Auf die Revision der Klägerin werden das
Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 23.02.2022 - 3
K 73/20 = SIS 22 09 12 sowie der
Bescheid vom 16.12.2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom
20.09.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 15.01.2020
aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen,
das Getränke herstellt und abfüllt.
|
|
|
2
|
Am 13.03.2012 erteilte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (Hauptzollamt - HZA - ) der Klägerin eine
jeweils unbefristete Steuerlagererlaubnis für Alkopops und
für Branntwein. Die Erlaubnis für Alkopops wurde am
20.06.2013 mit sofortiger Wirkung widerrufen, da Alkopops weder
hergestellt noch gelagert worden seien. Zudem wurde die
Rückgabe der Bürgschaftsurkunde veranlasst. Eine neue
Erlaubnis als Steuerlagerinhaberin wurde von der Klägerin am
25.11.2014 beantragt und ihr am 07.01.2015 rückwirkend ab dem
26.11.2014 erteilt.
|
|
|
3
|
Im Zeitraum vom 29.07.2014 bis zum
17.11.2014 bezog die Klägerin aus dem EU-Ausland 1 eine
alkoholhaltige Getränkemischung
(„Compound“) in Tanks. Insgesamt wurden
… Liter Alkohol (lA) im Versandverfahren unter
Steueraussetzung geliefert. Die Klägerin füllte den
Compound in Flaschen ab und lieferte im Zeitraum vom 31.07.2014 bis
zum 25.08.2014 einen Teil dieser Flaschen (…) in das
EU-Ausland 2.
|
|
|
4
|
Mit Schreiben vom 04.08.2014 zeigte die
Klägerin dem HZA eine Sortimentserweiterung um die Produkte
„X“ und „Y“
an, die später durch das Bildungs- und Wissenschaftszentrum
der Bundesfinanzverwaltung (BWZ) begutachtet wurden. Das Gutachten
des BWZ vom 20.01.2015 ergab, dass es sich bei den Proben um
Alkopops im Sinne von § 1 Abs. 2 des Alkopopsteuergesetzes in
der im Streitfall maßgeblichen Fassung (AlkopopStG)
handele.
|
|
|
5
|
Mit Bescheid vom 16.12.2015 setzte das HZA
gegenüber der Klägerin für … lA Alkopopsteuer
in Höhe von … EUR fest. Die Alkopopsteuer sei dadurch
entstanden, dass die Klägerin Alkopops aus dem zollrechtlich
freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats zu gewerblichen Zwecken
bezogen und diese im Steuergebiet in Empfang genommen oder die
außerhalb des Steuergebiets in Empfang genommenen Alkopops in
das Steuergebiet befördert habe oder habe befördern
lassen. Selbst wenn man zu der Auffassung gelangte, dass es sich
bei dem Compound nicht um einen Alkopop handele, sei
spätestens mit dem Abfüllen des Compounds in Flaschen ein
Alkopop entstanden.
|
|
|
6
|
Dagegen legte die Klägerin Einspruch
ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ das HZA am
20.09.2019 einen geänderten Steuerbescheid, mit dem die
Alkopopsteuer auf … EUR für … lA festgesetzt
wurde. Die Steuerfestsetzung wurde nunmehr damit begründet,
dass die Alkopopsteuer erst mit dem Abfüllen des gelieferten
Compounds in Flaschen entstanden sei. Unter III. enthielt der
Bescheid vom 20.09.2019 folgenden Hinweis: „Der
Änderungsbescheid wird Gegenstand des Einspruchsverfahrens
… Ein erneuter Einspruch wäre somit nicht
zulässig“ (Hervorhebung durch das
HZA). Im Übrigen blieb der Einspruch erfolglos.
|
|
|
7
|
Das Finanzgericht urteilte, die
Alkopopsteuer sei zutreffend festgesetzt worden. Die Alkopops seien
durch die Abfüllung in Flaschen hergestellt worden. Der in den
Tanks enthaltene Compound sei demgegenüber noch kein Alkopop
gewesen, weil er noch nicht trinkfertig abgefüllt gewesen sei.
