Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 16.11.2021 - 8
K 1362/20 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Streitig ist, ob die auf
Steuerfreistellung eines Sanierungsertrags gerichteten Anträge
nach § 52 Abs. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
beziehungsweise (bzw.) § 36 Abs. 2c Satz 3 des
Gewerbesteuergesetzes (GewStG), beide Vorschriften in der Fassung
des Gesetzes zur Vermeidung von
Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und
zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom
11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338), als rückwirkende Ereignisse im
Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu
beurteilen sind.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG. Ihre
Gesellschafter sind die A GmbH als Komplementärin ohne
Beteiligung am Vermögen und Frau S als alleinige
Kommanditistin mit einem Anteil am Vermögen von 100 %.
Alleiniger Gesellschafter der A GmbH und ihr
Geschäftsführer ist Herr A, der Ehemann der S.
Unternehmensgegenstand der Klägerin ist der Erwerb, das Halten
und das Verwalten eigener Grundstücke.
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Am 04.04.2011 traf die Klägerin als
Schuldnerin mit ihrer Gläubigerin, der V-Bank (V), eine
Vereinbarung über den Verzicht auf eine Darlehensforderung zum
31.12.2010 in Höhe von 300.000 EUR gegen
Besserungsschein.
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Die Klägerin erklärte sowohl in
ihrer Erklärung für die gesonderte und einheitliche
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010 als auch in ihrer
Erklärung für die Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags 2010 einen bilanziellen Ertrag aus dem
Verzicht auf die Darlehensforderung als Sanierungsgewinn im Sinne
des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom
27.03.2003 (BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23) - Sanierungserlass -
. Zu den beiden eingereichten Erklärungen wurden zunächst
keine Bescheide erlassen.
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Im April 2011 begann das Finanzamt C-Stadt
bei der Klägerin für den Zeitraum 2007 bis 2009 eine
steuerliche Außenprüfung, die im August 2015 mit der
Mitteilung endete, dass die Außenprüfung zu keiner
Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt habe.
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Der zwischenzeitlich für die
Klägerin zuständig gewordene Beklagte und
Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) erließ am 27.11.2015
einen erstmaligen Bescheid über die gesonderte und
einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010
(Gewinnfeststellungsbescheid 2010). Das FA stellte einen laufenden
Gesamthandsgewinn unter Einbeziehung des von der Klägerin
bilanziell erfassten Ertrags aus dem Darlehensverzicht der V fest.
Ferner teilte das FA im Gewinnfeststellungsbescheid nachrichtlich
mit, dass in dem festgestellten Gesamthandsgewinn ein
Sanierungsgewinn in Höhe von 0 EUR enthalten sei. Ebenfalls am
27.11.2015 setzte das FA erstmalig den Gewerbesteuermessbetrag 2010
fest, wiederum unter Ansatz des Ertrags aus dem Darlehensverzicht
der V.
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Die Klägerin legte gegen beide
Bescheide jeweils Einspruch ein, die das FA mit
Einspruchsentscheidungen vom 13.04.2016 als unbegründet
zurückwies. Die hiergegen erhobenen Klagen vor dem
Finanzgericht (FG) nahm die Klägerin im März 2017
hinsichtlich des Gewerbesteuermessbescheids 2010 und im Juni 2018
hinsichtlich des Gewinnfeststellungsbescheids 2010
zurück.
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S und A stellten im Mai 2018 beim FA einen
Antrag auf Stundung und Erlass der gegen sie im Rahmen einer
Zusammenveranlagung festgesetzten Einkommensteuer 2010, soweit
diese auf den Ertrag von 300.000 EUR aus dem Forderungsverzicht der
V entfalle, da es sich dabei um einen nach dem Sanierungserlass
begünstigten Sanierungsgewinn handele. Das FA lehnte diesen
Antrag ab. Den daraufhin von S und A eingelegten Einspruch wies es
mit Einspruchsentscheidung im März 2019 als unbegründet
zurück. Die hiergegen beim FG erhobene Klage erklärten S
und A im September 2020 in der Hauptsache für erledigt, da
sich mit Einführung des § 3a EStG und der
Antragsmöglichkeit nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG die
gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Steuerfreistellung von
Sanierungserträgen zwischenzeitlich geändert hätten.
Das FA erklärte den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache
für erledigt.
