Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 10.11.2021 - 12 K 2486/20 =
SIS 22 22 12 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Streitig ist die steuerliche
Berücksichtigungsfähigkeit einer Rückstellung
für Altersfreizeit.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine Personengesellschaft in der Rechtsform der
OHG, betreibt eine …
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Nach dem einheitlichen Manteltarifvertrag
für … vom xx.xx.1995 (EMTV) mit Zusatzvereinbarung vom
xx.xx.2004 (zu § 3 Nr. 7 EMTV) stand den Arbeitnehmern der
Klägerin zusätzliche bezahlte Freizeit von zwei
Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit zu,
soweit sie dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen
zugehörig waren und das 60. Lebensjahr vollendet hatten. Die
Regelung hatte verkürzt folgenden Wortlaut:
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„Arbeitnehmer, die nach einer
mindestens 10-jährigen ununterbrochenen
Betriebszugehörigkeit das 60. Lebensjahr vollendet haben,
erhalten eine zusätzliche bezahlte Freizeit von 2 Arbeitstagen
je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit. Bei Berechnung der
Dauer der Betriebszugehörigkeit werden Zeiten, die vor
Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht
berücksichtigt. Berücksichtigungsfähig sind nur die
tatsächlich zusammenhängenden Jahre der
Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bis zum Bezug der
gesetzlichen Altersrente. Die dem Arbeitnehmer zustehenden
Freizeittage sind am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses
und nur vor Eintritt in die gesetzliche Altersrente zu
gewähren. Das gilt auch, wenn die Inanspruchnahme der
gesetzlichen Altersrente nach Arbeitslosigkeit im Anschluss an das
bisherige Arbeitsverhältnis erfolgt. Die dem Arbeitnehmer
zustehenden Freizeittage sind in natura zu gewähren und zu
nehmen. Nicht genommene Freizeittage verfallen, ein
Abgeltungsanspruch besteht nicht.“
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Vor diesem Hintergrund passivierte die
Klägerin in der Steuerbilanz zum 31.12.2016 eine
Rückstellung für Altersfreizeit in Höhe von 337.900
EUR.
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Hingegen vertrat das Finanzamt A im Rahmen
einer steuerlichen Außenprüfung für die Jahre 2013
bis 2016 unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG)
vom 15.10.1987 - VI
59/85 sowie das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
11.11.1999 (BStBl I 1999, 959 = SIS 99 23 21, Rz 5) die
Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer
Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht
erfüllt seien. Insbesondere liege kein
Erfüllungsrückstand seitens der Klägerin
gegenüber ihren Arbeitnehmern vor, da diese keine
Mehrleistungen erbracht hätten, wie beispielsweise in der
Ansparphase im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung.
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Auf der Grundlage der
Prüfungsfeststellungen erließ das Finanzamt B am
03.09.2019 einen gemäß § 164 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid für 2016
über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen (Gewinnfeststellungsbescheid). Darin
erhöhte es den laufenden Gesamthandsgewinn der Klägerin
um 337.900 EUR. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde
aufgehoben.
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Den dagegen gerichteten Einspruch der
Klägerin wies das Finanzamt C mit Einspruchsentscheidung vom
02.10.2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte es aus, es fehle an der Verursachung der ungewissen
Verbindlichkeit in der Vergangenheit (vor dem Bilanzstichtag). Die
zwischen den Vertragsparteien getroffene Vereinbarung gelte nicht
Vergangenes ab, sondern knüpfe nur an Vergangenes an. Dies
reiche für die Rückstellungsbildung nicht aus. Die
wesentliche wirtschaftliche Verursachung liege in der Zukunft
(Vollendung des 60. Lebensjahres des Arbeitnehmers).
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Während des nachfolgenden
Klageverfahrens kam es zu einem Zuständigkeitswechsel vom
Finanzamt C zum Finanzamt D. Der (neue) Beklagte und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) erließ am 27.07.2021
einen aus nicht streitgegenständlichen Gründen nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten
Gewinnfeststellungsbescheid für 2016.
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Mit Urteil vom 10.11.2021 - 12 K 2486/20
änderte das FG Köln den Gewinnfeststellungsbescheid
für 2016 antragsgemäß dahin, dass der laufende
Gesamthandsgewinn der Klägerin um 349.000 EUR reduziert wurde.
Dies begründete es wie folgt:
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Die Klage sei zulässig. Die
Erweiterung des Klageantrags (von 337.900 EUR auf 349.000 EUR)
stelle keine von den Voraussetzungen des § 67 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) abhängige Klageänderung dar.
Ein Erfüllungsrückstand liege vor. Zwar sei
einzuräumen, dass der Anspruch auf Altersfreizeit noch von
sich künftig realisierenden Bedingungen abhängig sei.
