Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 20.10.2022 - 6 K 1506/17 =
SIS 23 14 43 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Köln
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Der Klägerin und Revisionsbeklagten
(Klägerin) war aufgrund eines Erbvertrags vom … mit
ihrem im Jahr … verstorbenen Lebensgefährten (L)
vermächtnishalber der lebenslange Nießbrauch an einem
vermieteten Grundstück eingeräumt worden. Das
Nießbrauchsrecht wurde nicht ins Grundbuch eingetragen. Auf
dem Grundstück befinden sich ein im Jahr 1970 errichtetes
Bürogebäude mit Betriebswohnungen und eine Lagerhalle.
Die Anschaffungskosten waren fremdfinanziert.
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Erben des L und damit Eigentümer des
Grundstücks nach dessen Tod wurden dessen Söhne (S 1 und
S 2). Die Klägerin hatte sich im Erbvertrag verpflichtet, die
zum Zeitpunkt des Anfalls des Vermächtnisses noch bestehenden
Verbindlichkeiten, die auf dem Grundstück lasteten, zu
übernehmen.
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Im … 2013 veräußerte S 1
seinen Miteigentumsanteil an dem Grundstück für 150.000
EUR an die Klägerin.
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In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr 2014 machte die Klägerin bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für die auf die
Gebäude entfallenden Anschaffungskosten, die sie seinerzeit
mit 122.704 EUR angab, Absetzungen für Abnutzung (AfA) von
20.451 EUR geltend. Sie ging davon aus, dass die tatsächliche
Nutzungsdauer der Gebäude nur noch sechs Jahre
betrage.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) veranlagte die Klägerin zunächst
erklärungsgemäß, erließ zu späterer Zeit
aber einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem er nur
noch AfA in Höhe des typisierten festen Satzes von 2 % (=
2.455 EUR) anerkannte (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes - EStG - in der im Streitjahr geltenden
Fassung).
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Während des Einspruchsverfahrens
änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung zu Gunsten der
Klägerin aus vorliegend nicht streitigen Gründen. Im
Übrigen wies es den Einspruch zurück.
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Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin
weiterhin, AfA nach Maßgabe einer tatsächlich
kürzeren - 50 Jahre unterschreitenden - Nutzungsdauer der
Gebäude gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG
abzuziehen. Das Finanzgericht (FG) erhob hierzu Beweis und holte
das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen für die Wertermittlung von bebauten und
unbebauten Grundstücken ein. Der Sachverständige
ermittelte in seinem Gutachten vom 14.07.2020 nach Maßgabe
von § 6 Abs. 6 der Immobilienwertermittlungsverordnung in der
seinerzeit geltenden Fassung vom 19.05.2010 - ImmoWertV 2010 -
(BGBl I 2010, 639) und Anlage 4 (Modell zur Ableitung der
wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter
Berücksichtigung von Modernisierungen) der Sachwertrichtlinie
(SW-RL) vom 05.09.2012 (Bundesanzeiger, Amtlicher Teil,
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Veröffentlichungsdatum 18.10.2012 B1) für das
Gesamtobjekt eine gewichtete tatsächliche Restnutzungsdauer
von 19 Jahren.
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Im Klageverfahren machte die Klägerin
darüber hinaus erstmals geltend, dass die
AfA-Bemessungsgrundlage zu erhöhen sei. Mit dem Erwerb des
hälftigen Miteigentums sei insoweit ihr Nießbrauchsrecht
untergegangen. Der Wert dieses Rechtsverlusts sei Bestandteil ihrer
Anschaffungskosten gewesen.
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Das FG gab der Klage statt. Es meinte, der
Wert des seiner Ansicht nach untergegangenen
Nießbrauchsrechts gehöre zu den Anschaffungskosten. Der
kapitalisierte Wert jenes Rechts sei - bezogen auf den
hälftigen Miteigentumsanteil - mit 332.400 EUR anzusetzen,
sodass die gesamten Anschaffungskosten 496.996 EUR betragen
hätten. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG
lägen vor. Der Sachverständige sei nachvollziehbar zu dem
Ergebnis gelangt, dass die Anschaffungskosten auf nur 19 Jahre zu
verteilen seien. Bei einem Anteil von 55 % für den
Gebäudeanteil (hierauf hatten sich die Beteiligten im
Klageverfahren verständigt) seien - wie von der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung beantragt - AfA von 14.387 EUR
abziehbar.