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Aufgrund des am 27.11.2015 vom FA für
2010 festgesetzten Gewerbesteuermessbetrags setzte die Stadt
D-Stadt gegen die Klägerin im Dezember 2015 die Gewerbesteuer
2010 fest. Daraufhin beantragte die Klägerin zunächst die
Stundung und im Februar 2016 auch den Erlass des auf den Ertrag aus
dem Forderungsverzicht beruhenden Teils der festgesetzten
Gewerbesteuer. Über den Antrag ist bislang nicht
entschieden.
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Schließlich beantragte die
Klägerin mit Schreiben vom 14.11.2019 beim FA die
Berücksichtigung eines steuerfreien Sanierungsertrags für
2010 in Höhe von 300.000 EUR gemäß § 3a EStG
bzw. § 7b GewStG. Das FA lehnte beide Anträge am
28.01.2020 ab.
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Einspruch (Einspruchsentscheidung vom
06.05.2020) und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung seines
klageabweisenden Urteils vom 16.11.2021 - 8 K 1362/20 führte
das FG aus, dass zum
Zeitpunkt der Antragstellung die Feststellungs- bzw.
Festsetzungsfristen für die gesonderte und einheitliche
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010, den
Gewerbesteuermessbetrag 2010 und die Einkommensteuer 2010 der
Eheleute A und S abgelaufen gewesen seien und daher die
Berücksichtigung des von der Klägerin beantragten
Sanierungsertrags nach § 3a EStG bzw. § 7b GewStG bereits
aus diesem Grund ausscheide. Bei der Antragstellung nach § 52
Abs. 4a Satz 3 EStG und § 36c Abs. 2c Satz 3 GewStG handele es
sich auch um kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das zu einem Neubeginn der
Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist führe.
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Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu
Unrecht die beantragte Berücksichtigung eines steuerfreien
Sanierungsertrags mit dem Hinweis auf den Ablauf der Feststellungs-
bzw. Festsetzungsfrist abgelehnt. Bei ihren Anträgen
gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs.
2c Satz 3 GewStG auf Anwendung der Vorschriften zum
Sanierungsertrag nach § 3a EStG bzw. § 7b GewStG handele
es sich jeweils um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, sodass der Lauf der
Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist mit ihrer Antragstellung
gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO neu begonnen
habe.
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Sie sei erst mit Einführung von §
52 Abs. 4a Satz 3 EStG und § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG in die
Lage versetzt worden, die Behandlung des bilanziellen Ertrags aus
dem Darlehensverzicht der V als steuerfreien Sanierungsertrag nach
§ 3a EStG bzw. § 7b GewStG für 2010 geltend zu
machen. Daher entfalteten ihre Anträge eine steuerliche
Wirkung für die Vergangenheit.
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Der Gesetzgeber habe zudem mit der
Einführung der vorbezeichneten Antragsmöglichkeiten
bezweckt, für Steuerpflichtige, bei denen der
Darlehensverzicht bereits vor dem 09.02.2017 erfolgt sei,
Rechtssicherheit für die Berücksichtigung eines
Sanierungsertrags nach § 3a EStG bzw. § 7b GewStG zu
gewährleisten und für den Fall einer ablehnenden
Entscheidung der Finanzverwaltung den Rechtsweg zu den
Finanzgerichten zu eröffnen.
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Demgegenüber führe die
Klageabweisung durch das FG unter Hinweis auf den Ablauf der
Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist dazu, dass die Frage, ob es
sich bei dem Ertrag aus dem Darlehensverzicht der V um einen
begünstigten Sanierungsertrag im Sinne des § 3a EStG bzw.
§ 7b GewStG handele, weiterhin einer gerichtlichen
Überprüfung entzogen werde. Dabei sei zu beachten, dass
die Klägerin sich in der Vergangenheit bereits mehrfach darum
bemüht habe, eine gerichtliche Klärung
herbeizuführen, aufgrund der Entwicklungen in der
Rechtsprechung und Gesetzgebung zur Frage der Behandlung von
Sanierungserträgen aus verfahrensrechtlichen Gründen
jedoch keinen Erfolg gehabt habe. Vor diesem Hintergrund führe
die Behandlung ihrer Anträge nach § 52 Abs. 4a Satz 3
EStG und § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG als rückwirkende
Ereignisse im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch
nicht zu einer Besserstellung der Klägerin gegenüber
Steuerpflichtigen, bei denen die Regelungen des § 3a EStG bzw.