Erst eine Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren und
das Überschreiten der Altersgrenze von 60 Jahren lösten
die Verpflichtung zur Gewährung der Altersfreizeit aus. Habe
der Arbeitgeber aber schon Jahre zuvor Leistungen für den
zeitlich nachfolgenden Eintritt dieser Voraussetzungen
rechtsverbindlich zugesagt und sei die Zusage an die vergangene
Dienstzeit und an die Betriebstreue des einzelnen Arbeitnehmers
gebunden, lägen die Dinge anders. Unter solchen Umständen
unterscheide sich eine derartige Zusage nicht von einer sonstigen
dienstzeitabhängigen Jubiläumsverpflichtung. Hier wie
dort orientiere sich die Zuwendung an der bisherigen
Betriebszugehörigkeit und verknüpfe das zukünftige
Ereignis mit den anteilig in der Vergangenheit erbrachten Diensten
des einzelnen Arbeitnehmers (so zum Firmenjubiläum Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29.11.2000 - I R 31/00, BFHE 194, 76,
BStBl II 2004, 41 = SIS 01 06 52). Infolgedessen werde ein
entsprechender Erfüllungsrückstand aufgebaut, der die
Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung rechtfertige.
§ 5 Abs. 4a und § 6a des Einkommensteuergesetzes (EStG)
seien nicht einschlägig.
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Mit der Revision rügt das FA
(sinngemäß) die Verletzung von (materiellem) Bundesrecht
(§ 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des
Handelsgesetzbuchs - HGB - ). Ein Erfüllungsrückstand
liege nicht vor, so dass keine Rückstellung für ungewisse
Verbindlichkeiten gebildet werden könne. Es fehle an der
erforderlichen Verursachung in der Vergangenheit. Ein
Erfüllungsrückstand sei etwa gegeben, wenn der
Arbeitnehmer wöchentlich eine Stunde mehr arbeite und im
Gegenzug früher in den Ruhestand gehen könne. So liege
der Streitfall aber nicht. Nach dem BFH-Urteil vom 02.10.1997 - IV R 82/96 (BFHE 184,
422, BStBl II 1998, 205 = SIS 98 04 21) gelte für
Arbeitsverhältnisse die Vermutung, dass Leistung und
Gegenleistung ausgeglichen seien und ein
Verpflichtungsüberhang auch nicht durch verpflichtende
Sozialleistungen entstehe.
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Mit der tarifvertraglichen Regelung, nach
der dem Arbeitnehmer für jedes volle Jahr der
Betriebszugehörigkeit zwei Tage Altersfreizeit ab dem
Zeitpunkt der Erfüllung der Voraussetzungen (mindestens
zehnjährige ununterbrochene Betriebszugehörigkeit,
Vollendung des 60. Lebensjahres) zustünden, werde nichts
Vergangenes abgegolten. Die Gewährung von Altersfreizeit
knüpfe nur an Vergangenes an, was für eine
Rückstellungsbildung nicht ausreiche. Es liege kein Aufwand
der Vergangenheit vor, der zum Bilanzstichtag als Rückstellung
zu passivieren sei. Die Arbeitnehmer müssten für
zusätzliche Freizeittage keine Mehrarbeit leisten. Die
zusätzliche Altersfreizeit stelle sich dementsprechend nicht
als Entgelt für in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung
dar. Ein solches Entgelt liege nur vor, wenn der Arbeitgeber die
zusätzliche Freistellung im Alter in Aussicht stelle, um
bereits in früheren Jahren eine zusätzliche Leistung des
Arbeitnehmers zu erhalten. Demgegenüber sei es nicht
möglich, aus dem vorliegenden Vertrag eine Abgeltung von in
der Vergangenheit erbrachter Arbeitsleistung abzuleiten. So
profitiere etwa ein 58-jähriger Arbeitnehmer, der seit 30
Jahren im Betrieb arbeite, nicht von der Altersfreizeit, wenn der
Betrieb eingestellt und das Arbeitsverhältnis beendet werde.
Von einer Abgeltung von Vergangenem könne nur ausgegangen
werden, wenn der Arbeitnehmer zumindest einen anteiligen Anspruch
auf Freizeit habe.
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Wie das Niedersächsische FG im Urteil
vom 15.10.1987 - VI 59/85 zutreffend ausführe, könne
aufgrund der Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung im
Hinblick auf die Vergangenheit nicht von einer Leistung des
Arbeitnehmers ausgegangen werden. An dieser Argumentation
ändere sich - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - nichts
dadurch, dass die Vereinbarung nicht auf die Branchen-, sondern auf
die Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer abstelle. Dies
werde insbesondere anhand des historischen Kontexts der Regelung
des Manteltarifvertrags deutlich. Diese sei von der
Arbeitsmarktlage motiviert gewesen und habe dazu gedient, den
Arbeitsmarkt zu entlasten und die Jugendarbeitslosigkeit zu
verringern. Arbeitsmarktpolitisch verhindere die Zehn-Jahres-Frist
eine ungerechtfertigte Nutzung durch Branchenfremde. Diese
Beweggründe dürften noch immer ausschlaggebend sein, so
dass der Entgeltcharakter der zusätzlichen Altersfreizeit
abzulehnen sei.
