Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 30.06.2022 - 12 K
58/20 = SIS 23 07 12
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist alleiniger Gesellschafter und
Geschäftsführer der GmbH. Nach § 3 des
Geschäftsführervertrags erhält der Kläger
für seine Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt in
Höhe von … EUR. Des Weiteren ist ihm darin eine
Tantieme in Höhe von 20 % des Jahresgewinns zugesagt, die
einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die
Gesellschafterversammlung zu zahlen und der Höhe nach auf
maximal 30 % der Festvergütung begrenzt ist.
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Die vereinbarten Tantiemen wurden dem
Kläger in den Streitjahren (2015 bis 2017) weder ausgezahlt
noch hat die GmbH in den Jahresabschlüssen entsprechende
Passivposten gebildet.
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In den Einkommensteuererklärungen
für die Streitjahre gab der Kläger Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit ohne Tantiemen an. Der Beklagte und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) veranlagte ihn
zunächst erklärungsgemäß.
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Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging das FA sodann
davon aus, dass auch die nicht ausgezahlten Tantiemen jeweils in
der vereinbarten Höhe von 20 % des Gewinns des Vorjahres vom
Kläger als Arbeitslohn zu versteuern seien, und änderte
die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre insoweit
als es den Arbeitslohn des Klägers in 2015 um … EUR, in
2016 um … EUR und in 2017 um … EUR erhöhte. Denn
bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer gälten
Tantiemen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung als zugeflossen. Ob
sie tatsächlich ausgezahlt worden seien, sei unerheblich, da
es der Gesellschafter-Geschäftsführer selbst in der Hand
habe, sich die Tantiemen auszahlen zu lassen.
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Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2023, 193
= SIS 23 07 12
veröffentlichten Gründen statt. Vereinbarte, aber nicht
ausgezahlte Tantiemen flössen auch einem beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, wenn bei der
Gesellschaft keine entsprechende Verbindlichkeit passiviert worden
sei und sich die Tantiemen deshalb weder in den Streitjahren noch
in späteren Zeiträumen mindernd auf das Einkommen der
Gesellschaft ausgewirkt hätten.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der Senat kann auf der Grundlage
der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob
die dem Kläger nicht ausgezahlten Tantiemen in den
Streitjahren als Einnahmen aus nichtselbständiger
Tätigkeit anzusetzen sind.
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1. Tantiemen gehören zum
steuerpflichtigen Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes - EStG - ). Ihre Besteuerung setzt
allerdings voraus, dass sie als sonstiger Bezug dem Arbeitnehmer
nach § 11 Abs. 1 Satz 4, § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG
zugeflossen sind.
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a) Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung tritt der Zufluss mit der
Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein (z.B.
Senatsurteil vom 28.04.2020 - VI R 44/17, BFHE 269, 7, BStBl II
2021, 392 = SIS 20 11 34, Rz 24, m.w.N.). Das ist in der Regel der
Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs. Geldbeträge
fließen danach zu, wenn sie dem Empfänger bar ausbezahlt
oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut
gutgeschrieben werden (z.B. Senatsurteil vom 22.02.2018 - VI R
17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496 = SIS 18 07 75, Rz 27 f.,
m.w.N.).
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b) Der Bundesfinanzhof (BFH) geht zudem in
ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen
auch ohne Zahlung oder Gutschrift vorliegen kann. Danach
fließt dem alleinigen oder jedenfalls beherrschenden
Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen
„seine“ Kapitalgesellschaft
bereits mit deren Fälligkeit zu. Denn ein beherrschender
Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich
geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch
eindeutig, unbestritten und fällig ist. Allerdings werden von
dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige
Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie
beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der
Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben
(Senatsurteile vom 12.07.2021 - VI R 3/19 = SIS 21 18 90, Rz 11 und vom 28.04.2020 - VI R 44/17,
BFHE 269, 7, BStBl II 2021, 392 = SIS 20 11 34, Rz 25, jeweils
m.w.N.; a.A. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF -
vom 12.05.2014, BStBl I 2014, 860 = SIS 14 16 35). Fällig wird
der Anspruch auf Tantiemen erst mit der Feststellung des
Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich
wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im
Anstellungsvertrag vereinbaren (Senatsurteil vom 28.04.2020 - VI R
44/17, BFHE 269, 7, BStBl II 2021, 392 = SIS 20 11 34, Rz 25).
