Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Düsseldorf vom 23.02.2021 - 10 K 3480/18 F
= SIS 21 05 15, soweit es die
gesonderte und einheitliche Feststellung des verrechenbaren
Verlustes nach § 15b Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes auf
den 31.12.2009 betrifft, aufgehoben.
Die Klage wird insoweit als unzulässig
abgewiesen.
Im Übrigen wird die Revision als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben der
Beklagte zu 7/9 und die Klägerin zu 2/9 zu tragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist ein Dachfonds in der Rechtsform einer
gewerblich geprägten GmbH & Co. KG. An ihr waren im Jahr 2009
(Streitjahr) als Komplementärin die H-GmbH sowie als
Kommanditisten die A-GmbH (nachfolgend auch Treuhänderin)
sowie 15 weitere Direktanleger beteiligt. Mittelbar über die
A-GmbH als Treuhänderin waren 245 Anleger (Treugeber)
beteiligt. Diese wurden aufgrund eines Treuhandvertrags im
Innenverhältnis so behandelt, als seien sie direkt an der
Klägerin beteiligt. Zu einem geringen Anteil hielt die
Treuhänderin die Beteiligung auf eigene Rechnung.
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Im Streitjahr erzielte die Klägerin
ausschließlich Einkünfte aus Beteiligungen an vier
Personengesellschaften. In den für diese
Personengesellschaften ergangenen Gewinnfeststellungsbescheiden
wurden für die Klägerin jeweils Einkünfte aus
Gewerbebetrieb nach Anwendung des § 15b des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 0 EUR festgestellt.
Vor Anwendung des § 15b EStG ergaben sich dort jeweils
negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
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Da die Klägerin zunächst keine
Steuererklärungen für das Streitjahr abgab, schätzte
der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) die
Besteuerungsgrundlagen. Im Bescheid vom 18.01.2012 über die
gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
(Gewinnfeststellung) für 2009 und des verrechenbaren Verlustes
nach § 15a Abs. 4 EStG auf den 31.12.2009 wies das FA
Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 EUR aus und
stellte einen verrechenbaren Verlust nach § 15a EStG in
Höhe von 0 EUR fest. Der Bescheid war an die H-GmbH als
Empfangsbevollmächtigte für die Klägerin gerichtet.
Er erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wies die
Steuernummer …/0651 aus. Als Feststellungsbeteiligte wurden
die Komplementärin H-GmbH, die A-GmbH als Kommanditistin unter
ihrer vormaligen Firma für den Zeitraum vom 08.06.2009
(Eintritt) bis zum 16.11.2009 (Austritt) und unter ihrer aktuellen
Firma ab dem 17.11.2009 (Eintritt) erfasst. Einen verrechenbaren
Verlust nach § 15b EStG auf den 31.12.2009 stellte das FA
nicht fest.
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Gegen diesen Bescheid legte die
Klägerin mit Schreiben vom 17.02.2012 Einspruch ein, nahm
diesen aber nach Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen
durch das FA mit Schreiben vom 03.04.2012 zurück. Sie bat
zugleich, ihr eine stillschweigende Fristverlängerung zur
Abgabe der Steuererklärungen bis zum 30.04.2012 zu
gewähren.
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Am 04.08.2014 reichte die Klägerin
unter der Steuernummer …/0651 für das Streitjahr eine
Erklärung zur Gewinnfeststellung ein. Auf dem Mantelbogen war
in Zeile 13 die Angabe „Bei der Gesellschaft (…)
handelt es sich um eine Gesellschaft/ eine Gemeinschaft/ ein
ähnliches Modell i.S.d. §§ 2b/ 15b
EStG“ angekreuzt. Aus der Erklärung
ergaben sich laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb der
Klägerin in Höhe von ./. 1.262.513,15 EUR sowie ein
verrechenbarer Verlust nach § 15b Abs. 4 EStG in derselben
Höhe. Der Erklärung waren mehrere von der Klägerin
erstellte Anlagen beigefügt, in denen 266 Anleger angegeben
sowie die Verteilung des steuerlichen Ergebnisses vor und nach
Anwendung des § 15b EStG berechnet und auf die einzelnen
Beteiligten verteilt wurden. Eine Unterscheidung in Direktanleger
und mittelbar beteiligte Anleger ergab sich nicht. Ein
Begleitschreiben war der Erklärung nicht
beigefügt.
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Das FA wies die Klägerin im Nachgang
zu einem Telefonat mit Schreiben vom 25.03.2015 darauf hin, dass
bei ihr ein verdecktes Treuhandverhältnis vorliege, in den
eingereichten Listen zum steuerlichen Ergebnis aber nicht zu
erkennen sei, bei welchen Anteilseignern es sich um Treugeber oder
um Direktbeteiligte handele. Es wurden deshalb die
Treuhandverträge sowie eine Aufstellung angefordert, aus der
diese Unterscheidung ersichtlich sei.
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Das FA erließ am 01.12.2016 unter der
Steuernummer …/0720 einen Gewinnfeststellungsbescheid
für die Klägerin, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb
von 0 EUR auswies. In den Erläuterungen wies es darauf hin,
dass die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden seien, da die
Klägerin keine Steuererklärung eingereicht habe. Der
Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Er war an
die Komplementärin H-GmbH als Empfangsbevollmächtigte
für die Klägerin gerichtet. Als Beteiligte wurden die
Komplementärin H-GmbH (Eintritt: 01.06.2009), die
Kommanditisten S (Eintritt: 01.06.2009) sowie die A-GmbH (Eintritt:
01.06.2009) erfasst. Einen verrechenbaren Verlust nach § 15b
EStG stellte das FA nicht fest.