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Der Streitfall sei auch nicht mit
Rückstellungen wegen Jubiläumsverpflichtungen zu
vergleichen. Bei Jubiläumszuwendungen gehe es um eine
eigenständig neben dem Arbeitslohn geleistete Zahlung des
Arbeitgebers an den Arbeitnehmer. Die Verpflichtung betreffe gerade
nicht die Bewertung von Leistung und Gegenleistung aus dem
Arbeitsverhältnis, sondern resultiere aus der
Betriebszugehörigkeit und damit aus der Vergangenheit. Im
Gegensatz dazu würden im Fall der Freizeitleistung nur
zukünftige Leistungen berührt, da die Klägerin im
Jahr der Freizeitgewährung keine zusätzliche Leistung zu
erbringen habe. Die Auswirkungen auf Seiten der Klägerin
lägen ausschließlich in einer gegebenenfalls geringeren
Produktivität im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Freizeit,
so dass sie wirtschaftlich in der Zukunft lägen. Das
Niedersächsische FG führe zu Recht aus, dass es an der
wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit fehle, wenn dem
Arbeitnehmer nichts vorenthalten worden sei, worauf er unter
Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Leistungsbewertung
in der Vergangenheit einen individuellen Anspruch gehabt habe.
Dadurch unterscheide sich der Streitfall zudem wesentlich von der
Rückstellung wegen rückständigen Urlaubs (BFH-Urteil vom 26.06.1980 - IV R
35/74, BFHE 130, 533, BStBl II 1980, 506 = SIS 80 02 64). Diese
Würdigung nehme die Vorinstanz gerade nicht vor, indem sie die
Altersfreizeitzusage mit der Jubiläumsverpflichtung
gleichsetze. Dabei übersehe das FG, dass es sich bei
Jubiläumszuwendungen um zusätzliche, neben dem
Arbeitslohn stehende Zahlungen handele. Anders als bei
Jubiläumsrückstellungen lägen im Streitfall keine
konkretisierenden Vorleistungen vor. Dafür reiche die
Nichtausübung des Kündigungsrechts - mangels
vertraglicher Grundlage - nicht aus. Eine Abgeltung von Vergangenem
impliziere, dass bei vorzeitiger Beendigung zumindest ein
anteiliger Anspruch entstehe.
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Im Urteil vom 02.10.1997 - IV R 82/96 (BFHE 184,
422, BStBl II 1998, 205 = SIS 98 04 21) zur Rückstellung
für den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld knüpfe auch der
BFH an diese Grundsätze an. Die Beurteilung der arbeits- und
sozialrechtlichen Folgelasten eines Arbeitsverhältnisses, zu
denen der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ebenso wie die
Altersfreizeitverpflichtung gehörten, könne einheitlichen
Erwägungen folgen, da jeweils die Frage nach der
Ausgeglichenheit der Leistung und des nicht vorliegenden
Verpflichtungsüberhangs zentral für die Annahme eines
Erfüllungsrückstands sei. Nach diesen Erwägungen
entstehe in den Fällen mangelnder Mehrarbeit zur
Gewährung zusätzlicher Leistungen kein
Erfüllungsrückstand.
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Schließlich lägen die
Voraussetzungen für eine Rückstellung für drohende
Verluste nicht vor; es fehle an einem
Verpflichtungsüberschuss.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG Köln vom 10.11.2021
- 12 K 2486/20 aufzuheben und die Klage als unbegründet
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Entgegen der Ansicht des FA liege ein in
der Vergangenheit verursachter Erfüllungsrückstand des
Arbeitgebers vor. Der Arbeitnehmer erdiene den Freizeitanspruch
ratierlich durch seine Arbeitsleistung und Betriebstreue auf Basis
eines in der Zusatzvereinbarung zum Manteltarifvertrag klar
definierten zeitlichen Abhängigkeitsverhältnisses. Die
Inanspruchnahme der Freizeittage sei erst zum Ende der
Tätigkeit möglich, so dass in der Zwischenzeit ein
Erfüllungsrückstand bestehe.
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Zu Unrecht gehe das FA davon aus, dass kein
Erfüllungsrückstand vorliege, da der Arbeitnehmer keine
Mehrleistung erbringe. Im Fall der Altersfreizeitrückstellung
verpflichte sich der Arbeitgeber ex ante zu einer höheren
Gegenleistung, die er aufgrund der getroffenen
Fälligkeitsabrede - Inanspruchnahme unmittelbar vor
Renteneintritt - erst zu einem späteren Zeitpunkt erbringe
(Minderleistung des Arbeitgebers). Aufgrund der Zusatzvereinbarung
erhöhe sich der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers.
