Auf die Revision der Klägerin werden das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 20.10.2017 - 4 K
1955/16 VZr und der Bescheid vom 28.01.2016 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13.06.2016 aufgehoben.
Für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 werden
zugunsten der Klägerin zu erstattende Produktionsabgaben in
Höhe von … EUR festgesetzt.
Weiterhin werden zugunsten der Klägerin
nach § 238 der Abgabenordnung zu berechnende Zinsen auf den
Erstattungsbetrag von … EUR für den Zeitraum von dessen
Zahlung bis zu dessen Erstattung festgesetzt.
Die Berechnung der Zinsen wird dem Beklagten
übertragen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Hauptzollamt - HZA - ) setzte gegen die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) mit Bescheid vom 25.11.2002
auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1837/2002 der Kommission
vom 15.10.2002 zur Festsetzung der Produktionsabgaben sowie des
Koeffizienten der Ergänzungsabgabe im Zuckersektor für
das Wirtschaftsjahr 2001/02 - VO 1837/2002 - (Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 2002, Nr. L 278, 13)
für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung eine Produktionsabgabe für A- und B-Zucker in
Höhe von … EUR, eine Produktionsabgabe für
B-Zucker in Höhe von … EUR und eine
Ergänzungsabgabe in Höhe von … EUR (insgesamt
… EUR) fest. Die beantragte Änderung der Festsetzung
der Produktionsabgaben lehnte das HZA mit Bescheid vom 27.01.2010
ab.
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Mit Schreiben vom 15.12.2014 beantragte die
Klägerin beim HZA erneut, die Festsetzung der
Produktionsabgaben für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 zu
ändern und ihr eine Produktionsabgabe in Höhe von
… EUR zu erstatten und für diesen Betrag 0,5 % Zinsen
pro Monat seit dem Zeitpunkt der Zahlung des zu hohen
Abgabenbetrags festzusetzen. Zur Begründung verwies sie auf
die Verordnung (EU) Nr. 1360/2013 des Rates vom 02.12.2013 zur
Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für die
Wirtschaftsjahre 2001/2002, 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und
2005/2006, des Koeffizienten für die Berechnung der
Ergänzungsabgabe für die Wirtschaftsjahre 2001/2002 und
2004/2005 und der Beträge, die die Zuckerhersteller den
Zuckerrübenverkäufern für die Differenz zwischen dem
Höchstbetrag der Abgaben und dem Betrag dieser für die
Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004 und 2005/2006 zu erhebenden
Abgaben zu zahlen haben - VO 1360/2013 - (Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2013, Nr. L 343, 2). Diesen
Antrag lehnte das HZA mit Bescheid vom 28.01.2016 unter Hinweis auf
die Bestandskraft der Festsetzung der Produktionsabgaben ab. Das
Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
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3
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Das Finanzgericht urteilte, die
Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der
Produktionsabgaben, weil diesem die bestandskräftige
Festsetzung der Abgaben mit Bescheid vom 25.11.2002 entgegenstehe.
Die rückwirkende Festsetzung eines geringeren Koeffizienten
habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf einen ergangenen
Abgabenbescheid. Die VO 1360/2013 enthalte keine Vorschriften
für die Änderung ergangener Abgabenbescheide, diese
richte sich vielmehr nach einzelstaatlichem Recht. Dass die
einzelstaatlich geregelte Bestandskraft eines Abgabenbescheids
einem Erstattungsanspruch entgegenstehe, stelle keinen
Verstoß gegen den unionsrechtlichen
Effektivitätsgrundsatz dar, weil die Klägerin nach
einzelstaatlichem Recht die Möglichkeit gehabt habe, einen
Rechtsbehelf gegen den Abgabenbescheid vom 25.11.2002 und den
Bescheid vom 27.01.2010 einzulegen. Die Klägerin könne
auch keine Änderung der Abgabenfestsetzung auf der Grundlage
von Vorschriften der Abgabenordnung in der im Streitfall
maßgeblichen Fassung (AO) erreichen, weil der Vorbehalt der
Nachprüfung mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist entfallen
sei. Da die Klägerin keine Erstattung von Produktionsabgaben
beanspruchen könne, bedürfe es keiner Entscheidung
über die von ihr begehrten Zinsen.