§ 7b GewStG zur Steuerfreiheit von Sanierungserträgen
ohne einen gesonderten Antrag Anwendung fänden.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG Baden-Württemberg
vom 16.11.2021 - 8 K 1362/20 aufzuheben und das FA zu
verpflichten,
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unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom
28.01.2020 sowie der Einspruchsentscheidung vom 06.05.2020 einen
Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung
eines Sanierungsertrags gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1
EStG in Höhe von 300.000 EUR für das Jahr 2010 zu
erlassen, hilfsweise den Gewinnfeststellungsbescheid 2010 vom
27.11.2015 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom
13.04.2016 dahingehend zu ändern, dass ein Sanierungsertrag
gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG in Höhe von
300.000 EUR für das Jahr 2010 festgestellt wird, und
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den Gewerbesteuermessbescheid 2010 vom
27.11.2015 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom
13.04.2016 dahingehend zu ändern, dass ein Sanierungsertrag in
Höhe von 300.000 EUR gemäß § 7b GewStG
mindernd berücksichtigt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Das FA schließt sich den
Ausführungen des FG an und trägt ergänzend vor, dass
die Revision der Klägerin bereits unzulässig sei. Die
Klägerin habe in ihrer Revisionsbegründung nur die
gleichen Einwendungen wie im erstinstanzlichen Verfahren
vorgebracht und zu der Frage, ob es sich bei ihren Anträgen
nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG und nach § 36 Abs. 2c Satz
3 GewStG um rückwirkende Ereignisse im Sinne des § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO handele, nicht hinreichend Stellung
genommen.
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19
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II. Die Revision der Klägerin ist
zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Die Revision ist zulässig,
insbesondere hat die Klägerin die Revision hinreichend
begründet.
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a) Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO
muss die Begründung der Revision die Angabe der
Revisionsgründe durch eine bestimmte Bezeichnung der
Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt
(zu diesen Begründungsanforderungen im Einzelnen z.B. Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.06.2023 - IV R 30/19, BFHE 281,
90, BStBl II 2023, 1050 = SIS 23 15 39, Rz 31).
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b) Entgegen der Auffassung des FA entspricht
die Begründung der Klägerin diesen gesetzlichen
Anforderungen. Die Klägerin hat die Gründe
tatsächlicher und rechtlicher Art angegeben, die nach ihrer
Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen
lassen. So begründet die Klägerin ihre Revision
dahingehend, dass entgegen der Auffassung des FG im Streitfall die
von ihr nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG und nach § 36 Abs.
2c Satz 3 GewStG gestellten Anträge rückwirkende
Ereignisse im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
darstellten. Danach sei gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2, Abs. 1 Satz 2 AO der Erlass der vom FA abgelehnten Bescheide
möglich. In diesen Bescheiden sei dann der nach § 3a EStG
bzw. § 7b GewStG steuerfrei zu belassende Sanierungsertrag zu
berücksichtigen.
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2. Die Revision ist auch begründet. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG rechtsfehlerhaft
angenommen hat, die Klage sei bereits wegen des Ablaufs der
Feststellungs- bzw. Festsetzungsfristen abzuweisen.
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Die von der Klägerin erhobene Klage
betrifft ebenso wie die von ihr eingelegte Revision zum einen die
gesonderte und einheitliche Feststellung der Höhe des
Sanierungsertrags für 2010 nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG
gemäß § 3a Abs. 4 EStG und zum anderen den
Gewerbesteuermessbetrag 2010 (dazu unter a). Diese Klage, mit
welcher die Klägerin zwei Verpflichtungsbegehren verfolgt
(dazu unter b), ist zulässig (dazu unter c) und - entgegen der
Auffassung des FG - auch begründet (dazu unter d).
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a) Gegenstand des Klage- und
Revisionsverfahrens ist zum einen die gesonderte und einheitliche
Feststellung der Höhe des Sanierungsertrags für 2010 nach
§ 3a Abs. 1 Satz 1 EStG gemäß § 3a Abs. 4 Satz
1 EStG und zum anderen der Gewerbesteuermessbetrag 2010.
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aa) Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG sind
Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem
Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung im
Sinne des § 3a Abs. 2 EStG (Sanierungsertrag) steuerfrei.
Gemäß § 7b Abs. 1 GewStG ist § 3a EStG
vorbehaltlich der Regelungen in § 7b Abs. 2 und Abs. 3 GewStG
bei der Ermittlung des Gewerbeertrags entsprechend anzuwenden.
