Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 03.05.2022 - 8 K 8117/16
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), ein eingetragener Verein, verfolgte nach seiner in
den Jahren 2007 bis 2013 (Streitjahre) geltenden Satzung in §
52 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) genannte gemeinnützige
Zwecke. Er vertrieb - nach seinen Angaben bis 2009 - Werke zu einer
monotheistischen Religion und unterhielt hierfür bis Juni 2008
einen Laden … Des Weiteren führte der Kläger in
allen Streitjahren Veranstaltungen durch, bei denen er auch
Publikationen zu dieser Religion anbot und zu denen er unter
anderem Personen als Referenten oder Übersetzer einlud, die in
verschiedenen Beziehungen zu dem X-Verein und dessen
Untergliederungen standen, der in den Streitjahren in
Verfassungsschutzberichten in dem Abschnitt zur
fundamentalistischen Auslegung dieser Religion aufgeführt
war.
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Der Kläger selbst wurde ab 2007 in
Verfassungsschutzberichten einiger Länder - in 2007 und 2008
im Zusammenhang mit einer Nähebeziehung zum X-Verein - und ab
2009 weiter zusätzlich im Verfassungsschutzbericht des Bundes
erwähnt. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes nannten den
Kläger im jeweiligen Registeranhang, der - nach der hierzu in
den Verfassungsschutzberichten enthaltenen Erläuterung - die
im Bericht genannten Gruppierungen aufführte, bei denen die
vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau
zu der Bewertung geführt hätten, dass die Gruppierung
verfassungsfeindliche Ziele verfolge, es sich mithin um eine
extremistische Gruppierung handele. Gegen bestimmte Aussagen im
Verfassungsschutzbericht des Bundes für 2009 reichte der
Kläger vor dem zuständigen Verwaltungsgericht (VG) Klage
ein, die im Hinblick auf einzelne Behauptungen teilweise
erfolgreich war. Soweit das VG die Klage in Bezug auf andere
Behauptungen abwies, waren nach seinem Urteil die
tatsächlichen Umstände wahrheitsgetreu wiedergegeben und
entsprach die Darstellung im Verfassungsschutzbericht einer
wahrheitsgemäßen und zulässigen Würdigung der
Ansichten des Klägers sowie dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) sah wegen der Erwähnung des Klägers
in den Verfassungsschutzberichten die Voraussetzungen der
steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit als nicht erfüllt an
und erließ dementsprechend Körperschaftsteuer- und
Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Im Rahmen der
Umsatzsteuer erfasste das FA die Umsätze aus
Teilnahmegebühren für Veranstaltungen des Klägers,
die bisher als steuerfrei behandelt worden waren, als nach dem
Regelsteuersatz zu besteuernde Umsätze und schätzte
hierfür zugunsten des Klägers
Vorsteuerbeträge.
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Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen
nach einem erfolglosen außergerichtlichen
Rechtsbehelfsverfahren erhobenen Klage, die sich zuletzt gegen die
Körperschaftsteuerbescheide für alle Streitjahre und
gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2007 bis
2011 richtete, statt.
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Für die Streitjahre 2007 und 2008 sei
§ 51 Abs. 3 AO i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2009 vom
19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794) im Hinblick auf die
Anwendungsregelung des Art. 97 § 1d Abs. 2 des
Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) i.d.F. des JStG
2009 nicht zu berücksichtigen, da eine Anwendung der
Vorschrift für diese Jahre zu einer unzulässigen echten
Rückwirkung im Sinne einer Rückbeziehung von Rechtsfolgen
führe. Die Gewährung der Steuervergünstigungen setze
demnach voraus, dass die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers auf die
ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der
steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sei. Dies habe der
Kläger durch seine Tätigkeitsberichte im
Besteuerungsverfahren und durch seinen Vortrag im Klageverfahren
zur Überzeugung des FG dargelegt. Das FA, dem die Darlegungs-
und Beweislast obliege, habe keine Zweifel des Gerichts daran
begründen können, dass die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers in den Streitjahren
2007 und 2008 auf die Förderung der Allgemeinheit gerichtet
gewesen sei. Bestrebungen des Klägers, die sich gegen
verfassungsrechtliche Grundentscheidungen richteten, seien nicht
hinreichend dargelegt worden.