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Die Klägerin begründet ihre
Revision mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen
Union (EuGH) Cargill Deutschland vom 19.12.2019 - C-360/18,
EU:C:2019:1124 = SIS 20 01 52, in
dem der EuGH den unionsrechtlichen Anspruch der Zuckerhersteller
auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Produktionsabgaben
bestätigt habe. Der Grundsatz der Effektivität erlaube es
dem HZA nicht, sich auf nationale Verjährungsfristen und auf
die Bestandskraft des Bescheids vom 25.11.2002 zu berufen. Denn
erst aus der am 19.12.2013 in Kraft getretenen VO 1360/2013 habe
der Teil der Produktionsabgaben entnommen werden können, der
zu Unrecht festgesetzt worden sei. Das HZA verkenne den Wortlaut,
den Inhalt und den Zweck des Art. 2 VO 1360/2013 i.V.m. Art. 2 Abs.
2 Unterabs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 des Rates
vom 22.05.2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG,
Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften -
VO 1150/2000 - (ABlEG 2000, Nr. L 130, 1), bei denen es
ausschließlich um die Rechtsbeziehungen zwischen der
Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten bei der Feststellung von
Eigenmitteln, also um verwaltungsinterne Vorgänge, gehe. In
seiner Entscheidung Cargill Deutschland vom 19.12.2019 - C-360/18,
EU:C:2019:1124 = SIS 20 01 52 habe
sich der EuGH nicht zu der Frage geäußert, innerhalb
welcher Frist Erstattungsanträge gestellt werden müssten.
Aus Art. 2 VO 1360/2013 ergebe sich nicht klar und bestimmt, dass
sie eine unionsrechtliche zeitliche Beschränkung für die
Erstattung von Produktionsabgaben beinhalte. Im Übrigen
enthalte die Verordnung (EU) 2018/264 des Rates vom 19.02.2018 zur
Festsetzung der Produktionsabgaben sowie des
Berechnungskoeffizienten für die Ergänzungsabgabe im
Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 1999/2000 und zur
Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das
Wirtschaftsjahr 2000/2001 - VO 2018/264 - (ABlEU 2018, Nr. L 51, 1)
einen unionsrechtlichen Erstattungsanspruch.
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Die Vorschriften der Abgabenordnung seien
unter Berücksichtigung der Grundsätze der Äquivalenz
und der Effektivität anzuwenden. Die Klägerin habe ihr
Recht auf Erstattung erst ab dem 20.12.2013 ausüben
können und sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, gegen den
Festsetzungsbescheid für das Wirtschaftsjahr 2001/2002
Einspruch einzulegen. Der Erstattungsanspruch gemäß
§ 37 Abs. 2 AO dürfe daher nicht von einer Aufhebung oder
Änderung des ursprünglichen Bescheids vom 25.11.2002
abhängig gemacht werden. Die Geltendmachung des
unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs sei nicht befristet.
Außerdem mache sie einen Zinsanspruch aus § 12 des
Marktorganisationsgesetzes - MOG - (i.d.F. vom 29.10.2001, BGBl I
2001, 2785) i.V.m. § 238 AO geltend, wobei die Verzinsung mit
der zu Unrecht erfolgten Zahlung beginne. Der Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14,
1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23) gelte nur für
Verspätungszinsen im Sinne von § 233a AO und nicht auch
für Marktordnungszinsen.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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das HZA unter Aufhebung der Vorentscheidung
und des Bescheids vom 28.01.2016 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13.06.2016 zu verpflichten, ihr für
das Wirtschaftsjahr 2001/2002 Produktionsabgaben in Höhe von
… EUR zu erstatten, und für diesen Erstattungsbetrag
Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat ab dem Zeitpunkt der
Zahlung bis zu dessen Erstattung festzusetzen.
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Das HZA beantragt
sinngemäß,
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die Revision zurückzuweisen.
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Die der EuGH-Entscheidung Cargill
Deutschland vom 19.12.2019 - C-360/18, EU:C:2019:1124 =
SIS 20 01 52 zugrunde liegende
Fallkonstellation unterscheide sich insoweit von dem vorliegenden
Streitfall, als über die grundsätzliche Anwendbarkeit der
VO 1360/2013 hinaus hier die Frage zu klären sei, inwieweit
der mit Datum vom 15.12.2014 gestellte Antrag auf Erstattung der
überzahlten Produktionsabgaben in der Form eines Antrags auf
Änderung eines Abgabenbescheids durch die Klägerin
verspätet eingereicht worden sei.
