Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Finanzgerichts München vom 27.04.2022 - 3 K 843/19
aufgehoben.
Die Umsatzsteuer wird unter Abänderung
des Umsatzsteuerbescheids des Beklagten vom 27.01.2022 um …
EUR auf … EUR herabgesetzt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, war als
Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert. Die Kunden der Klägerin
setzten in ihren Betrieben Chemikalien ein, die nach dem
betrieblichen Einsatz gefährliche Abfälle im Sinne des
Kreislaufwirtschaftsgesetzes in der im Jahr 2018 (Streitjahr)
geltenden Fassung (KrWG) darstellten und deren
ordnungsgemäße Entsorgung nachzuweisen war. Die
Klägerin nahm den Kunden die verunreinigten Chemikalien zum
Zwecke der Entsorgung nach dem in Anlage 2 des
Kreislaufwirtschaftsgesetzes aufgeführten Verwertungsverfahren
… ab. Dazu verpflichtete sie sich gegenüber den Kunden
und gab dies auch im Rahmen des Entsorgungsnachweises an. Die
Klägerin bewahrte die verunreinigten Chemikalien zunächst
in speziellen, nach den gesetzlichen Vorschriften ausgestatteten
Lagern auf. In diesen Lagern wurden die einzelnen verunreinigten
Chemikalien ihrer Art nach getrennt gesammelt und - sobald eine
Mindestmenge vorhanden war - der Aufbereitung im Rahmen eines
chemischen Prozesses zugeführt. Dabei löste die
Klägerin die Verunreinigungen aus den Chemikalien in ihren
Aufbereitungsanlagen heraus und entsorgte diese. Die gereinigten
Chemikalien veräußerte die Klägerin als
„Regenerat“, falls sie in
marktgängiger Qualität aufbereitet werden konnten. Es war
jedoch nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen des Reinigungsprozesses
kein ausreichend reines Regenerat gewonnen werden konnte. In diesem
Fall musste die Klägerin die weiterhin verunreinigten
Chemikalien auf eigene Kosten thermisch entsorgen lassen.
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Den Preis für die Entsorgung der
gefährlichen Abfälle bestimmte die Klägerin anhand
des Grades der Verunreinigung, der in ihrem Betrieb erst nach dem
Erhalt der verunreinigten Chemikalien durch eine Analyse
festgestellt wurde. Der Entsorgungspreis variierte außerdem
nach der Verwendungsart der Chemikalien im jeweiligen Betrieb des
Kunden, die ebenfalls auf den Umfang der Verunreinigung
schließen ließ.
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Nach Auffassung des Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) stellte die Entsorgung der
verunreinigten Chemikalien einen tauschähnlichen Umsatz dar.
Die Klägerin erhalte für ihre Entsorgungsleistung neben
dem vereinbarten Entsorgungspreis als Gegenleistung eine Lieferung.
Liefergegenstand seien die verunreinigten Chemikalien, die die
Klägerin von ihren Kunden erhalte. Daher erhöhe der Wert
der verunreinigten Chemikalien die Bemessungsgrundlage für die
von der Klägerin erbrachten Entsorgungsleistung.
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Gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldung
für April 2018, die einer Steuerfestsetzung unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand (§ 168 Satz 1 der
Abgabenordnung), legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein
und machte geltend, entgegen ihrer Rechtsauffassung bezüglich
der Chemikalienentsorgungen in der Voranmeldung tauschähnliche
Umsätze mit Baraufgabe zum Regelsteuersatz erklärt zu
haben. Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung als
unbegründet zurück.
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Nach Erhebung der Klage zum Finanzgericht
(FG) erließ das FA einen Umsatzsteuerjahresbescheid für
das Streitjahr, der nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens wurde. Die
Bemessungsgrundlage für die angenommenen Lieferungen der
verunreinigten Chemikalien setzte das FA im
Umsatzsteuerjahresbescheid 2018 auf Grundlage einer von der
Klägerin vorgenommenen Berechnung des Wertes der
verunreinigten Chemikalien an; daraus ergab sich eine
zusätzliche Steuerschuld in Höhe von …
EUR.