Dass die auf den Flaschen angebrachten Banderolen in
ausländischer Sprache beschriftet gewesen seien und weder ein
Pfandhinweis noch ein Jugendschutzhinweis vorhanden gewesen seien,
stehe der Steuerentstehung nicht entgegen. Weiterhin habe die
Klägerin gegen das Gutachten des BWZ vom 20.01.2015, wonach es
sich bei den Waren um Alkopops gehandelt habe, keine
schlüssigen Einwände erhoben. Die Alkopops seien ohne
Erlaubnis hergestellt worden, weil die Klägerin im fraglichen
Zeitraum keine Steuerlagererlaubnis für Alkopops gehabt
habe.
|
|
|
8
|
Zudem sei keine Festsetzungsverjährung
eingetreten. Ferner habe sich das HZA im Rahmen seiner
Überprüfungsbefugnis gehalten. Der gesamte Vorgang von
der Inempfangnahme bis zur Auslieferung erscheine zwar nicht als
ein einheitlicher steuerlich erheblicher Sachverhalt. Das HZA habe
jedoch im Bescheid vom 16.12.2015 ausgeführt, dass auch dann,
wenn der gelieferte Compound nicht als Alkopop einzuordnen sei,
spätestens mit dem Abfüllen in Flaschen ein Alkopop
entstanden sei. Dadurch sei das Abfüllen in Flaschen schon in
diesem Bescheid in den für die Alkopopsteuer erheblichen
Sachverhalt aufgenommen worden. Die Behörde habe die
Möglichkeit, eine Hilfsbegründung in den Steuerbescheid
aufzunehmen, weshalb der Bescheid vom 16.12.2015 nicht unbestimmt
sei. Die Steuerfestsetzung sei schließlich auch nicht aus
Gründen des Vertrauensschutzes rechtswidrig.
|
|
|
9
|
Die Klägerin begründet ihre
Revision dahingehend, dass die Festsetzung der Alkopopsteuer durch
den Bescheid vom 20.09.2019 schon verfahrensrechtlich nicht
möglich gewesen sei, weil das HZA den vorherigen Bescheid vom
16.12.2015 nicht im Rahmen des Einspruchsverfahrens oder nach
anderen Änderungsvorschriften habe ändern
dürfen.
|
|
|
10
|
Die ursprüngliche Festsetzung der
Alkopopsteuer sei rechtswidrig, weil die aus dem EU-Ausland 1
bezogenen Tankladungen keine Alkopops gewesen seien. Der Bescheid
vom 16.12.2015 habe nicht dahingehend geändert werden
dürfen, dass für die Festsetzung der Alkopopsteuer
nunmehr auf das Abfüllen des Compounds in Flaschen und nicht
mehr auf den Bezug des Compounds aus dem EU-Ausland 1 abgestellt
werde, weil es sich dabei um verschiedene Lebenssachverhalte
handele. Es sei unbeachtlich, dass das HZA in der Begründung
des Bescheids vom 16.12.2015 hilfsweise auf das Abfüllen des
Compounds in Flaschen abgestellt habe. Denn eine darauf basierende
Änderung betreffe den Regelungsbereich des ursprünglichen
Bescheids. Jedenfalls sei der Verwaltungsakt vom 16.12.2015 zu
unbestimmt. Bei nichtperiodischen Steuern wie der Alkopopsteuer sei
eine genaue Bezeichnung des besteuerten Sachverhalts erforderlich.