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Soweit sich die Klägerin auf andere
Erstattungsverfahren berufe, bei denen die Erstattung gewährt
worden sei, seien in diesen Fällen die Festsetzungsfristen
aufgrund eingelegter Rechtsbehelfe nicht abgelaufen gewesen. Die
Klägerin habe nach Inkrafttreten der VO 1360/2013 mehr als
neun Monate Zeit gehabt, rechtzeitig eine Änderung des
Abgabenbescheids geltend zu machen. Im Zusammenhang mit der
Feststellung der Eigenmittel komme es nach seiner Auffassung auf
die Bestimmung des Zeitpunkts der Feststellung an.
„Feststellung der Eigenmittel“ im Sinne
von Art. 2 Abs. 2 VO 1150/2000 bedeute, dass diese Beträge
buchmäßig erfasst, nicht aber erhoben sein müssten.
Der Verordnungsgeber habe somit einen genauen Zeitraum festgelegt,
innerhalb dessen das Verfahren zur Erstattung der zu viel gezahlten
Produktionsabgaben begonnen und zumindest im Hinblick auf die
buchmäßige Erfassung der Erstattungsbeträge auch
abgeschlossen sein sollte. Wenn der in der VO 1360/2013 als
spätester Zeitpunkt festgelegte 30.09.2014 nicht als das Ende
einer angemessenen Frist für die Geltendmachung der
Ansprüche durch den Zuckerhersteller betrachtet werden sollte,
entstünde im Ergebnis die Diskrepanz, dass einerseits der
Zuckerhersteller Ansprüche noch nach dem 30.09.2014 geltend
machen könnte, es andererseits für die Mitgliedstaaten
aber nicht zulässig wäre, die Feststellung der Abgaben
noch nach diesem Zeitpunkt vorzunehmen. Die VO 1360/2013 enthalte
darüber hinaus keine Verfahrensvorschriften, sodass insoweit
nationales Recht gelte. Ein Zinsanspruch stehe der Klägerin
ebenfalls nicht zu.
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Mit Beschluss vom 01.06.2022 - VII R 48/20
(BFHE 276, 480 = SIS 22 18 05) hat der erkennende Senat das
Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Vorabentscheidung ersucht.
Dieser hat das Vorabentscheidungsersuchen mit Urteil I (Erstattung
von Abgaben) vom 14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 =
SIS 24 02 25 wie folgt
beantwortet:
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„1. Art. 2 der Verordnung (EU) Nr.
1360/2013 des Rates vom 2.12.2013 zur Festsetzung der
Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre
2001/2002, 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006, des
Koeffizienten für die Berechnung der Ergänzungsabgabe
für die Wirtschaftsjahre 2001/2002 und 2004/2005 und der
Beträge, die die Zuckerhersteller den
Zuckerrübenverkäufern für die Differenz zwischen dem
Höchstbetrag der Abgaben und dem Betrag dieser für die
Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004 und 2005/2006 zu erhebenden
Abgaben zu zahlen haben,
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ist dahin auszulegen, dass
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er nicht verlangt, dass die Frist für
die Einreichung eines auf diese Verordnung gestützten Antrags
auf Erstattung von zu Unrecht als Produktionsabgaben im
Zuckersektor gezahlten Beträgen spätestens zum Zeitpunkt
der Feststellung dieser Abgaben, nämlich am 30.9.2014, endet.
Es obliegt den Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht unter
Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der
Effektivität die anwendbare Frist festzulegen, wobei eine
Frist von einem Jahr an sich nicht unangemessen erscheint,
vorausgesetzt allerdings, dass sie frühestens mit
Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1360/2013 zu laufen
beginnt.
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2. Die Verordnung Nr. 1360/2013
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ist dahin auszulegen, dass
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sie nationalen Vorschriften entgegensteht,
die es den zuständigen nationalen Behörden erlauben,
einen auf diese Verordnung gestützten Antrag auf Erstattung
von zu Unrecht als Produktionsabgaben im Zuckersektor gezahlten
Beträgen abzulehnen, indem sie sich auf die Bestandskraft der
nationalen Entscheidungen berufen, mit denen die Höhe dieser
Abgaben vor Erlass dieser Verordnung in Anwendung mehrerer
Verordnungen der Europäischen Kommission festgesetzt wurde,
die rückwirkend durch diese Verordnung ersetzt
wurden.“
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Anknüpfend hieran trägt die
Klägerin weiter vor, dass der Koeffizient für die
Ergänzungsabgabe für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 mit
der VO 1360/2013 habe berichtigt werden sollen. Aus Gründen
der praktischen Wirksamkeit dieser Verordnung müssten die
Zuckerhersteller diese Erstattung tatsächlich erhalten
können. Die Klägerin habe ihren Erstattungsantrag
innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten der VO 1360/2013
gestellt. Die Antragsfrist sei nicht am 30.09.2014 ausgelaufen,
weil dieser Zeitpunkt nur die Mitgliedstaaten verpflichte, die von
den Abgabenpflichtigen als neue Produktionsabgaben im Zuckersektor
geschuldeten Beträge festzustellen und diese dem
Eigenmittelkonto der Union gutzuschreiben. Frühere
Entscheidungen zur Abgabenfestsetzung seien nicht zu
überprüfen, zu berichtigen oder für nichtig zu
erklären, weshalb die Fristen gemäß § 169 Abs.