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Das FG wies die Klage ab. Der Wert der
verunreinigten Chemikalien zum Zeitpunkt der Übernahme
erhöhe im Rahmen tauschähnlicher Umsätze mit
Baraufgabe die Bemessungsgrundlage für die
Entsorgungsleistungen der Klägerin. Im Streitfall erbringe die
Klägerin im Bereich der Abfallentsorgung gegenüber ihren
Kunden entgeltliche sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 Satz 1
des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Die Kunden führten zudem mit
der Übergabe der verunreinigten Chemikalien Lieferungen an die
Klägerin aus, da es sich bei diesen Chemikalien um werthaltige
Abfälle handele. Werthaltiger Abfall sei gegeben, wenn nach
den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner der
überlassene Abfall im Zeitpunkt der Übergabe einen Wert
aufweise. Bei Vertragsschluss bestehe zwischen den Kunden und der
Klägerin zwar Einigkeit darüber, dass die
Barvergütung der hinreichende Gegenwert für die
vereinbarte Entsorgungsleistung sei; insbesondere richte sich das
überwiegende Kundeninteresse darauf, sich des
gefährlichen Abfalls ordnungsgemäß zu entledigen.
Die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin bestehe aber
neben der Abfallentsorgung auch im Recycling und
anschließendem Verkauf der wieder nutzbaren Chemikalien. Der
Preiskalkulation sei für den Kunden ersichtlich zu entnehmen,
dass die Klägerin die Entsorgungskosten für die in den
überlassenen Chemikalien enthaltenen Verschmutzungen umlege.
Zudem sei das Recycling für die Kunden erkennbar, da die
Klägerin mit ihrem umweltschonenden Konzept der nachhaltigen
Chemikalienrückgewinnung werbe. Die erst nach der
Übernahme erfolgte Feststellung der Werthaltigkeit der
verunreinigten Chemikalien sei den betriebsinternen Abläufen
der Klägerin geschuldet. Im Übrigen sei der Klägerin
aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in der Branche bekannt
gewesen, wie hoch der Anteil der zur Aufbereitung geeigneten
Chemikalien aus den empfangenen verunreinigten Chemikalien sei. Der
Wert des Abfalls werde nach der Preiskalkulation mit den nach
Verschmutzungsgrad gestaffelten Entsorgungspreisen auch Inhalt der
Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Sofern insoweit eine
übereinstimmende Vorstellung der Klägerin und ihrer
Kunden fehle, ergebe sich kein anderes Ergebnis, da eine
übereinstimmende Vorstellung weder ein Tatbestandsmerkmal des
Umsatzsteuergesetzes noch der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL) sei und auch der Gerichtshof der Europäischen
Union (EuGH) darauf abstelle, dass der Erwerber (hier: die
Klägerin) der Lieferung des Abfalls einen Wert beimesse, den
er bei der Festlegung des Preises, zu dem er die Erbringung seiner
Dienstleistung (Entsorgung) anbiete, berücksichtige. Die
betragsmäßige Festlegung des Wertes des
tauschähnlichen Umsatzes sei im Streitfall zwischen den
Beteiligten unstreitig und es seien keine Anhaltspunkte dafür
ersichtlich, dass dieser Ansatz wesentlich zu hoch oder zu niedrig
sei.
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Mit ihrer auf die Verletzung materiellen
Rechts gestützten Revision macht die Klägerin geltend,
die Entscheidung des EuGH, dass nicht der objektive (gemeine) Wert
des als Gegenleistung bezogenen Umsatzes, sondern dessen
subjektiver Wert aus der Sicht des leistenden Unternehmers als
Bemessungsgrundlage anzusetzen sei, sei zu Fällen ergangen, in
denen der objektive Wert mangels zuverlässig ermittelbaren
Marktwertes nicht oder nur schwer zu ermitteln gewesen sei. Es
handele sich insoweit um einzelfallbezogene
Rechtsausführungen. Auch die Finanzverwaltung gehe in Abschn.
