Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 29.04.2022 - 10 K 1297/20 G,U,F
= SIS 22 12 20 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das
Finanzamt zu tragen.
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I. In der Sache sind vom Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) vorgenommene
Hinzuschätzungen (§ 162 der Abgabenordnung - AO - )
für Entnahmen des Klägers und Revisionsbeklagten
(Kläger) für den Eigenbedarf aus den von ihm betriebenen
Supermärkten streitig. Dabei stellt sich die Frage, ob der
Ansatz der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF)
veröffentlichten Pauschbeträge für unentgeltliche
Wertabgaben (Sachentnahmen) den Steuerpflichtigen in den
Streitjahren 2015 bis 2017 von der Aufzeichnung der Entnahmen von
sogenannten Non-Food-Artikeln befreite.
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Der Kläger ermittelte seinen Gewinn
aus den von ihm als Einzelkaufmann betriebenen Supermarkt-Filialen,
die dem Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel - Einzelhandel -
zuzurechnen waren, durch Betriebsvermögensvergleich
gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Sein Warensortiment umfasste
Lebensmittel und Getränke, Genussmittel sowie sogenannte
Non-Food-Artikel, darunter insbesondere Wasch- und Putzmittel,
Hygienepapiere, Kosmetik- und Körperpflegeprodukte, Sonnen-
und Insektenschutzmittel, Depotkosmetik und Parfum, Papier und
Schreibwaren, Bücher, Zeitschriften, Textilien, Hartwaren,
Pflanzen und Blumen mit Zubehör. Sein Sortiment umfasste keine
ungewöhnlichen und besonders hochwertigen Artikel (etwa
Elektroartikel).
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Der Kläger, der mit einer weiteren
Person zusammen lebte, entnahm in den Streitjahren aus seinen
Supermärkten Nahrungs- und Genussmittel sowie
Non-Food-Artikel, aber keine Tabakwaren. Er zeichnete die
Warenentnahmen nicht einzeln auf. Dafür setzte er bei den
Gewinnermittlungen Beträge im Umfang der vom BMF im
Bundessteuerblatt (BStBl) und auf seiner Homepage
veröffentlichten Pauschbeträge für unentgeltliche
Wertabgaben (Sachentnahmen) für den Gewerbezweig Nahrungs- und
Genussmittel (Einzelhandel) vom 12.12.2014 (BStBl I 2014, 1575 =
SIS 14 33 24) für das Kalenderjahr 2015, vom 16.12.2015 (BStBl
I 2015, 1084 = SIS 15 30 01) für das Kalenderjahr 2016 und vom
15.12.2016 (BStBl I 2016, 1424 = SIS 16 26 08) für das
Kalenderjahr 2017 (im Folgenden als BMF-Regelung bezeichnet)
für jeweils zwei Personen an. Die Bescheide ergingen insoweit
zunächst erklärungsgemäß.
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Nach einer Außenprüfung kam das
FA zu der Auffassung, dass die BMF-Regelung nur für die
Entnahme von Nahrungs- und Genussmitteln ohne Tabakwaren gelte,
Non-Food-Artikel hingegen nicht erfasse. Das FA schätzte die
Entnahme der Non-Food-Artikel deshalb mit 1.680 EUR (2015 und 2016)
und 1.667 EUR (2017) zuzüglich 319,20 EUR Umsatzsteuer je
Kalenderjahr (vgl. § 3 Abs. 1b des Umsatzsteuergesetzes - UStG
- ). Es erhöhte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb
gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bzw. § 7
Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes und die Umsatzsteuer entsprechend
und erließ unter dem Datum 15.07.2019 geänderte
Bescheide über die gesonderte Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen und den Gewerbesteuermessbetrag sowie
geänderte Umsatzsteuerbescheide.
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Gegen die Änderungsbescheide legte der
Kläger erfolglos Einspruch ein (Einspruchsentscheidungen vom
02.04.2020). Das FA hielt betragsmäßig an seiner
Hinzuschätzung fest, begründete diese nun allerdings
anders.
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Das Finanzgericht (FG) gab der hierauf
erhobenen Klage statt. Es urteilte, das FA sei dem Grunde nach
berechtigt gewesen, die Höhe der Sachentnahmen des
Klägers aus seinem Betrieb nach § 162 AO zu
schätzen, weil sie dieser nicht aufgezeichnet habe. Die
Hinzuschätzungen für die Entnahme sogenannter
Non-Food-Artikel seien allerdings - jedenfalls in dem vorliegenden
Streitfall - unzulässig. Denn die Schätzung habe nicht
über die Pauschbeträge der BMF-Regelung beziehungsweise
der jeweils einschlägigen „amtlichen
Richtsatzsammlungen“ für den Gewerbezweig
Nahrungs- und Genussmittel (Einzelhandel) nach den für die
Streitjahre jeweils einschlägigen BMF-Schreiben hinausgehen
dürfen.