Dies wäre jedoch nicht der Fall, wenn man zuließe, dass
neben dem eigentlich besteuerten Sachverhalt in der Begründung
ein weiterer alternativ zu besteuernder Sachverhalt genannt werden
könnte. Im Übrigen sei die Hilfsbegründung des HZA
auch nicht hinreichend bestimmt, weil weder die
Abfüllzeitpunkte noch die Mengen benannt worden seien.
|
|
|
11
|
Die vom HZA angeführte
Änderungsvorschrift des § 130 der Abgabenordnung (AO)
gelte nicht für Steuerbescheide. Auch § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO erlaube nicht den Erlass eines neuen Verwaltungsakts. Eine
neue Festsetzung mit Bescheid vom 20.09.2019 sei darüber
hinaus aufgrund eingetretener Festsetzungsverjährung nicht
möglich.
|
|
|
12
|
Nach der Intention des Gesetzgebers
unterlägen nur solche Produkte der Alkopopsteuer, die Kindern
und Jugendlichen tatsächlich im Steuergebiet käuflich
legal zugänglich seien. Die Produkte der Klägerin seien
jedoch für den ausländischen Markt bestimmt und daher
auch nicht mit dem erforderlichen Hinweis nach dem - deutschen -
Jugendschutzgesetz versehen gewesen. Es fehlten auch
lebensmittelrechtliche Kennzeichnungselemente. Die Klägerin
habe ihre Mitwirkungspflichten gegenüber dem HZA nicht
verletzt.
|
|
|
13
|
Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
|
|
die Vorentscheidung und den Bescheid vom
16.12.2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 20.09.2019
und der Einspruchsentscheidung vom 15.01.2020 aufzuheben.
|
|
|
14
|
Das HZA beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
15
|
Bei dem in Flaschen abgefüllten
Compound handele es sich um trink- und verkaufsfertige Alkopops und
somit um einen Steuergegenstand im Sinne des Alkopopsteuergesetzes.
Maßgeblich sei nicht die äußere Gestaltung der
verschlossenen Behältnisse, sondern der Umstand, dass
hinsichtlich des Inhalts keine weiteren Verarbeitungsschritte
notwendig seien und eine Abfüllung erfolgt sei. Es komme zur
Beurteilung der Marktfähigkeit einer Ware auf ihre
Zusammensetzung an und nicht darauf, welchem Personenkreis sie
später zugänglich gemacht werden solle oder
dürfe.
|
|
|
16
|
Die Steuerentstehung durch das
Abfüllen in Flaschen habe ausdrücklich Eingang in den
Ausgangsbescheid vom 16.12.2015 gefunden, weil dieser bereits
darauf abgestellt und sich nicht auf den Bezug des Compounds
beschränkt habe. Der Fehler des Ausgangsbescheids habe im
Einspruchsverfahren beseitigt werden können. Im Übrigen
habe die Klägerin bereits im Juli 2014 mit den
Abfüllungen begonnen, aber erst Anfang August 2014 auf eine
Sortimentserweiterung hingewiesen, weshalb die fehlende
Abwälzbarkeit der Verbrauchsteuer in nicht unerheblichem
Umfang Folge ihres eigenen Handelns sei.
|
|
|
17
|
Der Bescheid vom 16.12.2015 leide nicht an
einem Mangel an Bestimmtheit, denn der Tenor sei hinreichend klar
gewesen. Die Begründungspflicht nach § 121 AO gestatte es
der Behörde, sich auf die relevanten Umstände zu
beschränken. Im Übrigen hätte die Klägerin eine
Steueranmeldung abgeben müssen, um dem HZA genauere Daten
über die Zeitpunkte und Mengen der Abfüllung zur
Verfügung zu stellen. Die Klägerin habe ihre
Mitwirkungspflichten nicht erfüllt.
|
|
|
18
|
II. Die Revision ist begründet und
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des Bescheids
vom 16.12.2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom
20.09.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 15.01.2020 (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
FGO).
|
|
|
19
|
1. Der Änderungsbescheid vom 20.09.2019
ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten
und ist daher gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO
aufzuheben. Hinsichtlich der Besteuerung des in Flaschen
abgefüllten Compounds ist - unabhängig davon, ob es sich
hierbei um einen Steuergegenstand im Sinne von § 1 AlkopopStG
gehandelt hat - die Festsetzungsfrist gemäß § 169
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO abgelaufen. Ein
eventuell entstandener Anspruch auf Alkopopsteuer ist daher
jedenfalls gemäß § 47 AO erloschen.
