Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 06.07.2022 - 9 K
9009/22 = SIS 22 15 65
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Beteiligten streiten im
Revisionsverfahren über die Frage, ob ab dem 01.01.2022 eine
finanzgerichtliche Klage durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
die durch einen Rechtsanwalt in Prokura vertreten wurde, als
elektronisches Dokument gemäß §§ 52a, 52d der
Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben werden musste.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) hatte gegen einen Haftungsbescheid Einspruch
eingelegt. Dieser blieb erfolglos. Die Einspruchsentscheidung vom
14.12.2021, die der damaligen Bevollmächtigten des
Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 16.12.2021 bekanntgegeben
wurde, war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, in der ein
Hinweis auf eine Klageerhebung auf elektronischem
Übermittlungsweg gemäß §§ 52a, 52d FGO
nicht enthalten war.
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Der Kläger erhob am Montag, dem
17.01.2022 per Telefax Klage vor dem Finanzgericht (FG). Er war
dabei vertreten durch seine damalige Prozessbevollmächtigte,
die X Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Zweigniederlassung Y (Rechtsanwalts-GmbH). Bereits
seit dem 17.07.2020 bestand zugunsten dieser Rechtsanwalts-GmbH -
seinerzeit unter einer anderen Firma - eine Vollmacht des
Klägers.
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Der Schriftsatz vom 17.01.2022 war
unterzeichnet im Namen der Rechtsanwalts-GmbH von dem Prokuristen M
und versehen mit dem Zusatz
„Rechtsanwalt/Steuerberater“ und in der
Folgezeile „Fachanwalt für
Steuerrecht“. Auf dem Briefkopf der
Rechtsanwalts-GmbH war M als
„Ansprechpartner“ und in der
Fußzeile des Briefkopfes als anwaltlicher Berufsträger
benannt. Aufgrund eines gerichtlichen Hinweises vom 22.02.2022 auf
§ 52d Satz 1 FGO beantragte die Rechtsanwalts-GmbH - erneut
unter einer anderen Firma - mit Schriftsatz vom 04.03.2022
zunächst eine Fristverlängerung und trug sodann innerhalb
der ursprünglich gesetzten Frist schriftsätzlich am
25.03.2022 vor, § 52d FGO sei vor dem 01.08.2022 auf eine
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nicht anwendbar. Die vorgenannten
Schriftsätze gingen per Telefax beim FG ein. Mit Schriftsatz
vom 31.05.2022 begründete die Rechtsanwalts-GmbH - unter der
neuen Firma - die Klage in der Sache. Diesen Schriftsatz
übermittelte eine für die Rechtsanwalts-GmbH tätige
Rechtsanwältin über das für sie eingerichtete
besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).
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Das FG wies die Klage als unzulässig
ab. Es erklärte, die Klage sei nicht in der gesetzlichen Form
gemäß §§ 52d, 52a FGO innerhalb der Klagefrist
erhoben worden. Soweit die Rechtsanwalts-GmbH erstmals am
31.05.2022 einen den Anforderungen des § 52d FGO
entsprechenden Schriftsatz elektronisch eingereicht habe, sei dies
nicht innerhalb der Klagefrist erfolgt. Dabei habe die Klagefrist
einen Monat betragen, da die in der Einspruchsentscheidung
enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung den Anforderungen des § 55
Abs. 1 FGO entsprochen habe. Wiedereinsetzungsgründe seien
nicht ersichtlich. Das Urteil ist in EFG 2022, 1665 = SIS 22 15 65 veröffentlicht.
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Der Kläger, nunmehr vertreten durch
die Z Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als
Prozessbevollmächtigte, hat dagegen Revision eingelegt, die
dem Bundesfinanzhof (BFH) durch ein elektronisches Dokument per beA
übermittelt worden ist. Zur Begründung trägt er vor,
der persönliche Anwendungsbereich des § 52d FGO habe
zumindest bis zum 01.08.2022, dem Zeitpunkt der Einführung von
Gesellschaftspostfächern nach § 31b der
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), eine Rechtsanwaltsgesellschaft
mbH nicht umfasst. Vor diesem Zeitpunkt habe für eine
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH kein sicherer Übermittlungsweg
nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung
gestanden. Eine Nutzungspflicht des beA ergebe sich auch nicht aus
§ 52d Satz 1 FGO, da die Klage nicht durch einen Rechtsanwalt
eingereicht worden sei, sondern von einem Rechtsanwalt (M) als
Vertreter der Rechtsanwalts-GmbH. Eine Rechtsanwaltsgesellschaft
mbH sei nach § 59l BRAO prozessfähig, nach § 62 Abs.
2 FGO postulationsfähig und nehme Prozesshandlungen daher
selbst vor.
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Zudem sei die Rechtsbehelfsbelehrung in der
Einspruchsentscheidung unrichtig gewesen, sodass für die
Klageerhebung die Jahresfrist gemäß § 55 Abs. 2 FGO
gegolten habe. Diese Frist sei aufgrund des am 31.05.2022 beim FG
per beA eingegangenen Schriftsatzes gewahrt worden.