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Im Streitjahr 2007 habe der Kläger
nach den Ausführungen in seinem Tätigkeitsbericht
verschiedene Veranstaltungen organisiert oder an solchen
teilgenommen, die beispielsweise das Thema Integration und die
Vereinbarkeit von Religion und Alltag zum Gegenstand gehabt
hätten. Die Aussagen des Tätigkeitsberichts habe das FA
nicht in Zweifel gezogen. Auch den Verfassungsschutzberichten seien
keine Umstände zu entnehmen, die an dem dargestellten
Engagement Zweifel begründeten. Mangels substantiierter
Einwendungen des FA zu der Darstellung der Veranstaltungen im
Tätigkeitsbericht und aufgrund der Ausführungen des
Klägers in der mündlichen Verhandlung sei das FG davon
überzeugt, dass die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers im Streitjahr 2007
nicht im Widerspruch zu den Wertentscheidungen des Grundgesetzes
(GG) stehe. Die in den Verfassungsschutzberichten vorgeworfenen
Umstände und die schriftsätzlich vorgetragenen
Verhaltensweisen des Klägers hätten das FG ebenfalls
nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Widerspruch zu
seinem sonstigen Engagement in gemeinnützigkeitsrechtlich
schädlicher Weise tätig geworden sei. Die vom FA
vorgebrachten Umstände seien entweder nicht Ausdruck einer
verfassungsfeindlichen Gesinnung oder in Teilen nicht
zurechenbar. Dies betreffe die Einladung von Referenten und die
Behauptung des FA, ein ehemaliges Vorstandsmitglied des
Klägers und eine Person, die - nach Auffassung des FA - beide
dem X-Verein oder der Y-Organisation zuzurechnen seien, die
wiederum verfassungsfeindliches Gedankengut verträten,
hätten an einem internen Beratungsgremium des Klägers
teilgenommen. Dies beziehe sich weiter auf die
Äußerungen einer Person, die - nach Auffassung des FA -
in einer Verbindung zum Kläger stehe und ebenfalls dem
X-Verein oder der Y-Organisation zuzurechnen sei, auf die
organschaftliche Stellung eines während der Streitjahre
ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds des Klägers, das aufgrund
seiner inneren Einstellung nicht in ein Beamtenverhältnis
übernommen worden sei, auf die Verwendung eines 2007
sichergestellten Handbuches für - nach Auffassung des FA -
Untergliederungen des Klägers, das führende Ideologen der
Y-Organisation zitiere und das der Kläger mittlerweile
eingezogen habe, sowie auf die Tätigkeit des Klägers in
Bezug auf Bücher, deren Autoren - nach Auffassung des FA - der
Y-Organisation zuzurechnen seien. Dem Kläger seien
Verhaltensweisen verschiedener Personen nicht zurechenbar, weil ihm
insoweit nur Verhaltensweisen seiner Organe oder anderer Personen
zurechenbar seien, wenn der Sachverhalt infolge grober
Vernachlässigung von Überwachungspflichten verborgen
geblieben sei, woran es teilweise fehle. Im Einzelnen habe
beispielsweise das interne Beratungsgremium keine organschaftliche
Stellung und begründe die Einladung von Referenten, die dem
X-Verein nahestünden, keine Zweifel an der Verfassungstreue
des Klägers. Die
Einladung von Referenten zu Veranstaltungen des Klägers habe
allein der kritischen Auseinandersetzung mit der Religion gedient,
da zu berücksichtigen sei, dass der Kläger sich durch seinen Vortrag im
Verfahren als auch durch die Kooperationen, die in seinen
Tätigkeitsberichten dargestellt seien und die er nachgewiesen
habe, wiederholt von radikalen Auffassungen distanziert habe.
Das FA habe zudem nicht dargelegt, dass durch die Referenten
konkrete Aufrufe im Widerspruch zur grundgesetzlichen Werteordnung
erfolgt seien und dass der Kläger solche Aufrufe geduldet oder
ausdrücklich gebilligt hätte. Soweit einzelne
Verhaltensweisen dem Kläger zurechenbar seien, sei dem
insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 1 GG kein
derartiges Gewicht beizumessen, dass eine andere Überzeugung
des FG als die von der Vereinbarkeit der tatsächlichen
Geschäftsführung mit der Werteordnung der Verfassung
gewonnen werden könne, da es dem Kläger um die
Auseinandersetzung mit der monotheistischen Religion insgesamt
gegangen sei. So sei beispielsweise auch die Sphäre des
Klägers und seiner Vorstandsmitglieder zu trennen und habe das
FA nicht dargelegt, wie und ob sich die verfassungsfeindliche
Einstellung eines Vorstandsmitglieds in den von dem Kläger
dargelegten und nach Überzeugung des FG mit der Verfassung zu
vereinbarenden Veranstaltungen und Kooperationen niedergeschlagen
habe.
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Im Streitjahr 2008 habe der Kläger
laut seinem Tätigkeitsbericht verschiedene Veranstaltungen und
Dialogprojekte organisiert, die den interreligiösen Austausch
und die Auseinandersetzung mit der monotheistischen Religion zum
Gegenstand gehabt hätten. Diesen Ausführungen des
Tätigkeitsberichts sei das FA nicht substantiiert
entgegengetreten. Auch für dieses Streitjahr genügten die
vom FA dargelegten Umstände zum Nachweis einer
organisatorischen, personellen und ideologischen Nähe zum
X-Verein nach dem Gesamteindruck nicht, um das FG davon zu
überzeugen, dass die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers im Widerspruch zur
grundgesetzlichen Werteordnung gestanden habe. Die Einladung von
Referenten begründe mangels konkreter Darlegung der Inhalte
nicht den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit. Soweit der
Kläger Räumlichkeiten des X-Vereins angefragt habe, habe
der Kläger auf die Unabhängigkeit seiner Veranstaltungen
durch die vermietenden Einrichtungen geachtet. Die Nutzung von
Räumlichkeiten des X-Vereins durch eine Organisation sei
unerheblich, da der Kläger dargelegt habe, dass diese
Organisation - entgegen der Auffassung des FA - dem Kläger
nicht zuzurechnen sei. Soweit ein Vorstandsmitglied des
Klägers an einer Delegiertenversammlung des X-Vereins
teilgenommen habe, sei das FG nach den Ausführungen des
Klägers in der mündlichen Verhandlung und nach der
Darstellung im Tätigkeitsbericht davon überzeugt, dass
die Teilnahme nicht durch den Kläger gebilligt oder geduldet
worden sei. Das Vorstandsmitglied habe sich außerhalb seiner
Kompetenzen bewegt.