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Am 21.11.2017 reichte die Klägerin bei
dem FA weitere Feststellungserklärungen für das
Streitjahr zu den Steuernummern …/0651 und …/0720
ein. Die Erklärungen unterschieden sich insbesondere in der
Bezeichnung der Klägerin, indem der Zusatz
„Treugeber“ oder
„Treuhänder“ aufgenommen
war.
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Mit an die Klägerin gerichtetem
Bescheid vom 07.12.2017 lehnte das FA unter dem Betreff „Ihre
Steuererklärungen vom 04.08.2014 und 21.11.2017 über die
gesonderten und einheitlichen Feststellungen von Einkünften
und § 15b EStG und Gewerbesteuer für das Jahr 2009 zu den
Steuernummern …/0720 und …/0651“
die „beiden Änderungen der Feststellungsbescheide
für 2009“ ab. Zur Begründung verwies
es darauf, dass eine Änderung wegen Ablaufs der
Feststellungsfrist ausgeschlossen sei.
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Dagegen wandte sich die Klägerin mit
Einspruch vom 15.12.2017. Die am 04.08.2014 abgegebene
Feststellungserklärung stelle einen Änderungsantrag nach
§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) dar. Dieser
Änderungsantrag löse die Ablaufhemmung nach § 171
Abs. 3 AO aus.
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Das FA erläuterte der Klägerin in
einem Schreiben vom 26.07.2018, dass die neue Steuernummer
…/0720 für die Feststellung auf Ebene der
Direktbeteiligten sowie der Treuhänderin vergeben worden sei.
Unter der Steuernummer …/0651 sei die Feststellung von den
Treuhändern auf die Treugeber fortgeführt worden.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018
zur Steuernummer …/0720 wies das FA den Einspruch als
unbegründet zurück. Es wies unter anderem darauf hin,
dass die Klägerin aufgefordert worden sei, für die
Feststellung im zweistufigen Verfahren, einmal für die Ebene
der Direktbeteiligten sowie für die zweite Ebene zur
Verteilung des Ergebnisses der Treuhänderin auf die Treugeber,
entsprechende Feststellungserklärungen einzureichen. Es sei
die neue Steuernummer …/0720 vergeben worden, unter der
fortan die Feststellung der ersten Stufe erfolgen sollte. Unter der
Steuernummer …/0651 habe zukünftig die Verteilung des
Ergebnisses der Treuhänderin auf die Treugeber erfolgen
sollen.
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Der dagegen erhobenen Klage gab das
Finanzgericht (FG) Düsseldorf mit Urteil vom 23.02.2021 - 10 K
3480/18 F statt. Das FA sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass
einer von der Klägerin begehrten Änderung des
Gewinnfeststellungsbescheids für das Streitjahr der Eintritt
der Feststellungsverjährung entgegenstehe. Zwar werde nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine Ablaufhemmung nach
§ 171 Abs. 3 AO bewirkt, wenn der Steuerpflichtige bei der
Finanzbehörde lediglich Erklärungen vorlege, zu deren
Einreichung er ohnehin verpflichtet sei. Der vorliegende Fall
unterscheide sich davon aber. Vorliegend sei die Einreichung der
Feststellungserklärung vom 04.08.2014 nicht nur als
Erfüllung der Pflicht zur Abgabe der Erklärungen zu
verstehen, sondern zugleich als Antrag auf Vornahme einer
Änderung des unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
stehenden Feststellungsbescheids vom 18.01.2012. Über den
Änderungsantrag der Klägerin habe das FA noch nicht
entschieden, insbesondere nicht durch den Feststellungsbescheid vom
01.12.2016. Dieser sei nichtig und aus diesem Grund aufzuheben.
Dementsprechend sei das FA verpflichtet, den Änderungsantrag
der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
zu bescheiden. Der erstmaligen Feststellung eines Verlustes
gemäß § 15b Abs. 4 EStG auf den 31.12.2009 stehe
demgegenüber zwar der Eintritt der
Feststellungsverjährung entgegen. Nach § 181 Abs. 5 AO
habe die Feststellung allerdings gleichwohl zu erfolgen. Auch
über den auf den erstmaligen Erlass eines
Verlustfeststellungsbescheids nach § 15b Abs. 4 EStG
gerichteten Antrag müsse das FA entscheiden.
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Mit seiner Revision macht das FA die
Verletzung materiellen Bundesrechts geltend. Das FG gehe - entgegen
der Rechtsprechung des BFH und des FG München (Urteile vom
20.10.2015 - 12 K 1733/11 = SIS 15 27 10 und vom 06.05.2020 - 12 K 225/19 = SIS 20 11 81) - davon aus, dass die
Einreichung einer Steuererklärung, zu deren Abgabe der
Steuerpflichtige gesetzlich verpflichtet sei, die Ablaufhemmung des
§ 171 Abs. 3 AO bewirke. Wie das FG Berlin-Brandenburg (Urteil
vom 09.02.2017 - 7 K 7110/16 = SIS 17 07 04) nehme das FG eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3
AO an, wenn für diesen Veranlagungszeitraum ein noch unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung stehender Schätzbescheid
vorhanden sei. Damit beachte es aber nicht, dass der
Steuerpflichtige mit Einreichung der Erklärung nur seiner
Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung nachkomme. Die
Erklärungsabgabe könne nur eine Anlaufhemmung nach §
170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und nicht zugleich eine Ablaufhemmung
bewirken. Eine Besserstellung gegenüber
pflichtgemäß handelnden Steuerpflichtigen, bei denen es
keiner Steuerfestsetzung aufgrund einer Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen bedurft hätte, sei nicht
gerechtfertigt.