10.5 Abs. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) davon aus,
dass nach der übereinstimmenden Vorstellung der
Vertragsparteien ein werthaltiger Abfall vorliegen müsse. Zum
maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe der verunreinigten
Chemikalien hätten diese aber keinen Verwendungszweck mehr
für den Kunden und könnten - auch von der Klägerin -
nicht (weiter)verkauft werden, sondern müssten der Entsorgung
zugeführt werden. Dies ergebe sich auch daraus, dass kein
Kunde der Klägerin mit Rechnung über die verunreinigten
Chemikalien abrechne. Die Werthaltigkeit bestimme sich zudem nicht
nach den einzelnen Inhaltsstoffen, entscheidend sei vielmehr der
Wert des Abfallgemischs. Aus den gestaffelten Entsorgungspreisen
könne nicht auf die Werthaltigkeit des Abfallgemischs
geschlossen werden. Die Staffelung spiegele die erhöhten
Entsorgungskosten bei höherem Verschmutzungsgrad wider. Der
eventuell vorhandene Wert trete erst nach der Aufbereitung in
Erscheinung. Insoweit unterscheide sich der Streitfall von dem
Sachverhalt im EuGH-Urteil A vom 10.01.2019 - C-410/17,
EU:C:2019:12 = SIS 19 00 12, in
dem der Abfall einen positiven Marktwert gehabt habe, unmittelbar -
gegebenenfalls nach Säubern und Sortieren des Materials -
hätte weiterverkauft werden können und direkt in den
Produktionsprozess - beispielsweise als Rohstoff - hätte
einfließen können. Es stelle sich die Frage, ob durch
das umweltschonende Konzept und der Werbung einer nachhaltigen
Chemikalienrückgewinnung automatisch auf eine Werthaltigkeit
im Zeitpunkt der Hingabe geschlossen werden könne. Dies
würde dazu führen, dass jeder Abfall, der in irgendeiner
Form wieder verarbeitet würde, werthaltig sei. Nicht zuletzt
ergäben sich in Bezug auf die Bemessungsgrundlage erhebliche
Schwierigkeiten der Wertermittlung.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG aufzuheben und die
Umsatzsteuerfestsetzung 2018 vom 27.01.2022 insoweit zu
ändern, als die Umsatzsteuer um … EUR niedriger
festgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Es hält die angefochtene Entscheidung
für zutreffend.
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II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage
stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Übernimmt
ein Unternehmer gefährlichen Abfall zum ausschließlichen
Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2
des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur
Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen, liegt lediglich
eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vor. Die
Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes kommt entgegen dem
Urteil des FG mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an
den Unternehmer nicht in Betracht. Hieran ändert sich auch
nichts dadurch, dass der Unternehmer einen möglichen Verkaufspreis von Stoffen, die
er durch die spätere Verwertung des gefährlichen Abfalls
gewinnen und wieder verkaufen kann, kalkulatorisch als
Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.
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1. Entgeltliche Leistungen sind steuerbar und
können auch in Form eines Tauschs oder tauschähnlichen
Umsatzes vorliegen.
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a) Steuerbar sind gemäß § 1
Abs. 1 Nr. 1 UStG die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein
Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens
ausführt. Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbarkeit sind
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL, wonach Lieferungen und
Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet
eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt, dem Anwendungsbereich
der Steuer unterliegen.
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Die sich hieraus ergebende Steuerbarkeit setzt
nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des
Bundesfinanzhofs (BFH) voraus, dass zwischen dem Unternehmer und
dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das
einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt
begründet, so dass das Entgelt als Gegenwert für die
Leistung anzusehen ist (z.B. EuGH-Urteil Meo - Serviços de
Comunicações e Multimédia vom 22.11.2018 -
C-295/17, EU:C:2018:942 = SIS 18 18 95, Rz 39; BFH-Beschluss vom 12.11.2020 - V R 22/19, BFHE
271, 279, BStBl II 2021, 544 = SIS 21 05 52, Rz 16).
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b) Besteht das Entgelt für eine Lieferung
in einer Lieferung, liegt gemäß § 3 Abs. 12 Satz 1
UStG ein Tausch vor. Besteht das Entgelt für eine sonstige
Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung, ist ein
tauschähnlicher Umsatz gegeben (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG).
Beim Tausch und beim tauschähnlichen Umsatz gilt
gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG der Wert jedes
Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz. Zwar fehlt es an
einer derartigen Regelung im Unionsrecht. Auch unionsrechtlich sind
aber Gegenleistungen in Form von Geldzahlungen und in Form von
Sachleistungen gleich zu behandeln, wobei es genügt, dass die
Gegenleistung in Geld ausgedrückt werden kann (EuGH-Urteile
Goldsmiths vom 03.07.1997 - C-330/95, EU:C:1997:339 = SIS 97 19 53, Rz 23; Orfey Balgaria vom
19.12.2012 - C-549/11, EU:C:2012:832 = SIS 13 07 76, Rz 35 und 44; A vom 10.01.2019 -
C-410/17, EU:C:2019:12 = SIS 19 00 12, Rz 35; vgl. auch EuGH-Urteil Mitteldeutsche
Hartstein-Industrie vom 16.09.2020 - C-528/19, EU:C:2020:712 =
SIS 20 12 33, Rz 44 f.). Daher
kann die Gegenleistung für eine Dienstleistung in einer
Lieferung bestehen und deren Bemessungsgrundlage im Sinne von Art.