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Der Kläger beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt) beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2 FGO).
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1. Das FG hat die Klage zu Unrecht durch
Prozessurteil als unzulässig abgewiesen. Die Sache ist
zurückzuverweisen, da sich das FG nicht mit dem Vorbringen der
Beteiligten in der Sache befasst und den Sachverhalt nicht
festgestellt hat (BFH-Urteil vom 22.06.2016 - V R 49/15 =
SIS 16 23 71, Rz 23, m.w.N.;
Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 126
FGO Rz 38).
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Die finanzgerichtliche Klage ist innerhalb der
Monatsfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben worden. Die am
17.01.2022 per Telefax beim FG vor Ablauf der Monatsfrist
eingegangene Klage wahrte diese Frist, weil sie der von § 64
Abs. 1 FGO vorgegebenen Form entsprach und nicht den Vorgaben der
§§ 52a, 52d FGO unterlag.
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a) Nach § 52d Satz 1 FGO i.d.F. des Art.
6 Nr. 4 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen
Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl I 2013,
3786), der nach Art. 26 Abs. 7 des genannten Gesetzes am 01.01.2022
in Kraft getreten ist, sind vorbereitende Schriftsätze und
deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und
Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine
Behörde oder durch eine juristische Person des
öffentlichen Rechts eingereicht werden, als elektronisches
Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt - ebenfalls mit Wirkung
ab dem 01.01.2022 - gemäß § 52d Satz 2 FGO für
die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für
die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz
1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Wer vertretungsberechtigt
ist, ergibt sich aus § 62 Abs. 2 FGO. Nach dessen Satz 1 in
der bis zum 31.07.2022 geltenden Fassung können sich die
Beteiligten durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder
vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten
lassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften im Sinne
des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes in der bis zum
31.07.2022 geltenden Fassung (StBerG), die durch solche Personen
handeln. Dazu gehören unter anderem auch
Rechtsanwaltsgesellschaften mbH. Nach § 62 Abs. 2 Satz 3 FGO
handeln Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen
sind, durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragte
Vertreter.
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Das elektronische Dokument muss
gemäß § 52a Abs. 3 Satz 1 FGO mit einer
qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person
versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf
einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sichere
Übermittlungswege sind gemäß § 52a Abs. 4 Satz
1 Nr. 2 FGO in der ab dem 01.01.2022 geltenden Fassung des Art. 17
des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den
Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom
05.10.2021 (BGBl I 2021, 4607) der Übermittlungsweg zwischen
dem beA nach § 31a BRAO oder einem entsprechenden, auf
gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der
elektronischen Poststelle des Gerichts. § 52a Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 FGO enthält in der ab dem 01.08.2022 geltenden Fassung
des Art. 21 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der
anwaltlichen und steuerberatenden
Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer
Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021
(BGBl I 2021, 2363) - im Folgenden § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
FGO n.F. - einen Verweis auch auf das für Gesellschaften
errichtete beA.
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Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 BRAO i.d.F. des
Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Umsetzung der
Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer
Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 12.05.2017
(BGBl I 2017, 1121) richtet die Bundesrechtsanwaltskammer für
jedes im Gesamtverzeichnis eingetragene Mitglied einer
Rechtsanwaltskammer ein beA empfangsbereit ein. Für
Rechtsanwaltsgesellschaften beziehungsweise
Berufsausübungsgesellschaften wurde eine entsprechende
Vorschrift erst durch Art. 1 Nr. 6, Art. 36 Abs. 1 des Gesetzes zur
Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden
Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer
Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021
(BGBl I 2021, 2363) - BRAO n.F. - mit Wirkung ab dem 01.08.2022
eingeführt. Gemäß § 31b Abs. 1 BRAO n.F.
richtet die Bundesrechtsanwaltskammer für jede im
Gesamtverzeichnis eingetragene Berufsausübungsgesellschaft ein
beA empfangsbereit ein. Den Begriff der
Berufsausübungsgesellschaft regeln die §§ 59b ff.
BRAO n.F. mit Wirkung ebenfalls ab dem 01.08.2022. Der Wortlaut des
§ 31a Abs. 1 Satz 1 BRAO n.F. wurde dahin klarstellend
geändert, dass er nicht mehr von dem im Gesamtverzeichnis
eingetragenen „Mitglied“, sondern von
einer dort eingetragenen „natürlichen
Person“ spricht.
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Für Rechtsanwaltsgesellschaften vor dem
01.08.2022 regelte § 59c Abs. 1 BRAO i.d.F. des Art. 1 Nr. 2
des Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der
Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze vom 31.08.1998 (BGBl I
1998, 2600) - BRAO a.F. -, dass Gesellschaften mit
beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand die
Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten war, als
Rechtsanwaltsgesellschaften zugelassen werden konnten. Die
Rechtsanwaltsgesellschaft konnte gemäß § 59l Satz 1
BRAO a.F. als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte
beauftragt werden. Sie hatte dabei gemäß § 59l Satz
2 BRAO a.F. die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts. Sie
handelte gemäß § 59l Satz 3 BRAO a.F. durch ihre
Organe und Vertreter, in deren Person die für die Erbringung
rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen
Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen mussten.