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Für die Streitjahre 2009 bis 2013 ging
das FG davon aus, der Kläger habe die Vermutung des § 51
Abs. 3 Satz 2 AO widerlegt, da extremistische Organisationen im
Sinne der Verfassungsschutzberichte hierfür nur „positiv
darlegen [müssten], dass sie sich verfassungskonform
verhalten“. Hingegen werde nicht gefordert,
dass in den Verfassungsschutzberichten benannte extremistische
Organisation den Verfassungsschutzbericht in der Weise widerlegen
müssten, dass sie den „Gegenbeweis“
zu konkreten Umständen führten. Vielmehr könnten
Körperschaften, die sich auf die Glaubensfreiheit berufen
können, die Vermutung widerlegen, indem sie darlegten und
bewiesen, ihre tatsächliche Geschäftsführung sei
Ausdruck ihrer grundrechtlich gewährleisteten
Glaubensfreiheit. Sie müssten das Gericht insgesamt davon
überzeugen, dass ihr Verhalten im Einklang mit der
grundgesetzlichen Werteordnung stehe. Dies gelte auch dann, wenn
die Körperschaft nicht alle vom Verfassungsschutz
angesprochenen Umstände angreife. Dabei seien die Gerichte im
Fall von Glaubensgemeinschaften nur verpflichtet, dem
Verfassungsschutzbericht als Gesamtheit eine Indizwirkung
beizumessen. Der volle Beweis des Gegenteils beziehe sich allein
auf die Annahme der Verfassungsschutzbehörden, die
Körperschaft fördere verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Es müsse aber nicht der
„Gegenbeweis“ geführt werden, dass
die Körperschaft auf der Grundlage der von den
Verfassungsschutzbehörden vorgetragenen Umstände nicht
verfassungswidrig gehandelt habe.
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Für die Streitjahre 2009 bis 2013
führte das FG sodann jeweils zunächst aus, es sei
aufgrund der Tätigkeitsberichte des Klägers davon
überzeugt, dass dieser seine Tätigkeit - wie in den
Vorjahren - im Geiste der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung fortgeführt habe. Nachfolgend befasste sich das
FG mit den jeweils vom FA vorgebrachten einzelnen Umständen,
wie beispielsweise die Einladung von Personen mit Bezug zum
X-Verein zu Veranstaltungen des Klägers oder die
regelmäßige Nutzung von Räumlichkeiten des
X-Vereins durch eine Gruppierung, die nach Auffassung des FA eine
Untergliederung des Klägers sei. Die vom FA vorgetragenen
Umstände seien unter Berücksichtigung der für die
Streitjahre 2007 und 2008 dargestellten Zurechnungsgrundsätze
und der durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Glaubensfreiheit
entkräftet oder unsubstantiiert. Sie genügten nach
Auffassung des FG für das Jahr 2009 nicht, „um die vom
Kläger dargelegten Umstände zur Vereinbarkeit seiner
tatsächlichen Geschäftsführung mit der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung anzugreifen und die
Überzeugung des [FG] von der Verfassungskonformität der
tatsächlichen Geschäftsführung zu
entkräften“, ließen für das
Jahr 2010 das FG nicht „an der Vereinbarkeit der
tatsächlichen Geschäftsführung mit der
freiheitlichen-demokratischen Grundordnung
zweifeln“, verkehrten für das Jahr 2011
„die Überzeugung des Gerichts von der Vereinbarkeit der
tatsächlichen Geschäftsführung mit der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht ins
Gegenteil“, verringerten für das Jahr
2012 nicht „die Überzeugung des Gerichts, den
Extremismusvorwurf gegenüber dem Kläger
abzulehnen“ und erschütterten für
das Jahr 2013 nicht „die Überzeugung des [FG] von der
Vereinbarkeit des Verhaltens [des Klägers] mit der
grundgesetzlichen Wertordnung“.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Für die Streitjahre 2007 und
2008 sei § 51 Abs. 3 AO anzuwenden, da die Vorschrift weder
eine neue noch für die Normadressaten unvorhersehbare
Rechtsfolge geschaffen noch die Tatbestandsvoraussetzungen der
Versagung der Gemeinnützigkeit verändert habe. Sie
enthalte die normative Wertung, dass die Finanzgerichte nicht
selbst die Erfüllung des Tatbestandes des § 4 des
Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) zu prüfen
hätten, sondern nur, ob die Körperschaft die Vermutung
widerlegen könne. In den Jahren 2007 und 2008 sei der
Tatbestand des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO im Hinblick auf den
Kläger erfüllt, da es genüge, dass er in einem
eigenen Kapitel erwähnt werde, in dem es überwiegend um
die Inhalte seiner verfassungsfeindlich ideologischen Ausrichtungen
sowie deren Verschleierung gehe. Selbst wenn § 51 Abs. 3 Satz
2 AO für die Streitjahre 2007 und 2008 nicht anzuwenden sei,
habe das FG zu Unrecht im Ergebnis eine Abwägung zwischen
gemeinnützigen und gemeinnützigkeitsschädlichen
Aktivitäten vorgenommen und damit seine Überzeugung in
rechtsfehlerhafter Weise gewonnen. Es habe nicht untersucht, welche
Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen dem Kläger
vorgeworfen werde, sondern habe nur allgemein die Tätigkeit
des Klägers geprüft, diese als
verfassungsmäßig angesehen und sodann die dem
Kläger vorgeworfenen Umstände nicht ausreichen lassen,
seine vorher gewonnene Überzeugung zu erschüttern.