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c) Überdies kann der Verzicht des
Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des
Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage
erbracht wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom
09.06.1997 - GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307 = SIS 97 17 34).
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aa) Eine verdeckte Einlage liegt nach
ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn ein Gesellschafter
oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen
einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet, ohne dass der
Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhält,
und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im
Gesellschaftsverhältnis hat. Letztere Voraussetzung ist
gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den
Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen
Kaufmanns nicht eingeräumt hätte (Senatsurteil vom 15.05.2013 - VI R 24/12,
BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495 = SIS 13 22 45, Rz 15,
m.w.N.).
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bb) Als verdeckte Einlage sind nur
Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der
Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder
die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder
die Verminderung eines Passivpostens. Ob als Voraussetzung für
eine verdeckte Einlage das Vermögen der Kapitalgesellschaft
durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder
durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens
vermehrt ist, bestimmt sich nach Bilanzrecht. Insofern ist
maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten
eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts
erstellt worden wäre (vgl. Senatsurteile vom 15.05.2013 - VI R
24/12, BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495 = SIS 13 22 45, Rz 16 und
vom 15.06.2016 - VI R
6/13, BFHE 254, 134, BStBl II 2016, 903 = SIS 16 17 70, Rz
15).
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2. Nach diesen Maßstäben ist das FG
zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger die Tantiemen in
den Streitjahren nicht zugeflossen sind.
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Ein Zufluss der Tantiemen kann vorliegend
nicht auf die Rechtsprechung des BFH, nach der bei beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen
auch ohne Zahlung oder Gutschrift bereits früher (bei
Fälligkeit) vorliegen kann (sogenannte Zuflussfiktion),
gestützt werden. Denn die Tantiemeansprüche waren in den
Streitjahren jedenfalls (noch) nicht fällig.
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a) Zwischen den Beteiligten steht nicht in
Streit, dass der Kläger im Streitfall alleiniger und
beherrschender Gesellschafter der GmbH war und ihm ausweislich
seines Geschäftsführervertrags im Streitjahr 2015 ein
Tantiemeanspruch in Höhe von … EUR, im Streitjahr 2016
in Höhe von … EUR und im Streitjahr 2017 in Höhe
von … EUR zustand.
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b) Nach den für den Senat bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat die GmbH die
Tantiemeforderungen des Klägers in ihren
Jahresabschlüssen nicht als Verbindlichkeit abgebildet. Diese
Jahresabschlüsse hat die Gesellschafterversammlung der GmbH
entsprechend (unverändert) festgestellt. Folglich waren die
streitigen Tantiemeansprüche nicht fällig. Ob die
dahingehenden Verbindlichkeiten nach den Grundsätzen der
ordnungsgemäßen Buchführung hätten passiviert
werden müssen, ist insoweit unerheblich (a.A. BMF-Schreiben
vom 12.05.2014, BStBl I 2014, 860 = SIS 14 16 35). Denn ein
dahingehender Pflichtenverstoß vermag die Fälligkeit
einer im festgestellten Jahresabschluss nicht enthaltenen
Tantiemeforderung nicht zu begründen. Deshalb ist insoweit
auch ohne Bedeutung, ob die fehlende Passivierung einer
Verbindlichkeit einem Buchungsfehler geschuldet war, oder ob eine
Bilanzierung aus anderen Gründen von vornherein nicht in
Betracht kam, etwa weil die Tantiemezusage vor der Entstehung der
darin vereinbarten Tantiemeansprüche einvernehmlich aufgehoben
worden ist.
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3. Die Feststellungen des FG reichen
allerdings nicht aus, um entscheiden zu können, ob dem
Kläger die Forderungswerte der Tantiemeansprüche
zugeflossen sind, weil er durch einen Verzicht auf seine
Tantiemeansprüche eine verdeckte Einlage in die GmbH erbracht
hat.