1 und 2 sowie § 170 AO nicht zu beachten seien. § 218
Abs. 1 AO sei durch die VO 1360/2013 überlagert worden. Der
Zinssatz bezüglich eines unionsrechtlichen Anspruchs auf
Erstattung zu Unrecht erhobener Produktionsabgaben richte sich nach
§ 12 Abs. 1 MOG i.V.m. § 238 Abs. 1 AO.
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12
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Das HZA erwidert, eine Auslegung der
nationalen Regelungen der §§ 169 ff. AO dürfe nicht
dazu führen, dass im Streitfall keine
Festsetzungsverjährung eintreten könne, da dies mit dem
Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar wäre. Der
Ablauf der Festsetzungsfrist wäre solange gehemmt gewesen, bis
die Stellung eines Erstattungsantrags bei objektiver Betrachtung
nicht übermäßig erschwert gewesen wäre. Ein
Zeitraum von sechs bis neun Monaten ab Inkrafttreten der VO
1360/2013 sei ausreichend und angemessen. Dafür spreche auch
der in Art. 2 VO 1360/2013 genannte Zeitpunkt, der
30.09.2014.
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II. Die Revision ist begründet und
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs.
1 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung
von Produktionsabgaben in Höhe von … EUR für das
Wirtschaftsjahr 2001/2002 und auf Verzinsung des Erstattungsbetrags
in Höhe von 0,5 % pro Monat für den Zeitraum von der
Zahlung der zu Unrecht erhobenen Produktionsabgaben bis zu deren
Erstattung.
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1. Der Erstattungsanspruch der Klägerin
ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht.
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a) Mit der VO 1837/2002 wurden die
Produktionsabgaben im Zuckersektor (Art. 1) und der in Art. 16 Abs.
2 der Verordnung (EG) Nr. 1260/2001 des Rates vom 19.06.2001
über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABlEG
2001, Nr. L 178, 1) vorgesehene Koeffizient (Art. 2 VO 1837/2002)
für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 festgesetzt. Der Koeffizient
betrug 0,08319. Während die Produktionsabgaben im Zuckersektor
für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 unverändert blieben,
wurde der Koeffizient mit der VO 1360/2013 geändert und
für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 mit Wirkung vom 16.10.2002
auf 0,01839 herabgesetzt (vgl. Nr. 2 Anh. VO 1360/2013).
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Anlass zu dieser nachträglichen
Änderung gaben die EuGH-Entscheidungen Zuckerfabrik
Jülich u.a. vom 08.05.2008 - C-5/06, C-23/06 bis C-36/06,
EU:C:2008:260 = SIS 08 25 47,
SAFBA vom 06.10.2008 - C-175/07 bis C-184/07 (ABlEU 2008, Nr. C
313, 10), Société Roquette Frères vom
06.10.2008 - C-466/06 (ABlEU 2008, Nr. C 327, 6), Raffinerie
Tirlemontoise vom 06.10.2008 - C-200/06 (ABlEU 2008 Nr. C 313, 9)
und Zuckerfabrik Jülich u.a. vom 27.09.2012 - C-113/10,
C-147/10, C-234/10, EU:C:2012:591 = SIS 14 04 37 sowie die Entscheidung des Gerichts der
Europäischen Union Polen/Kommission vom 29.09.2011 - T-4/06,
EU:T:2011:546. Aus den Erwägungsgründen 12 und 13 der VO
1360/2013 ergibt sich weiter, dass die Berichtigungen als
erforderlich angesehen wurden, weil dieselbe Methode, die der EuGH
für ungültig erklärt hatte, zur Berechnung der
Abgaben für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 verwendet worden
war, und die berichtigten Abgaben ab denselben Zeitpunkten gelten
sollten wie die für ungültig erklärten Abgaben.