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Mit seiner Revision vertritt das FA die
Ansicht, das FG habe rechtsfehlerhaft den Wert des
Nießbrauchsrechts als Bestandteil der Anschaffungskosten
angesehen. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch
insoweit, als es die Voraussetzungen von § 7 Abs. 4 Satz 2
EStG für einschlägig gehalten habe. Das
Sachverständigengutachten sei nicht geeignet, eine
kürzere als die gesetzlich typisierende Nutzungsdauer zu
begründen. Aus dem Gutachten ließen sich die für
eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer
maßgeblichen Determinanten nicht ableiten.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Das FG habe den Wert des
Nießbrauchsrechts zutreffend den Anschaffungskosten
zugewiesen. Das Recht sei für sie, die Klägerin, geldwert
gewesen und habe hingegeben werden müssen, um die unbelastete
Grundstückshälfte zu erwerben. Das
Sachverständigengutachten entspreche den Vorgaben des
Senatsurteils vom 28.07.2021 - IX R 25/19 = SIS 21 19 31. Das FG habe das Gutachten
rechtsfehlerfrei gewürdigt.
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II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben, und die Sache ist zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Die Vorinstanz hat zwar frei von Rechtsfehlern
entschieden, dass die AfA nach Maßgabe der tatsächlichen
Nutzungsdauer der Gebäude vorgenommen werden können (dazu
unten 1.). Allerdings verletzt das FG-Urteil Bundesrecht, als es
den kapitalisierten Wert des auf den erworbenen Miteigentumsanteil
entfallenden Nießbrauchsrechts als Anschaffungskosten
gewertet und in die AfA-Bemessungsgrundlage einbezogen hat (unten
2.). Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils, da
der Senat auf Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht
befinden kann, ob sich die Entscheidung aus anderen Gründen
als richtig darstellt (unten 3.). Die nicht spruchreife Sache geht
an die Vorinstanz zurück (unten 4.).
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1. Die Entscheidung des FG, die
Gebäude-AfA nicht über 50 Jahre, sondern gemäß
§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG über nur 19 Jahre zu verteilen,
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Bei Gebäuden sind als AfA
grundsätzlich die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten
festen Prozentsätze von den Anschaffungskosten abzuziehen. Den
Prozentsätzen liegt jeweils eine typisierte Nutzungsdauer
zugrunde, die mit der tatsächlichen Nutzungsdauer im
Erwerbszeitpunkt nichts gemein haben muss (vgl. Pfirrmann in
Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 7 Rz 88).
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Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im
Streitjahr geltenden Fassung können anstelle der Absetzungen nach Satz 1
der Vorschrift die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines
Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden.
Nutzungsdauer im gesetzlichen Sinne ist der Zeitraum, in dem ein
Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend
genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - ).
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aa) § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem
Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein
(„können“), ob er sich mit dem
typisierten festen AfA-Satz nach Satz 1 der Vorschrift
zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche
Nutzungsdauer geltend macht (Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R
25/19 = SIS 21 19 31, Rz 20,
m.w.N.).
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Die Nutzungsdauer wird bestimmt durch den
technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie
rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines
Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist zunächst von
der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das
Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt). Sofern
allerdings die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die
technische ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen
(z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18.09.2003 - X R
54/01, BFH/NV 2004, 474 = SIS 04 11 03, unter II.3.a; vom
04.03.2008 - IX R 16/07, BFH/NV 2008, 1310 = SIS 08 28 06, unter
II.1. sowie Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19 = SIS 21 19 31, Rz 17, jeweils m.w.N.).