Weiter seien das Handeln bestimmter Gruppierungen und das dort
verwendete Handbuch dem Kläger zuzurechnen, da diese
Gruppierungen Untergliederungen des Klägers seien, so dass den
Kläger Überwachungspflichten träfen, die er verletzt
habe. Für die Streitjahre 2009 bis 2013 greife - wie vom FG
zugrunde gelegt - die Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO.
Auch für diese Jahre habe das FG seine Überzeugung aber
in rechtsfehlerhafter Weise gewonnen, da es - wie für die
Vorjahre - unzulässig zwischen gemeinnützigen und
gemeinnützigkeitsschädlichen Aktivitäten des
Klägers abgewogen habe. Die Feststellungen der
Verfassungsschutzbehörden, die sich das FA zu eigen gemacht
habe, seien - entgegen der Auffassung des FG - vom Kläger in
vollem Umfang zu widerlegen. Überdies berühre die
Versagung der Gemeinnützigkeit schon nicht den Schutzbereich
der Glaubensfreiheit, da sie lediglich die Finanzierung der
Vereinstätigkeit erschwere, die Tätigkeit aber gleichwohl
fortgeführt werden könne, und beeinträchtige die
Pflicht, den vollen Beweis des Gegenteils zu erbringen, weder
unmittelbar noch mittelbar den Bestand oder die Entwicklung der
Glaubensgemeinschaft an sich. Weiter sei insbesondere die
Schlussfolgerung des FG, der Kläger engagiere sich aufgrund
der Ausführungen in seinem Tätigkeitsbericht ohne
Beanstandung, mit allgemeinen Erfahrungssätzen und
Denkgesetzen kaum vereinbar. Das FG ignoriere hier das Konzept der
legalistischen Verbreitung der fundamentalistischen Auslegung der
Religion, wonach zwischen der Außendarstellung von
extremistischen Vereinigungen und deren Handeln im Inneren zu
unterscheiden sei und bestimmte Tätigkeiten nur
ausgeführt würden, um die wahren Absichten zu
verschleiern. Wegen der Bezugnahme in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO
auf § 4 BVerfSchG sei dieses Konzept auch in die
steuerrechtliche Würdigung der tatsachenbezogenen
Anhaltspunkte einzubeziehen.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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§ 51 Abs. 3 AO sei nach Art. 97 §
1d Abs. 2 EGAO i.d.F. des JStG 2009 für die Streitjahre 2007
und 2008 nicht anzuwenden. § 51 Abs. 3 Satz 2 AO schaffe ab
dem 01.01.2009 eine völlig neue Rechtslage. Treffe das FA
mangels Anwendung des § 51 Abs. 3 AO für diese
Streitjahre die Beweislast, beschränke sich das Vorbringen des
FA indes im Ergebnis nur auf den Vorwurf, die Tatsachen belegten
den Verdacht der Einflussnahme durch extremistisch agierende
Personen. Eine versuchte Einflussnahme auf den Kläger stelle
jedoch keine Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen
durch den Kläger dar, zumal die Verfassungsschutzberichte in
den Jahren 2007 und 2008 den Kläger auch nicht als
extremistische Organisation aufführten. Im Hinblick auf die
Streitjahre 2009 bis 2013 sei er, der Kläger, ebenfalls schon
nicht im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO in den
Verfassungsschutzberichten des Bundes aufgeführt. Die
Erwähnung im jeweiligen Registeranhang erfolge, weil
„tatsächliche Anhaltspunkte“
dafür vorlägen, dass die Gruppierungen
verfassungsfeindliche Ziele verfolgten. Dies bedeute aber
lediglich, dass nur ein solcher Verdacht bestehe, nicht aber, dass
tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen gefördert
würden. Die Nennung im Registeranhang erfolge als bloße
Verdachtsberichterstattung, wie auch in einem
verwaltungsgerichtlichen Verfahren des Klägers gegen seine
Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten des Bundes
späterer Jahre bestätigt worden und was auch für die
Streitjahre zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus sei
§ 51 Abs. 3 Satz 2 AO verfassungswidrig, da der Begriff
„extremistisch“ im Hinblick auf die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gegen das
Bestimmtheitsgebot verstoße. Im Übrigen seien die
Ausführungen des FG zutreffend. Das FG habe auch
berücksichtigt, dass verfassungswidrige Aspekte auf der einen
Seite und verfassungsgemäße Handlungen des Klägers
auf der anderen Seite nicht gegeneinander abgewogen werden
dürften. Es habe sich mit dem gesamten Vorbringen des FA im
Einzelnen und ebenso mit dem tatsächlichen Vorbringen des
Klägers zu seiner tatsächlichen
Geschäftsführung, die sich ausschließlich auf dem
Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewege,
befasst. Das FG habe in seiner tatsächlichen Würdigung
keine Anhaltspunkte für extremistisches oder gar
verfassungswidriges Verhalten des Klägers feststellen
können. Was das FA vorgebracht habe, habe nach der
Würdigung des FG noch nicht einmal einen Verdacht einer
extremistischen Bestrebung gerechtfertigt. Der Kläger habe zur
Überzeugung des FG den vollen Beweis für seine
verfassungsmäßige Tätigkeit und die Widerlegung der
Vermutung erbracht, was für die Revisionsinstanz bindend
sei.