Durch die laufende Arbeitsleistung werde der Schwebezustand
insoweit beendet und der Arbeitgeber gerate in
Erfüllungsrückstand.
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Die Altersfreizeitrückstellung sei mit
der Jubiläumsrückstellung vergleichbar. Zu Unrecht
argumentiere das FA, dass die zehnjährige
Betriebszugehörigkeit sowie das Erreichen der Altersgrenze
wesentliche Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der
Verpflichtung seien. Nach der BFH-Rechtsprechung zu
Jubiläumsrückstellungen sei eine solche Unterscheidung
nicht erforderlich, vielmehr werde die Passivierungsfähigkeit
(bereits vor Erreichen der erforderlichen
Betriebszugehörigkeit) insgesamt bejaht, obwohl die zugrunde
liegenden Verpflichtungen ebenfalls nur dann zu erfüllen
seien, wenn der jeweilige Arbeitnehmer zum Jubiläum noch
für das Unternehmen tätig sei (BFH-Urteil vom 05.02.1987
- IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 = SIS 87 09 13).
Auch bei der Jubiläumsverpflichtung habe der Arbeitnehmer bei
Ausscheiden unmittelbar vor dem Stichtag keinerlei
Ansprüche.
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Wenn nach Ansicht der Betriebsprüfung
nur an Vergangenes angeknüpft werde, stelle sich die Frage,
welche (zukünftige) Leistung des Arbeitnehmers abgegolten
werde. Als abzugeltende (vergangene) Leistung komme sowohl die
erbrachte Arbeitsleistung als auch die Betriebstreue im
Erdienenszeitraum in Betracht. Warum gerade bei einer
Altersfreizeitrückstellung ein Kündigungsverzicht
erforderlich sein solle, bei der Jubiläumsrückstellung
hingegen nicht, sei nicht ersichtlich.
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Das Urteil des Niedersächsischen FG
vom 15.10.1987 - VI 59/85 betreffe einen anderen Sachverhalt. Eine
Bindung an ein einzelnes Unternehmen und eine Abhängigkeit der
Freizeittage von der konkreten Dauer der Unternehmens- oder
Branchenzugehörigkeit habe nicht bestanden. Das
Niedersächsische FG habe die Passivierungsfähigkeit im
Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass kein Entgelt
für eine vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit erbrachte
Leistung vorliege, da die zusätzliche Leistung nicht von der
Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig sei, wodurch der
Konnex zur Arbeitsleistung fehle und auch eine Betriebstreue als
Arbeitnehmerleistung ausscheide. Im Streitfall sei dies jedoch
gerade der Fall, da die Anzahl der Freizeittage von der
Betriebszugehörigkeit abhänge und damit ein eindeutiger
Bezug zu vergangenen Leistungen des Arbeitnehmers für den
Arbeitgeber bestehe. Ebenso wenig könne die Argumentation, die
zusätzliche Freizeit werde zum Erhalt der
Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer gewährt und
habe deshalb einen Bezug allein zur künftigen Arbeitsleistung,
auf die vorliegende Regelung übertragen werden, denn die
Freizeit werde erst unmittelbar vor Renteneintritt gewährt. Es
handele sich um eine Fälligkeitsabrede für die noch
ausstehende Gegenleistung des Arbeitgebers.
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Schließlich stehe die sogenannte
Ausgeglichenheitsvermutung für Arbeitsverhältnisse der
Entstehung eines zu passivierenden Erfüllungsrückstands
nicht entgegen. Sie betreffe die Ausgeglichenheit von Leistung und
Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis insgesamt. Im Fall der
Unausgeglichenheit zu Lasten des Arbeitgebers wäre nach den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung eine
Drohverlustrückstellung zu bilden. Die Altersfreizeitregelung
führe jedoch nicht zu einer Unausgeglichenheit von Leistung
und Gegenleistung, sondern lediglich zu einem temporären
Auseinanderfallen. Ein Erfüllungsrückstand unterscheide
sich gerade dadurch von einem Drohverlust, dass Ersterer durch eine
künftige Mehrleistung der rückständigen Partei
ausgeglichen werde, was vorliegend durch die spätere
Freizeitgewährung der Fall sei. Hierin liege der zentrale
Unterschied zur Rückstellung für den Zuschuss zum
Mutterschaftsgeld, denn beim Eintritt in den Mutterschutz
hätten Arbeitnehmerin und Arbeitgeber ihre Leistungspflichten
in gleichem Umfang erfüllt.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Zu Recht hat das
FG entschieden, dass für die Verpflichtung der Klägerin
zur Gewährung von Altersfreizeit in der Steuerbilanz auf den
31.12.2016 eine - der Höhe nach unstreitige -
Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu
passivieren ist.