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b) Nach Maßgabe dieser gesetzlichen
Grundlagen war die Rechtsanwalts-GmbH bei Einreichung der
Klageschrift vom 17.01.2022 nicht zur Nutzung des elektronischen
Rechtsverkehrs verpflichtet.
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aa) Eine Pflicht zur Nutzung des
elektronischen Rechtsverkehrs ergab sich nicht aus § 52d Satz
2 FGO.
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Für die Prozessbevollmächtigte des
Klägers, eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nach § 59c
Abs. 1 BRAO a.F., stand ein sicherer Übermittlungsweg nach
§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO n.F. nämlich erst ab dem
01.08.2022 zur Verfügung. Erst ab diesem Zeitpunkt richtete
die Bundesrechtsanwaltskammer nach § 31b Abs. 1 BRAO n.F.
für eine - sodann auch als Berufsausübungsgesellschaft
bezeichnete - Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ein beA als
Gesellschaftspostfach ein. Berufsausübungsgesellschaften im
Sinne des § 59b BRAO n.F. sind daher erst seit dem 01.08.2022
zur Nutzung des beA gegenüber den Gerichten der
Finanzgerichtsbarkeit verpflichtet (Schallmoser in HHSp, § 52d
FGO Rz 13, 2. Spiegelstrich). Zuvor konnte ein beA nach § 31a
Abs. 1 Satz 1 BRAO i.d.F. des Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur
Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung
weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom
12.05.2017 (BGBl I 2017, 1121) hingegen nur für als
Rechtsanwalt eingetragene natürliche Personen eingerichtet
werden (vgl. BFH-Beschluss vom 17.05.2023 - II B 36/22 =
SIS 23 09 00, Rz 8; Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 06.05.2019 - AnwZ (Brfg) 69/18, Rz
8). Zudem enthielt § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO in der vor
dem 01.08.2022 geltenden Fassung auch keinen Verweis auf § 31b
BRAO n.F.
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Mangels sicheren Übermittlungswegs im
Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO ergab sich für
die Rechtsanwalts-GmbH, bei Einreichung der Klageschrift vom
17.01.2022 keine Nutzungspflicht gemäß § 52d Satz 2
FGO zur Übermittlung der Klageschrift als elektronisches
Dokument. Denn der Begriff der „nach diesem Gesetz
vertretungsberechtigten Personen“ in §
52d Satz 2 FGO ist im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO zu
verstehen. Dessen Halbsatz 2 in der bis zum 31.07.2022 geltenden
Fassung erfasst als vertretungsberechtigte Personen auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 StBerG. Beide
Normen definieren die vertretungsberechtigten Personen
einheitlich.
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bb) Eine Nutzungspflicht des elektronischen
Rechtsverkehrs für die Rechtsanwalts-GmbH ergab sich auch
nicht aus § 52d Satz 1 FGO.
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(1) § 52d Satz 1 FGO verpflichtet seit
dem 01.01.2022 - neben Behörden und juristischen Personen des
öffentlichen Rechts - lediglich Rechtsanwälte, die in
ihrer beruflichen Funktion als Rechtsanwalt selbständig
tätig sind und nach § 31a BRAO ein beA unterhalten
müssen, vorbereitende und bestimmende Schriftsätze unter
Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs als elektronisches
Dokument zu übermitteln (vgl. BFH-Zwischenurteil vom
25.10.2022 - IX R 3/22, BFHE 278, 21, BStBl II 2023, 267 = SIS 22 21 72, Rz 14 und 18; BFH-Beschluss vom 23.08.2022 - VIII S 3/22,
BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83 = SIS 22 15 43, Rz 3; Schallmoser
in HHSp, § 52d FGO Rz 13, 1. Spiegelstrich).
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Rechtsanwaltsgesellschaften im Sinne des
§ 59c Abs. 1 BRAO a.F. sind demgegenüber von dem Wortlaut
des § 52d Satz 1 FGO nicht erfasst. Der Wortlaut des §
52d Satz 1 FGO enthält das Wort
„Rechtsanwaltsgesellschaft“ - oder
„Berufsausübungsgesellschaft“ -
nicht. Dass ein Rechtsanwalt und eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
jedoch zu unterscheiden sind, ergibt sich - neben ihrer
unterschiedlichen Rechtsform als natürlicher Person und als
juristischer Person gemäß § 59c Abs. 1 BRAO a.F.,
§ 13 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit
beschränkter Haftung (GmbHG) - auch verfahrensrechtlich aus
der Unterscheidung der Bevollmächtigten in § 62 Abs. 2
Satz 1 FGO. Denn diese Vorschrift differenziert einerseits zwischen
Rechtsanwälten in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO und
andererseits den Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3
StBerG, zu denen auch Rechtsanwaltsgesellschaften nach § 59c
BRAO a.F. gehören, in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO
in der bis zum 31.07.2022 geltenden Fassung. Diese Differenzierung
muss auch für § 52d Satz 1 FGO gelten.
