Auf die Revision der Klägerin werden das
Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 01.09.2022 - 2
K 112/19 und der Ablehnungsbescheid vom 05.04.2018 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13.03.2019 aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, den
Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 in der Fassung des
Änderungsbescheids vom 16.01.2018 dahingehend zu ändern,
dass die Umsatzsteuer um 6.178,53 EUR auf 521.739,25 EUR
herabgesetzt wird.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, führte in
ihrer Werkstatt Reparaturen an Fahrzeugen des Herstellers X (X)
durch, die X - nach Ausführung der Reparatur - im Rahmen von
„Gewährleistungen“ vergütete.
Die Klägerin, die ihre Steuer nach vereinbarten Entgelten
berechnete, verbuchte ihre Ansprüche gegen X für die im
Rahmen von „Gewährleistungen“ zu
vergütenden Reparaturleistungen auf
„Vergütungskonten“. Der Saldo auf
diesem „Vergütungskonto“ belief
sich am Ende des Jahres 2012 auf 32.518,58 EUR, wobei die
Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen nicht bereits
in 2012 versteuerte, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2013
(Streitjahr). Zum Ablauf des Streitjahrs ergab sich ein
Vergütungssaldo von 102.642,67 EUR, wobei die Klägerin
die hierfür erbrachten Leistungen wiederum nicht im
Streitjahr, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2014
versteuerte.
|
|
|
2
|
Im Anschluss an eine
Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015, bei der
die von der Klägerin erst mit der Vereinnahmung vorgenommene
Versteuerung beanstandet wurde, hob der Beklagte und
Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) für die
Umsatzsteuer-Jahresbescheide des Prüfungszeitraums den
Vorbehalt der Nachprüfung auf, erhöhte aber lediglich
für den Besteuerungszeitraum 2015 die Bemessungsgrundlage der
mit dem allgemeinen Steuersatz zu besteuernden Umsätze um den
zum Jahresende 2015 bestehenden Vergütungssaldo.
|
|
|
3
|
Mit ihren nur gegen die
Änderungsbescheide betreffend die Umsatzsteuerfestsetzungen
2014 und 2015 gerichteten Einsprüchen begehrte die
Klägerin zur Umsatzsteuer 2014 eine Berücksichtigung des
jeweiligen Vergütungssaldos für 2013 und 2014 im Jahr der
Leistungserbringung sowie zur Umsatzsteuer 2015 - neben der im
Bescheid bereits erfolgten Erhöhung der Bemessungsgrundlage um
den Vergütungssaldo 2015 - eine korrespondierende
Berücksichtigung des Vergütungssaldos 2014 zu ihren
Gunsten. In der Folge half das FA nicht nur diesen Einsprüchen
ab, sondern erhöhte mit Bescheid vom 16.01.2018 unter
Bezugnahme auf § 174 der Abgabenordnung (AO) gleichzeitig von
Amts wegen die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013
um den Vergütungssaldo 2013 in Höhe von 102.642,67
EUR.
|
|
|
4
|
Bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzung
2013 beantragte die Klägerin am 19.01.2018 unter Bezugnahme
auf § 177 Abs. 1 AO, die Festsetzung zu ändern und die
Bemessungsgrundlage - korrespondierend zu der vorgenommenen
Erhöhung - um den seinerzeit im Rahmen der
Umsatzsteuererklärung 2013 erklärten und noch in dem
Änderungsbescheid 2013 enthaltenen Vergütungssaldo 2012
in Höhe von 32.518,58 EUR zu mindern. Diesen Antrag lehnte das
FA ab und wies den hiergegen eingelegten Einspruch
zurück.