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Zudem enthalte eine Steuererklärung
keine für einen Antrag auf Änderung erforderliche
Willensbekundung eines Steuerpflichtigen.
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Selbst wenn man in der am 04.08.2014
eingereichten Feststellungserklärung einen Antrag auf
Änderung erblicken wollte, wäre die
Feststellungsverjährung bereits zum Ende des Jahres 2016
eingetreten; denn der Antrag sei durch den bestandskräftigen
Änderungsbescheid vom 01.12.2016 bereits beschieden worden.
Dieser Bescheid sei entgegen der Auffassung des FG nicht nichtig.
Denn ein besonders schwerer Mangel liege nicht schon dann vor, wenn
ein Änderungsbescheid nicht als solcher bezeichnet werde und
keine Rechtsgrundlage für die Änderung angebe. Für
die Klägerin als Empfängerin sei eindeutig zu erkennen
gewesen, dass der Bescheid den ursprünglichen Bescheid vom
18.01.2012 habe ändern sollen. Der Klägerin sei bewusst
gewesen, dass die Feststellung in einem zweistufigen Verfahren
für Treuhänderin und Treugeber zu erfolgen habe. Deshalb
sei die weitere Steuernummer vergeben worden; im Übrigen
handele es sich bei einer Steuernummer nur um ein Ordnungsmerkmal.
Das FA habe mit dem Bescheid vom 01.12.2016 eine Änderung des
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheids
vorgenommen und - bewusst - eine Feststellung nach § 15b Abs.
4 EStG unterlassen.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG vom 23.02.2021 - 10 K
3480/18 F aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die Revision schon für
unzulässig, da das FA neben der Aufhebung des FG-Urteils die
Abweisung einer Klage vom 01.04.2021 beantragt habe, obwohl dem
Verfahren keine solche zugrunde liege.
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Die Revision sei auch unbegründet. Das
FG habe zutreffend entschieden, dass im Streitfall keine
Ablaufhemmung eingetreten sei.
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II. Die Revision ist zulässig (dazu unter
1.). Sie ist begründet, soweit das FG das FA verpflichtet hat,
den Antrag auf Erlass einer Feststellung nach § 15b Abs. 4
EStG zu bescheiden, da die darauf gerichtete Klage mangels Beschwer
bereits unzulässig ist (dazu unter 2.). Im Übrigen ist
die Revision unbegründet. Das FG hat zu Recht erkannt, dass
der begehrten Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom
18.01.2012 der Eintritt der Feststellungsverjährung nicht
entgegensteht und das FA zur Bescheidung des Änderungsantrags
der Klägerin vom 04.08.2014 verpflichtet ist (dazu unter
3.).
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1. Die Revision ist zulässig.
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a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die
Verpflichtung des FA zur Bescheidung der von der Klägerin mit
Einreichung der Feststellungserklärung am 04.08.2014
gestellten Anträge auf Änderung des
Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 und auf erstmalige
Feststellung der verrechenbaren Verluste im Zusammenhang mit
Steuerstundungsmodellen nach § 15b EStG. Bei der
Gewinnfeststellung sowie der Feststellung nach § 15b Abs. 4
Satz 1 EStG handelt es sich um eigenständige Verwaltungsakte
mit selbständigem Regelungsgehalt, die jedoch miteinander
verbunden werden können (BFH-Urteil vom 06.06.2019 - IV R
7/16, BFHE 265, 147, BStBl II 2019, 513 = SIS 19 11 22, Rz 15).
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b) Die Revision ist - entgegen der Ansicht der
Klägerin - nicht deshalb unzulässig, weil das FA in
seinem Revisionsantrag zunächst ein unzutreffendes Datum der
Klageerhebung genannt hat.
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Nach § 120 Abs. 3 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) muss die Revisionsbegründung die
Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und
dessen Aufhebung beantragt wird (Revisionsanträge). Ergibt
sich aus der Revisionsbegründung das Begehren des
Revisionsklägers unzweifelhaft, dann kann auf einen
förmlichen Revisionsantrag verzichtet werden (BFH-Urteile vom
22.10.2015 - IV R 7/13, BFHE 251, 335, BStBl II 2016, 219 = SIS 15 28 91, Rz 17; vom 26.08.2020 - II R 6/19, BFHE 269, 399, BStBl II
2021, 592 = SIS 20 20 52, Rz 11).
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26
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Auch wenn das FA in seinem ursprünglichen
Revisionsantrag ein unzutreffendes Datum der Erhebung der Klage
genannt hat, erfüllt die Revisionsbegründung die
Voraussetzungen des § 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO. Denn es ist
gleichwohl hinreichend erkennbar, inwieweit sich das FA durch das
angefochtene Urteil beschwert fühlt und es dessen Aufhebung
begehrt. Ebenso ist ohne weiteres ersichtlich, auf welche Klage
sich der Abweisungsantrag des FA bezieht, denn die Angabe des
unzutreffenden Datums der Klageerhebung erfolgte offensichtlich
versehentlich.
