Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 28.10.2021 - 8 K 939/19 E =
SIS 21 19 89 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die
Kläger zu tragen.
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind (ausschließlich) im Inland wohnhafte
Eheleute und wurden im Streitjahr (2014) zur Einkommensteuer
zusammen veranlagt.
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Der Kläger ist britischer
Staatsbürger. Er arbeitete bis zum 22.01.2014 als Soldat
für die britischen Streitkräfte und war im Inland
stationiert. Für diese Tätigkeit erhielt er im Streitjahr
laufenden Arbeitslohn/Sold in Höhe von … EUR sowie eine
Abfindung in Höhe von … EUR. Daneben erhielt er
Pensionszahlungen in Höhe von … EUR. Nach seinem
Ausscheiden (ab dem 23.01.2014) war er bei einem anderen
Arbeitgeber als Bürokraft beschäftigt (Bruttoarbeitslohn:
… EUR).
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In der Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr erklärten die Kläger einen
Bruttoarbeitslohn des Klägers in Höhe von … EUR
und Entschädigungen/Arbeitslohn für mehrere Jahre von
… EUR. Daneben erklärten sie „steuerfreien
Arbeitslohn nach Doppelbesteuerungsabkommen“
in Höhe von … EUR (Sold und Pension).
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In einer Anlage zur
Einkommensteuererklärung wurden Ausführungen zur
steuerlichen Behandlung des laufenden Arbeitslohns bis zum
Ausscheiden, der Pensionszahlungen und der Abfindungszahlung
gemacht:
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Der laufende Arbeitslohn bis zum
Ausscheiden sei nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 und die
Pensionszahlungen seien nach Art. 18 Abs. 2 des Abkommens zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich
Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom
30.03.2010 (BGBl II 2010, 1334, BStBl I 2011, 470) -
DBA-Großbritannien 2010 - steuerfrei. Sowohl der laufende
Arbeitslohn als auch die Pensionszahlungen seien im Vereinigten
Königreich Großbritannien und Nordirland (Vereinigtes
Königreich) versteuert worden. Insgesamt seien damit …
EUR des Arbeitslohns steuerfrei.
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Die Abfindungszahlung sei nach britischem
Steuerrecht in voller Höhe steuerfrei. Nach der
subject-to-tax-Klausel (Rückfallklausel) in Art. 23 Abs. 1
Buchst. a DBA-Großbritannien 2010 habe die Bundesrepublik
Deutschland (Deutschland) deshalb das Besteuerungsrecht. Die
Abfindungszahlung sei nach § 34 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) zu besteuern.
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Die Kläger wurden mit
Einkommensteuerbescheid vom 19.01.2016
erklärungsgemäß veranlagt. Der Bescheid wurde
bestandskräftig.
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In einer Bescheinigung vom 16.05.2018
teilte die britische Steuerbehörde „HM Revenue &
Customs“ mit, die „pension lump
sum“ sei normalerweise steuerfrei
(„normally tax free“). Auf Nachfrage des
Klägers erklärte die „HM Revenue &
Customs“ mit Schreiben vom 28.06.2018, dass
die dem Kläger gewährte „termination grant/pension
lump sum“ nicht besteuert worden sei.
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Mit Schreiben vom 09.07.2018 beantragten
die Kläger unter Bezugnahme auf die Bescheinigung der
„HM Revenue & Customs“ vom 28.06.2018,
den Einkommensteuerbescheid vom 19.01.2016 für das Streitjahr
nach § 175 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) zu
ändern und die Abfindung steuerfrei zu stellen.
Vergütungen im öffentlichen Dienst nach Art. 18 Abs. 1
DBA-Großbritannien 2010 dürften nur vom Staat des
Dienstherrn besteuert werden. Entsprechendes sei in § 50d Abs.
8 EStG geregelt.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) trat dem Änderungsbegehren entgegen. Der
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sei fehlerhaft. Die
Abfindungszahlung sei nach britischem Steuerrecht in voller
Höhe steuerfrei. Die Voraussetzungen der
subject-to-tax-Klausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a
DBA-Großbritannien 2010 lägen nicht vor (Hinweis auf
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.06.2013, BStBl
I 2013, 980 = SIS 13 22 94, Tz. 2.3). Insofern sei das FA der
anderslautenden Erklärung der Kläger zu Unrecht gefolgt.
Gleichwohl sei die Einkommensteuerfestsetzung für 2014 nicht
zu ändern. Die Abfindung sei nicht wegen fehlender Nachweise
nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, sondern wegen der
rechtsfehlerhaften Anwendung von Art. 23 DBA-Großbritannien
2010 besteuert worden.