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Das Urteil ist in EFG 2022, 1381 =
SIS 22 12 20
veröffentlicht.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision.
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Das FA beantragt,
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das Urteil vom 29.04.2022 - 10 K 1297/20
G,U,F aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet. Die
Vorentscheidung ist im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Die Vorentscheidung verstößt
gegen Bundesrecht, weil das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist,
dass das FA wegen der Sachentnahmen des Klägers aus seinen
Supermärkten dem Grunde nach zur Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO berechtigt
war, und weil es (folgerichtig) für Schätzungen geltende
Rechtsgrundsätze angewandt hat. Im Streitfall lagen die
Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vor. Der
Kläger hat nicht gegen Aufzeichnungspflichten verstoßen,
sondern in zulässiger Weise von einer Erleichterung von den
durch die Steuergesetze begründeten Aufzeichnungspflichten
Gebrauch gemacht.
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Die Vorentscheidung ist dennoch im Ergebnis
richtig, weil das FG im Ergebnis zu Recht hinsichtlich der
Hinzuschätzungen wegen der Entnahme von Non-Food-Artikeln der
Klage stattgegeben hat.
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a) Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die
Finanzbehörde zu schätzen, soweit sie die
Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann.
Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO ist insbesondere dann
zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder
Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat,
nicht vorlegt. Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 1 Satz
2, § 3 Abs. 1b Nr. 1 UStG, §§ 140 ff. AO sind
Aufzeichnungen über die Entnahme von Gegenständen durch
den Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die
außerhalb des Unternehmens liegen, getrennt nach
Steuersätzen vorzunehmen. Bei Steuerpflichtigen, die ihren
Aufzeichnungspflichten nicht nachkommen, sind die Sachentnahmen
nach § 162 AO zu schätzen (Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 23.04.2015 - V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106 = SIS 15 15 31,
Rz 9). In diesem Fall sind die Sachentnahmen nach § 162 AO
auch für Zwecke der Einkommen- und der Gewerbesteuer zu
schätzen (BFH-Beschluss vom 19.03.2007 - X B 191/06, BFH/NV
2007, 1134 = SIS 07 15 77, unter 1.b, m.w.N.).
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b) Eine (Hinzu-)Schätzung wegen
Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten scheidet allerdings
aus, soweit der Steuerpflichtige von derartigen Pflichten entbunden
war, zum Beispiel gemäß § 22 Abs. 6 Nr. 1 UStG
i.V.m. §§ 63 ff. der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung, oder weil ihm
gemäß § 148 Satz 1 AO eine Erleichterung bewilligt
worden war, die er in Anspruch genommen hat. Im Streitfall kommt
aufgrund von Satz 2 der zweiten Vorbemerkung der BMF-Regelung eine
erleichterte Art der Aufzeichnung von Entnahmen in Betracht. Danach
wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit geboten, die
Warenentnahmen monatlich pauschal zu verbuchen, sofern er sich an
die vom BMF jährlich bekanntgegebenen, nach Erfahrungswerten
festgelegten Jahreswerte hält. Die vom BMF festgelegten
Jahreswerte sehen dabei entsprechend der Verpflichtung zur nach
Steuersätzen getrennten Aufzeichnung pauschale Werte sowohl
für Waren mit ermäßigtem Steuersatz als auch
für solche mit vollem Steuersatz vor.
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c) Das BMF hat damit für die Streitjahre
eine Erleichterung der Aufzeichnungspflicht geschaffen, auf die
sich der Kläger berufen kann.
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(1) Gemäß § 148 Satz 1 AO
können die Finanzbehörden für einzelne Fälle
oder für bestimmte Gruppen von Fällen Erleichterungen
bewilligen, wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze
begründeten Buchführungs-, Aufzeichnungs- und
Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die
Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird.