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2. Die Revision ist begründet, soweit das
FG das FA verpflichtet hat, den Antrag der Klägerin auf Erlass
einer Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG zu bescheiden. Das
Urteil des FG ist insoweit aufzuheben, denn die Klage ist mangels
Beschwer unzulässig.
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28
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a) Die Klägerin war zwar gemäß
§ 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. bzw. § 48 Abs. 1 Nr. 1 Buchst.
a FGO i.d.F. des Art. 27 des
Kreditzweitmarktförderungsgesetzes vom 22.12.2023 (BGBl 2023 I
Nr. 411) befugt, im Zusammenhang mit der begehrten Änderung
des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 zugleich eine auf
den erstmaligen Erlass einer Feststellung nach § 15b Abs. 4
EStG gerichtete Klage zu erheben (z.B. BFH-Urteil vom 06.06.2019 -
IV R 7/16, BFHE 265, 147, BStBl II 2019, 513 = SIS 19 11 22, Rz 17,
zur Anfechtungsklage).
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b) Allerdings fehlt es in Bezug auf diese
Klage an einer Beschwer.
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30
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aa) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt
ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend
macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder
Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in
seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Die
Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO sind bereits erfüllt,
wenn das Klagevorbringen es als zumindest möglich erscheinen
lässt, dass die angefochtene Entscheidung eigene Rechte des
Klägers verletzt. Keine Rechtsverletzung macht ein Kläger
indes regelmäßig dann geltend, wenn er sich dagegen
wendet, dass eine gegen ihn festgesetzte Steuer oder für ihn
festgestellte Einkünfte zu niedrig seien. Eine
Rechtsverletzung kann aber dann vorliegen, wenn ein Zusammenhang
zwischen der angegriffenen - unmittelbar - begünstigenden
Steuerfestsetzung oder Einkünftefeststellung und einem den
Kläger - mittelbar - benachteiligenden anderen Verwaltungsakt
besteht (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.2021 - IV R 7/19, BFHE 275, 179,
BStBl II 2023, 378 = SIS 22 05 08, Rz 35 f.).
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31
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bb) Einen solchen Zusammenhang hat die
Klägerin jedoch nicht dargetan.
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32
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Rechtsfolge der Feststellung von Verlusten im
Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen nach § 15b Abs. 4
EStG ist gemäß § 15b Abs. 1 Satz 1 EStG das Verbot,
diese Verluste mit anderen Einkünften auszugleichen und nach
§ 10d EStG abzuziehen. Lediglich eine Minderung der in den
folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielten
Einkünfte ist zulässig (§ 15b Abs. 1 Satz 2 EStG).
Damit werden Einschränkungen bei der Berücksichtigung von
(steuermindernden) Verlusten bei der Bestimmung der Summe der
Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) wie auch bei dem Verlustabzug
nach § 10d EStG bewirkt.
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33
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Führte die Feststellung nach § 15b
Abs. 4 EStG jedoch zu einer Beschränkung der
Verlustverrechnungs- beziehungsweise
Verlustabzugsmöglichkeiten, so ist eine Rechtsverletzung durch
eine (bisher) unterlassene Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG
nicht erkennbar.
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34
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c) Da das FG dies bei seiner Entscheidung
nicht berücksichtigt hat, war seine Entscheidung insoweit
aufzuheben und die Klage, soweit diese auf die Bescheidung des
Antrags auf Erlass einer Verlustfeststellung nach § 15b Abs. 4
EStG gerichtet war, als unzulässig abzuweisen.
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35
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3. Im Übrigen ist die Revision
unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zu Recht von
einem Verpflichtungsbegehren der Klägerin ausgegangen (dazu
unter a). Auch hat es zutreffend entschieden, dass der begehrten
Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 der
Eintritt der Feststellungsverjährung nicht entgegensteht und
das FA somit zur Bescheidung des Änderungsantrags der
Klägerin vom 04.08.2014 betreffend die Gewinnfeststellung 2009
verpflichtet ist (dazu unter b), da das FA über diesen Antrag
auch nicht durch Erlass des Gewinnfeststellungsbescheids 2009 vom
01.12.2016 entschieden hat (dazu unter c).
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36
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a) Das FG ist zutreffend von einem
Verpflichtungsbegehren der Klägerin ausgegangen. Es hat
antragsgemäß ein Bescheidungsurteil (§ 101 Satz 2
FGO) erlassen.
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37
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aa) Nach § 40 Abs. 1 Alternative 2 FGO
kann durch eine Klage die Verurteilung des FA zum Erlass eines
abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts
(Verpflichtungsklage) begehrt werden.
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38
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Die Verpflichtungsklage ist die statthafte
Klageart für das Begehren, die vom FA abgelehnte Änderung
eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden
Verwaltungsakts zu erreichen (vgl. BFH-Urteile vom 23.01.1992 - V R
66/85, BFHE 167, 221 = SIS 92 11 37, unter II.5. [Rz 51]; vom
11.11.2014 - I R 46/13 = SIS 15 01 48; vom 14.09.2017 - IV R 28/14 = SIS 17 22 10, Rz 14; vom 27.10.2020 - VIII R
30/17, BFHE 271, 295, BStBl II 2021, 927 = SIS 21 07 74, Rz
33).
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39
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Neben einer Vornahmeklage, die auf den Erlass
des beantragten und abgelehnten Bescheids gerichtet ist
(Verpflichtungsklage im engeren Sinne), kann auch eine
Bescheidungsklage zulässig sein (vgl. § 101 Satz 2 FGO).