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bb) Die Darlegungs- und Feststellungslast
für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer
trägt der Steuerpflichtige (statt vieler Anzinger in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 7 EStG Rz 306). Die
Nutzungsdauer ist zu schätzen. Eine solche Schätzung
verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit,
sondern vielmehr nur größtmögliche
Wahrscheinlichkeit (so bereits BFH-Urteil vom 28.09.1971 - VIII R
73/68, BFHE 103, 468, BStBl II 1972, 176 = SIS 72 01 04). Die
Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig
außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt
(Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19 = SIS 21 19 31, Rz 20). Die Würdigung der
Schätzungsgrundlagen obliegt im Klageverfahren dem FG als
Tatsacheninstanz (Senatsurteil vom 28.10.2008 - IX R 16/08, BFH/NV
2009, 899 = SIS 09 15 45, unter II.1.b).
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cc) Der erkennende Senat hat bereits
entschieden, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer
kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder
sachverständigen Methode bedienen kann, die im Einzelfall zur
Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint.
Die gewählte Methode muss über die maßgeblichen
Determinanten der Nutzungsdauer - zum Beispiel technischer
Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche
Nutzungsbeschränkungen - Aufschluss geben. Gerade wegen des
Umstands, dass für die Richtigkeit der zu schätzenden
Nutzungsdauer nur eine größtmögliche
Wahrscheinlichkeit sprechen muss, würde die Feststellungslast
des Steuerpflichtigen überspannt, wenn der Schätzung eine
bestimmte Gutachtenmethodik (zum Beispiel Bausubstanzgutachten)
oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren zwingend zugrunde liegen
müsste. Demzufolge hat der Senat ausdrücklich anerkannt,
dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer
eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, als
Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2
EStG genügen kann (Senatsurteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19 =
SIS 21 19 31, Rz 19 ff.).
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dd) An diesen Rechtsgrundsätzen, die in
der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum geteilt
werden (vgl. etwa FG Köln, Urteil vom 23.03.2022 - 6 K 923/20,
Rz 18 f.; FG Münster, Urteile vom 27.01.2022 - 1 K 1741/18 E,
EFG 2022, 580 = SIS 22 04 03, Rz 33 ff. sowie vom 14.02.2023 - 1 K
3840/19 F, EFG 2023, 528 = SIS 23 05 57, Rz 32 ff.;
Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz 521 f.; Schmidt/Kulosa,
EStG, 42. Aufl., § 7 Rz 208; Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG,
22. Aufl., § 7 Rz 89; Geiling/Jacoby, DStR 2022, 1080; Geurts,
BB 2023, 882; Grotherr, FR 2022, 965, 968 f.; Lücke, Neue
Wirtschafts-Briefe - NWB - 2023, 1236, 1241 f.), hält der
Senat fest.
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aaa) Die weitergehenden Anforderungen und
Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz 23 f. des
Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22.02.2023
(BStBl I 2023, 332 = SIS 23 02 96) für den Nachweis einer
kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch
Sachverständigengutachten aufstellt, lassen sich dem Gesetz
jedenfalls nicht in Gänze entnehmen. Weder § 7 Abs. 4
Satz 2 EStG noch § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV geben vor, auf
welche Weise und anhand welcher Gutachtenmethode der Zeitraum, in
dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung
entsprechend genutzt werden kann, zu schätzen ist. Bereits aus
diesem Grund ist die Anweisung des BMF in Rz 24 seines Schreibens,
die „bloße Übernahme“ einer
Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten reiche als
Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht
aus, nicht tragfähig. Insbesondere die sachverständige
Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6
ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 der
Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.07.2021 - ImmoWertV 2021
-, BGBl I 2021 2805) ist eine gutachterlich anerkannte
Schätzungsmethode (Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz
522; Graw, juris PraxisReport Steuerrecht 5/2022, Anm. 3), die ohne
eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche
Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann.