|
|
|
20
|
a) Der Bescheid vom 20.09.2019 wurde nicht
innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen.
|
|
|
21
|
aa) Für eine erstmalige Besteuerung des
in Flaschen abgefüllten Compounds hat die einjährige
Festsetzungsfrist im Sinne von § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO
gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres
2014 begonnen und mit Ablauf des Kalenderjahres 2015 geendet. Bis
zu diesem Zeitpunkt ist jedoch diesbezüglich keine
Steuerfestsetzung erfolgt.
|
|
|
22
|
bb) Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a
AO greift vorliegend nicht ein, weil mit dem Bescheid vom
16.12.2015 nur bezüglich der Überführung des
Compounds in den steuerrechtlich freien Verkehr Alkopopsteuer
festgesetzt wurde und nur diese Steuerfestsetzung Gegenstand des
Einspruchsverfahrens war.
|
|
|
23
|
cc) Der Bescheid vom 16.12.2015 kann nicht
dahingehend ausgelegt werden, dass hiermit Alkopopsteuer für
den in Flaschen abgefüllten Compound festgesetzt wurde.
|
|
|
24
|
Entscheidend für die Auslegung einer
öffentlich-rechtlichen Willensbekundung ist, wie der
Betroffene nach den ihm bekannten Umständen - seinem
„objektiven
Verständnishorizont“ (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 08.11.1995 - V R 64/94, BFHE 179, 211,
BStBl II 1996, 256 = SIS 96 10 30) - den materiellen Gehalt der
Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben
verstehen konnte (vgl. Senatsurteil vom 18.04.2023 - VII R 59/20,
BFHE 280, 373, BStBl II 2023, 950 = SIS 23 11 63, Rz 23,
m.w.N.).
|
|
|
25
|
Demnach musste die Klägerin davon
ausgehen, dass mit dem Bescheid vom 16.12.2015 der Bezug des
Compounds aus dem steuerrechtlich freien Verkehr des EU-Auslandes 1
besteuert werden sollte und nicht das spätere Abfüllen
des Compounds in Flaschen. Denn das HZA hat zur Begründung
ausgeführt, dass die Alkopopsteuer dadurch entstanden sei,
dass die Klägerin Alkopops aus dem zollrechtlich freien
Verkehr eines anderen Mitgliedstaats zu gewerblichen Zwecken
bezogen habe, während es den aus seiner Sicht ebenfalls
steuerlich relevanten Vorgang des Abfüllens des Compounds in
Flaschen nur als hilfsweise Begründung für den Fall
formuliert hat, dass es sich bei dem gelieferten Compound nicht um
einen Alkopop handeln sollte. Dass ausgehend vom objektiven
Verständnishorizont der Klägerin der Bezug des Compounds
aus dem steuerrechtlich freien Verkehr des EU-Auslandes 1 den
besteuerten Lebenssachverhalt darstellte, wird auch dadurch
bestätigt, dass hierzu im Bescheid vom 16.12.2015 auch der
Zeitpunkt der Steuerentstehung und die zu besteuernde Menge Alkohol
angegeben wurde, was hinsichtlich des in Flaschen abgefüllten
Compounds gerade nicht der Fall war, obwohl die gelieferte und die
abgefüllte Menge Alkohol und die Zeitpunkte der (etwaigen)
Steuerentstehung voneinander abweichen.
|
|
|
26
|
b) Der Bescheid vom 20.09.2019 ist nicht nach
§ 367 Abs. 2 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden,
weil die Besteuerung eines anderen Lebenssachverhalts nicht von der
Überprüfungsbefugnis des HZA umfasst war.
|
|
|
27
|
Nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO ist die
Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet,
verpflichtet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Der
Verwaltungsakt kann auch zum Nachteil des Einspruchsführers
geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer
verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen
hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu
äußern (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO).