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Das dem Verfahren nach § 122 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetretene Bundesministerium der
Finanzen (BMF) hält - ohne einen eigenen Revisionsantrag zu
stellen - § 51 Abs. 3 Satz 2 AO auf alle Sachverhalte für
anwendbar, deren Verfahren bei Inkrafttreten der Neuregelung noch
nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen seien. Das geltende
Recht habe keine materielle Änderung erfahren, die an den
Grundsätzen der echten Rückwirkung zu messen wäre,
da Körperschaften, die eine verfassungsfeindliche
Tätigkeit entfalteten, bereits vor der Gesetzesänderung
nicht als gemeinnützig hätten anerkannt werden
können. Der Kläger sei in allen Streitjahren im Sinne des
§ 51 Abs. 3 Satz 2 AO in Verfassungsschutzberichten
aufgeführt worden und habe den erforderlichen vollen Beweis
des Gegenteils der vermuteten Tatsachen nicht erbracht. Entgegen
der Auffassung des FG stelle die Glaubensfreiheit keine geringeren
Anforderungen an den Beweis des Gegenteils, da die vom Grundgesetz
gewährten Grundrechte mit in die Abwägung der
Gewährung der Gemeinnützigkeit aufzunehmen seien, und sei
mit der Glaubensfreiheit auch kein Anspruch auf Teilhabe an
bestimmten steuerlichen Privilegien verbunden.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG
hat für alle Streitjahre zu Unrecht im Rahmen seiner
Gesamtwürdigung eine Abwägung zwischen der Förderung
satzungsmäßiger Zwecke des Klägers und der
Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorgenommen. Die
Sache ist nicht spruchreif.
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1. Der Senat kann entscheiden, obwohl das
beigetretene BMF nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen
ist. Denn es ist ausweislich der Akten ordnungsgemäß
geladen und dabei auch darauf hingewiesen worden, dass beim
Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und
entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2, § 121 Satz 1
FGO).
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2. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) sind von der
Körperschaftsteuer Körperschaften, Personenvereinigungen
und Vermögensmassen befreit, die nach der Satzung, dem
Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der
tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich
und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder
kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO). Die
tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft
muss auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung
der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den
Bestimmungen entsprechen, die die Satzung über die
Voraussetzungen für Steuervergünstigungen enthält
(§ 63 Abs. 1 AO). Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 AO verfolgt
eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre
Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf
materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu
fördern.
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Zudem sind nach § 4 Nr. 22 Buchst. a des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei die Vorträge, Kurse und
anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art,
die unter anderem von Einrichtungen, die gemeinnützigen
Zwecken dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen
überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden.
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3. Nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) wird der unbestimmte Rechtsbegriff der
„Förderung der Allgemeinheit“ in
§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO wesentlich geprägt durch die
objektive Werteordnung, wie sie insbesondere durch den
Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt. Eine
Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar
ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit. Als Förderung
der Allgemeinheit sind solche Bestrebungen, die sich gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik
Deutschland richten, nicht anzuerkennen (BFH-Urteil vom 11.04.2012
- I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146 = SIS 12 16 33, Rz
16). Hierzu ordnet
§ 51 Abs. 3 AO, der gemäß Art. 97 § 1d Abs. 2
EGAO i.d.F. des JStG 2009 ab dem 01.01.2009 anzuwenden ist, in Satz
1 nunmehr ausdrücklich an, dass die Steuervergünstigung
zudem voraussetzt, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung
und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine
Bestrebungen im Sinne des § 4 BVerfSchG fördert, wozu
nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG Bestrebungen gegen
die freiheitliche demokratische Grundordnung gehören. Nach
§ 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist zudem bei Körperschaften, die
im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als
extremistische Organisation aufgeführt sind, widerlegbar davon
auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO
nicht erfüllt sind.
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4. Ob eine „Förderung der
Allgemeinheit“ gemäß § 52 Abs.
1 Satz 1 AO zu verneinen ist, da eine Körperschaft
Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten,
ist ebenso wie bei § 51 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO
eigenständig und ohne eine die Leistungen der
Körperschaft für das Gemeinwohl einbeziehende
Abwägung zu entscheiden. Es ist daher keine
Gesamtwürdigung mit der Folge einer Anerkennung (auch)
extremistischer Körperschaften als gemeinnützig
vorzunehmen (vgl.
BFH-Urteil vom 14.03.2018 - V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II
2018, 422 = SIS 18 05 12, Rz 39 bis 43).
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a) Dies hat das FG, das die
gemeinwohlfördernden Tätigkeiten des Klägers in eine
Gesamtschau einbezogen und den Umständen gegenüber
gestellt hat, die für die Förderung
verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, in Bezug auf alle
Streitjahre verkannt. Es hat seine Überzeugung durch diese
Vorgehensweise in rechtsfehlerhafter Weise gewonnen.
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aa) Für die Streitjahre 2007 und 2008
ergibt sich die vom FG im Rahmen der Prüfung, ob die
Tätigkeit des Klägers die Allgemeinheit förderte,
vorgenommene, der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber
entgegenstehende Abwägung daraus, dass das FG darauf
abgestellt hat, dass der Kläger durch seine
Tätigkeitsberichte im Besteuerungsverfahren und durch seinen
Vortrag im Klageverfahren überzeugend dargelegt habe, dass
seine tatsächliche Geschäftsführung
ausschließlich und unmittelbar auf die Erfüllung der
steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sei (FG-Urteil, S. 23,
Entscheidungsgründe unter I.2.). Das FG hat nicht untersucht,
was das FA dem Kläger als Förderung
verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorwarf, sondern hat
zunächst nur die in den Tätigkeitsberichten dargestellten
und ansonsten von dem Kläger geschilderten -
verfassungskonformen - Tätigkeiten des Klägers
geprüft, diese mangels substantiierter Einwendungen des FA
hiergegen als tatsächlich ausgeübt und
verfassungsmäßig angesehen und sodann die dem
Kläger im Einzelnen vorgeworfenen Umstände nicht
ausreichen lassen, seine vorher gewonnene Überzeugung zu
erschüttern (FG-Urteil, S. 23, Entscheidungsgründe unter
I.3.). Die vom FA vorgebrachten einzelnen Umstände, die
für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen
sprechen können, hat das FG rechtsfehlerhaft erst
geprüft, nachdem es sich von einer nicht
verfassungsfeindlichen Tätigkeit des Klägers
überzeugt hat, um dieser Überzeugung sodann in einem
zweiten Schritt die dem Kläger vorgeworfenen Umstände
gegenüberzustellen, wobei es in diesem zweiten Schritt
wiederum auf die verfassungsgemäßen Aktivitäten des
Klägers zurückgreift.