Diese zielt darauf, das FA zu verpflichten, den Antrag des
Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
bescheiden (Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, §
101 FGO Rz 46).
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40
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bb) Das FG hat für den Streitfall in
nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Klägerin
mit der vorliegenden Klage den Erlass eines Bescheidungsurteils
erstrebte. Denn Gegenstand des Klageverfahrens war allein die
Frage, ob das FA wegen Eintritts der Feststellungsverjährung
bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert ist, eine
Änderung der Gewinnfeststellung für das Streitjahr
vorzunehmen.
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41
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b) Das FG hat zutreffend entschieden, dass der
begehrten Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids 2009 vom
18.01.2012 der Eintritt der Feststellungsverjährung nicht
entgegensteht. Die Klägerin hat mit der Abgabe der
Feststellungserklärung 2009 am 04.08.2014 zugleich eine
Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012
gemäß § 164 Abs. 2 AO begehrt. Dieser Antrag hat
gemäß § 171 Abs. 3 AO zu einer Ablaufhemmung
geführt.
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42
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aa) Ob der begehrten Änderung des
Gewinnfeststellungsbescheids 2009 der Eintritt der
Feststellungsverjährung entgegensteht, hängt
maßgeblich davon ab, ob die Klägerin einen - zur
Ablaufhemmung führenden - Antrag im Sinne des § 171 Abs.
3, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO gestellt hat. Denn wäre dies
nicht der Fall, so wäre im Streitfall die reguläre
Feststellungsfrist bereits am 31.12.2016 abgelaufen und der
bestehende Vorbehalt der Nachprüfung weggefallen (§ 181
Abs. 1 Satz 1, § 164 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 AO).
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43
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Die Frist zur Vornahme, Aufhebung oder
Änderung einer Feststellung betreffend die Einkommensteuer
beträgt nach § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz
1 Nr. 2 AO vier Jahre. Der Beginn der Frist wird nach § 170
Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bis zum Ablauf des Jahres, in dem
die Feststellungserklärung abgegeben wird, gehemmt; sie
beginnt jedoch spätestens mit Ablauf des dritten
Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer
entstanden ist.
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44
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Danach beginnt die Verjährungsfrist im
Streitfall mit Ablauf des 31.12.2012. Die erst am 04.08.2014
eingereichte Feststellungserklärung hat keinen Einfluss auf
den Fristbeginn. Die Feststellungsfrist wäre daher mit Ablauf
des 31.12.2016 abgelaufen, wenn keine Ablaufhemmung nach § 171
AO bewirkt worden wäre.
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45
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bb) Die von der Klägerin am 04.08.2014
bei dem FA eingereichte Feststellungserklärung stellt zugleich
einen Antrag auf Änderung der Gewinnfeststellung dar. Sie hat
damit eine Hemmung des Ablaufs der Feststellungsfrist bewirkt.
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(1) Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist
außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag
auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer
Steuerfestsetzung oder ihre Berichtigung nach § 129 AO
gestellt, so läuft nach § 171 Abs. 3 AO die
Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag
unanfechtbar entschieden worden ist.
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47
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Die Regelung dient zum einen dem Schutz des
Steuerpflichtigen. Der Erfolg eines einmal gestellten Antrags soll
nicht von der Arbeitsweise und Geschwindigkeit der
Finanzbehörde bei der Bearbeitung des Antrags abhängen.
Eine antragsgemäße Entscheidung soll nicht allein daran
scheitern, dass die Behörde die Prüfung des Antrags nicht
innerhalb der nach anderen Vorschriften zu bestimmenden
Festsetzungsfrist abschließt. Zum anderen soll die Vorschrift
auch sicherstellen, dass entsprechende Anträge nicht durch
Ablauf der regulären Festsetzungsfrist gegenstandslos werden,
sondern unabhängig von der Dauer der Bearbeitungszeit einer
Sachentscheidung durch die Verwaltung zugänglich bleiben
(BFH-Urteil vom 23.09.2020 - XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021,
341 = SIS 21 01 14, Rz 29 f., m.w.N.).
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48
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Die Regelung über die Ablaufhemmung ist
nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO auch für das
Feststellungsverfahren entsprechend anwendbar (BFH-Urteil vom
22.02.2006 - I R 125/04, BFHE 211, 424, BStBl II 2006, 400 = SIS 06 16 59, unter II.3.f).
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49
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(2) Ein - vor Ablauf der Feststellungsfrist
gestellter - Antrag des Steuerpflichtigen auf Änderung einer
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellung
löst die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO aus (Seer in
Tipke/Kruse, § 164 AO Rz 44; Heuermann in HHSp, § 164 AO
Rz 69; Oellerich in Gosch, AO § 164 Rz 107; Klein/Rüsken,
AO, 17. Aufl., § 164 Rz 36). Dies ist bereits deshalb geboten,
um dem FA die in § 164 Abs. 2 Satz 3 AO eingeräumte
Möglichkeit zu geben, die Entscheidung über den Antrag
bis zu einer abschließenden Prüfung des Steuerfalls
hinauszuschieben, ohne den Anspruch des Steuerpflichtigen auf
Entscheidung über seinen Antrag in der Sache zu vereiteln.