|
|
|
5
|
Auch die Klage zum Finanzgericht (FG) hatte
keinen Erfolg. Nach dem Urteil des FG steht der Klägerin kein
Anspruch auf Minderung der für das Streitjahr festgesetzten
Steuer um die sich aus dem Vergütungssaldo 2012 ergebende
Steuer zu. Zwar sei die Steuer für die Leistungen, auf die
sich der Vergütungssaldo 2012 beziehe, bereits im Jahr 2012
entstanden. Die Erfassung dieser Umsätze im Folgejahr sei
jedoch gleichwohl nicht rechtswidrig. Da die Klägerin durch
die jahrelange faktische Inanspruchnahme der Istbesteuerung
Liquiditätsvorteile erlangt habe, sei sie so zu behandeln, als
sei ihr - insoweit - die Istbesteuerung bewilligt worden. Bei der
Rückabwicklung der faktischen Istbesteuerung sei so zu
verfahren wie beim Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung,
für den § 20 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)
verlange, dass kein Umsatz unversteuert bleiben dürfe. Dies
wäre jedoch bei der begehrten Änderung der
Umsatzsteuerfestsetzung 2013 der Fall, weil die korrespondierende
Erhöhung der Umsatzsteuer 2012 wegen
Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sei. Die
rückwirkende Anwendung der Sollbesteuerung müsse dort
enden, wo die Bestandskraft einer Änderung der
Umsatzsteuerfestsetzung entgegenstehe. Eine Änderung
gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide bereits deshalb
aus, weil der Änderungsbescheid vom 16.01.2018 erhöhte
Bestandskraft genieße (§ 173 Abs. 2 Satz 1 AO). Der von
der Klägerin angeführte § 177 Abs. 1 AO sei keine
eigenständige Anspruchsgrundlage.
|
|
|
6
|
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten
Revision. Die Voraussetzungen von § 177 Abs. 1 AO, der bei
jeder Änderung gemäß §§ 172 ff. AO
berücksichtigt werden müsse, seien erfüllt. Zu
Unrecht habe das FG § 20 Satz 3 UStG analog angewendet. Dieses
habe rechtsfehlerhaft eine - tatsächlich nicht bestehende -
planwidrige Regelungslücke angenommen, um die Änderung
der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 zugunsten der Klägerin
abzuwenden, weil die korrespondierende Änderung der
Umsatzsteuerfestsetzung 2012 zu ihren Lasten wegen
Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sei. Dies sei
jedoch eine vom Gesetz gewollte Folge, die nicht durch die analoge
Anwendung von § 20 Satz 3 UStG konterkariert werden
dürfe.
|
|
|
7
|
Die Klägerin beantragt,
|
|
das Urteil des FG sowie den
Ablehnungsbescheid vom 05.04.2018 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13.03.2019 aufzuheben und das FA zu
verpflichten, den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 in der Fassung
des Änderungsbescheids vom 16.01.2018 dahingehend zu
ändern, dass die Umsatzsteuer um 6.178,53 EUR auf 521.739,25
EUR herabgesetzt wird.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Der auf § 174 AO gestützte
Änderungsbescheid vom 16.01.2018 könne wegen seiner
Bestandskraft nicht erneut gemäß § 172 AO
geändert werden. Da der Änderungsbescheid zur Umsetzung
der Ergebnisse der Außenprüfung geändert wurde, sei
eine Änderung außerdem nur im Rahmen von § 173 Abs.
2 AO möglich. Im Übrigen sei § 177 AO auf die
vorliegende Folgeänderung nicht anwendbar. Eine
Regelungslücke bestehe, weil das Gesetz nicht regele, wie die
jahresübergreifende Umsatzverschiebung korrigiert werden
müsse. Der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die
Neutralität der Umsatzsteuer sprächen gegen die
beantragte Änderung.
|
|
|
10
|
II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage
stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs.
1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG seine Umsätze nicht
bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung,
sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung,
kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum
der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend
machen, ohne dass dem - im Hinblick auf eine für den
Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung angenommene
Festsetzungsverjährung - eine Analogie zu § 20 Satz 3
UStG entgegensteht.
|
|
|
11
|
1. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz
1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige
Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten
Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) mit Ablauf des
Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt
worden sind. Damit kommt es bei dieser Art der - auch als
Sollbesteuerung bezeichneten - Steuerentstehung im Gegensatz zur
Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20
UStG), bei der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
UStG die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in
dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (Istbesteuerung), auf die
Leistungsausführung, nicht aber auf die Entgeltvereinnahmung
an.
|
|
|
12
|
Eine Ausnahme besteht nur für den Fall,
dass im Rahmen der Sollbesteuerung das Entgelt oder ein Teil des
Entgelts vereinnahmt wird, bevor die Leistung oder die Teilleistung
ausgeführt worden ist, da § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
Satz 4 UStG hierfür anordnet, dass die Steuer insoweit mit
Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das
Teilentgelt vereinnahmt worden ist, entsteht. Folgt
demgegenüber die Entgeltvereinnahmung der Leistungserbringung
nach, entsteht die Steuer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a Satz 1 und 4 UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums
der Leistungserbringung.