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(2) Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass
Rechtsanwaltsgesellschaften gemäß § 59l Satz 2 BRAO
a.F. die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts haben. Hierbei
handelt es sich lediglich um eine berufsrechtliche Vorgabe, die an
der Unterscheidung zwischen Rechtsanwalt und
Rechtsanwaltsgesellschaft, wie sie die Finanzgerichtsordnung
vornimmt, nichts zu ändern vermag.
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cc) Eine Pflicht zur Nutzung des
elektronischen Rechtsverkehrs nach § 52d Satz 1 FGO ergab sich
für die Rechtsanwalts-GmbH auch nicht aus dem Umstand, dass
sie durch M als Vertreter handelte, der eine Zulassung als
Rechtsanwalt besaß, auf dem Briefkopf der Rechtsanwalts-GmbH
als „Ansprechpartner“ und in der
Fußzeile des Briefkopfes als Berufsträger ausgewiesen
war sowie die Klageschrift vom 17.01.2022 mit dem Zusatz
„Rechtsanwalt/Steuerberater“ und in der
Folgezeile „Fachanwalt für
Steuerrecht“ unterzeichnete.
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(1) Rechtsanwaltsgesellschaften handeln
gemäß § 59l Satz 3 BRAO a.F. durch ihre Organe
(z.B. Geschäftsführer gemäß § 35 Abs. 1
Satz 1 GmbHG) und Vertreter, in deren Person die für die
Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen
Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen müssen. Daraus folgt,
dass das Organ oder der Vertreter das für ihn nach § 31a
BRAO eingerichtete beA nutzen könnte, wenn er für die
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt. So hätte im Streitfall
M als Vertreter der Rechtsanwalts-GmbH das für ihn
persönlich seit dem 01.01.2022 eingerichtete beA bei der
Prozessvertretung (§ 62 Abs. 2 Satz 3 FGO) nutzen
können.
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(2) Aus der Nutzungsmöglichkeit folgt
aber keine Nutzungspflicht. Aus § 52d Satz 1 FGO ist eine
solche Pflicht des Organs oder des Vertreters (§ 62 Abs. 2
Satz 3 FGO, § 59l Satz 3 BRAO a.F.) der
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nicht abzuleiten.
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Eine solche Pflicht ergibt sich nicht aus der
gesetzlichen Formulierung „durch einen
Rechtsanwalt“ in § 52d Satz 1 FGO. Zwar
könnte diese Formulierung so verstanden werden, dass damit
nicht nur der unmittelbare Bevollmächtigte - hier eine
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH -, sondern auch der mit der
Prozessvertretung beauftragte Vertreter des Bevollmächtigten
gemeint ist. Steht dem Vertreter des Bevollmächtigten - wie im
Streitfall - als Rechtsanwalt ein beA zur Verfügung,
könnte § 52d Satz 1 FGO so zu verstehen sein, dass der
vorbereitende oder bestimmende Schriftsatz dann „durch einen
Rechtsanwalt“ bei Gericht eingereicht wird und
somit eine Nutzungspflicht des persönlichen beA des
Rechtsanwalts besteht.
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Der erkennende Senat lehnt ein solches
Verständnis jedoch ab.
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(a) Dagegen spricht, dass § 52d Satz 1
FGO neben der Formulierung „durch einen
Rechtsanwalt“ im Folgenden die Formulierung
„durch eine Behörde oder durch eine juristische Person
des öffentlichen Rechts“ verwendet. Bei
der zweiten und dritten Verwendung des Wortes
„durch“ stellt § 52d Satz 1 FGO
jeweils auf die unmittelbar einreichende Person, nicht auf den
Vertreter dieser Person ab. Das legt nahe, dass § 52d Satz 1
FGO auch bei der ersten Verwendung des Wortes
„durch“, also mit der Formulierung
„durch einen Rechtsanwalt“ lediglich auf
den unmittelbaren Bevollmächtigten und nicht auf dessen Organ
oder Vertreter abstellt. Unmittelbarer Bevollmächtigter ist
hier aber - entsprechend der ausgestellten Vollmacht - die
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, die vom Wortlaut des § 52d Satz
1 FGO nicht erfasst ist.
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(b) Dieses Ergebnis wird von der
gesetzgeberischen Entstehungsgeschichte des § 31b BRAO n.F.
getragen.