Danach ist ein nach § 3a EStG von der Einkommensteuer
befreiter Sanierungsertrag auch für Zwecke der Gewerbesteuer
als steuerfrei zu behandeln (z.B. Güroff in
Glanegger/Güroff, GewStG, 11. Aufl., § 7b Rz 2).
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bb) Zwar zielte die Klage der Klägerin
(auch) hinsichtlich der Gewinnfeststellung 2010 darauf ab, dass der
Ertrag aus dem Forderungsverzicht der V bei der Ermittlung des
steuerpflichtigen laufenden Gesamthandsgewinns als steuerfreier
Sanierungsertrag nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG außer
Ansatz bleibt. Über die Steuerfreiheit des Sanierungsertrags
im Gesamthandsbereich ist jedoch in den Fällen des § 3a
Abs. 4 Satz 1 EStG im Verfahren über die gesonderte (und
einheitliche) Feststellung seiner Höhe zu entscheiden.
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(1) Sind - wie im Fall der Klägerin -
Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 Buchst. a AO gesondert festzustellen, ist gemäß §
3a Abs. 4 Satz 1 EStG auch die Höhe des Sanierungsertrags nach
§ 3a Abs. 1 Satz 1 EStG sowie die Höhe der nach § 3a
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 6 und 13 EStG mindernden Beträge
gesondert festzustellen. Zuständig für diese gesonderte
Feststellung ist nach § 3a Abs. 4 Satz 2 EStG das Finanzamt,
das für die gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 AO zuständig ist.
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Die danach gesondert festzustellenden
Besteuerungsgrundlagen werden, wie sich aus § 3a Abs. 4 Satz 1
und 2 EStG ergibt, auch wenn es um den Sanierungsertrag im
Gesamthandsgewinn einer Mitunternehmerschaft geht, in einem
eigenständigen Verwaltungsakt (Feststellungsbescheid nach
§ 3a Abs. 4 EStG) und nicht im Gewinnfeststellungsbescheid im
Sinne des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO
festgestellt.
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(2) Dieser Feststellungsbescheid nach §
3a Abs. 4 Satz 1 EStG ist, soweit darin die Höhe des
Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG festgestellt
ist, der im Gesamthandsbereich einer Mitunternehmerschaft
angefallen ist, Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO)
für den Gewinnfeststellungsbescheid der Mitunternehmerschaft
als dessen Folgebescheid. Denn diese Feststellung besitzt in
mehrfacher Hinsicht im Sinne des § 182 Abs. 1 Satz 1 AO
Bedeutung für die Ermittlung des im
Gewinnfeststellungsbescheid festzustellenden laufenden
Gesamthandsgewinns und ist daher insoweit für diesen bindend
(anderer Ansicht Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 3a
Rz 54; Kobor in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3a Rz
E 7). So ist der im Feststellungsbescheid nach § 3a Abs. 4
EStG dem Grunde und der Höhe nach festgestellte
Sanierungsertrag als grundsätzlich steuerpflichtige
Betriebseinnahme bei der Feststellung des laufenden
Gesamthandsgewinns nun als steuerfrei zu berücksichtigen und
außerbilanziell abzuziehen. Zum anderen bedingt die
Feststellung eines steuerfreien Sanierungsertrags für die
Gewinnermittlung ein - in der Höhe noch zu bestimmendes -
Abzugsverbot für die damit in unmittelbarem wirtschaftlichen
Zusammenhang stehenden Betriebsvermögensminderungen oder
Betriebsausgaben (§ 3c Abs. 4 EStG). Schließlich folgt
aus der Feststellung eines nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG
steuerfrei zu stellenden Sanierungsertrags, dass nach § 3a
Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG steuerliche Wahlrechte in dem Jahr, in dem
ein Sanierungsertrag erzielt wird (Sanierungsjahr), und im
Folgejahr im zu sanierenden Unternehmen gewinnmindernd
auszuüben sind. Daraus ergeben sich wiederum Folgewirkungen
für die Ermittlung des im Gewinnfeststellungsbescheid
festzustellenden steuerpflichtigen laufenden
Gesamthandsgewinns.
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(3) Wird der Sanierungsertrag im
Gesamthandsbereich erzielt, muss die gesonderte Feststellung der
Höhe des steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 4
EStG einheitlich erfolgen. Denn in diesem Fall ist der Gegenstand
der Feststellung mehreren Personen zuzurechnen (§ 179 Abs. 2
Satz 2 AO).