Die Bewilligung von Erleichterungen nach § 148 AO bezieht sich
nicht nur auf die in der Abgabenordnung geregelten Pflichten,
sondern auf alle durch Steuergesetze geregelten Buchführungs-,
Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten (Baum/Grammes in AO -
eKommentar, § 148 AO, Rz 3). Das Vorliegen einer solchen von den
Finanzbehörden bewilligten Erleichterung erscheint im Hinblick
auf die Zuständigkeit des BMF und die vom BMF gewählte
Handlungsform problematisch.
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(2) Die BMF-Regelung ist unter
Berücksichtigung der Aufgabenverteilung zwischen dem BMF und
den Landesfinanzbehörden als allgemeine fachliche Weisung zu
qualifizieren.
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(a) Erleichterungen gemäß §
148 Satz 1 AO können durch die Finanzbehörden (§ 6
Abs. 2 AO) durch Einzelverwaltungsakt oder für bestimmte
Gruppen von Fällen durch Allgemeinverfügung (§ 118
Satz 2 AO) gewährt werden (vgl. z.B. Baum/Grammes in AO -
eKommentar, § 148 AO, Rz 5; Drüen in Tipke/Kruse, §
148 AO Rz 15 ff., 23; Klein/Rätke, AO, 17. Aufl., § 148
Rz 8; Koenig/Haselmann, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 148 Rz 7;
Mues in Gosch, AO § 148 Rz 11; Trzaskalik in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 148 AO Rz 8). Eine
Vorschrift, wonach das BMF für den Erlass einer
Allgemeinverfügung sachlich zuständig ist, mit der
Erleichterungen nach § 148 Satz 1 AO bewilligt werden, fehlt
jedoch in § 148 Satz 1 AO (s. etwa § 367 Abs. 2b Satz 2
und 3 AO für die der Verwaltungshoheit des Bundes
unterfallenden Steuern). Auch der Umstand, dass die Einkommensteuer
und die Umsatzsteuer als Gemeinschaftsteuern (Art. 106 Abs. 3 Satz
1 des Grundgesetzes - GG - ) in den Bereich der
Bundesauftragsverwaltung fallen, begründet keine
Wahrnehmungskompetenz des Bundes (Seer in: Kahl/Waldhoff/Walter
(Hg.), BK, Art. 108 Rz 105, m.w.N.).
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(b) Als im Rahmen der
finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung problematisch
würde sich auch die Einordnung der BMF-Regelung als allgemeine
Verwaltungsvorschrift erweisen. Denn Art. 108 Abs. 7 GG weist die
Zuständigkeit für den Erlass allgemeiner
Verwaltungsvorschriften nicht dem BMF, sondern der Bundesregierung
zu, wobei deren Regelungskompetenz an die Zustimmung des
Bundesrates gebunden wird.
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(c) Allerdings verweist Art. 108 Abs. 3 Satz 2
GG für den Bereich der Bundesauftragsverwaltung auf die
Geltung des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG und erklärt anstelle der
Bundesregierung den Bundesminister der Finanzen für
zuständig. Danach unterstehen die Landesfinanzbehörden
den Weisungen des BMF (Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG), wobei sich die
Bundesaufsicht auf die Gesetzmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit der Ausführung erstreckt (Art. 85
Abs. 4 Satz 1 GG). Ob das Weisungsrecht des Bundes insoweit nicht
nur Einzelweisungen, sondern auch allgemeine fachliche Weisungen
abdeckt, ist zwar umstritten (dies wohl bejahend zur in Art. 108
Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GG a.F. geregelten
Bundesauftragsverwaltung Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 21.10.1971 - 2 BvL 6/69 u.a., BVerfGE 32, 145, BStBl II 1972,
48 = SIS 72 00 31, unter B.III.2.b); dies ablehnend dagegen Seer
in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hg.), BK, Art. 108 Rz 111 ff., 120 ff.,
m.w.N.). Da jedoch § 21a Abs. 1 Satz 1 des
Finanzverwaltungsgesetzes dem BMF zur Verbesserung und
Erleichterung des Vollzugs von Steuergesetzen und im Interesse des
Zieles der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
ausdrücklich die Kompetenz zuweist, mit Zustimmung der
obersten Finanzbehörden der Länder einheitliche
Verwaltungsgrundsätze und Regelungen zur Zusammenarbeit des
Bundes mit den Ländern zu bestimmen sowie allgemeine fachliche
Weisungen zu erteilen, ist davon auszugehen, dass sich das BMF beim
Erlass der hier zu beurteilenden BMF-Regelung dieser Handlungsform
bedienen wollte.