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So stellt das FG für das Jahr 2007
zunächst fest, der Kläger habe nach den Ausführungen
in seinem Tätigkeitsbericht verschiedene Veranstaltungen
organisiert oder an solchen teilgenommen, die beispielsweise das
Thema Integration und die Vereinbarkeit von Religion und Alltag zum
Gegenstand gehabt hätten, woran weder seitens des FA noch
aufgrund der Verfassungsschutzberichte Zweifel bestünden, und
was zu seiner Überzeugung führe, die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers im Streitjahr 2007
stehe nicht im Widerspruch zu den Wertentscheidungen des
Grundgesetzes. Sodann ist das FG ausdrücklich im Hinblick auf
die vorgeworfenen Umstände „nicht davon überzeugt,
dass der Kläger [dadurch] im Widerspruch zu seinem sonstigen
Engagement in gemeinnützigkeitsrechtlich schädlicher
Weise tätig geworden ist“ (FG-Urteil, S.
24, letzter Absatz, unter I.3.a der Entscheidungsgründe). Die
vorgeworfenen Umstände seien entweder nicht Ausdruck einer
verfassungsfeindlichen Gesinnung oder in Teilen nicht zurechenbar.
Zu dieser Auffassung gelangt das FG indes aufgrund einer
Gesamtschau, für die es rechtsfehlerhaft auf die von ihm zuvor
gewonnene Überzeugung zurückgreift und zudem erneut
rechtsfehlerhaft die Tätigkeiten berücksichtigt, die in
den Tätigkeitsberichten des Klägers dargestellt sind. So
bezieht das FG bei der Beurteilung der Einladung von Referenten zu
Veranstaltungen des Klägers ein, dass sich der Kläger
durch seinen Vortrag im Verfahren als auch durch die Kooperationen,
die in seinen Tätigkeitsberichten dargestellt seien und die er
nachgewiesen habe, wiederholt von radikalen Auffassungen
distanziert habe. Ebenso rechtsfehlerhaft gewinnt das FG seine
Überzeugung, indem es auf die seiner Auffassung nach zu
trennende Sphäre des Klägers und seiner
Vorstandsmitglieder abstellt und dann vom FA verlangt darzulegen,
wie und ob sich die verfassungsfeindliche Einstellung eines
Vorstandsmitglieds in den von dem Kläger dargelegten und nach
der Überzeugung des FG mit der Verfassung zu vereinbarenden
Veranstaltungen und Kooperationen niedergeschlagen habe.
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Auch für 2008 bezieht sich das FG
zunächst auf die Darstellungen des Klägers in seinem
Tätigkeitsbericht, wie etwa die Organisation verschiedener
Veranstaltungen und Dialogprojekte, denen das FA nicht
substantiiert entgegengetreten sei. Sodann genügten die
vorgeworfenen Umstände ebenfalls nicht, um das FG „davon
zu überzeugen, dass die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers im Widerspruch zur
grundgesetzlichen Werteordnung stand“
(FG-Urteil, S. 30, erster Absatz, unter I.3.b der
Entscheidungsgründe). Beispielsweise bezieht das FG bei seiner
Überzeugungsbildung hinsichtlich der Teilnahme eines
Vorstandsmitglieds des Klägers an einer Delegiertenversammlung
des X-Vereins zu Unrecht im Wege einer Gesamtschau die
Darstellungen im Tätigkeitsbericht des Klägers ein.
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bb) Ebenso hat das FG für die Streitjahre
2009 bis 2013 im Rahmen des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO
rechtsfehlerhaft zwischen gemeinwohlförderndem und
gemeinwohlschädlichem Verhalten abgewogen. Es hat für
diese Streitjahre jeweils zunächst ausführlich die vom
Kläger in seinen Tätigkeitsberichten dargestellten
Tätigkeiten gewürdigt und war danach überzeugt, dass
der Kläger wie in den Vorjahren seine tatsächliche
Geschäftsführung im Einklang mit der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung fortgeführt habe. Ausgehend
hiervon hält es zu Unrecht die Vermutung des § 51 Abs. 3
Satz 2 AO bereits dann für widerlegt, wenn die
Körperschaft beweise, sie verhalte sich verfassungskonform,
ohne den vollen Beweis des Gegenteils zu konkreten Umständen,
die für eine Förderung verfassungsfeindlicher
Bestrebungen sprechen, führen zu müssen. Hierfür
legt das FG rechtsfehlerhaft wiederum als Maßstab jeweils die
in den Tätigkeitsberichten des Klägers angeführten
Tätigkeiten zugrunde und prüft sodann, ob die einzelnen
dem Kläger vorgeworfenen Umstände geeignet sind, seine
zuvor erlangte Überzeugung von der Vereinbarkeit der
tatsächlichen Geschäftsführung des Klägers mit
der Werteordnung des Grundgesetzes zu erschüttern.