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b) Die VO 1360/2013 enthält keine
ausdrückliche Regelung für einen Anspruch auf Erstattung
oder auf Änderung einer bereits erfolgten Festsetzung von
Produktionsabgaben.
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Zwar erfolgte die Änderung des zur
Berechnung der Ergänzungsabgabe erforderlichen Koeffizienten
für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 mit Wirkung vom 16.10.2002
(Art. 3 VO 1360/2013) und galt wegen Art. 288 Unterabs. 2 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
verbindlich und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Daraus
lässt sich jedoch kein unionsrechtlicher Anspruch auf
Neufestsetzung der Abgaben oder auf Auszahlung zu Unrecht erhobener
Beträge ableiten. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, in
welchen Fällen oder unter welchen verfahrensrechtlichen
Voraussetzungen eine rückwirkende Korrektur durchzuführen
wäre.
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Dass eine rückwirkende Änderung des
Koeffizienten nicht automatisch einen Erstattungsanspruch
begründet, lässt sich auch aus der VO 2018/264
schließen. Denn in diesem Fall hatte der Verordnungsgeber
einen Erstattungsanspruch ausdrücklich geregelt (vgl. Art. 2
Abs. 2 VO 2018/264), was entbehrlich gewesen wäre, wenn sich
dieser bereits allein aus der Änderung des Koeffizienten
ergäbe.
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c) Ein Erstattungsanspruch ergibt sich jedoch
unmittelbar aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den
EuGH.
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Mit seinem Urteil I (Erstattung von Abgaben)
vom 14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 = SIS 24 02 25, Rz 33 ff. und 55 hat der EuGH
entschieden, dass die VO 1360/2013 erlassen wurde, um dem
EuGH-Urteil Zuckerfabrik Jülich u.a. vom 27.09.2012 -
C-113/10, C-147/10 und C-234/10, EU:C:2012:591 = SIS 14 04 37 nachzukommen, und diese
Verordnung daher die aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch
den EuGH hergeleiteten Ansprüche der Zuckerhersteller auf
Erstattung der Beträge umsetzt, die sie zu Unrecht als
Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre
2001/2002 bis 2005/2006 gezahlt haben. Das Recht auf Erstattung von
Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das
Unionsrecht erhoben hat, stellt eine Folge und eine Ergänzung
der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner
Auslegung durch den EuGH erwachsen (EuGH-Urteil Cargill Deutschland
vom 19.12.2019 - C-360/18, EU:C:2019:1124 = SIS 20 01 52, Rz 39, m.w.N.).
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22
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Der Erstattungsanspruch kann erst ab dem
Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO 1360/2013, das heißt dem
20.12.2013, geltend gemacht werden (EuGH-Urteile I (Erstattung von
Abgaben) vom 14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 = SIS 24 02 25, Rz 35 und 45 und Cargill
Deutschland vom 19.12.2019 - C-360/18, EU:C:2019:1124 =
SIS 20 01 52, Rz 39).
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23
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Wie der EuGH weiter geurteilt hat, ist der in
Art. 2 VO 1360/2013 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 1150/2000
festgelegte Zeitpunkt, das heißt der 30.09.2014, der
Zeitpunkt, zu dem die Mitgliedstaaten grundsätzlich die von
den Abgabepflichtigen als neue Produktionsabgaben im Zuckersektor
geschuldeten Beträge feststellen und diese Beträge dem
Eigenmittelkonto der Union gutschreiben mussten, und nicht der
Zeitpunkt, zu dem die Zuckererzeuger ihren Antrag auf Erstattung zu
Unrecht gezahlter Beträge zu stellen hatten (EuGH-Urteil I
(Erstattung von Abgaben) vom 14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 =
SIS 24 02 25, Rz 37). Art. 2 VO
1360/2013 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 1150/2000 betrifft
somit nur das Verhältnis der Mitgliedstaaten gegenüber
der Europäischen Kommission und beinhaltet keine Frist zur
Stellung des Antrags auf Erstattung zu viel gezahlter
Produktionsabgaben.
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Außerdem hat der EuGH in seinem Urteil I
(Erstattung von Abgaben) vom 14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 =
SIS 24 02 25 klargestellt, dass
die nationalen Behörden nicht verpflichtet sind, nationale
Abgabenbescheide zu überprüfen, zu berichtigen oder
für nichtig zu erklären (Rz 40 und 55). Die Bestandskraft
der Abgabenbescheide darf aber dem Erstattungsanspruch nicht
entgegenstehen (Rz 52 und 55).