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bbb) Zudem ist der Einwand, die nach den
Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung im
Rahmen einer Verkehrswertermittlung ermittelte Gesamtnutzungs- und
Restnutzungsdauer eines Gebäudes führten für Zwecke
des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu „sachgerechten
Ergebnissen“ (BMF-Schreiben vom 22.02.2023,
BStBl I 2023, 332 = SIS 23 02 96, Rz 24), unbelegt. Er
berücksichtigt insbesondere nicht, dass trotz einer im Kern
modellhaften - sachverständigen - Berechnung der Nutzungsdauer
die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls einbezogen
werden (Blum/Weiss, Die Steuerliche Betriebsprüfung 2020, 3,
7). So regelt § 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 ImmoWertV 2010,
dass durchgeführte Instandsetzungen oder Modernisierungen oder
unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten - mithin
individuelle Gegebenheiten - die Restnutzungsdauer verlängern
oder verkürzen können. Anlage 4 SW-RL (inzwischen Anlage
2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2021) bestimmt über ein
Punkteraster-Verfahren, in welchem Umfang die jeweiligen
Modernisierungselemente die Restnutzungsdauer abhängig von der
Gesamtnutzungsdauer modifizieren. Es handelt sich um eine
typisierende Vorgehensweise (Grotherr, Steuern und Bilanzen 2023,
457, 460), die einer steuerrechtlichen Schätzung nicht fremd
ist.
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ccc) Ein auf die Vorgaben der betreffenden
Immobilienwertermittlungsverordnung gestütztes
Sachverständigengutachten ist auch geeignet, Aufschluss
über die für die tatsächliche Nutzungsdauer
maßgeblichen Determinanten zu geben (ebenso Lücke, NWB
2023, 1236, 1241). § 6 Abs. 6 Satz 1 ImmoWertV 2010 (= §
4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV 2021) ordnet eine wirtschaftliche
Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stellt somit nicht auf den
technischen Verschleiß eines Gebäudes ab. Es wäre
indes verfehlt zu fordern, dass sich ein
Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die
Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhalten
müsste. Begründet der Steuerpflichtige die kürzere
tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen
Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden
früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen
Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes,
da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer
entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen
Gebäudezustand abhängig ist (Korn/Strahl, NWB 2023, 3412,
3434 f.).
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ddd) Der Senat weist vorsorglich klarstellend
darauf hin, dass seine Ausführungen in der Entscheidung vom
28.07.2021 - IX R 25/19 = SIS 21 19 31 (dort Rz 20 ff.) nicht dahingehend zu verstehen sind, der
Steuerpflichtige
könne allein durch eine schlichte Bezugnahme auf die
modellhaft ermittelte Gesamt- sowie Restnutzungsdauer eines
Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden
Immobilienwertermittlungsverordnung eine kürzere
tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2
EStG darlegen und nachweisen (so aber Geiling/Jacoby, DStR
2022, 1080, 1082). Vielmehr bedarf es für die Schätzung
der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, die
sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts
(zum Beispiel durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen
oder Modernisierungen, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021)
verhält. Dies belegt bereits Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz
1 ImmoWertV 2021, wonach der Modernisierungsgrad des
Wertermittlungsobjekts einer „sachverständigen
Einschätzung“ zu unterziehen ist (dort
I.2.).
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b) Nach diesen Maßstäben ist die
Würdigung der Vorinstanz, die im gerichtlichen
Sachverständigengutachten nachvollziehbar ermittelte
Restnutzungsdauer der Gebäude von 19 Jahren sei als
kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gemäß
§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen, nicht zu
beanstanden.
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aa) Das FG hat zutreffend angeführt, es
bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gutachter -
ein öffentlich bestellter und vereidigter
Sachverständiger für die Bewertung von Grundstücken
- mit der von ihm nach Maßgabe von § 6 Abs. 6 ImmoWertV
2010 und Anlage 4 SW-RL berechneten Restnutzungsdauer der
Gebäude den nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG angemessenen
Schätzungsrahmen verlassen habe. Der Gutachter hat eine
wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer für das
Bürogebäude (einschließlich Wohnungen) von 70
Jahren und für die Lagergebäude von 50 Jahren zugrunde
gelegt und festgestellt, dass Modernisierungen, die nach § 6
Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 ImmoWertV 2010 zu berücksichtigen
wären, bis zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin
nicht durchgeführt worden seien. Unter Berücksichtigung
dieses Umstands und des Punkterasters in Anlage 4 SW-RL ergab sich
eine modifizierte Restnutzungsdauer des Bürogebäudes
(einschließlich Wohnungen) von 27 Jahren sowie der
Lagergebäude von 10 Jahren und eine wirtschaftlich gemittelte
Restnutzungsdauer für beide Gebäude von 19 Jahren. Gegen
diese vom FG festgestellten Tatsachen hat das FA keine Einwendungen
erhoben, sodass sie den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO
binden.