|
|
|
28
|
Zur Grunderwerbsteuer hat der BFH entschieden,
dass, wenn der vom Grunderwerbsteuerbescheid erfasste
Lebenssachverhalt nicht ausreicht, um den Tatbestand, an den das
Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) die Steuerpflicht knüpft, zu
erfüllen, der Bescheid rechtswidrig ist, ohne dass die
Behörde im Einspruchsverfahren den im Bescheid bezeichneten -
unzutreffenden - Erwerbsvorgang durch einen anderen - zutreffenden
- ersetzen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 28.07.1993 - II R
50/90, BFH/NV 1993, 712). Die dem Finanzamt nach § 367 Abs. 2
AO eingeräumte Überprüfungsberechtigung und damit
seine Entscheidungsbefugnis wird durch den angefochtenen
Verwaltungsakt begrenzt. Nur im Rahmen des Lebenssachverhalts, der
durch den angefochtenen Verwaltungsakt erfasst worden ist, darf die
Behörde prüfen, ob der steuerrechtlich erhebliche
Sachverhalt richtig und vollständig ermittelt und die nach dem
verwirklichten Steuertatbestand entstandene Steuer richtig
festgestellt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 17.06.2020 - II R
18/17, BFHE 270, 252, BStBl II 2021, 318 = SIS 20 19 06, Rz 30,
m.w.N.). Ausgangspunkt der Überprüfung eines
Grunderwerbsteuerbescheids ist in materiell-rechtlicher Hinsicht
der besteuerte Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 GrEStG
(BFH-Urteil vom 09.12.2009 - II R 33/08, BFH/NV 2010, 838 = SIS 10 11 73, unter II.2.).
|
|
|
29
|
Demgegenüber sind die Lebenssachverhalte,
die einer Steuerveranlagung zugrunde liegen, austauschbar (vgl. zur
Einkommensteuer BFH-Urteil vom 09.06.2015 - III R 64/13 =
SIS 15 20 60, Rz 31). Die
Betrachtungsweise bei Veranlagungssteuern kann jedoch nicht auf die
Alkopopsteuer als Verbrauchsteuer übertragen werden, die -
ähnlich wie die Grunderwerbsteuer - an bestimmte Vorgänge
wie zum Beispiel das Abfüllen in verkaufsfertige,
verschlossene Behältnisse anknüpft (vgl. § 1 Abs. 2
Nr. 3 AlkopopStG in der ab 01.01.2018 geltenden Fassung). Bei der
Alkopopsteuer erfolgt demnach keine Jahresveranlagung wie etwa bei
der Einkommensteuer (vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 367 AO
Rz 16, zur Unterscheidung zwischen Verkehrsteuern und
Veranlagungssteuern). Vielmehr ist die
Überprüfungsbefugnis des HZA gemäß § 367
Abs. 2 Satz 1 AO auf den der Besteuerung zugrunde gelegten
Lebenssachverhalt beschränkt (vgl. Klein/Rätke, AO, 17.
Aufl., § 367 Rz 7).
|
|
|
30
|
c) Der Bescheid vom 20.09.2019 ist nicht
bestandskräftig geworden.
|
|
|
31
|
aa) Die Klägerin hat zwar nicht
ausdrücklich gegen den Bescheid vom 20.09.2019 Einspruch
eingelegt. Allerdings kann ihr Schreiben vom 28.10.2019 als
Einspruch ausgelegt werden, denn in diesem Schreiben hat sie
vorgebracht, das HZA sei nicht berechtigt, den ursprünglichen
Bescheid auf der Grundlage von § 130 Abs. 1 AO i.V.m. §
132 AO zu ändern, weil damit der Besteuerung ein anderer
Lebenssachverhalt (Abfüllung des Compounds in Flaschen)
zugrunde gelegt würde. Darüber hinaus hielt die
Klägerin den Bescheid vom 20.09.2019 für rechtswidrig,
weil aus ihrer Sicht bereits Festsetzungsverjährung
eingetreten war, was ebenfalls darauf hinweist, dass sie sich gegen
den Bescheid vom 20.09.2019 hat wenden wollen.