|
|
|
13
|
2. Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass von
der sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG
ergebenden Rechtslage im Rahmen einer Analogie zu § 20 Satz 3
UStG, wonach bei einem Wechsel der Art der Steuerberechnung
Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben
dürfen, abgewichen werden kann.
|
|
|
14
|
a) Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm
setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen
Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke liegt vor,
wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das
heißt ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre
Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten
Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht
(Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.02.2007 - II R 66/05,
BFHE 217, 176, BStBl II 2007, 621 = SIS 07 23 52, unter II.1.d aa;
vom 26.08.2021 - V R 11/20, BFHE 273, 415, BStBl II 2022, 202 = SIS 22 00 93, Rz 25; vom 11.07.2023 - X R 17/22, BFHE 281, 9 = SIS 23 15 74, Rz 27; vom 26.09.2023 - IX R 19/21, BFHE 281, 514, BStBl II
2024, 43 = SIS 23 20 04, Rz 32 f.). Zudem müssen der vom
Gesetzgeber geregelte und der nicht geregelte Fall durch eine
vergleichbare Interessenlage gekennzeichnet sein. Eine planwidrige
Regelungslücke ist nur gegeben, wenn das Gesetz, gemessen an
seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie,
unvollständig und somit ergänzungsbedürftig ist und
seine Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber gewollten
Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht
(BFH-Urteil vom 11.07.2023 - X R 17/22, BFHE 281, 9 = SIS 23 15 74,
Rz 27). Im Übrigen kommt eine analoge Anwendung einer
Vorschrift nur in Betracht, wenn die für einen bestimmten
Sachverhalt vorgesehene gesetzliche Regelung auf einen anderen, vom
Gesetz nicht erfassten, aber nur unwesentlich abweichenden
Sachverhalt anwendbar ist (BFH-Urteil vom 30.07.2019 - VIII R
21/16, BFHE 266, 97, BStBl II 2021, 171 = SIS 19 20 51, Rz 25).
|
|
|
15
|
b) Danach kommt eine Analogie nicht in
Betracht.
|
|
|
16
|
aa) Es fehlt bereits an einer für eine
Analogie erforderlichen Regelungslücke. Die Korrektur einer im
Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG stehenden
zeitlichen Zuordnung von Umsätzen erfolgt auf der Grundlage
der Änderungsvorschriften der § 164 Abs. 2, § 172
ff. AO unter den darin niedergelegten Voraussetzungen.
|
|
|
17
|
Dabei ist der hier vorliegende Fall, dass aus
einem Antrag des Steuerpflichtigen Folgerungen für andere
Besteuerungszeiträume zu ziehen sind, insbesondere durch
§ 174 Abs. 4 AO geregelt. Ist aufgrund irriger Beurteilung
eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der
aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des
Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten
aufgehoben oder geändert wird, so können danach aus dem
Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines
Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen
werden, wobei dies auch dann gilt, wenn der Steuerbescheid durch
das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4
Satz 1 und 2 AO). Zudem ist der Ablauf der Festsetzungsfrist
unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines
Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften
Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). War
allerdings die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der
später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen
wurde, gilt dies nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO nur unter den
Voraussetzungen von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO.
|
|
|
18
|
Damit liegt eine gesetzliche Regelung für
die hier zu beurteilende Fallgestaltung vor. Denn im Streitfall hat
das FA aufgrund einer rechtsirrigen Beurteilung (vgl. hierzu
BFH-Urteil vom 25.10.2016 - X R 31/14, BFHE 255, 399, BStBl II
2017, 287 = SIS 16 27 60, Rz 15 ff.) eines bestimmten Sachverhalts
(Besteuerung der bereits in 2012 ausgeführten Leistungen erst
bei Vereinnahmung des Entgelts im Streitjahr) den hier
streitgegenständlichen Steuerbescheid erlassen, der aufgrund
des von der Klägerin gestellten Antrags zu ihren Gunsten
geändert werden soll (keine Besteuerung der in 2012
ausgeführten Leistungen im Streitjahr). Daher können aus
dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines
Steuerbescheids für 2012 die richtigen steuerlichen
Folgerungen gezogen werden, wobei dies unter den in § 174 Abs.