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bb) Auf den vom FA vermissten Nachweis des
technischen Verschleißes einzelner Bauteile kommt es - wie
vom FG zu Recht gewürdigt - aus oben genannten Erwägungen
nicht an. Die Schätzung, dass die Gebäude vor Ablauf der
typisierten Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1
EStG und vor Ablauf einer längeren technischen Nutzbarkeit
objektiv wirtschaftlich verbraucht (entwertet) sind, wurde durch
das gerichtliche Sachverständigengutachten belegt.
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2. Die angefochtene Entscheidung ist
allerdings insoweit rechtsfehlerhaft, als das FG den Wert des
Nießbrauchsrechts, der auf den von S 1 erworbenen
Miteigentumsanteil an dem Grundstück entfällt, als
Anschaffungskosten angesehen und im Umfang des Gebäudeanteils
in die AfA-Bemessungsgrundlage einbezogen hat. Hierfür besteht
keine Rechtsgrundlage.
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a) Bemessungsgrundlage für die AfA sind
die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der zur
Einkünfteerzielung genutzten Gebäude (§ 7 Abs. 4 und
5 EStG). Welche Aufwendungen hierzu zählen, bestimmt sich auch
für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach
§ 255 des Handelsgesetzbuchs - HGB - (Senatsurteile vom
20.09.2022 - IX R 29/21, BFHE 278, 193, BStBl II 2023, 1087 = SIS 23 00 33, Rz 11, m.w.N. sowie vom 15.11.2022 - IX R 14/20, BFHE
278, 532, BStBl II 2023, 374 = SIS 23 02 70, Rz 19).
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33
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aa) Die im Streitfall allein in Betracht
kommenden Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs.
1 Satz 1 HGB definiert als Aufwendungen, die geleistet werden, um
einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen
betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem
Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Der
grundsätzlich weit zu fassende Begriff der Anschaffungskosten
enthält - unter Ausschluss der Gemeinkosten - alle mit dem
Anschaffungsvorgang verbundenen Kosten, somit neben der Entrichtung
des Kaufpreises alle sonstigen Aufwendungen des Erwerbers, die in
einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der
Anschaffung stehen, insbesondere zwangsläufig im Gefolge der
Anschaffung anfallen (BFH-Urteil vom 14.12.2011 - I R 108/10, BFHE
236, 117, BStBl II 2012, 238 = SIS 12 03 19, Rz 29, m.w.N.).
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34
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bb) Tatbestandlich setzen Anschaffungskosten
Aufwendungen des Steuerpflichtigen voraus (BFH-Urteil vom
22.05.2019 - XI R 44/17, BFHE 265, 124, BStBl II 2020, 44 = SIS 19 13 24, Rz 17). Dies erfordert eine wirtschaftliche Belastung. Eine
solche ist ausgeschlossen bei fehlender Gegenleistungspflicht (vgl.
in diesem Sinne Senatsurteil vom 03.05.2022 - IX R 7/21, BFHE 277,
158, BStBl II 2023, 104 = SIS 22 18 07, Rz 26).
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b) Nach diesen Grundsätzen zählt der
kapitalisierte Wert des auf den erworbenen Miteigentumsanteil
entfallenden Nießbrauchsrechts nicht zu den
Anschaffungskosten.