|
|
|
32
|
bb) Unabhängig davon könnte der
Klägerin ein unterbliebener oder nicht fristgerechter
Einspruch nicht entgegengehalten werden, weil sie infolge des
falschen Hinweises im Bescheid vom 20.09.2019 von der Einlegung
eines Einspruchs abgehalten wurde. Denn in dem Bescheid belehrte
das HZA die Klägerin dahingehend, dass ein erneuter Einspruch
nicht zulässig wäre. Dadurch musste sich die
Klägerin veranlasst sehen, die Einlegung eines Einspruchs zu
unterlassen, weil dieser ohnehin keine Aussicht auf Erfolg gehabt
hätte. Dabei handelt es sich aus Sicht der Klägerin um
höhere Gewalt, die ihr die (fristgerechte) Einlegung eines
Einspruchs unmöglich machte.
|
|
|
33
|
Höhere Gewalt ist ein
außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen
Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der
Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert
werden konnte. Dies umfasst von außen kommende Ereignisse,
die vom Betroffenen nicht zu beherrschen sind und damit auch so
genannte unabwendbare Zufälle. Hierzu gehört auch ein
Umstand, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer
fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus
verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren
Gewalt zuzuordnen ist (vgl. BFH-Urteile vom 14.05.2019 - VIII R
20/16, BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586 = SIS 19 11 77, Rz 41 und
vom 12.01.2011 - I R 37/10 = SIS 11 23 04, Rz 18). Demgemäß kann nach der Rechtsprechung
des BFH höhere Gewalt auch vorliegen, wenn ein
Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten einer Behörde von
einer fristgerechten Verfahrenshandlung abgehalten wird (vgl.
BFH-Beschluss vom 22.11.2004 - III B 81/04, BFH/NV 2005, 327 = SIS 05 12 20, unter 2.; Seer in Tipke/Kruse, § 356 AO Tz 13
a.E.).
|
|
|
34
|
cc) Die Klägerin hat gegen den Bescheid
vom 20.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.01.2020
Klage erhoben.
|
|
|
35
|
Mit ihrer Klageschrift vom 20.02.2020 hat sich
die Klägerin zwar nur gegen den Steuerbescheid vom 16.12.2015
und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2020 gewandt und auch nur
diese beiden Verwaltungsakte als Anlage beigefügt. Allerdings
hat das HZA mit seiner Einspruchsentscheidung nicht nur über
den Steuerbescheid vom 16.12.2015, sondern auch über den
Änderungsbescheid vom 20.09.2019 entschieden. Daher ist das
Begehren der Klägerin dahingehend auszulegen, dass sie mit
ihrer Klage auch gegen den Änderungsbescheid vom 20.09.2019
vorgehen wollte.
|
|
|
36
|
2. Der Bescheid vom 16.12.2015 ist ebenfalls
rechtswidrig und gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO
aufzuheben, weil es sich bei dem aus dem EU-Ausland 1 bezogenen
Compound nicht um einen Alkopop handelte.
|
|
|
37
|
a) Der Bescheid vom 16.12.2015 ist durch den
Erlass des Bescheids vom 20.09.2019 nicht unwirksam geworden. Er
wurde zwar in dem Bescheid vom 20.09.2019 gemäß §
130 Abs. 1 AO i.V.m. § 132 Satz 1 AO hinsichtlich der
Alkopopsteuer in Höhe von … EUR teilweise
zurückgenommen. Unabhängig davon, ob diese Rücknahme
wirksam war, tritt mit der Aufhebung des Bescheids vom 20.09.2019
(s. unter II.1.), durch den ein anderer Bescheid - derjenige vom
16.12.2015 - zurückgenommen wurde, der ursprüngliche
Bescheid wieder in Kraft (§ 124 Abs. 2 AO).