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25
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d) Das Verfahren zur Umsetzung des
Erstattungsanspruchs ist unionsrechtlich nicht geregelt und richtet
sich nach § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. den Vorschriften der
Abgabenordnung unter Berücksichtigung der Grundsätze der
Äquivalenz und der Effektivität.
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26
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aa) In diesem Zusammenhang hat der EuGH in
seinem Urteil I (Erstattung von Abgaben) vom 14.12.2023 - C-655/22,
EU:C:2023:993 = SIS 24 02 25
darauf hingewiesen, dass auf das Verfahren der Abgabenerstattung
die jeweiligen innerstaatlichen Verfahrensvorschriften anzuwenden
sind, die allerdings den Grundsätzen der Äquivalenz und
der Effektivität entsprechen müssen (Rz 42). Da der
Anspruch der Zuckererzeuger auf Erstattung zu Unrecht gezahlter
Abgaben erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO 1360/2013
geltend gemacht werden kann, machen nationale Vorschriften, nach
denen die Ausschluss- und Verjährungsfristen für den
Erstattungsantrag vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung ablaufen,
die Geltendmachung eines solchen Erstattungsanspruchs praktisch
unmöglich (Rz 45). Solche Fristen sind somit nach der
Rechtsprechung des EuGH nur dann mit dem
Effektivitätsgrundsatz vereinbar, wenn sie erst ab dem
Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO 1360/2013 laufen (vgl. Rz 46).
Eine Frist von einem Jahr hält der EuGH unter diesen
Voraussetzungen jedoch nicht für unangemessen (Rz 48).
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Davon ausgehend dürfen etwaige nationale
Antrags- oder Verjährungsfristen grundsätzlich angewandt
werden. Sie dürfen jedoch erst ab dem Zeitpunkt des
Inkrafttretens der VO 1360/2013, das heißt ab dem 20.12.2013,
zu laufen beginnen, weil der unionsrechtliche Erstattungsanspruch
erst ab diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden konnte.
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28
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bb) Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1
MOG sind auf Abgaben zu Marktordnungszwecken, die nach Regelungen
im Sinne des § 1 Abs. 2 MOG hinsichtlich Marktordnungswaren
erhoben werden, grundsätzlich die Vorschriften der
Abgabenordnung entsprechend anzuwenden, sofern nicht durch das
Marktorganisationsgesetz oder durch Rechtsverordnung aufgrund des
Marktorganisationsgesetzes eine von diesen Vorschriften abweichende
Regelung getroffen ist. Das Marktorganisationsgesetz gilt somit
für die Umsetzung der VO 1837/2002 und der VO 1360/2013, weil
es sich bei Zucker um eine Marktordnungsware handelt.
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2. Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen
hat die Klägerin einen unionsrechtlichen Anspruch auf
Erstattung von Produktionsabgaben in Höhe von … EUR
für das Wirtschaftsjahr 2001/2002.
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30
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a) Die Höhe des Erstattungsanspruchs
ergibt sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen den mit Bescheid
vom 25.11.2002 festgesetzten Produktionsabgaben aufgrund der VO
1837/2002 und den tatsächlich geschuldeten Produktionsabgaben,
wie sie sich aus der VO 1360/2013 ergeben.
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Da der Betrag in Höhe von … EUR
zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht der erkennende Senat
insofern von weiteren Ausführungen ab.
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b) In Ermangelung unionsrechtlicher
Vorschriften sind auf diesen Erstattungsanspruch § 12 Abs. 1
Satz 1 MOG i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO anzuwenden.
Diese sind allerdings unter Berücksichtigung des
Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes
unionsrechtskonform auszulegen.
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aa) Ob eine Steuer oder eine
Steuervergütung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ohne
rechtlichen Grund gezahlt worden ist, richtet sich
regelmäßig nach den zugrunde liegenden Steuerbescheiden
(sogenannte formelle Bescheidlage, ständige Rechtsprechung,
Senatsurteil vom 18.08.2020 - VII R 39/19 = SIS 20 20 45, Rz 26, m.w.N.; vgl. auch Urteile
des Bundesfinanzhofs vom 14.04.2021 - III R 36/20, BFHE 273, 54,
BStBl II 2022, 337 = SIS 21 13 10, Rz 14, betreffend Kindergeld und
vom 25.11.2020 - II R 3/18, BFHE 272, 1, BStBl II 2023, 216 = SIS 21 07 32, Rz 38 ff., betreffend Grundsteuer). Demnach stünde
der bestandskräftige Bescheid vom 25.11.2002 nach der
Abgabenordnung dem Erstattungsanspruch an sich entgegen, weil nach
der formellen Bescheidlage ein Rechtsgrund im Sinne von § 37
Abs. 2 AO für die Zahlung der Produktionsabgaben in der
streitigen Höhe besteht.