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32
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Nach der Begründung des Gesetzentwurfs
zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und
steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur
Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden
Berufe (BT-Drucks. 19/27670 vom 17.03.2021) wollte der Gesetzgeber
mit der Neufassung des § 31b BRAO dem seit Einführung des
beA „sowohl von Gerichten als auch Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälten geäußerten
Wunsch“ nachkommen, „ein beA nicht nur
für die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
persönlich, sondern auch für deren
Berufsausübungsgesellschaften vorzusehen, soweit sie
zugelassen sind“ (BT-Drucks. 19/27670, S. 130,
ähnlich S. 157; vgl. dazu Jungbauer/Jungbauer, Das beA und der
ERV, 4. Aufl. 2023, § 2 Rz 15 ff.). Weiter war in der
Begründung des Gesetzentwurfs zunächst ausgeführt,
das Gesellschaftspostfach solle „lediglich optional
eingeführt werden, da es für die Funktionsfähigkeit
des beA-Systems nicht zwingend erforderlich
ist“ (BT-Drucks. 19/27670, S. 130,
ähnlich S. 158). Ursprünglich war daher im Entwurf des
§ 31b Abs. 1 BRAO vorgesehen, dass die
Bundesrechtsanwaltskammer für jede eingetragene
Berufsausübungsgesellschaft „auf deren
Antrag“ ein beA einrichtet (BT-Drucks.
19/27670, S. 12). Dadurch sollte „keine Pflicht geschaffen
werden, ein weiteres kostenpflichtiges beA zu
unterhalten“ (BT-Drucks. 19/27670, S. 158).
Zunächst war für eine Berufsausübungsgesellschaft
mithin beabsichtigt, dass diese grundsätzlich das beA des
jeweils für sie als Vertreter handelnden Rechtsanwalts nutzen
sollte.
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Im weiteren Gesetzgebungsverfahren sind aber
die Worte „auf deren Antrag“ gestrichen
worden (§ 31b Abs. 1 BRAO n.F.). Dies zeigt, dass sich die
Bedeutung dieses Postfachs gegenüber der ursprünglichen
gesetzgeberischen Zielsetzung signifikant geändert hat. Durch
die nunmehr verpflichtende Einführung eines
Gesellschaftspostfachs sind die genannten Erwägungen eines
Vorrangs des persönlichen beA eines Rechtsanwalts
gegenüber dem Gesellschaftspostfach obsolet. Maßgeblich
ist vielmehr, auf die verpflichtende Einführung des
Gesellschaftspostfachs ab dem 01.08.2022 abzustellen.
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34
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(c) Bei der Auslegung des § 52d Satz 1
FGO berücksichtigt der Senat zudem das Gebot des effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes - GG -
).
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(aa) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu
den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer,
aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert
werden (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -
vom 21.10.2015 - 2 BvR 912/15, Rz 22 und vom 02.03.1993 - 1 BvR
249/92, BVerfGE 88, 118, unter B.I.1. der Gründe). Dies muss
auch der Richter bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er
darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes
Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung
verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für
den Beschwerdeführer leer laufen lassen
(BVerfG-Beschlüsse vom 21.10.2015 - 2 BvR 912/15, Rz 22 und
vom 30.04.1997 - 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR
1065/95, BVerfGE 96, 27, unter B.I. der Gründe).
Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch
ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des
Rechtsschutzes abhängt (BVerfG-Beschlüsse vom 21.10.2015
- 2 BvR 912/15, Rz 22 und vom 04.09.2008 - 2 BvR 967/07, BVerfGK
14, 211, unter II.1.a der Gründe, m.w.N.).
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(bb) Ein Verstoß gegen die
Formvorschrift des § 52d FGO führt nach allgemeiner
Auffassung zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung; sie gilt als
nicht vorgenommen (ständige Rechtsprechung,
BFH-Beschlüsse vom 27.04.2022 - XI B 8/22 = SIS 22 13 90, Rz 12; vom 23.08.2022 - VIII S
3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83 = SIS 22 15 43, Rz 9; vom
29.11.2022 - VIII B 88/22 = SIS 22 21 32, Rz 6 und vom 28.04.2023 - XI B 101/22, BFHE 279, 523,
BStBl II 2023, 763 = SIS 23 06 93, Rz 11; FG Düsseldorf,
Urteil vom 23.11.2022 - 7 K 504/22 K, EFG 2023, 344 = SIS 23 00 08,
Rz 30; FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2022 - 4 V 1340/22,
EFG 2022, 1547 = SIS 22 13 72, Rz 12; FG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 08.03.2022 - 8 V 8020/22, EFG 2022, 846 = SIS 22 05 66, Rz 13; FG Münster, Beschluss vom 22.02.2022 - 8 V 2/22,
EFG 2022, 592 = SIS 22 04 04, Rz 17; Schallmoser in HHSp, §
52d FGO Rz 22 und 35; Brandis in Tipke/Kruse, § 52a FGO Rz 14
und § 52d FGO Rz 2; Schmieszek in Gosch, FGO § 52d Rz 8;
Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., §
52a Rz 31). In der Folge ist eine Klage durch Prozessurteil als
unzulässig abzuweisen (Schallmoser in HHSp, § 52d FGO Rz
35).