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1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der
Klage bestehen nicht. Insbesondere hat das FG in der Erweiterung
des Klageantrags zutreffend keine Klageänderung im Sinne des
§ 67 FGO gesehen (z.B. BFH-Urteil vom 29.09.2022 - IV R 20/19,
BFHE 278, 301, BStBl II 2023, 435 = SIS 22 20 81, Rz 26 f.).
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2. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1
HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für
ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche
Passivierungsgebot für Rückstellungen für
Verbindlichkeiten gehört zu den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung und gilt nach § 5
Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz.
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a) Voraussetzung für die Bildung einer
Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das
Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit
oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen
Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach - deren Höhe
zudem ungewiss sein kann - sowie ihre wirtschaftliche Verursachung
in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss
der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (z.B.
BFH-Urteile vom 09.03.2023 - IV R 24/19, BFHE 280, 118, BStBl II
2023, 698 = SIS 23 07 44, Rz 19, m.w.N.; vom 26.07.2023 - IV R
22/20, BFHE 281, 32, BStBl II 2023, 1091 = SIS 23 15 38, Rz
35).
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b) Ansprüche und Verbindlichkeiten aus
einem schwebenden Geschäft dürfen in der Bilanz
grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, weil
während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung
besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem
Vertrag wertmäßig ausgleichen. Ein Bilanzausweis ist nur
geboten, wenn und soweit das Gleichgewicht solcher
Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder
Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners
gestört ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom
23.06.1997 - GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735 = SIS 97 19 27, unter B.I.3. [Rz 37], m.w.N.; ferner BFH-Urteil vom
14.04.2022 - IV R 32/19, BFHE 275, 543, BStBl II 2022, 832 = SIS 22 12 73, Rz 27). Diese Bilanzierungsgrundsätze gelten nicht nur
für gegenseitige Verträge, die auf einen einmaligen
Leistungsaustausch gerichtet sind, sondern auch für
Dauerschuldverhältnisse (z.B. Beschluss des Großen
Senats des BFH vom 23.06.1997 - GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II
1997, 735 = SIS 97 19 27, unter B.I.3. [Rz 38], m.w.N.; BFH-Urteil
vom 26.07.2023 - IV R 22/20, BFHE 281, 32, BStBl II 2023, 1091 =
SIS 23 15 38, Rz 36) und damit auch für
Arbeitsverhältnisse.
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Der - gesetzlich nicht definierte - Begriff
des Erfüllungsrückstands bildet Verpflichtungen zur
Erbringung von - seitens des Vertragspartners durch dessen
erbrachte Vorleistung erdienten und am Bilanzstichtag
rückständigen - Gegenleistungen im synallagmatischen und
zeitlichen Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ab
(BFH-Urteil vom 30.11.2005 - I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II
2007, 251 = SIS 06 12 91, unter II.3.d [Rz 43]; Tiedchen in
Anzinger/Oser/Schlotter, Rechnungslegung und Prüfung der
Unternehmen, 7. Aufl., HGB § 249 Rz 143). Der Verpflichtete
muss sich mit seinen Leistungen gegenüber dem Vertragspartner
im Rückstand befinden, also weniger geleistet haben, als er
nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner
erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hätte (BFH-Urteile vom
05.04.2006 - I R 43/05, BFHE 213, 332, BStBl II 2006, 593 = SIS 06 25 27, unter II.3. [Rz 16]; vom 25.05.2016 - I R 17/15, BFHE 254,
228, BStBl II 2016, 930 = SIS 16 21 03, Rz 14).
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Die Frage nach dem Vorliegen eines
Erfüllungsrückstands ist nicht ausschließlich nach
bürgerlichem Recht zu beurteilen. Ausreichend ist vielmehr
eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung.
Auch davon ausgehend setzt das Vorliegen eines
Erfüllungsrückstands jedoch voraus, dass mit der nach dem
Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung nicht nur an
Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten wird.
Da die Erfüllung sich im Sinne einer
„Abgeltung“ als zusätzliches,
lediglich wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls noch
nicht entrichtetes Entgelt für eine bereits früher
erbrachte Vorleistung darstellen muss, ist eine Verknüpfung in
dem Sinne zu fordern, dass die rückständige Gegenleistung
der erbrachten Vorleistung synallagmatisch zweckgerichtet und bei
zeitbezogenen Leistungen auch zeitlich zuordenbar ist. Die
Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen obliegt im
jeweiligen Einzelfall dem FG als Tatsacheninstanz (BFH-Urteile vom
05.04.2006 - I R 43/05, BFHE 213, 332, BStBl II 2006, 593 = SIS 06 25 27, unter II.4. [Rz 18]; vom 25.05.2016 - I R 17/15, BFHE 254,
228, BStBl II 2016, 930 = SIS 16 21 03, Rz 15 f.).