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50
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Für einen wirksamen Antrag des
Steuerpflichtigen auf Änderung der unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung stehenden Feststellung bedarf es keiner bestimmten
Form (Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz 44; Oellerich in Gosch,
AO § 164 Rz 105); die Vorschrift erfasst alle -
ausdrücklich oder konkludent vorgetragenen - Begehren oder
Bitten an die Finanzbehörde auf ein entsprechendes
Verwaltungshandeln (BFH-Urteil vom 15.05.2013 - IX R 5/11, BFHE
241, 310, BStBl II 2014, 143 = SIS 13 23 19, Rz 21), und zwar auch
dann, wenn der Antrag auf Maßnahmen abzielt, welche die
Behörde - wie die Steuerfestsetzung - von Amts wegen vornehmen
muss (BFH-Urteil vom 22.01.2013 - IX R 1/12, BFHE 239, 385, BStBl
II 2013, 663 = SIS 13 07 91, Rz 19).
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Ob und mit welcher Reichweite ein Antrag nach
§ 171 Abs. 3 AO vorliegt, hat das FG im Wege der Auslegung zu
ermitteln. Der BFH ist an dessen tatsächliche Würdigung
nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, wenn sie verfahrensrechtlich
einwandfrei zustande gekommen und aufgrund der festgestellten
Tatsachen möglich ist, die Grundsätze der Auslegung von
Willenserklärungen beachtet sowie weder gegen Denkgesetze noch
gegen Erfahrungssätze verstößt (BFH-Urteil vom
23.09.2020 - XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341 = SIS 21 01 14, Rz 36, 41).
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52
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(3) Nach der Rechtsprechung des BFH stellt
eine Steuererklärung oder Feststellungserklärung, zu
deren Abgabe der Steuerpflichtige nach § 149 AO im Rahmen
seiner allgemeinen Mitwirkungspflichten verpflichtet ist,
allerdings keinen Antrag im Sinne des § 171 Abs. 3 AO dar. Die
Abgabe entsprechender Erklärungen führt damit nicht zur
Ablaufhemmung. Mit der Erklärungsabgabe kommt der
Steuerpflichtige lediglich seiner gesetzlichen Verpflichtung nach.
Insoweit sind die Auswirkungen des Einreichungszeitpunkts von
Steuererklärungen auf die Festsetzungsfrist abschließend
in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (Anlaufhemmung) geregelt.
Wäre die Steuererklärung als Antrag im Sinne des §
171 Abs. 3 AO anzusehen, führte dies zu einer Bevorzugung des
pflichtwidrig handelnden gegenüber dem gesetzestreuen
Bürger (vgl. BFH-Urteile vom 15.05.2013 - IX R 5/11, BFHE 241,
310, BStBl II 2014, 143 = SIS 13 23 19, Rz 21; vom 28.08.2014 - V R
8/14, BFHE 247, 21, BStBl II 2015, 3 = SIS 14 28 06, Rz 10; vom
12.08.2015 - I R 63/14 = SIS 16 00 20, Rz 24; vom 23.09.2020 - XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II
2021, 341 = SIS 21 01 14, Rz 33; vom 28.07.2021 - X R 35/20 =
SIS 21 18 03, Rz 21). Anderes gilt
jedoch dort, wo eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung
nicht besteht und ihr daher ein doppelter Zweck zukommt
(BFH-Urteile vom 20.01.2016 - VI R 14/15, BFHE 252, 396, BStBl II
2016, 380 = SIS 16 05 75, Rz 15; vom 23.09.2020 - XI R 1/19, BFHE
271, 1, BStBl II 2021, 341 = SIS 21 01 14, Rz 33).
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53
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(4) Macht der Steuerpflichtige mit der Abgabe
der Steuer- beziehungsweise Feststellungserklärung jedoch
zugleich von seinem Recht Gebrauch, auf Grundlage eines bestehenden
Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO
eine geänderte Festsetzung beziehungsweise Feststellung durch
das FA zu beantragen, liegt hierin ein Antrag gemäß
§ 171 Abs. 3 AO (zustimmend Paetsch in Gosch, AO § 171 Rz
26.1).
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(a) Da ein Änderungsantrag nach §
164 Abs. 2 Satz 2 AO nicht an eine bestimmte Form gebunden ist,
kann er auch durch schlüssiges Handeln, also konkludent
gestellt werden. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass der
Steuerpflichtige nach den Umständen des Einzelfalls mit der
(erstmaligen) Einreichung einer Steuererklärung zugleich einen
Antrag auf Änderung eines unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung stehenden Bescheids gemäß § 164
Abs. 2 Satz 2 AO stellt (so auch FG Nürnberg, Urteil vom
11.09.2003 - VI 322/2002 = SIS 04 03 31; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.02.2017 - 7 K
7110/16 = SIS 17 07 04), und zwar
auch dann, wenn der Steuererklärung kein Begleitschreiben
beigefügt ist, das einen ausdrücklichen
Änderungsantrag enthält.
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55
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Die gesetzlichen Regelungen in § 171 Abs.
3, § 164 Abs. 2 Satz 2 AO sehen keine Einschränkungen
vor, die einer solchen Auslegung des Handelns des Steuerpflichtigen
entgegenstünden. Steht ein Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung, so steht es der Behörde frei, den
Bescheid umfassend zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen zu
ändern (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). In vergleichbarer Weise
hat auch der Steuerpflichtige ein korrespondierendes Recht, die
Vornahme einer Änderung ohne weitere Voraussetzungen zu
beantragen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 AO).