73 MwStSystRL sein, wenn der - stets erforderliche - unmittelbare
Zusammenhang zwischen der Dienstleistung und der Lieferung besteht
und zudem der Wert der Lieferung in Geld ausgedrückt werden
kann (vgl. EuGH-Urteile Naturally Yours Cosmetics vom 23.11.1988 -
230/87, EU:C:1988:508, Rz 11, 12 und 16 und A vom 10.01.2019 -
C-410/17, EU:C:2019:12 = SIS 19 00 12, Rz 35 f.).
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Dementsprechend handelt es sich dann um einen
Tausch oder einen tauschähnlichen Umsatz, wenn sich zwei
entgeltliche Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
gegenüberstehen, die lediglich durch die Modalität der
Entgeltvereinbarung miteinander verknüpft sind (vgl.
BFH-Urteile vom 06.12.2007 - V R 42/06, BFHE 221, 74, BStBl II
2009, 493 = SIS 08 10 22, Rz 19; vom 15.04.2010 - V R 10/08, BFHE
229, 406, BStBl II 2010, 879 = SIS 10 18 85, Rz 23 und vom
11.07.2012 - XI R 11/11, BFHE 238, 560, BStBl II 2018, 146 = SIS 12 33 92, Rz 21). Auf dieser Grundlage handelt es sich nach § 3
Abs. 12 Satz 2 UStG auch dann um einen tauschähnlichen Umsatz,
wenn dieser als tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe mit
einer Barzahlung verbunden ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31.07.2008
- V R 74/05, BFH/NV 2009, 226 = SIS 09 03 06, unter II.2.a).
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2. Der tauschähnliche Umsatz mit
Baraufgabe setzt auf der vorstehenden Grundlage voraus, dass
sonstige Leistungen, wie sie von der Klägerin erbracht wurden,
nicht nur durch eine Geldzahlung, sondern zusätzlich durch
eine Lieferung oder sonstige Leistung vergütet werden. Hieran
fehlt es entgegen dem Urteil des FG. Die Kunden der Klägerin
haben unstreitig keine sonstigen Leistungen an die Klägerin
erbracht. Ebenso fehlt es an einer von den Kunden an die
Klägerin ausgeführten Lieferung, die als Entgelt für
die Entsorgungsleistung der Klägerin in Betracht kommen
könnte.
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a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG
Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein
Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten
befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu
verfügen. Unionsrechtliche Grundlage für diese
Verschaffung der Verfügungsmacht nach § 3 Abs. 1 UStG ist
Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL. Als Lieferung von Gegenständen gilt
danach die Übertragung der Befähigung, wie ein
Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu
verfügen.
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Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung
bezieht sich der Begriff „Lieferung von
Gegenständen“ nicht auf die
Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale
Recht vorgesehenen Formen, sondern erfasst jede Übertragung
eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die
andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch
so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer
(EuGH-Urteil Eon Aset Menidjmunt vom 16.02.2012 - C-118/11,
EU:C:2012:97 = SIS 12 04 44, Rz
39). Die Übertragung der Befähigung, wie ein
Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu
verfügen, beinhaltet, dass die Partei, auf die diese
Befähigung übertragen wird, die Möglichkeit hat,
Entscheidungen zu treffen, die sich auf die rechtliche Situation
des betreffenden Gegenstands auswirken, etwa die Entscheidung, den
Gegenstand zu verkaufen (EuGH-Urteil Herst vom 23.04.2020 -
C-401/18, EU:C:2020:295 = SIS 20 04 74, Rz 40). Das sich hieraus ergebende Erfordernis der
Verschaffung eigentümerähnlicher Verfügungsmacht
legt der BFH der Auslegung von § 3 Abs. 1 UStG zugrunde
(BFH-Urteile vom 25.11.2015 - V R 66/14, BFHE 251, 526, BStBl II
2020, 793 = SIS 16 01 13, Rz 16; vom 16.11.2016 - V R 35/16, BFH/NV
2017, 768 = SIS 17 08 09, Rz 14; vgl. auch BFH-Urteil vom
16.04.2008 - XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909 = SIS 08 25 75, unter II.2.a).