4 Satz 3 und 4 AO genannten Voraussetzungen selbst dann
möglich ist, wenn die Festsetzungsfrist für die
Umsatzsteuer 2012 bereits abgelaufen sein sollte. Fehlt es danach
bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, ist es im
Übrigen unerheblich, ob die Anwendung von § 174 Abs. 4 AO
im Streitjahr eine Folgeänderung für 2012 ermöglicht
oder ob dies an den Besonderheiten des Streitfalls scheitert, zum
Beispiel im Hinblick auf eine nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO
bereits abgelaufene Festsetzungsfrist, und die deshalb zu
erfüllenden Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1
AO.
|
|
|
19
|
Lediglich ergänzend ist darauf
hinzuweisen, dass die Annahme einer Regelungslücke auch nicht
damit begründet werden kann, dass eine Korrektur im Einzelfall
an einer bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung
scheitert. Denn die Verjährungsvorschriften dienen der
Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden (BFH-Urteile vom 15.06.1988
- I R 68/86, BFH/NV 1990, 128, unter 2.; vom 31.01.1989 - VII R
77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442 = SIS 89 10 50, unter
II.3.b; vom 26.02.2008 - VIII R 1/07, BFHE 220, 229, BStBl II 2008,
659 = SIS 08 25 83, unter II.3.a bb), und zwar in gleicher Weise im
Interesse der Steuerpflichtigen als auch im Interesse der
Allgemeinheit an einem geordneten Arbeitsablauf bei der
Finanzverwaltung. Dieser wäre gestört, wenn
Steuerbescheide, die sich nachträglich als unrichtig erweisen,
ohne zeitliche Begrenzung zugunsten oder zulasten des
Steuerpflichtigen geändert werden müssten (BFH-Urteile
vom 19.08.1999 - III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330 =
SIS 00 09 37; vom 27.11.2013 - II R 57/11, BFHE 243, 313, BStBl II
2016, 506 = SIS 14 04 75, Rz 27).
|
|
|
20
|
Ist Festsetzungsverjährung eingetreten,
führt selbst der Grundsatz von Treu und Glauben nicht dazu,
dass ein erloschener Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis
wieder entsteht (BFH-Urteil vom 22.01.2013 - IX R 1/12, BFHE 239,
385, BStBl II 2013, 663 = SIS 13 07 91, Rz 21). Dies gilt
unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der
Verjährung vorwerfbar ist oder nicht (BFH-Urteil vom
11.11.2020 - XI R 11/18, BFHE 271, 41, BStBl II 2021, 415 = SIS 21 05 35, Rz 32). Auch aus diesem Grund kommt es nicht in Betracht, im
Hinblick auf eine - vom FG ohne nähere Prüfung
unterstellte - Unmöglichkeit einer Folgekorrektur für
2012 zulasten der Klägerin eine Auslegung des materiellen
Rechts dergestalt zu bejahen, dass ein dem materiellen Recht
entsprechender Änderungsanspruch des Steuerpflichtigen
abgelehnt wird.
|
|
|
21
|
bb) Zudem fehlt es auch am Erfordernis einer
vergleichbaren Interessenlage. Denn § 20 Satz 3 UStG bezieht
sich auf einen rechtlichen Wechsel der Besteuerungsart von der
Soll- zur Istbesteuerung oder umgekehrt. Damit nicht vergleichbar
ist der hier vorliegende Fall, dass der Unternehmer einzelne seiner
Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der
Leistungsausführung, sondern rechtsfehlerhaft erst für
den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung versteuert. Würde
§ 20 Satz 3 UStG auch auf eine tatsächlich
rechtsfehlerhafte Versteuerung angewendet, würde damit die
für einen bestimmten Sachverhalt vorgesehene gesetzliche
Regelung nicht auf einen anderen, vom Gesetz nicht erfassten, aber
nur unwesentlich abweichenden Sachverhalt angewendet.
|
|
|
22
|
3. Die Sache ist spruchreif. Die Klägerin
hat einen Anspruch auf die beantragte Änderung der
Umsatzsteuerfestsetzung 2013 gemäß § 172 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 Alternative 2 AO, wonach ein
Steuerbescheid, soweit er - wie vorliegend - nicht vorläufig
oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur
aufgehoben oder geändert werden darf, soweit dem Antrag des
Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird.
|
|
|
23
|
a) Die Klägerin hat ihren Antrag
zulässig gestellt.
|
|
|
24
|
aa) Das im Schreiben vom 19.01.2018
formulierte Begehren ist ungeachtet der Nennung von § 177 Abs.