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cc) Demgegenüber hätte das FG die
Anhaltspunkte, die für die Förderung
verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, zunächst -
unabhängig von der Verteilung der objektiven Feststellungslast
- einzeln und in ihrer Gesamtschau (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 31.05.2022 - 1 BvR
564/19, NJW 2022, 3629, Rz 19; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 21.07.2010 - 6 C 22.09, BVerwGE 137, 275, Rz 30) unter
Berücksichtigung der Ziele und Methoden einer
Körperschaft sowie etwaiger organisatorischer, personeller,
strategischer und ideologischer Verbindungen zu anderen
Gruppierungen, die verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern,
würdigen müssen. Hierfür ist es erforderlich, sich
mit allen Umständen auseinanderzusetzen, die für die
Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, und im
Rahmen seiner Würdigung Tätigkeiten außer Betracht
zu lassen, die das Gemeinwohl fördern (vgl. z.B. BFH-Urteile
vom 11.04.2012 - I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146 = SIS 12 16 33, Rz 25 und vom 14.03.2018 - V R 36/16, BFHE 260, 420,
BStBl II 2018, 422 = SIS 18 05 12, Rz 36 bis 38). Daran fehlt es
hier.
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b) Zudem ist entgegen dem Urteil des FG auch
im Rahmen der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG der Schutz der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beachten.
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Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein
umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht, das aber durch
Grundrechte Dritter sowie durch Gemeinschaftswerte von
Verfassungsrang eingeschränkt wird (BVerfG-Beschluss vom
14.01.2020 - 2 BvR 1333/17, BVerfGE 153, 1, unter C.I.1. und
C.I.2.). Daher hindert dieses Grundrecht und der damit verbundene
Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität des
Staates (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91,
BVerfGE 93, 1, unter C.II.1.) den in dieser Weise
religiös-weltanschaulich neutralen Staat nicht daran, das
tatsächliche Verhalten einer Religionsgemeinschaft oder ihrer
Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu beurteilen, auch wenn
dieses Verhalten letztlich religiös motiviert ist
(BVerfG-Urteil vom 19.12.2000 - 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370,
unter C.V.2.a; BVerfG-Beschluss vom 26.06.2002 - 1 BvR 670/91,
BVerfGE 105, 279, unter B.I.2.).
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Damit nicht vereinbar ist die Annahme des FG,
bei Körperschaften, die sich auf die Glaubensfreiheit berufen
könnten, sei der Staat bereits gehindert, Schriften oder
Erklärungen nach weltlichen Maßstäben zu
beurteilen, so dass er gehalten sei, Texte in einer Weise zu
beurteilen, die der Glaubensfreiheit die weiteste Auslegung erlaube
(z.B. FG-Urteil, S. 28, letzter Absatz, unter I.3.a der
Entscheidungsgründe), und es demnach genüge vorzubringen,
die tatsächliche Geschäftsführung der
Körperschaft sei Ausdruck ihrer grundrechtlich
gewährleisteten Glaubensfreiheit, um trotz bestehender
Anhaltspunkte für die Förderung verfassungsfeindlicher
Bestrebungen eine Förderung der Allgemeinheit anzunehmen oder
die Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO zu widerlegen.
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5. Die Sache ist nicht spruchreif und daher an
das FG zurückzuverweisen. Der Senat kann im Revisionsverfahren
die erforderliche tatsächliche Würdigung, ob die
einzelnen Umstände (zum Maßstab s. oben II.4.a cc)
tatsächlich keine Förderung verfassungsfeindlicher
Bestrebungen durch den Kläger bedeuten, nicht nachholen.
Für den zweiten
Rechtsgang weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Für die Streitjahre 2007 und 2008 ist
§ 51 Abs. 3 Satz 2 AO nicht anzuwenden, wie sich aus dem
Wortlaut des Art. 97 § 1d Abs. 2 EGAO i.d.F. des JStG 2009
ergibt, der eine Anwendung dieser Vorschrift ab dem 01.01.2009
anordnet, ohne dabei - wie es z.B. in Art. 97 § 1d Abs. 3 EGAO
i.d.F. des JStG 2010 (BGBl I 2010, 1768) geregelt ist -
zusätzlich zu bestimmen, dass die Vorschrift auch für vor
diesem Zeitraum beginnende Veranlagungszeiträume anzuwenden
ist, soweit Steuerfestsetzungen noch nicht bestandskräftig
sind oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Zudem
kommt es im Hinblick auf die mit § 51 Abs. 3 Satz 2 AO neu
eingeführte gesetzliche Vermutungsregelung nicht in Betracht,
der Vorschrift eine lediglich deklaratorische Bedeutung
beizumessen. Sollte aus der früheren Verwaltungsauffassung
(Nr. 10 Satz 1 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung i.d.F. des
BMF-Schreibens vom 17.01.2012, BStBl I 2012, 83 = SIS 12 03 38 zu
§ 51: „Die Regelung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO gilt
in allen offenen Fällen.“; aufgehoben
durch das BMF-Schreiben vom 31.01.2019, BStBl I 2019, 71 = SIS 19 00 61) eine Rückwirkung der Vorschrift auf Zeiträume vor
ihrem Inkrafttreten abzuleiten sein (offengelassen im BFH-Urteil
vom 11.04.2012 - I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146 = SIS 12 16 33, Rz 19), schließt sich der Senat dem nicht an.