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Es besteht auch kein Grund dafür, einen
für den Empfänger erkennbaren, konkludenten Antrag des
Steuerpflichtigen auf Änderung nur deshalb nicht als solchen
anzuerkennen, weil er damit zugleich seiner Pflicht zur Abgabe
einer Feststellungserklärung nachkommt (so im Ergebnis auch FG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.02.2017 - 7 K 7110/16 =
SIS 17 07 04, Rz 22; anderer
Ansicht FG München, Urteile vom 20.10.2015 - 12 K 1733/11 =
SIS 15 27 10, Rz 24; vom
06.05.2020 - 12 K 225/19 = SIS 20 11 81, Rz 18). Für eine solche Differenzierung findet sich
auch im Wortlaut des § 164 Abs. 2 AO kein Anhalt.
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Es wäre reine Förmelei ohne - wie
das FG zutreffend ausführt - rechtlichen Mehrwert, einen
Änderungsantrag nur anzuerkennen, wenn zusätzlich ein
solcher ausdrücklich - etwa in einem Begleitschreiben oder
Vermerk - gestellt wird.
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58
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Dieses Verständnis steht im Einklang mit
der Rechtsprechung des BFH zur Einlegung eines Einspruchs durch
(kommentarlose) Abgabe einer Steuererklärung. Danach ist im
Zweifel vom Vorliegen eines Einspruchs auszugehen, wenn nach
Ergehen eines Bescheids auf Grundlage einer Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen der Steuerpflichtige (ohne weitere
Begründung, innerhalb der Einspruchsfrist) eine
Steuererklärung einreicht (z.B. BFH-Urteile vom 27.02.2003 - V
R 87/01, BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505 = SIS 03 25 08, unter
II.3.a [Rz 23]; vom 24.08.2004 - VIII R 7/04, BFH/NV 2005, 11 = SIS 05 03 86, unter II.2.c [Rz 33]).
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59
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(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist
die Feststellung des FG, wonach die Klägerin mit der Abgabe
der Feststellungserklärung vom 04.08.2014 zugleich einen
Änderungsantrag gemäß § 164 Abs. 2 AO gestellt
hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG konnte ohne
Rechtsfehler annehmen, die Klägerin habe mit der Abgabe der
Feststellungserklärung zum Ausdruck gebracht, dass die bislang
geschätzten Einkünfte die von ihr ermittelten
Einkünfte deutlich verfehlten und daher der
Feststellungsbescheid vom 18.01.2012 entsprechend anzupassen sei.
Bereits angesichts der erheblichen Differenz zwischen den bisher
festgestellten Einkünften von 0 EUR und dem mit der
Feststellungserklärung angegebenen Verlust von 1.262.513,15
EUR ist dies naheliegend.
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(c) Entgegen der Ansicht des FA ist bei dem
aufgezeigten Normverständnis nicht von einer
ungerechtfertigten Benachteiligung eines Steuerpflichtigen, der
seine Steuererklärungen rechtzeitig abgegeben hat,
gegenüber demjenigen, der dies zunächst unterlassen und
deshalb bereits eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen
verursacht hat, auszugehen. Denn die verfahrensrechtliche Position
des Steuerpflichtigen, gegen den bereits eine Festsetzung unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, ist nicht mit der
Situation desjenigen vergleichbar, für den noch keine
(regelmäßig belastende) steuerliche Festsetzung erfolgt
ist. Im ersten Fall kann das FA jederzeit seine schon bestehende
Festsetzung zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen
ändern, ohne dass der Steuerpflichtige dies - etwa durch
Rücknahme eines Rechtsbehelfs in einem Einspruchsverfahren -
verhindern könnte. Im anderen Fall besteht noch keine
Belastung des Steuerpflichtigen mit Ausnahme der allgemeinen
Verpflichtung zur Abgabe einer Steuer- beziehungsweise
Feststellungserklärung.
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61
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c) Das FG hat schließlich zutreffend
erkannt, dass der Antrag der Klägerin vom 04.08.2014 auf
Änderung der Gewinnfeststellung nicht bereits
bestandskräftig durch den Gewinnfeststellungsbescheid 2009 vom
01.12.2016 beschieden und damit erledigt ist (vgl. BFH-Urteil vom
07.11.2006 - VI R 14/05, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236 = SIS 07 04 48, unter II.1.b bb [Rz 19]). Denn dieser Bescheid ist nichtig
und damit unwirksam (dazu unter aa, bb); der gestellte
Änderungsantrag ist unverändert wirksam (dazu unter
cc).
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aa) Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein
Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders
schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger
Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände
offenkundig ist. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§
124 Abs. 3 AO). Während ein nur rechtswidriger Verwaltungsakt
noch im Einspruchsverfahren geheilt werden kann, ist dies bei einem
nichtigen Verwaltungsakt ausgeschlossen (BFH-Urteile vom 26.03.1991
- VIII R 210/85, BFH/NV 1992, 73 = SIS 91 24 41, unter II.2. [Rz
23]; vom 12.05.2016 - II R 17/14, BFHE 253, 505, BStBl II 2016, 822
= SIS 16 15 37, Rz 23).
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(1) Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein
Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Einem
Verwaltungsakt muss der Regelungsinhalt eindeutig zu entnehmen
sein. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Wege der
Auslegung unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln der
§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu
ermitteln. Entscheidend sind der erklärte Wille der
Behörde und der sich daraus ergebende objektive
Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach
den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von
Treu und Glauben verstehen konnte. Zur Auslegung ist das
Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen
des FG insoweit ausreichend sind (BFH-Urteil vom 21.06.2017 - V R
3/17, BFHE 259, 140, BStBl II 2018, 372 = SIS 17 20 08, Rz 18,
m.w.N.).