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Besteht ein Erfüllungsrückstand und
ist dessen Höhe sicher, ist dem durch Ausweis einer
Verbindlichkeit Rechnung zu tragen. Ist die noch zu erfüllende
Leistung der Höhe nach ungewiss, ist eine Rückstellung zu
bilden (BFH-Urteil vom 25.05.2016 - I R 17/15, BFHE 254, 228, BStBl
II 2016, 930 = SIS 16 21 03, Rz 17; Tiedchen in
Anzinger/Oser/Schlotter, Rechnungslegung und Prüfung der
Unternehmen, 7. Aufl., HGB § 249 Rz 142).
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c) Der Höhe nach sind Rückstellungen
für Sachleistungsverpflichtungen wie für einen
Erfüllungsrückstand nach § 5 Abs. 6, § 6 Abs. 1
Nr. 3a Buchst. b EStG mit den Einzelkosten und den angemessenen
Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten, sofern die
handelsrechtliche Bewertung nicht zu einem niedrigeren Wert
führt (BFH-Urteil vom 11.10.2012 - I R 66/11, BFHE 239, 315,
BStBl II 2013, 676 = SIS 13 06 25, Rz 14; zur Rechtslage nach
Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes vom
25.05.2009 - BGBl I 2009, 1102 - im Jahr 2009 s. BFH-Urteil vom
09.03.2023 - IV R 24/19, BFHE 280, 118, BStBl II 2023, 698 = SIS 23 07 44, Rz 23 f.). Handelsrechtlicher Bewertungsmaßstab ist
nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB der nach vernünftiger
kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag
(vgl. BFH-Urteile vom 11.10.2012 - I R 66/11, BFHE 239, 315, BStBl
II 2013, 676 = SIS 13 06 25, Rz 15 ff.; vom 26.07.2023 - IV R
22/20, BFHE 281, 32, BStBl II 2023, 1091 = SIS 23 15 38, Rz
38).
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3. In Anwendung dieser Grundsätze hat das
FG die Rückstellung wegen Altersfreizeit dem Grunde und der
Höhe nach zu Recht anerkannt. Die Revision des FA hat daher
keinen Erfolg.
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a) Im Streitfall besteht eine - nur der
Höhe nach ungewisse - Verbindlichkeit der Klägerin auf
Gewährung von Altersfreizeit, soweit die betroffenen
Arbeitnehmer bereits das Merkmal der mindestens zehnjährigen
Betriebszugehörigkeit erfüllt und das 60. Lebensjahr
vollendet haben. Die Verbindlichkeit beruht auf der (bindenden)
Regelung des Manteltarifvertrags (§ 3 Nr. 7 EMTV). Auch
für eine erst in der Zukunft entstehende Verbindlichkeit muss
eine Rückstellung gebildet werden (BFH-Urteile vom 05.02.1987
- IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 = SIS 87 09 13,
unter 1.b [Rz 17], zur Rückstellung für Zuwendungen aus
Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums; vom 29.11.2000 - I R
31/00, BFHE 194, 76, BStBl II 2004, 41 = SIS 01 06 52, unter II.2.a
[Rz 13], zur Rückstellung für Zuwendungen aus Anlass
eines Firmenjubiläums).
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Soweit die beiden vorgenannten Bedingungen
noch nicht erfüllt sind, ist das künftige Entstehen einer
Verbindlichkeit auf Gewährung von Altersfreizeit dem Grunde
nach hinreichend wahrscheinlich. Denn es sprechen mehr Gründe
für als gegen das Entstehen der Verbindlichkeit (vgl.
BFH-Urteil vom 30.11.2005 - I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II
2007, 251 = SIS 06 12 91, unter II.2.a [Rz 30], zu
Rückstellungen für Lohnfortzahlungen bei Altersteilzeit).
Davon ist das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise ausgegangen. Der Fluktuation der Belegschaft wird bei der
Bestimmung der Rückstellungshöhe Rechnung getragen. Dies
ist zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig.
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b) Entgegen der Ansicht des FA ist die
wirtschaftliche Verursachung der zurückgestellten (ungewissen)
Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (31.12.2016)
gegeben. Ein Erfüllungsrückstand liegt nach der
revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des FG
vor (zustimmend Weppler in Stöckler/Karst, Steuerrecht der
betrieblichen Altersversorgung, Aktuelles I/2023, Rz 10).