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(3) Trotz der gewählten Handlungsform der
allgemeinen fachlichen Weisung entfaltet die BMF-Regelung eine
Vertrauensschutzwirkung gegenüber den in ihr bezeichneten
Gruppen von Steuerpflichtigen.
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Allgemeine fachliche Weisungen richten sich
zwar zunächst an den Weisungsempfänger, im Streitfall die
zuständigen Landesfinanzbehörden (vgl. Art. 85 Abs. 3
Satz 2 GG). Zu berücksichtigen ist bei der BMF-Regelung
allerdings, dass sie den Finanzämtern - entgegen der Annahme
des FG - nicht lediglich Schätzungshilfen für den Fall an
die Hand gibt, dass das Finanzamt nach Ablauf des
Besteuerungszeitraums eine Nichterfüllung oder nicht
ordnungsgemäße Erfüllung der Aufzeichnungspflichten
durch den Steuerpflichtigen feststellt. Vielmehr eröffnet sie
dem Steuerpflichtigen in der zweiten Vorbemerkung für den
laufenden Besteuerungszeitraum eine pauschale
Verbuchungsmöglichkeit und spricht insoweit eine Entbindung
von der Verpflichtung zur Aufzeichnung einer Vielzahl von
Einzelentnahmen aus. Dies wird vor allem daran deutlich, dass die
Regelung in der zweiten Vorbemerkung die laufende monatliche
Verbuchung der Warenentnahmen erlaubt. Insoweit sieht das BMF
inhaltlich für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen
Erleichterungen für die Einhaltung der durch die Steuergesetze
begründeten Aufzeichnungspflichten vor, wie dies auch §
148 AO ermöglicht. Die Anknüpfung an das Regelungskonzept
des § 148 AO wird dadurch bestätigt, dass das BMF ab der
für das Jahr 2018 maßgeblichen Fassung - bei ansonsten
unverändertem Wortlaut - selbst auf § 148 Satz 1 AO Bezug
nimmt (s. zweite Vorbemerkung des BMF-Schreibens vom 13.12.2017,
BStBl I 2017, 1618 = SIS 17 22 88). Da die näher bezeichneten
Gruppen von Steuerpflichtigen durch die nicht nur
verwaltungsintern, sondern im BStBl I und auf der Internetseite des
BMF veröffentlichte BMF-Regelung unmittelbar adressiert
werden, legt das BMF der allgemeinen fachlichen Weisung eine
konkret generelle Wirkung bei und nähert sie damit der
Allgemeinverfügung an. Denn die erfassten Gruppen von
Steuerpflichtigen müssen sich schon bei der laufenden
Erfüllung ihrer Aufzeichnungspflichten entscheiden, ob sie
eine Einzelaufzeichnung der Warenentnahmen durchführen oder
von der aus der BMF-Regelung ersichtlichen Erleichterung in Form
der monatlichen pauschalen Aufzeichnung Gebrauch machen. Bei dieser
Entscheidung müssen sie auf die Gewährung der
Erleichterung vertrauen können. Anderenfalls würde die
BMF-Regelung ihre Vereinfachungswirkung verfehlen, da der
Steuerpflichtige immer vorsichtshalber ordnungsgemäße
Einzelaufzeichnungen führen müsste.
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(4) Bei der Auslegung der im Streitfall zu
beurteilenden allgemeinen fachlichen Weisung in Gestalt der
jeweiligen BMF-Regelung ist ein objektivierter Maßstab
zugrunde zu legen.
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Da den im vorliegenden Zusammenhang zu
beurteilenden allgemeinen fachlichen Weisungen für die
betreffenden Gruppen von Steuerpflichtigen die Bedeutung einer
Vertrauensschutz begründenden Dispositionsgrundlage zukommt,
ist primär eine objektivierende Auslegung geboten (vgl.
Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Kap. 5 Rz 31) und
nicht nur auf das Verständnis der Verwaltung, des BMF oder
eines einzelnen Finanzamts abzustellen. Dabei kommt es nicht darauf
an, wie der konkrete Empfänger die Regelung tatsächlich
verstanden hat, was die Finanzbehörde erklären wollte
oder wie ein außenstehender Dritter die Erleichterung
auffassen konnte. Für die Auslegung von Erleichterungen ist
der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der
objektivierte Betroffene nach den ihm bekannten Umständen
unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte,
maßgebend. Dabei ist nicht allein auf den Tenor abzustellen,
sondern auch auf den materiellen Regelungsgehalt
einschließlich der Begründung (zur Parallelproblematik
bei Verwaltungsakten vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.07.2006 - VIII R
10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96 = SIS 06 37 93, unter
II.3.b, und vom 26.11.2009 - III R 87/07, BFHE 227, 466, BStBl II
2010, 429 = SIS 10 04 91, unter II.2., jeweils m.w.N.).