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Gleichwohl können die Verfassungsschutzberichte der
jeweiligen Jahre für die Beurteilung der Aktivitäten des
Klägers im jeweiligen Streitjahr ausgewertet und zum Anlass
für weitere Ermittlungen genommen werden (vgl. BFH-Urteil vom
11.04.2012 - I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146 = SIS 12 16 33, Rz 18 und 22).
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b) Der für die Streitjahre 2009 bis 2013 zeitlich
anwendbare § 51 Abs. 3 Satz 2 AO setzt lediglich voraus, dass
die betreffende Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht
„als extremistische Organisation
aufgeführt“ ist. Dies ist der Fall, wenn
sie dort ausdrücklich als extremistisch bezeichnet wird, nicht
aber, wenn die Körperschaft nur als Verdachtsfall oder sonst
beiläufig Erwähnung findet (BFH-Urteile vom 11.04.2012 -
I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146 = SIS 12 16 33, Rz 20
und vom 14.03.2018 - V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422 =
SIS 18 05 12, Rz 28). Der Tatbestand des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist
dabei jedenfalls dann erfüllt, wenn die Körperschaft
ausdrücklich im Anhang des Verfassungsschutzberichts des
Bundes erwähnt ist, in dem Gruppierungen aufgeführt sind,
bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass diese verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, so dass es sich
um eine extremistische Gruppierung handelt (BFH-Urteil vom
14.03.2018 - V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422 = SIS 18 05 12, Rz 9 und 30; vgl. zur Verdachtsberichterstattung
BVerfG-Beschluss vom 24.05.2005 - 1 BvR 1072/01, BVerfGE 113, 63,
Rz 68 und 78). Entgegen der Auffassung des Klägers
verstößt der in § 51 Abs. 3 Satz 2 AO verwendete
Begriff „extremistisch“ auch unter
Berücksichtigung des von ihm angeführten Beschlusses des
BVerfG vom 08.12.2010 - 1 BvR 1106/08 (Zeitschrift für das
gesamte Medienrecht 2011, 43) nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.
Hiergegen spricht bereits eine Auslegung dieser Vorschrift unter
Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift
(BR-Drucks. 545/08, S. 48 und 125, BT-Drucks. 16/11108, S. 8 und
45) und der Verweisung in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO auf § 4
BVerfSchG. Ist eine Körperschaft als extremistische
Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht
aufgeführt, kommt es entgegen der Auffassung des FG auch nicht
in Betracht, zur Widerlegung der Vermutung den
„positiven“ Beweis genügen zu
lassen, dass sich die Körperschaft verfassungskonform
verhalte, und die Körperschaft von dem Beweis des Gegenteils
der ihr vorgeworfenen Umstände zu befreien oder die
Umstände, die für die Förderung
verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, im Rahmen einer
wertenden Gesamtbetrachtung zu würdigen. Dies würde zu
einer der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden
Abwägungsentscheidung führen.
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c) Weiter wird das FG im zweiten Rechtsgang
neben den für die Zurechnung von Äußerungen und
Verhaltensweisen bereits zugrunde gelegten Grundsätzen des
BFH-Urteils vom 27.09.2001 - V R 17/99 (BFHE 197, 314, BStBl II
2002, 169 = SIS 02 04 48, unter II.2.e) jedenfalls auch die hierzu
ergangenen BFH-Urteile vom 10.01.2019 - V R 60/17 (BFHE 263, 290,
BStBl II 2019, 301 = SIS 19 00 82, Rz 36) und vom 29.08.1984 - I R
215/81 (BFHE 142, 243, BStBl II 1985, 106 = SIS 85 03 03, unter
5.b) zu berücksichtigen haben. Dabei wird es weiter zu
beachten haben, dass eine Zurechnung der Förderung
verfassungsfeindlicher Bestrebungen auch durch die Ziele und durch
die Billigung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Rahmen
vereinseigener Aktivitäten erfolgen kann. So kann auch die
Einladung von Referenten, die extremistischen Organisationen
nahestehen, zu Veranstaltungen des Klägers entgegen der
Auffassung des FG nicht nur isoliert betrachtet werden,
insbesondere wenn auf den Veranstaltungen nicht ausdrücklich
der Hintergrund dieser Personen dargestellt und sich mit ihren
Positionen auseinandergesetzt wird. Weiter können auch
Verhaltensweisen von Personen, die bestimmten Gruppierungen
zuzurechnen sind, dem Kläger - auch im Hinblick auf § 51
Abs. 1 Satz 3 AO - zurechenbar sein, da ausweislich der vom FG in
Bezug genommenen Satzung des Klägers bestimmte
Untergliederungen zur Organisation des Klägers gehören
und diese satzungsgemäß an die Beschlüsse und
Weisungen des Klägers gebunden sind.
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d) Für Zwecke der Umsatzsteuer wird das
FG sich damit auseinanderzusetzen haben, ob die bisher zwischen den
Beteiligten nicht streitige Vorschrift des § 4 Nr. 22 Buchst.
a UStG, die - anders als § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG - für die
„Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken (…)
dienen“, nicht ausdrücklich auf die
§§ 51 bis 68 AO verweist, im Hinblick auf die
Anknüpfung in Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL) an personenbezogene Voraussetzungen
unionsrechtskonform auszulegen ist (vgl. z.B. zu Art. 132 Abs. 1
Buchst. i MwStSystRL BFH-Urteil vom 30.06.2022 - V R 32/21 (V R
31/17), BFHE 277, 519 = SIS 22 18 60, Rz 18).
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6. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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