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(2) Ein Steuerbescheid ist mangels
hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit nichtig, wenn er für
einen Veranlagungszeitraum ergeht, für den bereits ein
wirksamer Steuerbescheid gegenüber demselben Adressaten
erlassen wurde, ohne dass sich nach dem Wortlaut des Bescheids oder
im Wege der Auslegung ergibt, in welchem Verhältnis der
zuletzt ergangene zu dem zuvor ergangenen Bescheid steht
(BFH-Urteile vom 23.08.2000 - X R 27/98, BFHE 193, 19, BStBl II
2001, 662 = SIS 01 04 71, unter II.2. [Rz 25 ff.]; vom 20.03.2013 -
X R 38/11 = SIS 13 17 04, Rz 21;
vom 18.04.2023 - VII R 59/20, BFHE 280, 373, BStBl II 2023, 950 =
SIS 23 11 63, Rz 31). Der Empfänger muss erkennen können,
in welcher Hinsicht und in welchem Umfang eine bisherige
Festsetzung geändert wurde. Hierzu genügt es, wenn aus
dem gesamten Inhalt des Bescheids, aus dem Zusammenhang, aus der
durch die Behörde gegebenen Begründung oder aus den dem
Empfänger bekannten, näheren Umständen des Erlasses
des Bescheids im Wege einer am Grundsatz von Treu und Glauben
orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann.
Nicht allein entscheidend ist insoweit jedenfalls, dass das Datum
des geänderten Bescheids nicht genannt wird (BFH-Urteil vom
12.05.2011 - V R 25/10 = SIS 11 26 46, Rz 30, m.w.N.).
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bb) Im Streitfall hat das FG in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf Grundlage der
getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen
tatsächlichen Feststellungen und auf Grundlage des - auch
für das Revisionsgericht selbst auslegbaren - Verwaltungsakts
entschieden, dass der Bescheid vom 01.12.2016 nichtig ist.
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66
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Es war danach für die Klägerin als
Empfängerin nicht erkennbar, in welchem Verhältnis der
Gewinnfeststellungsbescheid 2009 vom 01.12.2016 zu dem bereits
bestandskräftigen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
stehenden Gewinnfeststellungsbescheid 2009 vom 18.01.2012 stand. So
unterblieb nicht nur ein Hinweis in den Erläuterungen auf den
vorhergehenden Gewinnfeststellungsbescheid 2009, aus dem sich
hätte ergeben können, dass der ältere Bescheid durch
den zeitlich nachfolgenden Bescheid ersetzt werden sollte. Auch die
Bezugnahme auf § 164 Abs. 1 AO legt nahe, dass ein
Erstbescheid ergehen sollte und keine Änderung des unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung stehenden
Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 nach § 164 Abs. 2
AO beabsichtigt war. Schließlich erschließt sich weder
aus dem Bescheid vom 01.12.2016 noch aus den eingereichten
Unterlagen, weshalb S erstmals als Feststellungsbeteiligter
aufgenommen wurde und welchen Hintergrund die Verwendung einer
anderen Steuernummer als im Bescheid vom 18.01.2012 beziehungsweise
in der Feststellungserklärung hatte.
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Dem Bescheid vom 01.12.2016 ist weiterhin
nicht zu entnehmen, ob dem FA überhaupt bewusst war, dass am
18.01.2012 bereits ein Gewinnfeststellungsbescheid für den
nämlichen Veranlagungszeitraum mit zum Teil abweichenden
Feststellungsbeteiligten ergangen war. Weder dem Bescheid vom
01.12.2016 selbst noch den Begleitumständen ist zu entnehmen,
dass das FA durch den Bescheid vom 01.12.2016 den Bescheid vom
18.01.2012 aufheben oder ändern wollte.
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Entgegen der Auffassung des FA musste die
Klägerin nicht etwa deshalb vom Vorliegen eines
Änderungsbescheids ausgehen, weil es erst nach dem Erlass des
Schätzbescheids vom 18.01.2012 und vor dem Erlass des
Bescheids vom 01.12.2016 zur Aufdeckung des
Treuhandverhältnisses gekommen ist. Zu Recht weist die
Klägerin darauf hin, dass nicht verständlich ist, warum
mit einem Feststellungsbescheid, in dem die Steuernummer für
die zweite Stufe eines mehrstufigen Feststellungsverfahrens genannt
ist, ein Feststellungsbescheid der ersten Stufe geändert
werden sollte.
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Einer in solchem Maß unklaren Regelung
kann keine Rechtsverbindlichkeit zugemessen werden; sie ist
nichtig.
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cc) Danach ist die von der Klägerin
begehrte Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom
18.01.2012 verfahrensrechtlich möglich, denn der in dem
Bescheid enthaltene Vorbehalt der Nachprüfung ist - mangels
Eintritts der Feststellungsverjährung - nicht gemäß
§ 164 Abs. 4 AO entfallen.
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Das FG hat deshalb zu Recht das FA unter
Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 07.12.2017, soweit dieser die
Gewinnfeststellung 2009 betrifft, und der hierzu ergangenen
Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 nach § 101 Satz 2 FGO
zur Bescheidung des Antrags auf Änderung des
Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 verpflichtet. Aus
Gründen der Rechtsklarheit durfte es zudem den nichtigen
Gewinnfeststellungsbescheid vom 01.12.2016 aufheben.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136
Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 FGO.
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