1 AO als „schlichter“
Änderungsantrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 Buchst. a AO zu verstehen. Denn § 177 AO ist keine
eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern begrenzt die auf
anderer rechtlicher Grundlage erfolgende Korrektur eines
Steuerbescheids zugunsten der materiell-rechtlich zutreffenden
Steuerfestsetzung (BFH-Urteil vom 22.04.2015 - X R 24/13, BFH/NV
2015, 1334 = SIS 15 20 59, Rz 16; Loose in Tipke/Kruse, § 177
AO Rz 1).
|
|
|
25
|
Der Antrag genügt dabei den
Bestimmtheitsanforderungen, nach denen sich das
Änderungsbegehren über die bloß
betragsmäßige Nennung hinaus zumindest in groben
Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag ergeben
muss (BFH-Urteil vom 20.12.2006 - X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II
2007, 503 = SIS 07 11 13, unter II.3.), denn die Klägerin
begehrte ausdrücklich die Reduzierung der Bemessungsgrundlage
für die Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den
Vergütungssaldo 2012.
|
|
|
26
|
bb) Der Änderungsantrag wurde drei Tage
nach dem Änderungsbescheid vom 16.01.2018 gestellt und ging
sowohl - wie von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz
2 AO vorgesehen - innerhalb der Einspruchsfrist als auch innerhalb
der Festsetzungsfrist beim FA ein (zu diesem Erfordernis s.
BFH-Urteile vom 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89 =
SIS 23 05 84, Rz 25; vom 03.03.2011 - III R 45/08, BFHE 233, 6,
BStBl II 2011, 673 = SIS 11 18 27, Rz 15).
|
|
|
27
|
cc) § 351 Abs. 1 AO steht dem
Änderungsbegehren nicht entgegen, da sich die begehrte
Änderung in dem Rahmen bewegt, der durch den
Änderungsbescheid vom 16.01.2018 vorgegeben wird.
|
|
|
28
|
b) Der Antrag ist auch begründet, da der
Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 rechtswidrig ist, soweit er den
Vergütungssaldo 2012 in die Bemessungsgrundlage einbezieht, da
die Umsatzsteuer hierauf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a Satz 1 UStG bereits mit Ausführung der Leistungen im
Jahr 2012 entstand. Die Korrektur dieses Zeitpunkts der
Steuerentstehung durch eine analoge Anwendung von § 20 Satz 3
UStG oder der vom FA gegen das Änderungsbegehren erhobene
Einwand der Treuwidrigkeit kommt wie vorstehend ausgeführt
nicht in Betracht.
|
|
|
29
|
c) Entgegen der Auffassung des FA
schließt die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO
eine Korrektur aufgrund anderer Vorschriften als § 173 Abs. 1
AO - und damit nach dem hier anwendbaren § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO - nicht aus (BFH-Urteile vom 10.09.1987 - V R
69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834 = SIS 87 22 54, am Ende;
vom 28.11.1989 - VIII R 83/86, BFHE 159, 418, BStBl II 1990, 458 =
SIS 90 10 51, unter 1.c; vom 14.12.1994 - XI R 80/92, BFHE 176,
308, BStBl II 1995, 293 = SIS 95 09 63, unter II.2.; vom 16.09.2004
- X R 22/01, BFH/NV 2005, 322 = SIS 05 12 17, unter II.1.b aa; vom
06.03.2007 - IX R 51/04, BFH/NV 2007, 1456 = SIS 07 23 80, unter
II.2.c; vom 18.08.2009 - X R 8/09, BFH/NV 2010, 161 = SIS 10 01 14,
unter II.3.b).
|
|
|
30
|
d) Im Übrigen folgt aus der
Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids zur Umsatzsteuer 2013
vom 16.01.2018, dass das grundsätzlich nach § 172 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO bestehende Ermessen des FA, einen
Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, auf null reduziert
wird (vgl. BFH-Beschluss vom 22.05.2019 - XI R 17/18, BFHE 264,
399, BStBl II 2019, 647 = SIS 19 11 73, Rz 24; BFH-Urteile vom
19.05.2020 - X R 22/19, BFH/NV 2020, 1241 = SIS 20 15 12, Rz 20;
vom 11.10.2017 - IX R 2/17, BFH/NV 2018, 322 = SIS 17 24 85, Rz 15,
17), so dass das FA zur beantragten Änderung verpflichtet
ist.
|
|
|
31
|
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
|