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Nachdem die Kläger an ihrem Begehren
festhielten, lehnte das FA ihren Änderungsantrag ab.
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Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen
Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2022, 116 =
SIS 21 19 89 veröffentlichten
Gründen teilweise statt. Das FA habe die Änderung des
angefochtenen Steuerbescheids zu Unrecht abgelehnt. Dieser sei
allerdings nur insoweit zu ändern, als die Abfindungszahlung
nicht bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, sondern
bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen
sei.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt sinngemäß,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Kläger beantragen
sinngemäß,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die (unstreitig
bestandskräftige) Einkommensteuerfestsetzung für das
Streitjahr nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG zu ändern
sei.
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1. Sind Einkünfte eines unbeschränkt
Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19
EStG) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von
der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die
Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens
gemäß § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur gewährt,
soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem
Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses
Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf
die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird
ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte
in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der
Steuerbescheid insoweit nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG zu
ändern. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO ist entsprechend
anzuwenden (§ 50d Abs. 8 Satz 3 EStG).
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a) Ein rückwirkendes Ereignis im Sinne
des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt § 50d Abs. 8 Satz
2 EStG nicht voraus. Denn § 50d Abs. 8 Satz 3 EStG
erklärt die Regelung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO lediglich
für entsprechend anwendbar (Sächsisches FG, Urteil vom
22.11.2016 - 3 K 450/16, EFG 2017, 712 = SIS 17 05 05 mit
zustimmender Anmerkung Reddig; FG Köln, Urteil vom 16.06.2016
- 13 K 3649/13, EFG 2016, 1711 = SIS 16 20 95;
Brandis/Heuermann/Wagner, § 50d EStG Rz 129; Rüsch,
Internationale SteuerRundschau 2019, 350, 355). Bei § 50d Abs.
8 Satz 2 EStG handelt es sich vielmehr um eine eigenständige
Korrekturnorm. Danach gilt die nachträgliche Erteilung oder
Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung - selbst wenn sie
wie in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG zur materiellen
Freistellungsvoraussetzung erhoben wird - nicht als
rückwirkendes Ereignis. Der Verweis auf § 175 Abs. 1 Satz
2 AO führt nur dazu, dass die Festsetzungsfrist erst mit
Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Nachweis nach §
50d Abs. 8 Satz 1 EStG geführt wird. Dadurch soll dem
Steuerpflichtigen ausreichend Zeit eingeräumt werden, die dem
Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen
(BR-Drucks. 630/03, S. 66).
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b) Die Änderungsvorschrift eröffnet
damit ausweislich ihres Wortlauts keine vollumfängliche,
nachträgliche abkommensrechtliche Überprüfung
bestandskräftiger Steuerfestsetzungen auf ihre materielle
Richtigkeit, sondern nur eine punktuelle Änderung, soweit der
von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderte Nachweis über die
Besteuerung im anderen Staat oder den Besteuerungsverzicht des
anderen Staates erst im Nachhinein geführt wird.
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aa) Dies zeigt die Verwendung von
„erst“ und
„nachdem“. Damit setzt die Regelung
voraus, dass der nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG erforderliche
Nachweis betreffend den Besteuerungsverzicht beziehungsweise die
Entrichtung der dort festgesetzten Steuern nicht (bereits) zuvor im
Rahmen der Veranlagung im Inland, sondern erstmals
(nachträglich) im späteren Änderungsverfahren
geführt wird. Aus dieser Verknüpfung wird zudem deutlich,
dass die Versagung der abkommensrechtlich gebotenen
Steuerfreistellung nur dann die Änderung der Steuerfestsetzung
rechtfertigt, wenn die Arbeitnehmereinkünfte wegen der
Verletzung der in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG normierten
Nachweispflichten in die zu ändernde
Einkommensteuerveranlagung einbezogen worden sind.
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bb) Dass die abkommenswidrige
Steuerfestsetzung auf § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG beruhen muss,
damit sie nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG geändert werden
kann, hat der Gesetzgeber ferner dadurch verdeutlicht, dass die
Änderung weiter voraussetzt, dass ein
„solcher“ - und damit der nach Satz 1
erforderliche - Nachweis (erst) im Änderungsverfahren
geführt worden ist und die
Änderungsbefugnis/-verpflichtung der Finanzbehörden nur
„insoweit“ eröffnet ist, als die
abkommenswidrige Besteuerung der Arbeitnehmereinkünfte darauf
gründet.