|
|
|
38
|
Wird ein Verwaltungsakt aufgehoben, dessen
Rechtswirkung darin besteht, einen anderen Verwaltungsakt
aufzuheben, so fällt diese Wirkung folglich weg, sobald jener
Verwaltungsakt aufgehoben wird oder sonst gemäß §
124 Abs. 2 AO seine Rechtswirksamkeit einbüßt. Die
Aufhebung eines Verwaltungsakts wirkt dabei in dem Sinne auf den
Zeitpunkt seines Erlasses zurück, dass er als von Anfang an
nicht ergangen anzusehen ist. Dabei macht § 124 Abs. 2 AO
insofern keinen Unterschied danach, ob der Verwaltungsakt innerhalb
oder außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens, vom Gericht
oder der erlassenden Behörde selbst aufgehoben wird
(Senatsbeschluss vom 09.12.2004 - VII R 16/03, BFHE 208, 37, BStBl
II 2006, 346 = SIS 05 08 88, unter II.).
|
|
|
39
|
b) Der Steuerbescheid vom 16.12.2015 ist
rechtswidrig, weil es sich bei dem in Tanks gelieferten Compound
nicht um einen Alkopop gehandelt hat.
|
|
|
40
|
aa) Gemäß § 1 Abs. 2
AlkopopStG sind Alkopops Getränke - auch in gefrorener Form -,
die aus einer Mischung von Getränken mit einem Alkoholgehalt
von 1,2 % vol oder weniger oder gegorenen Getränken mit einem
Alkoholgehalt von mehr als 1,2 % vol mit Erzeugnissen nach §
130 Abs. 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol
(BranntwMonG) bestehen, einen Alkoholgehalt von mehr als 1,2 % vol,
aber weniger als 10 % vol aufweisen, trinkfertig gemischt in
verkaufsfertigen, verschlossenen Behältnissen abgefüllt
sind und als Erzeugnisse nach § 130 Abs. 1 BranntwMonG der
Branntweinsteuer unterliegen. Nach § 1 Abs. 3 AlkopopStG
gelten als Alkopops auch industriell vorbereitete
Mischungskomponenten von Getränken nach § 1 Abs. 2
AlkopopStG, die in einer gemeinsamen Verpackung enthalten sind.
|
|
|
41
|
Bei der in Tanks abgefüllten
alkoholischen Getränkemischung, die der Klägerin aus dem
EU-Ausland 1 geliefert worden war, handelte es sich nicht um einen
Alkopop im Sinne von § 1 Abs. 2 AlkopopStG, weil diese nicht
in verkaufsfertigen, verschlossenen Behältnissen
abgefüllt war.
|
|
|
42
|
bb) Es hat sich dabei auch nicht um einen
Alkopop im Sinne von § 1 Abs. 3 AlkopopStG gehandelt. Die
Getränkemischung wurde in Tanks geliefert und war bereits
vermischt, weshalb es sich nicht um Mischungskomponenten gehandelt
hat. Hierbei kommt es darauf an, dass es sich um
Mischungskomponenten von Getränken nach § 1 Abs. 2
AlkopopStG handelt, das heißt, die beiden Hauptkomponenten
(alkoholfreies Getränk und Spirituose) müssen getrennt in
einer einzigen Verpackung mit dem Hinweis auf eine Mischung
angeboten werden. Dadurch soll eine Umgehung der Sondersteuer
verhindert werden (vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des Schutzes junger Menschen vor Gefahren des
Alkohol- und Tabakkonsums, BT-Drucks. 15/2587, S. 7). Ist jedoch
noch ein industrieller Vorgang erforderlich (hier das Abfüllen
in Flaschen), greift § 1 Abs. 3 AlkopopStG nicht ein. Da
diesbezüglich zwischen den Beteiligten kein Streit besteht,
sieht der Senat insofern von weiteren Ausführungen ab.
|
|
|
43
|
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
|