Darüber hinaus sind die beigefügten Erklärungen und
die dem oder den Betroffenen bekannten Umstände - wie zum
Beispiel frühere Bescheide oder die Verwaltungspraxis - zu
berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 16.01.2020 - V R 56/17,
BFHE 268, 107 = SIS 20 02 16, Rz 17, m.w.N.). Im Zweifel ist das
die Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen,
da die von einer Erleichterung Begünstigten durch etwaige
Unklarheiten aus der Sphäre der Verwaltung nicht benachteiligt
werden dürfen (für einen Einzelverwaltungsakt vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 27.10.2015 - VIII R 59/13, BFH/NV 2016, 726 = SIS 16 07 07, Rz 25, m.w.N.; für eine Allgemeinverfügung z.B.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.2019 - 5 A 4.18,
BVerwGE 167, 163, Rz 21 ff.). Dies gilt insbesondere in den
Fällen, in denen die Inanspruchnahme der Erleichterung
insofern faktisch irreversibel ist, als die unterlassenen
Aufzeichnungen nicht nachgeholt werden können.
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(5) Gemäß der in den Streitjahren
geltenden Fassung der BMF-Regelung galt die Erleichterung unter
Berücksichtigung der Regel, dass im Zweifel das den
Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen ist,
nicht nur für die Entnahme von Nahrungs- und Genussmitteln,
sondern auch für die Entnahme von Non-Food-Produkten (jeweils
ohne Tabakwaren), soweit es sich um Waren aus dem im jeweiligen in
der BMF-Regelung genannten Gewerbezweig - hier dem Einzelhandel mit Nahrungs- und
Genussmitteln - allgemein üblichen Warensortiment
handelte.
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(a) Zwar deuten Teile der BMF-Regelung -
worauf das FA zutreffend hinweist - auch schon in der in den
Streitjahren maßgeblichen Fassung darauf hin, dass sich die
Erleichterung (Pauschbeträge statt Einzelaufzeichnung) nur auf
die Entnahme von Nahrungsmitteln und Getränken bezieht.
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So heißt es in der ersten Vorbemerkung,
dass die Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben auf
der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten
Aufwendungen privater Haushalte für Nahrungsmittel und
Getränke festgesetzt werden. Aufwendungen privater Haushalte
für Non-Food-Produkte werden nicht erwähnt. Die dritte
Vorbemerkung, wonach von den Pauschalen keine Zu- und
Abschläge zur Anpassung an individuelle persönliche Ess-
und Trinkgewohnheiten, Krankheiten oder Urlaub zu machen sind,
betrifft gleichfalls in erster Linie die Entnahme von
Nahrungsmitteln und Getränken.
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(b) Hingegen spricht vor allem die fünfte
Vorbemerkung der BMF-Regelung in der in den Streitjahren jeweils
maßgeblichen Fassung, wonach die pauschalen Werte im
jeweiligen Gewerbezweig das allgemein übliche Warensortiment
berücksichtigen, dafür, dass auch die Aufzeichnung der
Entnahme von Non-Food-Artikeln durch die Verbuchung der Pauschalen
entbehrlich wird. Wie das FG in der Vorentscheidung zutreffend
ausgeführt hat, werden üblicherweise auch
Non-Food-Produkte (zum Beispiel Kosmetika, Reinigungs- und
Waschmittel) im Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln
angeboten.
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(c) Die bestehenden Zweifel, ob die
Erleichterung (Ansatz der Pauschbeträge statt
Einzelaufzeichnung) nach der BMF-Regelung in der in den
Streitjahren geltenden Fassung für die dort genannten
Gewerbezweige auch die Entnahme von Non-Food-Produkten umfasste,
werden nicht durch weitere Bestimmungen der BMF-Regelung oder
sonstige Umstände beseitigt.
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(aa) Der Umstand, dass in der in den
Streitjahren geltenden BMF-Regelung lediglich die Entnahme von
Tabakwaren ausdrücklich aus den Pauschalen ausgenommen worden
war, deutet zwar, wie der Kläger vorträgt, darauf hin,
dass alle anderen Non-Food-Artikel von den Pauschalen umfasst
werden. Zwingend ist das aber nicht, da Tabakwaren
regelmäßig den Genussmitteln zugeordnet werden, andere
Non-Food-Artikel hingegen nicht, und deshalb möglicherweise
nur für Tabakwaren eine Klarstellung erforderlich
erschien.