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36
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aa) Die Klägerin hat in Bezug auf dieses
Nießbrauchsrecht keinen mit dem Eigentumserwerb in
Zusammenhang stehenden Aufwand getragen. Sie hat dieses Recht nicht
hingegeben, um den Miteigentumsanteil an dem Grundstück
unbelastet zu erwerben. Vielmehr blieb die Klägerin trotz
Eigentumserwerbs Inhaberin des Nießbrauchsrechts. Dies ergibt
sich aus § 889 Alternative 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB), wonach ein Recht an einem fremden Grundstück - hier das
Nießbrauchsrecht - nicht dadurch erlischt, dass der
Berechtigte - hier die Klägerin - das Eigentum an dem
Grundstück erwirbt. Das Nießbrauchsrecht besteht als
Eigentumsrecht des (neuen) Eigentümers fort (Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 14.07.2011 - V ZB 271/10, BGHZ 190, 267, Rz
7, m.w.N.). Abweichend zur Ansicht des FG gilt § 889 BGB auch,
wenn das Recht - wie im Streitfall - nicht ins Grundbuch
eingetragen wurde (allgemeine Ansicht, s. MüKoBGB/Lettmaier,
9. Aufl., § 889 Rz 3; Erman/Artz, BGB, 17. Aufl., § 889
Rz 2; Staudinger/Picker (2019) BGB § 889 Rz 5).
Anschaffungskosten entstehen nur, wenn der Eigentümer das
einem Dritten zustehende Recht an einem Grundstück zum Zweck
einer Beseitigung der Beschränkungen seiner
Eigentümerbefugnisse entgeltlich ablöst (Senatsurteil vom
10.12.2019 - IX R 19/19, BFHE 267, 246, BStBl II 2020, 452 = SIS 20 04 97, Rz 17, m.w.N.). So lagen die Dinge im Streitfall nicht.
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37
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bb) Die vom FG vergleichsweise angeführte
Konstellation, in der der Eigentümer zunächst
gegenüber dem Nießbraucher dessen Nießbrauchsrecht
entgeltlich abgelöst hätte, sodass dieser im Stande
gewesen wäre, einen entsprechend höheren Kaufpreis
für den Eigentumserwerb zu zahlen, rechtfertigt bereits
deshalb kein anderes Ergebnis, da die Vertragsbeteiligten eine
solche Vereinbarung offensichtlich nicht erwogen haben. Sie
hätte auch nicht den rechtlichen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten entsprochen.
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3. Das Urteil ist aufgrund des vorgenannten
Rechtsfehlers aufzuheben. Die vom FG getroffenen Feststellungen
lassen es nicht zu, die angefochtene Entscheidung, durch die der
Klägerin AfA von 14.387 EUR zugesprochen wurden,
gemäß § 126 Abs. 4 FGO aus anderen Gründen als
richtig anzusehen.
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a) Die Vorentscheidung beinhaltet insoweit
einen Rechtsfehler zu Lasten der Klägerin, als nicht
berücksichtigt wurde, dass die Klägerin bereits im Jahr
… durch die erbvertraglich geregelte Übernahme von
Verbindlichkeiten Anschaffungskosten für das
Nießbrauchsrecht aufgewandt hatte, die für das
Streitjahr im Wege der AfA als Werbungskosten bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen gewesen
wären.
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aa) Ein Vermächtnisnießbraucher
kann zwar keine AfA auf die vom früheren Eigentümer und
Erblasser getragenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten des
Gebäudes in Anspruch nehmen. Diese Kosten sind nicht dem
Nießbraucher, sondern dem Erben als Gesamtrechtsnachfolger
zuzurechnen. Der Nießbraucher kann vom Erben nur die
Einräumung eines dinglichen Nutzungsrechts verlangen
(allgemeine Ansicht, vgl. Senatsurteil vom 28.09.1993 - IX R
156/88, BFHE 172, 439, BStBl II 1994, 319 = SIS 94 02 11, unter 1.b
und c; BMF-Schreiben vom 30.09.2013, BStBl I 2013, 1184 = SIS 13 25 99, Rz 32; HHR/Anzinger, § 7 EStG Rz 116).