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c) Die Gesetzessystematik bestätigt diese
Wortlautauslegung.
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aa) Die Berichtigungsvorschrift ist nicht in
der Abgabenordnung, sondern in § 50d Abs. 8 EStG geregelt. Die
Berichtigungsnorm in Satz 2 kann nicht isoliert von Satz 1 in den
Blick genommen werden. Sie dient nur als Korrektiv für den
Fall, dass die Arbeitnehmereinkünfte des Steuerpflichtigen
(allein) deshalb zu Unrecht in die Veranlagung einbezogen werden,
weil der Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt nicht nachgewiesen
hat, dass der besteuerungsberechtigte Staat auf sein
Besteuerungsrecht verzichtet oder die von diesem festgesetzten
Steuern entrichtet worden sind. § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG
ermöglicht deshalb - entgegen der Auffassung des FG - keine
vollumfängliche, nachträgliche abkommensrechtliche
Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen
betreffend die Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit, sondern nur eine punktuelle Korrektur in Bezug auf
Arbeitnehmereinkünfte, die (zumindest auch) mangels Nachweises
bestandskräftig besteuert wurden und bei denen der von §
50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderte Nachweis erst im
Änderungsverfahren geführt wird oder werden kann.
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bb) Die Rechtsauffassung der Kläger und
des FG, die eine Änderung nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG
auch dann gestatten würde, wenn die Beteiligten im
Veranlagungsverfahren zu Unrecht davon ausgegangen sind, dass
Einkünfte abkommensrechtlich in Deutschland besteuert werden
dürfen, ist mit dem allgemeinen steuerlichen
Änderungsregime nicht vereinbar. Aus den Regelungen zur
Bestandskraft von Steuerbescheiden (§§ 172 ff. AO) ergibt
sich vielmehr der Grundsatz, dass auch rechtswidrige
Steuerfestsetzungen nach Eintritt der Bestandskraft nur aufgehoben
oder geändert werden können, wenn die Voraussetzungen
einer Änderungsvorschrift vorliegen. Die allgemeine
Rechtmäßigkeitskontrolle (belastender) Steuerbescheide
ist hingegen dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren
vorbehalten. Hiervon im Hinblick auf die abkommensrechtliche
Behandlung von Arbeitseinkommen abzuweichen, würde zu einer
systemwidrigen Begünstigung dieser Einkünfte führen.
Eine Rechtfertigung hierfür ist - jenseits des besonderen
Nachweisverlangens in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG - nicht
ersichtlich.
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d) Sinn und Zweck der Vorschrift verlangen
ebenfalls danach, dass im bestandskräftig abgeschlossenen
Veranlagungsverfahren die Vorschrift des § 50d Abs. 8 Satz 1
EStG angewandt und damit, dass eine abkommensrechtliche
Freistellung nur mangels Nachweises versagt wurde. Denn (auch)
ausweislich der Gesetzesbegründung sieht § 50d Abs. 8
Satz 2 EStG lediglich eine zielgerichtete Berichtigung des
Steuerbescheids für den Fall vor, dass ein in § 50d Abs.
8 Satz 1 EStG genannter Nachweis erbracht wird, nachdem die
Einkünfte aufgrund dessen Nichterbringung zunächst in die
Veranlagung einbezogen worden sind (vgl. BR-Drucks. 630/03, S. 65
f.). § 50d EStG ist danach ersichtlich von dem
gesetzgeberischen Willen getragen, durch § 50d Abs. 8 Satz 1
EStG zunächst die Besteuerung im Inland sicherzustellen und
einer dadurch drohenden - abkommenswidrigen - Doppelbesteuerung in
dem nachfolgenden Änderungsverfahren zu begegnen (BR-Drucks.
630/03, S. 66).
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2. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher
aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn vorliegend beruht die
Besteuerung der Abfindung nicht auf dem fehlenden Nachweis
betreffend den britischen Steuerverzicht beziehungsweise die
Zahlung der im Vereinigten Königreich festgesetzten Steuer,
sondern auf der (ursprünglich auch von den Klägern
vertretenen) Rechtsauffassung, dass die Voraussetzungen für
eine Freistellung nach dem DBA-Großbritannien 2010 aufgrund
der in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien 2010
enthaltenen subject-to-tax-Klausel nicht erfüllt seien. Ein
bloßer (vermeintlicher) Rechtsfehler/Rechtsirrtum erlaubt die
Änderung eines - wie hier unstreitig - bestandskräftigen
Steuerbescheids nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG - wie oben
ausgeführt - jedoch nicht.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
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