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(cc) Die Unzulässigkeit einer Klage
führt dazu, dass der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG
garantierte Rechtsweg nicht eröffnet ist. Eine solche
Einschränkung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes ist
anerkanntermaßen insofern zulässig, dass die
gerichtliche Rechtsschutzgewährung der normativen
Ausgestaltung durch die Verfahrensordnungen bedarf; diese
dürfen auch besondere formelle Voraussetzungen und
Einschränkungen für den Rechtsuchenden vorsehen
(BVerfG-Beschluss vom 02.03.1993 - 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118,
unter B.I.1. der Gründe). Ausgehend hiervon darf die
Einreichung von vorbereitenden und bestimmenden Schriftsätzen
für bestimmte Gruppen professioneller Verfahrensteilnehmer
durchaus an die Form des elektronischen Rechtsverkehrs
geknüpft werden. Unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Tragweite der Einschränkung des Gebots
des effektiven Rechtsschutzes, die im Falle einer Zuwiderhandlung
zu einer vollständigen Ineffektivität des Rechtsmittels
führt, muss der einschränkende Effekt nach Auffassung des
erkennenden Senats jedoch eng auf die Reichweite des gesetzlichen
Wortlauts begrenzt werden, damit es nicht zu einer
unverhältnismäßigen Belastung des einzelnen
Rechtsuchenden kommt. Nach Maßgabe des Gebots des effektiven
Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG darf daher eine
Klage nur dann aufgrund eines Verstoßes gegen die Pflicht zur
Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nach § 52d FGO als
unzulässig abgewiesen werden, wenn ein eindeutiger
Verstoß gegen § 52d FGO vorliegt. In Zweifelsfällen
- etwa dann, wenn es unklar erscheint, ob eine
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von dem Normbefehl erfasst ist oder
nicht - ist einer rechtsschutzgewährenden Auslegung der Norm
der Vorrang einzuräumen und die Klage als zulässig
anzusehen.
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Das gilt unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insbesondere auch
dann, wenn es - wie im Fall der Einführung des § 31b BRAO
n.F. - nur um einen Übergangszeitraum von sieben Monaten
geht.
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(3) Der erkennende Senat entscheidet dies in
Anlehnung an die Rechtsprechung des IX. und des XI. Senats des BFH.
Diese haben - allerdings für eine Steuerberatungsgesellschaft
mbH - entschieden, dass eine (noch) nicht nutzungspflichtige
Prozessbevollmächtigte in Gestalt einer GmbH nicht dadurch (im
Sinne des § 52d Satz 1 FGO) nutzungspflichtig wird, dass
für sie ein gesetzlicher Vertreter handelt, der in seiner
beruflichen Funktion als Rechtsanwalt nach § 52d Satz 1 FGO
nutzungspflichtig wäre, wenn er als solcher selbst dem Gericht
gegenüber auftreten würde (BFH-Zwischenurteil vom
25.10.2022 - IX R 3/22, BFHE 278, 21, BStBl II 2023, 267 = SIS 22 21 72, Rz 21; BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 39/22 = SIS 24 02 70, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt). Ebenso hat der II. Senat des BFH
entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der nicht als Einzelanwalt,
sondern als gesetzlicher Vertreter einer
prozessbevollmächtigten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
mbH handelt, im Jahr 2022 noch nicht nutzungspflichtig im Sinne des
§ 52d Satz 1 FGO war (BFH-Beschluss vom 26.07.2023 - II S 9/23
(AdV), nicht veröffentlicht).
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Die BFH-Rechtsprechung differenziert demnach
zwischen der als Prozessbevollmächtigte auftretenden
Gesellschaft und dem für diese handelnden Rechtsanwalt. Die
Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs richtet sich
nach der Nutzungspflicht der bevollmächtigten Gesellschaft,
nicht des für sie handelnden Rechtsanwalts (a.A.:
FG-Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.10.2022 - 4 K 1341/22, EFG 2023,
65 = SIS 22 20 15, zu einem für eine
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handelnden Rechtsanwalt). Der
erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung der
genannten Senate des BFH an mit der Maßgabe, dass für
eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH eine Pflicht zur Nutzung des
elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 52d Satz 2
FGO i.V.m. § 31b BRAO n.F. erst ab dem 01.08.2022 bestand, und
zwar auch dann, wenn die Rechtsanwaltsgesellschaft mbH durch einen
Rechtsanwalt als Organ oder Vertreter im Sinne des § 62 Abs. 2
Satz 3 FGO handelt.
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(4) Der erkennende Senat folgt
demgegenüber nicht der zu der Parallelvorschrift des §
55d der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergangenen Rechtsprechung
des Sächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG). Dieses hat
entschieden, dass die elektronische Einreichungspflicht
gemäß § 55d Satz 1 VwGO seit dem 01.01.2022
Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsgesellschaften umfasse. Die
Rechtsanwaltsgesellschaft sei nicht wegen des (zunächst)
fehlenden eigenen beA vom 01.01.2022 bis zum 31.07.2022 von der
elektronischen Einreichungspflicht entbunden gewesen, da sie sich
zur Erfüllung dieser Pflicht unter anderem des beA ihrer
Organe oder etwa eines De-Mail-Kontos gemäß § 55a
Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 VwGO habe bedienen können
(Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 09.08.2022 - 3 A
364/22.A, Rz 10 und vom 15.09.2022 - 1 A 189/22.A, Rz 11 ff.).