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a) Es fehlt vorliegend an Feststellungen des
FG, warum die Tantiemen nicht ausgezahlt beziehungsweise
entsprechende Forderungen des Klägers nicht als
Verbindlichkeiten passiviert worden sind. Anhaltspunkte dafür
ergeben sich auch nicht aus den Akten. Zwar lässt sich diesen
entnehmen, dass die Nichterfassung einer Verbindlichkeit in den
Jahresabschlüssen (auch) darauf gründet, dass dem
Steuerberater der GmbH der entsprechende
Geschäftsführervertrag nicht vorgelegen und er deshalb -
auch im Rahmen der Bilanzbesprechung mit dem Kläger - keine
Kenntnis von den Tantiemeansprüchen gehabt hat. Weshalb die
GmbH die dem Kläger vertraglich zugesagten Tantiemen in den
Streitjahren nicht ausgezahlt hat, erklärt sich daraus jedoch
nicht.
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b) Insbesondere ist hieraus nicht zu erkennen,
ob der Kläger einvernehmlich mit der GmbH die Tantiemezusage
vor der Entstehung der Tantiemeansprüche zum jeweiligen
Jahresende aufgehoben hat, oder ob der Kläger auf die bereits
entstandenen Tantiemeansprüche verzichtet hat. Nur in
letzterem Fall wäre eine verdeckte Einlage der Forderungswerte
der Tantiemeansprüche in die GmbH zu bejahen.
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Der Umstand, dass (Gehalts-)Ansprüche dem
Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg unverändert weder
ausbezahlt noch in der Gewinnermittlung der GmbH als Aufwand
erfasst wurden, kann zwar für eine konkludente Aufhebung der
Ansprüche - hier der Tantiemen - sprechen und damit gegen eine
den Zufluss begründende verdeckte Einlage streiten (z.B.
Senatsurteil vom 15.05.2013 - VI R 24/12, BFHE 241, 287, BStBl II
2014, 495 = SIS 13 22 45, Rz 23 f., m.w.N.). Zwingend ist dies -
wie sich dem vorgenannten Senatsurteil entnehmen lässt -
jedoch nicht. Vielmehr ist entscheidend, ob das Verhalten der
Beteiligten als ein dahingehendes planvolles Vorgehen zu
würdigen ist. Denn nur dann lässt sich die
widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den
Arbeitnehmer als Annahme der Vertragsänderung nach einem
Änderungsangebot des Arbeitgebers gemäß
§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ansehen
(Senatsurteil vom 15.05.2013 - VI R 24/12, BFHE 241, 287, BStBl II
2014, 495 = SIS 13 22 45, Rz 23, m.w.N.).
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Andernfalls - bei einem Verzicht auf bereits
entstandene Tantiemeansprüche - hätte die GmbH
zunächst jeweils Verbindlichkeiten passivieren müssen.
Verzichtet der Geschäftsführer auf einen solchen bereits
entstandenen Anspruch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen,
erbringt er insoweit, als seine Forderung im Zeitpunkt des
Verzichts werthaltig ist, eine bei ihm zum Zufluss (§ 11 Abs.
1 EStG) führende verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft.
Dies gilt - wie ausgeführt - auch dann, wenn die
Gehaltsverbindlichkeit nicht passiviert worden ist. Denn insoweit
ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH maßgeblich,
inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt
werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden
wäre (z.B. Senatsurteile vom 15.05.2013 - VI R 24/12, BFHE
241, 287, BStBl II 2014, 495 = SIS 13 22 45, Rz 16 und vom
15.06.2016 - VI R 6/13, BFHE 254, 134, BStBl II 2016, 903 = SIS 16 17 70, Rz 15).
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4. Die Vorentscheidung stellt sich auch nicht
aus anderen Gründen als zutreffend dar. Sie ist deshalb
aufzuheben. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben,
ob und falls ja, wann der Kläger auf die in dem
Geschäftsführervertrag vereinbarten
Tantiemeansprüche gegenüber der GmbH verzichtet hat.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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