde folglich nicht allein
durch die Abtretung des (späteren)
Einkommensteuererstattungsanspruchs ausgeglichen, sondern auch
durch die Auszahlung des Kindergelds an die GmbH.
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c) Über den Zeitpunkt der
Berücksichtigung besteht zwischen den Beteiligten zu Recht
kein Streit. Der erkennende Senat sieht insoweit deshalb von einer
weiteren Begründung ab.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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