Dieser Auffassung ist bereits deshalb nicht zu folgen, da §
55d Satz 2 VwGO nur auf § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO und
nicht auf Nr. 1 verweist - ebenso wie § 52d Satz 2 FGO nur auf
§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO - und das Sächsische OVG
damit von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist.
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dd) Nach diesen Grundsätzen bestand im
Streitfall vor dem 01.08.2022 keine Pflicht für die
Rechtsanwalts-GmbH, welche durch Rechtsanwalt M als Vertreter im
Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 3 FGO, § 59l Satz 3 BRAO a.F.
handelte, zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs
gemäß § 52d Satz 1 oder 2 FGO.
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Denn im Streitfall wurde der Kläger nicht
durch M als unmittelbaren Bevollmächtigten vertreten, sondern
durch die Rechtsanwalts-GmbH. Die Prozessvollmacht des Klägers
vom 17.07.2020 bestand zugunsten der Rechtsanwalts-GmbH. Die am
17.01.2022 beim FG per Telefax erhobene Klage war wirksam. Daran
vermag auch nichts zu ändern, dass M den Schriftsatz mit dem
Zusatz „Rechtsanwalt/Steuerberater“ und
in der Folgezeile „Fachanwalt für
Steuerrecht“ unterzeichnete.
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c) Der erkennende Senat weicht damit nicht von
anderer höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.
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aa) Es liegt keine Abweichung zu
Entscheidungen anderer Senate des BFH vor.
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(1) Allerdings haben der IX. und der XI. Senat
des BFH im Zusammenhang mit der Nutzungspflicht einer
Steuerberatungsgesellschaft mbH gemäß § 52d Satz 1
FGO Folgendes ausgeführt: Auch
„gemischte“
Berufsausübungsgesellschaften, bei denen neben Steuerberatern
auch andere Berufsträger (Rechtsanwälte,
Wirtschaftsprüfer, Notare) tätig seien und die neben
steuerlichen Beratungsleistungen auch Dienstleistungen
anböten, die über die Befugnisse des § 3 StBerG
hinausgingen, könnten nach § 52d Satz 1 FGO ab dem
01.01.2022 nutzungspflichtig sein, wenn ein verantwortlicher, im
Briefkopf der Berufsausübungsgesellschaft namentlich
aufgeführter Berufsträger mit Mehrfachzulassung
(„Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer,
Steuerberater“) einen (vorbereitenden oder)
bestimmenden Schriftsatz an das Gericht übermittele; ein
solches Dokument dürfe nach dem 31.12.2021 nicht mehr
schrift(sätz)lich oder per Telefax, sondern nur noch
elektronisch bei Gericht eingereicht werden (BFH-Zwischenurteil vom
25.10.2022 - IX R 3/22, BFHE 278, 21, BStBl II 2023, 267 = SIS 22 21 72, Rz 19; BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 39/22 = SIS 24 02 70, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt; ebenso Schallmoser in HHSp, §
52d FGO Rz 15, 5. Spiegelstrich, der allerdings auf die
Berufsausübungsgesellschaft selbst, der auch
Rechtsanwälte angehören, abstellt, und nicht auf die
Person des Zeichnenden).
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(2) Der erkennende Senat ist dennoch nicht zu
einer Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO
verpflichtet, weil er nicht gemäß § 11 Abs. 2 FGO
in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats
abweicht. Die hier betroffene Rechtsfrage war für die
Entscheidungen des IX. und des XI. Senats des BFH nicht
entscheidungserheblich (zur Notwendigkeit einer
Entscheidungserheblichkeit für § 11 Abs. 2 FGO:
Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 25.09.2018 -
GrS 2/16, BFHE 263, 225, BStBl II 2019, 262 = SIS 19 02 19, Rz 34
und vom 14.04.2015 - GrS 2/12, BFHE 250, 338, BStBl II 2015, 1007 =
SIS 15 23 32, Rz 31 ff.; BFH-Urteil vom 16.03.2021 - X R 34/19,
BFHE 272, 423, BStBl II 2021, 844 = SIS 21 14 44, Rz 26 ff.;
Müller-Horn in Gosch, FGO § 11 Rz 7; Gräber/Teller,
Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 11 Rz 11).
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Im BFH-Zwischenurteil vom 25.10.2022 - IX R
3/22 (BFHE 278, 21, BStBl II 2023, 267 = SIS 22 21 72) war
mandatierte Prozessbevollmächtigte der Kläger im
Verwaltungs- und Klageverfahren die X-Steuerberatungsgesellschaft
mbH, gesetzlich vertreten durch den Rechtsanwalt und Steuerberater
A und weiterhin vertreten durch den abhängig
beschäftigten Rechtsanwalt B. Entscheidungserheblich war in
diesem Fall, dass es sich um eine Steuerberatungsgesellschaft mbH
handelte, die nach § 52d Satz 2 FGO grundsätzlich erst ab
dem 01.01.2023 zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs
verpflichtet war (BFH-Zwischenurteil vom 25.10.2022 - IX R 3/22,
BFHE 278, 21, BStBl II 2023, 267 = SIS 22 21 72, Rz 16). Die
zitierten Ausführungen des IX. Senats zu
„gemischten“
Berufsausübungsgesellschaften stellten lediglich ein obiter
dictum dar. Ebenso handelte es sich bei den zitierten
Ausführungen des XI. Senats im BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI
R 39/22 = SIS 24 02 70 (zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt) um ein obiter dictum.