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aa) Der Anspruch der Arbeitnehmer (als
Sachleistungsverpflichtete) ist durch ihre Arbeitsleistung - zum
Teil aufschiebend bedingt durch eine mindestens zehnjährige
Betriebszugehörigkeit und die Vollendung des 60. Lebensjahres
- entstanden und damit erdient beziehungsweise
„realisiert“ (vgl. Tiedchen in
Anzinger/Oser/Schlotter, Rechnungslegung und Prüfung der
Unternehmen, 7. Aufl., HGB § 249 Rz 144). Die Altersfreizeit
gilt vergangene Arbeitsleistung ab und ist dieser synallagmatisch
zweckgerichtet und zeitlich zuordenbar (vgl. dazu BFH-Urteile vom
05.04.2006 - I R 43/05, BFHE 213, 332, BStBl II 2006, 593 = SIS 06 25 27, unter II.4. [Rz 18]; vom 25.05.2016 - I R 17/15, BFHE 254,
228, BStBl II 2016, 930 = SIS 16 21 03, Rz 16). Dies gilt
jedenfalls bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise
(dazu BFH-Urteil vom 25.05.2016 - I R 17/15, BFHE 254, 228, BStBl
II 2016, 930 = SIS 16 21 03, Rz 23; Sievert in Prinz/Kanzler,
Handbuch Bilanzsteuerrecht, 4. Aufl., Rz 6203). Durch die
Anknüpfung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit handelt
sich bei der Altersfreizeit um ein Entgelt für während
dieser Zeit erbrachte Arbeitsleistungen sowie für die
Nichtausübung des Kündigungsrechts (BFH-Urteil vom
05.02.1987 - IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 = SIS 87 09 13, unter 1.c [Rz 19], zur Rückstellung für
Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums). Die
Arbeitnehmer haben dadurch eine Vorleistung erbracht. Hingegen muss
die Klägerin ihre Gegenleistung in Gestalt der Altersfreizeit
noch erbringen. Sie hat am Bilanzstichtag weniger geleistet, als
sie nach dem Arbeitsvertrag und den Bestimmungen des
Manteltarifvertrags zu leisten verpflichtet ist. Insofern befindet
sie sich in einem Erfüllungsrückstand. Die entsprechende
Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden
und bindet den BFH (§ 118 Abs. 2 FGO). Ein Verstoß gegen
Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze (vgl. BFH-Urteil
vom 05.09.2023 - IV R 24/20, BFHE 281, 374 = SIS 23 18 02, Rz 34)
ist nicht ersichtlich.
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bb) Der auf diese Weise entstandene
Erfüllungsrückstand wird sukzessive mit jedem
abgelaufenen Jahr der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer
aufgebaut (vgl. Lieb, BB 2022, 2994; Prinz, Unternehmensteuern und
Bilanzen - StuB - 2022, 11, 13; Oser/Wirtz, StuB 2023, 105, 106).
Denn die Arbeitnehmer erhalten zwei Arbeitstage Altersfreizeit
für jedes volle Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit (nach
Vollendung des 25. Lebensjahres). Werden die Voraussetzungen
für die Verpflichtung kontinuierlich aufgebaut, kommt es
für die Rückstellungsbildung nicht darauf an, ob der die
Verpflichtung auslösende Tatbestand im Wesentlichen bereits
vor dem Bilanzstichtag erfüllt ist. Vielmehr muss die
Rückstellung kontinuierlich gebildet werden (vgl. BFH-Urteil
vom 05.02.1987 - IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 = SIS 87 09 13, unter 1.c [Rz 20], zur Rückstellung für
Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums;
Oser/Wirtz, StuB 2023, 105, 106). Dementsprechend steht es der
Rückstellungsbildung hier nicht entgegen, wenn die
Mindestbetriebszugehörigkeit und/oder die Altersgrenze im
Hinblick auf einzelne Arbeitnehmer noch nicht erreicht sind.
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Vor diesem Hintergrund führt auch der
Einwand des FA, ein Arbeitnehmer, der seit 30 Jahren im Betrieb der
Klägerin arbeite, profitiere vor Vollendung des 60.
Lebensjahres nicht von der Altersfreizeit, wenn der Betrieb
eingestellt und das Arbeitsverhältnis beendet werde, nicht zu
einer anderen Beurteilung. Auf die zivilrechtliche Beurteilung
kommt es im Rahmen der anzustellenden wirtschaftlichen Betrachtung
nicht an. Im Übrigen hat die Klägerin in diesem
Zusammenhang zu Recht auf den Grundsatz der
Unternehmensfortführung (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB)
hingewiesen. Dieser gilt auch für die steuerliche
Gewinnermittlung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG), und zwar sowohl
für die Bewertung als auch für die Bilanzierung dem
Grunde nach (BFH-Urteil vom 27.06.2001 - I R 45/97, BFHE 196, 216,
BStBl II 2003, 121 = SIS 01 10 95, unter II.3.c [Rz 24], zur
Rückstellung für sogenannte Anpassungsverpflichtung;
Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 366; wohl
anders - ohne weitere Begründung - BFH-Urteil vom 05.04.2017 -
X R 30/15, BFHE 257, 403, BStBl II 2017, 900 = SIS 17 10 19, Rz 32,
zur Rückstellung für Zusatzbeiträge zur
Handwerkskammer; zustimmend BeckOK EStG/Meinert, 18. Ed.