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bb) Hiervon abzugrenzen ist der Fall, dass ein
Nießbraucher für sein Nutzungsrecht eine Gegenleistung
zu erbringen hat. So hat der Senat für einen
Zuwendungsnießbrauch an einem vermieteten Grundstück
entschieden, dass der Nießbraucher zwar nicht auf das
Gebäude, wohl aber auf das entgeltlich erworbene
Nießbrauchsrecht AfA nach § 7 Abs. 1 EStG vorzunehmen
hat, die nach der Dauer des Nießbrauchs zu verteilen sind
(Senatsurteil vom 26.11.1996 - IX R 33/94, BFH/NV 1997, 643 = SIS 97 20 38, unter 3.a). Gleiches gilt, wenn ein solcher
Nießbrauch teilentgeltlich eingeräumt wird (Senatsurteil
vom 24.01.1995 - IX R 40/92, BFH/NV 1995, 770 = SIS 95 27 10, unter
2.a). Soweit die Finanzverwaltung abweichend zur Rechtsprechung
inzwischen die Ansicht vertritt, die Zahlungen des
Nießbrauchers seien unter den Voraussetzungen des § 11
Abs. 2 Satz 3 EStG periodisiert zu verteilen, beachtet sie nicht,
dass der Aufwand keine Ausgabe „für eine
Nutzungsüberlassung“ ist. Vielmehr
erwirbt der Nießbraucher ein immaterielles Wirtschaftsgut
„Nießbrauchsrecht“, dessen
Anschaffungskosten nach den vorrangigen Regelungen in § 7 Abs.
1 EStG zu verteilen sind (zutreffend Schmidt/Kulosa, EStG, 42.
Aufl., § 7 Rz 73; HHR/Anzinger, § 7 EStG Rz 113;
Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz 180).
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cc) Nach diesen - sinngemäß auch
für einen Vermächtnisnießbrauch geltenden -
Rechtsgrundsätzen hätte das FG berücksichtigen
müssen, dass die Klägerin nach Maßgabe des
festgestellten Erbvertrags vom … verpflichtet gewesen war,
etwaige zum Zeitpunkt des Vermächtnisanfalls zu Lasten des
Grundstücks eingetragene Grundpfandrechte einschließlich
der zugrunde liegenden Verbindlichkeiten zu übernehmen. Nur
die Übernahme von Zinsen, nicht aber die der den Zinsen
zugrunde liegenden Darlehensverbindlichkeit, gehört zur
gesetzlichen Lastentragung des Nießbrauchers gemäß
§ 1047 BGB (vgl. MüKoBGB/Pohlmann, 9. Aufl., § 1047
Rz 14; Staudinger/Heinze (2021) BGB § 1047 Rz 14; FG
Köln, Urteil vom 27.01.2016 - 7 K 2894/14, EFG 2016, 581 = SIS 16 06 44, Rz 25). Die Verpflichtung, dies dennoch zu tun und damit
die Erben nach L von der Tilgung des Darlehens freizustellen,
löste bei der Klägerin Anschaffungskosten für das
Nießbrauchsrecht aus.
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b) Das FG hat allerdings keine Feststellungen
zur Höhe der übernommenen Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt
der Erfüllung des Vermächtnisses getroffen. Der Senat
kann somit nicht entscheiden, in welcher Höhe der
Klägerin insoweit für das Streitjahr AfA
zustünden.
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4. a) Im Hinblick darauf, dass die
Einkünfteerzielung durch die Klägerin sowohl durch das
zunächst erworbene Nießbrauchsrecht als auch durch das
später von S 1 erworbene Miteigentum an der Immobilie getragen
ist, wird die Vorinstanz im zweiten Rechtsgang zu befinden haben,
in welcher Höhe neben den AfA für die auf das
Gebäude entfallenden Anschaffungskosten von 4.765 EUR (164.596
EUR x 55 % Gebäudeanteil / 19 Jahre Nutzungsdauer) weitere AfA
nach § 7 Abs. 1 EStG auf das in Gänze fortbestehende
Nießbrauchsrecht abzuziehen sind. Hierzu bedarf es
Feststellungen zur Höhe der Darlehensverbindlichkeiten zum
Zeitpunkt der Erfüllung des Vermächtnisses sowie zur
Laufzeit des Nießbrauchs.
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b) Sollte sich aus den Feststellungen und
rechtlichen Erwägungen des zweiten Rechtsgangs ergeben, dass
insgesamt höhere AfA als 14.387 EUR abzuziehen wären,
weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Klägerin
nicht auf den Klageantrag des ersten Rechtsgangs beschränkt
wäre.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
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