Auch in diesem Verfahren trat eine Steuerberatungsgesellschaft mbH,
vertreten durch einen Rechtsanwalt, und keine
„gemischte“
Berufsausübungsgesellschaft als Prozessbevollmächtigte
auf.
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(3) Im Übrigen betreffen die zitierten
Ausführungen des IX. und des XI. Senats des BFH lediglich
„gemischte“
Berufsausübungsgesellschaften, bei denen neben Steuerberatern
auch andere Berufsträger (Rechtsanwälte,
Wirtschaftsprüfer, Notare) tätig sind. Im vorliegenden
Streitfall handelt es sich hingegen um eine
„reine“ Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
ohne andere Berufsträger. Damit betrifft der Streitfall einen
anderen Sachverhalt als die zitierten Entscheidungen des IX. und
des XI. Senats des BFH. Diese Entscheidungen enthalten auch keine
Aussage zu der Frage, ob eine „reine“
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH - im Wege eines a majore ad
minus-Schlusses - hinsichtlich der hier fraglichen
Rechtsdienstleistungen möglicherweise genauso zu behandeln
sein könnte wie eine „gemischte“
Berufsausübungsgesellschaft.
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bb) Soweit der BGH mit Beschlüssen vom
24.11.2022 - IX ZB 11/22 = SIS 23 02 10 (zu einem anwaltlichen Insolvenzverwalter), vom
31.01.2023 - XIII ZB 90/22 (zu einem anwaltlichen
Verfahrenspfleger) und vom 31.05.2023 - XII ZB 428/22 (zu einem
anwaltlichen Berufsbetreuer) die Pflicht zur Nutzung des beA des
jeweils betreffenden Rechtsanwalts bejaht hat, folgte dies aus dem
unmittelbaren anwaltlichen Vertretungsverhältnis im jeweiligen
gerichtlichen Verfahren. Der BGH hat bei dem anwaltlichen
Insolvenzverwalter zur Begründung der Nutzungspflicht des
elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 130d Satz 1
der Zivilprozessordnung explizit darauf abgestellt, dass es sich
bei dem Insolvenzverwalter um einen im eigenen Namen handelnden
anwaltlichen Amtsträger handelte (BGH-Beschluss vom 24.11.2022
- IX ZB 11/22 = SIS 23 02 10, Rz
14). Mit einem Rechtsanwalt, der - wie vorliegend - als
gesetzlicher Vertreter einer prozessbevollmächtigten
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt, ist dies nicht vergleichbar
(vgl. BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 39/22 = SIS 24 02 70, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt).
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cc) Soweit das Bundesarbeitsgericht (BAG) in
seinem Beschluss vom 23.05.2023 - 10 AZB 18/22 = SIS 23 15 03 die Nutzungspflicht eines
Syndikusrechtsanwalts, der für einen Arbeitgeberverband
erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den
Verbandsmitgliedern erbringt, bejaht hat, weicht der Senat -
mangels vergleichbarer Ausgangslage - hiervon nicht ab, da die
Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts für einen
Arbeitgeberverband nicht vergleichbar ist mit derjenigen eines
Rechtsanwalts für eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Zudem
werden Arbeitgeberverbände - anders als
Berufsausübungsgesellschaften - erst mit Wirkung ab dem
01.01.2026 in die Pflicht zur Nutzung des elektronischen
Rechtsverkehrs einbezogen durch § 46g des
Arbeitsgerichtsgesetzes i.d.F. des Art. 10 des Gesetzes zum Ausbau
des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur
Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl I 2021,
4607), sodass die Rechtslage auch insoweit nicht vergleichbar
ist.
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Soweit das BAG mit Beschluss vom 21.09.2023 -
10 AZR 512/20 = SIS 23 17 52 die
Nutzungspflicht eines Verbandsvertreters, der nicht als
Syndikusrechtsanwalt zugelassen ist, selbst für den Fall
verneint hat, dass dieser außerhalb des
Arbeitsverhältnisses zum Verband über eine Zulassung als
Rechtsanwalt verfügt, stützt dies die Rechtsprechung des
erkennenden Senats (vgl. BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 39/22 =
SIS 24 02 70, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt).
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53
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d) Die Fragen, ob die Frist für die
Erhebung der finanzgerichtlichen Klage aufgrund einer unrichtigen
Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung vom 14.12.2021
auf ein Jahr verlängert war (§ 55 Abs. 2 FGO) und ob eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war,
können vor diesem Hintergrund dahinstehen.
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2. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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