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b) Das FG ist vorliegend rechtsfehlerhaft
davon ausgegangen, dass die verunreinigten Chemikalien allein
deshalb geliefert worden seien, weil sie werthaltige Abfälle
darstellten und ihr Wert nach dem Inhalt der Vereinbarungen
zwischen den Beteiligten die Höhe des Entgelts der Entsorgung
bestimmt hätte. Vielmehr kam der Übergabe der
gefährlichen Abfälle an die Klägerin zur Entsorgung
keine eigenständige Bedeutung zu. Eine Lieferung sollte mit
der Übergabe der gefährlichen Abfälle nach dem
zwischen der Klägerin und ihren Kunden zugrunde liegenden
Rechtsverhältnis gerade nicht erfolgen.
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aa) Das FG hat verkannt, dass die Übergabe der
verunreinigten Chemikalien nur zum Zweck der Entsorgung nach dem
Verwertungsverfahren … entsprechend der Anlage 2 des
Kreislaufwirtschaftsgesetzes erfolgte und erfolgen musste.
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(1) Das der Leistungserbringung zugrunde
liegende Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem
Leistungsempfänger war ausschließlich auf die Erbringung
einer Entsorgungsleistung, nicht aber auch auf eine Lieferung an
die Klägerin gerichtet. Die Übergabe der gefährlichen
Abfälle - hier der verunreinigten Chemikalien - ausschließlich zum Zweck
der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des
Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur
Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen stellte
lediglich eine untergeordnete Handlung zum Erhalt der
Entsorgungsleistung dar, da sie notwendig war, um die
Entsorgungsleistung durchführen zu können. Eine
eigenständige Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG
(Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL) ist in der Übergabe des
gefährlichen Abfalls nach Maßgabe des zugrunde liegenden
Rechtsverhältnisses nicht zu sehen.
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(2) Die Kunden konnten die gefährlichen
Abfälle in ihrem Betrieb nicht mehr nutzen und waren deshalb
als Erzeuger und Besitzer der Abfälle verpflichtet, sich ihrer
zu entledigen sowie sie ordnungsgemäß zu verwerten
(§ 7 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 4, Abs. 8 Nr. 1 und
Abs. 9 KrWG). Zudem hatte die - nach dem Stand der Technik
mögliche - Verwertung nach dem Verwertungsverfahren …
Vorrang vor der Beseitigung durch Verbrennung der gefährlichen
Abfälle (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2,
3 und 5 KrWG). Mit der danach zwingenden Verwertung nach dem
Verwertungsverfahren … durften die Kunden gemäß
§ 22 Satz 1 KrWG Dritte beauftragen. Ihre Verantwortung
für die ordnungsgemäße Verwertung blieb - entgegen
der auch insoweit unzutreffenden Annahme des FG - nach § 22
Satz 2 KrWG jedoch von der Beauftragung unberührt und solange
bestehen, bis die Entsorgung endgültig und
ordnungsgemäß abgeschlossen war.
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(3) Die Klägerin als zertifizierter
Entsorgungsfachbetrieb schuldete somit einen Leistungserfolg im
Sinne eines Werkvertrages (§ 631 Abs. 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs) und erhielt die gefährlichen Abfälle gerade
nicht zur freien Verfügung. Denn solange die Entsorgung nicht
ordnungsgemäß durchgeführt war, blieben die Kunden
zur ordnungsgemäßen Entsorgung der gefährlichen
Abfälle verpflichtet. Ausschließlich von dieser
Verpflichtung wollten sich die Kunden befreien und
ausschließlich zur Erreichung dieses Zweckes übergaben
sie die gefährlichen Abfälle der Klägerin. Ohne die
Übergabe der gefährlichen Abfälle hätte die
Klägerin den geschuldeten Leistungserfolg nicht
herbeiführen können, so dass der Übergabe nach dem
Willen der Beteiligten keine eigenständige Bedeutung
zukam.
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(4) Daran änderte auch die von der
Klägerin vor der Aufbereitung vorgenommene Vermischung mit
gefährlichen Abfällen gleicher Art nichts (§ 3 Abs.