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Allerdings ist § 37 Abs. 2 AO aufgrund
des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes dahingehend
auszulegen, dass ein bestandskräftiger Festsetzungsbescheid
wie der Bescheid vom 25.11.2002 einer Erstattung dann nicht
entgegenstehen darf, wenn dies dazu führte, dass ein
unionsrechtlicher Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter
Produktionsabgaben, der erst nach Eintritt der Bestandskraft des
Festsetzungsbescheids entsteht, nicht durchgesetzt werden
könnte.
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Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des
EuGH sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet,
bestandskräftige Abgabenbescheide zu ändern oder
aufzuheben. Demnach kann es dahinstehen, ob die Änderung eines
bestandskräftigen Bescheids nach der Abgabenordnung
überhaupt noch möglich wäre.
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bb) Die Klägerin hat die Erstattung der
zu Unrecht entrichteten Produktionsabgaben rechtzeitig beim HZA
beantragt.
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(1) Wie dem EuGH-Urteil I (Erstattung von
Abgaben) vom 14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 = SIS 24 02 25, Rz 48 zu entnehmen ist, darf die
Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs frühestens
mit dem Inkrafttreten der Regelung, mit der diesem Verstoß
abgeholfen werden soll, zu laufen beginnen. Die Klägerin
konnte den Erstattungsanspruch somit erst ab Inkrafttreten der VO
1360/2013 am 20.12.2013 (vgl. Art. 3 Unterabs. 1 VO 1360/2013)
geltend machen. Sie hat den Antrag am 18.12.2014 und damit
innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten der VO 1360/2013
gestellt und daher die Verjährungsfrist von fünf Jahren
gemäß § 228 AO, die für
Erstattungsansprüche nach § 37 Abs. 2 AO gilt,
eingehalten.
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Soweit das HZA eine Frist von sechs bis neun
Monaten zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs für
angemessen hält, ergibt sich hierfür weder eine
Rechtsgrundlage aus der Abgabenordnung noch aus der Rechtsprechung
des EuGH. Dies widerspräche zudem dem unionsrechtlichen
Äquivalenzgrundsatz, weil damit die Geltendmachung eines
unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs gegenüber der
Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach nationalem Recht von
ungünstigeren Voraussetzungen abhinge.
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(2) Der in Art. 2 VO 1360/2013 genannte
Stichtag (30.09.2014) steht nach der oben dargestellten
Rechtsprechung der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
ebenfalls nicht entgegen, weil es sich hierbei nicht um eine
Antragsfrist handelt.
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3. Die Klägerin hat einen Anspruch auf
Zinsen für den zu Unrecht gezahlten Betrag in Höhe von
… EUR (vgl. dazu EuGH-Urteil I (Erstattung von Abgaben) vom
14.12.2023 - C-655/22, EU:C:2023:993 = SIS 24 02 25, Rz 33) für den Zeitraum von
der Zahlung bis zu dessen Erstattung gemäß § 12
Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. § 233 Satz 1 AO in
unionsrechtskonformer Auslegung.
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a) Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der
Einzelne, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die
Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben hat, einen Anspruch
auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steuer, sondern
auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser
Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden
sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der
mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der
vorzeitigen Fälligkeit der Steuer (EuGH-Urteile Littlewoods
Retail u.a. vom 19.07.2012 - C-591/10, EU:C:2012:478 = SIS 12 25 02, Rz 25, m.w.N.; Zuckerfabrik
Jülich u.a. vom 27.09.2012 - C-113/10, C-147/10 und C-234/10,
EU:C:2012:591 = SIS 14 04 37, Rz
65, m.w.N.; Irimie vom 18.04.2013 - C-565/11, EU:C:2013:250 =
SIS 13 22 73, Rz 21, m.w.N.;
Nicula vom 15.10.2014 - C-331/13, EU:C:2014:2285, Rz 28; Wortmann
vom 18.01.2017 - C-365/15, EU:C:2017:19 = SIS 17 26 49, Rz 37 ff. und HUMDA vom
13.10.2022 - C-397/21, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz 32; vgl. auch Senatsurteil
vom 22.09.2015 - VII R 32/14, BFHE 251, 291, BStBl II 2016, 323 =
SIS 15 30 18).