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(bb) Soweit das FA als Argument dafür,
dass sich die streitgegenständlichen Pauschbeträge nur
auf Nahrungsmittel und Getränke beziehen, anführt, dass
die Erleichterung nur Betrieben gewährt wird, die Nahrungs-
und Genussmittel vertreiben, bedeutet auch dies nicht zwingend,
dass die Entnahme von Non-Food-Artikeln durch den Ansatz der
Pauschalen nicht abgedeckt wird. Denn das allgemein übliche
Warensortiment derartiger Betriebe umfasst auch
Non-Food-Produkte.
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(cc) Auch die Klassifikation der
Wirtschaftszweige durch das Statistische Bundesamt betrifft nicht
die Frage, ob die Entnahme von Non-Food-Produkten ohne Tabakwaren
in den Streitjahren von der Erleichterung (Ansatz der
Pauschbeträge statt Einzelaufzeichnung der Entnahmen) umfasst
war. Für Betriebe, die im Hinblick auf ihr umfangreiches
Angebot an Non-Food-Produkten nicht den in der BMF-Regelung
genannten Betrieben zugeordnet werden können, gilt die dortige
Erleichterung ohnehin nicht.
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(d) Eine spätere Ergänzung
bestätigt, dass die BMF-Regelung zuvor nicht zweifelsfrei in
der Weise zu verstehen war, wie das FA sie verstanden hat. So hat
das BMF nach dem FG-Urteil mit Wirkung ab dem Jahr 2023 in der
fünften Vorbemerkung folgenden Satz 2 angefügt:
„Unentgeltliche Wertabgaben, die weder Nahrungsmittel noch
Getränke (...) sind, müssen einzeln aufgezeichnet
werden.“ Dass das BMF zugleich die Pauschale
für Entnahmen von Artikeln, auf die der volle Umsatzsteuersatz
anzuwenden ist, annähernd halbiert hat (vgl. BMF-Schreiben vom
21.12.2022, BStBl I 2023, 52 = SIS 22 21 79, s.a. BMF-Schreiben vom
12.02.2024, BStBl I 2024, 286 = SIS 24 02 76), deutet - vor dem
Hintergrund, dass das Jahr 2023 eher durch eine erhöhte
Inflation geprägt war - darauf hin, dass die Erleichterung
zuvor - wie vom Kläger vorgetragen - auch die Entnahme von
Non-Food-Produkten betraf.
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(e) Im Hinblick auf die jedenfalls bestehenden
Zweifel ist für die Auslegung nach dem objektivierten
Empfängerhorizont aus Vertrauensschutzgründen das die
Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis maßgeblich.
Hiernach umfasste die Erleichterung gemäß Satz 2 der
zweiten Vorbemerkung der BMF-Regelung in den Streitjahren (anders
als in den ab dem Jahr 2023 anzuwendenden Regelungen) auch die
Entnahme von Non-Food-Produkten aus dem im jeweiligen Gewerbezweig
allgemein üblichen Warensortiment.
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2. Nach diesen Grundsätzen kommt im
Streitfall eine (Hinzu-)Schätzung wegen der Entnahme von
Non-Food-Produkten (§ 162 AO) nicht in Betracht, da der
Kläger auch seine Sachentnahmen im Non-Food-Bereich
zulässigerweise in pauschalierter Form aufgezeichnet hat. Die
angefochtenen Bescheide wurden vom FG im Ergebnis zu Recht
korrigiert.
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Die Supermärkte des Klägers
gehörten zum Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel
(Einzelhandel). Der Kläger hat in den Streitjahren die in der
jeweiligen BMF-Regelung angegebenen Pauschbeträge für
zwei Personen angesetzt. Dass mehr Personen in seinem Haushalt
lebten, hat das FG nicht festgestellt. Damit hat der Kläger
die Bedingung für die Gewährung der Erleichterung nach
Satz 2 der zweiten Vorbemerkung der BMF-Regelung erfüllt. Da
der Kläger nach den Feststellungen des FG ausschließlich
Waren aus dem im Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel
(Einzelhandel) allgemein üblichen Warensortiment führte
und keine Tabakwaren entnahm, war das FA zu einer
(Hinzu-)Schätzung für Non-Food-Produkte nicht befugt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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