8, § 9 KrWG). Durch diese Vermischung wurden nicht etwa andere
Abfälle erzeugt, was zum Erlöschen der Entsorgungspflicht
der Kunden geführt hätte. Denn die Mischung bewirkte
keine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung der
Abfälle (vgl. § 9 Abs. 1 und 2 KrWG …; Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 28.06.2007 - 7 C 5.07,
BVerwGE 129, 93, Rz 22 und BVerwG-Beschluss vom 14.04.2014 - 7 B
26.13, Die Öffentliche Verwaltung 2014, 761, Rz 10).
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(5) Gegen die Annahme einer Lieferung der
gefährlichen Abfälle spricht zudem, dass es sich bei den
gefährlichen Abfällen des Streitfalls nicht um
marktfähige Handelsware handelt. Dies gilt jedenfalls dann,
wenn die gefährlichen Abfälle - wie im vorliegenden Fall
- nur nach dem Verwertungsverfahren … entsorgt werden
dürfen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1,
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 und 5, § 3 Abs. 23 Satz 2 KrWG). Ein
Handel mit diesen Abfällen ist aufgrund der gegenüber den
entsorgungspflichtigen Kunden und der nach dem
Kreislaufwirtschaftsgesetz bestehenden Verpflichtung, die
Abfälle zu entsorgen, nicht möglich und zieht
strafrechtliche Konsequenzen nach sich (§ 326 Abs. 1 des
Strafgesetzbuches).
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bb) Die Annahme des FG, die Klägerin habe
den verunreinigten Chemikalien einen „gewissen
Wert“ beigemessen, weil sie daraus - nach
einer Bearbeitung - verkaufsfähige, gereinigte Chemikalien
hergestellt und die verunreinigten Chemikalienreste als Rohstoff
für die weitere Verarbeitung benötigt habe, rechtfertigt
es nicht, eine Lieferung der gefährlichen Abfälle
anzunehmen. Der für eine steuerbare Lieferung erforderliche
unmittelbare Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt kann nur
durch ein auf eine Lieferung gerichtetes Rechtsverhältnis
begründet werden, das im Streitfall gerade nicht vorliegt. Die
Klägerin hat den
möglichen Verkaufspreis der gereinigten Chemikalien lediglich
im Rahmen ihrer eigenen Kalkulation als Preisnachlass zugunsten der
Kunden berücksichtigt.
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Im Übrigen richtet sich auch nach
Auffassung der Finanzverwaltung der Wert der übernommenen
Abfälle nicht nach den einzelnen Inhaltsstoffen des Abfalls.
Vielmehr muss dem Abfall als solchem im Zeitpunkt der
Überlassung ein Wert zukommen, so dass spätere
Bearbeitungsschritte durch den Entsorger, zu denen auch die
„Aufbereitung“ gehört, bei der
Wertermittlung außer Betracht zu lassen sind (vgl. Abschn.
3.16 Abs. 7 Satz 4 bis 6 UStAE).
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cc) Die Kunden der Klägerin haben auch
nicht an die Klägerin gereinigte Chemikalien geliefert. Denn
die Herstellung der gereinigten Chemikalien erfolgte allein durch
die Klägerin, da sie die Entsorgung in Form der chemischen
Aufbereitung auf ihr eigenes wirtschaftliches Risiko
durchführte. So hat sie die Risiken für die Lagerung der
verunreinigten Chemikalien sowie für die Durchführung der
chemischen Prozesse selbst getragen. Weiter war es nach den
Feststellungen des FG nicht ausgeschlossen, dass keine
verkäuflichen Chemikalien bei der Aufbereitung gewonnen werden
konnten. Zudem ist erst nach erfolgreicher Aufbereitung die
Abfalleigenschaft der übergebenen Chemikalien entfallen
(§ 5 Abs. 1 KrWG) und ein für die Klägerin
verkäufliches Wirtschaftsgut neu entstanden. Allein der
Umstand, dass die Klägerin die gefährlichen Abfälle
für die Kunden ordnungsgemäß entsorgt hat,
führt somit nicht dazu, dass der Herstellungsprozess und damit
die Gewinnung (wieder-)verkäuflicher Wirtschaftsgüter den
Kunden zuzurechnen war. Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses des
Verwertungsverfahrens ist schließlich unerheblich, dass die
Kunden bis zum endgültigen Abschluss der
ordnungsgemäßen Entsorgung gesetzlich weiterhin selbst
zur ordnungsgemäßen Entsorgung verpflichtet waren
(§ 22 Satz 2 KrWG).