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Demnach ergibt sich der Grundsatz, dass die
Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die unter Verstoß gegen
das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen
zu erstatten, aus dem Unionsrecht. In Ermangelung einer
unionsrechtlichen Regelung kommt es der innerstaatlichen
Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu, die Bedingungen für die
Zahlung solcher Zinsen, insbesondere den Zinssatz und die
Berechnungsmethode für die Zinsen festzulegen. Diese
Bedingungen müssen den Grundsätzen der Äquivalenz
und der Effektivität entsprechen, das heißt, sie
dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen
Klagen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts
gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein,
dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung
einräumt, praktisch unmöglich machen (EuGH-Urteile
Littlewoods Retail u.a. vom 19.07.2012 - C-591/10, EU:C:2012:478 =
SIS 12 25 02, Rz 26 ff., m.w.N.;
Zuckerfabrik Jülich u.a. vom 27.09.2012 - C-113/10, C-147/10
und C-234/10, EU:C:2012:591 = SIS 14 04 37, Rz 61 und 66; Irimie vom 18.04.2013 - C-565/11,
EU:C:2013:250 = SIS 13 22 73, Rz
22 ff.; Târsia vom 06.10.2015 - C-69/14, EU:C:2015:662 =
SIS 15 23 21, Rz 25 ff., m.w.N.
und HUMDA vom 13.10.2022 - C-397/21, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz 33; vgl. auch Senatsurteile
vom 22.09.2015 - VII R 32/14, BFHE 251, 291, BStBl II 2016, 323 =
SIS 15 30 18 und vom 22.10.2019 - VII R 24/18, BFHE 267, 90 = SIS 20 04 96). Insbesondere dürfen die
Zinszahlungsmodalitäten nicht dazu führen, dass dem
Betreffenden eine angemessene Entschädigung für die
erlittenen Einbußen vorenthalten wird (EuGH-Urteil
Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost vom
28.04.2022 - C-415/20, C-419/20 und C-427/20, EU:C:2022:306 =
SIS 22 07 37, Rz 74 ff.). Dies
setzt unter anderem voraus, dass die ihm gezahlten Zinsen den
Gesamtzeitraum abdecken, der je nach Lage des Falls zwischen dem
Tag, an dem der Betreffende den fraglichen Geldbetrag entrichtet
hat oder hätte erhalten sollen, und dem Tag liegt, an dem
dieser ihm erstattet oder an ihn entrichtet wurde.
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b) Der Berechnung des Zinsbetrags ist der
gesamte Zeitraum ab Leistung der jeweiligen Vorauszahlung bis zur
Erstattung des überzahlten Steuerbetrags zugrunde zu legen.
Eine entsprechende Beschränkung des zu verzinsenden Zeitraums
auf volle Zinsmonate entsprechend § 238 AO widerspräche
dem Effektivitätsgrundsatz, da die Geltendmachung eines Teils
des Zinsanspruchs im Ergebnis unmöglich gemacht würde
(vgl. Senatsurteil vom 15.11.2022 - VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE
279, 1, BStBl II 2023, 803 = SIS 23 09 12, Rz 35 mit Verweis auf
EuGH-Urteil Gräfendorfer Geflügel und
Tiefkühlfeinkost vom 28.04.2022 - C-415/20, C-419/20 und
C-427/20, EU:C:2022:306 = SIS 22 07 37, Rz 75 ff.).
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c) Der Zinssatz beträgt gemäß
§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO 0,5 % pro Monat.
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Der Zinssatz in Höhe von 0,5 % pro Monat
steht im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben, weil er auch
im Falle einer Verzinsung eines Erstattungsanspruchs aus nationalem
Recht anzuwenden ist und somit keine Benachteiligung der
Klägerin vorliegt.
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Soweit das BVerfG mit Beschluss vom 08.07.2021
- 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23)
entschieden hat, dass § 233a AO mit Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes unvereinbar ist, soweit der Zinsberechnung für
Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von 0,5 %
für jeden Monat zugrunde gelegt wird, hat dies keine
Auswirkungen auf den Streitfall. Denn Abgaben nach dem
Marktordnungsrecht werden nicht von § 233a AO erfasst (vgl.
zur Stromsteuer Senatsurteil vom 15.11.2022 - VII R 29/21 (VII R
17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803 = SIS 23 09 12, Rz 37
ff.).
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d) Die Berechnung der Zinsen wird dem HZA
übertragen (§ 121 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2
FGO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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