[15.03.2024], EStG § 5 Rz 626; Meyering/Gröne in
Anzinger/Oser/Schlotter, Rechnungslegung und Prüfung der
Unternehmen, 7. Aufl., HGB § 252 Rz 78). Dementsprechend sind
alle Verpflichtungen, die bei der zum maßgebenden Stichtag
unterstellten unveränderten Fortführung des Betriebs mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erfüllen sein werden,
bilanziell zu berücksichtigen, wenn der Erfüllung keine
tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten entgegenstehen
(BFH-Urteil vom 27.06.2001 - I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II
2003, 121 = SIS 01 10 95, unter II.3.c [Rz 24]). Das ist hier nicht
der Fall.
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cc) Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Zusage einer Altersfreizeit mit der Zusage von Zuwendungen
aus Anlass eines Arbeitnehmer- oder Firmenjubiläums
(BFH-Urteile vom 05.02.1987 - IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II
1987, 845 = SIS 87 09 13; vom 29.11.2000 - I R 31/00, BFHE 194, 76,
BStBl II 2004, 41 = SIS 01 06 52) vergleichbar ist. In beiden
Fällen kommt es maßgebend auf die Dauer der
Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, so dass die
zukünftige Leistung des Arbeitgebers mit den in der
Vergangenheit erbrachten Diensten des Arbeitnehmers verknüpft
und auf Seiten des Arbeitgebers ein Erfüllungsrückstand
aufgebaut wird, der die Bildung einer Rückstellung
gebietet.
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dd) Insofern unterscheidet sich der Streitfall
von dem Sachverhalt, der dem Urteil des Niedersächsischen FG
vom 15.10.1987 - VI 59/85 zugrunde lag. Dort gewährte das
Unternehmen Arbeitnehmern nach Vollendung des 60. Lebensjahres und
unter der Voraussetzung einer mindestens zehnjährigen
Branchenzugehörigkeit eine
„Altersfreizeit“ (in Gestalt von 28
zusätzlichen Urlaubstagen pro Jahr). Das Niedersächsische
FG ging davon aus, dass eine Rückstellung weder unter dem
Gesichtspunkt eines drohenden Verlusts aus schwebenden
Geschäften noch unter dem der ungewissen Verbindlichkeit
gebildet werden könne. Einen Erfüllungsrückstand
verneinte es mit dem Argument, die zusätzliche Altersfreizeit
stelle kein Entgelt für eine in der Vergangenheit erbrachte
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers dar. Dabei verwies es
insbesondere auf die fehlende Abhängigkeit der Dauer des
zusätzlichen Urlaubs von der Dauer des
Beschäftigungsverhältnisses und die Anknüpfung an
die Branchenzugehörigkeit der Arbeitnehmer.
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In beiden Gesichtspunkten unterscheidet sich
der dem Urteil des Niedersächsischen FG zugrunde liegende
Sachverhalt vom Streitfall. Vorliegend hing die Anzahl der
Altersfreizeittage von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab.
Zudem stand die Altersfreizeit unter der Bedingung einer mindestens
zehnjährigen Zugehörigkeit zum Betrieb der Klägerin.
Damit bestand der erforderliche Konnex zwischen der Arbeitsleistung
des Arbeitnehmers und der Leistungspflicht des Arbeitsgebers
(Oser/Wirtz, StuB 2023, 105, 106). Bei der Altersfreizeit handelt
es sich um Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung.
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Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis des FA
auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.11.1995 - 9 AZR
799/94, wonach der Anspruch auf Altersfreizeit im Jahr der
Vollendung des 60. Lebensjahres für ein Jahr in voller
Höhe und nicht lediglich anteilig entsteht, nicht
zielführend. Diese Entscheidung betrifft den einheitlichen
Manteltarifvertrag für die Brauereien im Lande
Nordrhein-Westfalen vom 08./09.10.1990 und damit wiederum eine nur
an die Branchenzugehörigkeit gekoppelte Altersfreizeit.
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4. Die Rückstellung wegen ungewisser
Verbindlichkeiten in Gestalt eines Erfüllungsrückstands
wegen Altersfreizeit ist der Höhe nach unstreitig.
Insbesondere hat die Klägerin die gebotene Abzinsung der
Rückstellung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG) und den
nach der Rechtsprechung erforderlichen Fluktuationsabschlag
(BFH-Urteil vom 05.02.1987 - IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II
1987, 845 = SIS 87 09 13, unter 3.b [Rz 26]) berücksichtigt.
Der Senat sieht daher von weiteren Ausführungen zur Bewertung
der Rückstellung ab.
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5. Die Entscheidung ergeht nach § 121
Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der
Beteiligten ohne mündliche Verhandlung. Die Kostenentscheidung
folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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