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3. Es besteht kein Widerspruch zur bisherigen
Rechtsprechung.
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a) Entgegen der Auffassung des FG ist das
EuGH-Urteil A vom 10.01.2019 - C-410/17, EU:C:2019:12 =
SIS 19 00 12 für den
Streitfall ohne Bedeutung. Das Urteil betrifft zwei
Fallgestaltungen, bei denen ein Abbruchunternehmer
Entsorgungsdienstleistungen erbringt (zum einen Abbrucharbeiten,
Abtransport und sachgerechte Verwertung und zum anderen Demontage-
und Entsorgungsarbeiten), wobei er im ersten Fall von seinem Kunden
Metallschrott erwirbt, der im Abbruchabfall enthalten ist,
während er im zweiten Fall verschiedenes Mobiliar erwirbt
(EuGH-Urteil A vom 10.01.2019 - C-410/17, EU:C:2019:12 =
SIS 19 00 12, Rz 15, 16 und 32,
zur ersten Fallgestaltung und Rz 17, 18 und 50 zur zweiten
Fallgestaltung).
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32
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Dass sich für beide Fallgestaltungen ein
tauschähnlicher Umsatz ergibt (EuGH-Urteil A vom 10.01.2019 -
C-410/17, EU:C:2019:12 = SIS 19 00 12, Rz 48 und Rz 60), so dass Metallschrott und Mobiliar
jeweils als Gegenleistung für die Entsorgungsdienstleistung
anzusehen sind, ist vorliegend unerheblich. Denn die Klägerin
hat im Gegensatz hierzu an den verunreinigten Chemikalien nach
Maßgabe des zwischen ihr und ihren Kunden zugrunde liegenden
Rechtsverhältnisses keine eigentümerähnliche
Verfügungsmacht erlangt, so dass es an einer
diesbezüglichen Lieferung an die Klägerin fehlt. Vielmehr
sind der Klägerin die verunreinigten Chemikalien mit der
ausdrücklichen Zweckbindung überlassen worden, diese
entsprechend den gesetzlichen Regelungen für gefährliche
Abfälle ordnungsgemäß zu entsorgen, so dass der
Übergabe der gefährlichen Abfälle an die
Klägerin keine eigenständige Bedeutung zukam (s. oben
II.2.b aa). Alle weiteren Tätigkeiten wie die Herstellung
gereinigter und damit frei verwendbarer und somit
wiederverkäuflicher Chemikalien erfolgten auf ihr eigenes
wirtschaftliches Risiko (s. oben II.2.b cc). Ausschließlicher
Zweck der Übergabe war es somit, dass die Kunden sich der -
für sie nicht mehr nutzbaren - gefährlichen Abfälle
entledigen und ihrer eigenen gesetzlichen Entsorgungspflicht
nachkommen wollten. Dazu bedienten sich die Kunden der
Klägerin als zertifiziertem Entsorgungsfachbetrieb.
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b) Auch der Rechtsprechung des BFH zu der
Frage, ob im Rahmen von Polierarbeiten die Überlassung von
beim Polieren anfallenden Materialabfall (BFH-Urteil vom 15.12.1988
- V R 24/84, BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252 = SIS 89 06 30)
sowie im Rahmen von Metallarbeiten, für die der Auftraggeber
das Material stellt, die Überlassung des nach Ausführung
des Auftrags verbleibenden Metallschrotts (BFH-Urteil vom
11.02.1960 - V 98/58 U, BFHE 70, 399, BStBl III 1960, 149 = SIS 60 00 85) als Lieferungen des Auftraggebers an den Auftragnehmer
anzusehen sind und damit zusätzliches Entgelt für die
Leistung des Auftragnehmers darstellen, ist nichts Abweichendes zu
entnehmen. Denn auch in diesen Fällen führt der
Auftragnehmer eine Dienstleistung aus und erhält
zusätzlich die Verfügungsmacht an den frei
verkäuflichen, werthaltigen Metallabfällen.
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4. Die Sache ist spruchreif. Das FG hat
rechtsfehlerhaft die Bemessungsgrundlage für die von der
Klägerin durch die Entsorgung gefährlicher Abfälle
im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes erbrachten sonstigen
Leistungen um einen Wert für die gefährlichen
Abfälle erhöht. Liegen aber keine Lieferungen an die
Klägerin vor, ist das Urteil des FG aufzuheben und der Klage
stattzugeben.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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