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(4) Liegen nach Ansicht des
Feststellungsfinanzamts die Voraussetzungen für die
Steuerfreiheit des Sanierungsertrags nicht vor, ist kein
Feststellungsbescheid nach § 3a Abs. 4 EStG zu erlassen.
Vielmehr sind die laufenden Gesamthandseinkünfte im
Gewinnfeststellungbescheid „brutto“
festzustellen, das heißt unter Berücksichtigung des
Sanierungsertrags, unter Beachtung steuerlicher Wahlrechte und ohne
Anwendung des Abzugsverbots für Sanierungsaufwendungen. Macht
die Mitunternehmerschaft die Steuerfreiheit des Sanierungsertrags
geltend, muss sie den Erlass eines Feststellungsbescheids nach
§ 3a Abs. 4 EStG beantragen. Denn über die Steuerfreiheit
des Sanierungsertrags wird dem Grunde und der Höhe nach in dem
eigenständigen Feststellungsverfahren nach § 3a Abs. 4
EStG entschieden. Ergeht danach der begehrte Feststellungsbescheid
nach § 3a Abs. 4 EStG, ist der Gewinnfeststellungsbescheid als
Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend
zu ändern.
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Geht das Feststellungsfinanzamt hingegen davon
aus, dass ein steuerfreier Sanierungsertrag vorliegt, muss es
zunächst den Feststellungsbescheid nach § 3a Abs. 4 Satz
1 EStG (Grundlagenbescheid) erlassen (vgl. BFH-Urteil vom
08.10.1986 - I R 155/84, BFH/NV 1987, 564, unter 3.a [Rz 22];
Klein/Rüsken, AO, 18. Aufl., § 155 Rz 55). Aufgrund der
Bindungswirkung dieses Bescheids ist die Feststellung des laufenden
Gesamthandsgewinns im Gewinnfeststellungsbescheid (Folgebescheid)
dann zwingend „netto“ vorzunehmen (das
heißt unter Berücksichtigung der Steuerfreiheit des
Sanierungsertrags sowie unter Anwendung der §§ 3a Abs. 1
Satz 2 und 3, 3c Abs. 4 EStG). Dabei ist zu beachten, dass auf der
Einnahmenseite der Mitunternehmerschaft die Höhe des
steuerfreien Sanierungsertrags mit Bindungswirkung feststeht. Auf
der Ausgabenseite der Mitunternehmerschaft beschränkt sich die
Bindungswirkung hingegen darauf, dass erstmalig die Restriktionen
der §§ 3a Abs. 1 Satz 2 und 3, 3c Abs. 4 EStG dem Grunde
nach zur Anwendung kommen. Eine Bindungswirkung der Höhe nach
besteht hingegen nicht.
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cc) Hinsichtlich der Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags besteht hingegen kein
Grundlagen-Folgebescheid-Verhältnis zum Feststellungsbescheid
nach § 3a Abs. 4 EStG. Die Frage, ob ein Sanierungsertrag nach
§ 3a EStG steuerfrei ist, ist vielmehr eigenständig im
Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags nach § 7 Satz 1,
§ 7b GewStG zu prüfen.
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35
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b) Die Klägerin hat sowohl hinsichtlich
der Feststellung der Höhe eines Sanierungsertrags nach §
3a Abs. 1 Satz 1 EStG für 2010 gemäß § 3a Abs.
4 Satz 1 EStG als auch hinsichtlich des Gewerbesteuermessbescheids
2010 zutreffend eine Verpflichtungsklage erhoben.
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36
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aa) Die Klageart richtet sich gemäß
§ 40 Abs. 1 Satz 1 FGO nach dem Klagebegehren. Eine
Verpflichtungsklage liegt danach vor, wenn durch die Klage die
Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen
Verwaltungsakts begehrt wird (§ 40 Abs. 1 Alternative 2 FGO).
Dabei wird das Aufhebungsbegehren hinsichtlich des
Ablehnungsbescheids von der Verpflichtungsklage umfasst und
begründet keine eigenständige Anfechtungsklage.
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bb) Danach begehrt die Klägerin zum einen
die gerichtliche Verpflichtung des FA zum Erlass eines Bescheids
über die gesonderte und einheitliche Feststellung
gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG eines
Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG für 2010
in Höhe von 300.000 EUR.
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cc) Aber auch hinsichtlich der begehrten
Änderung des Gewerbesteuermessbescheids 2010 unter
Berücksichtigung eines steuerfreien Sanierungsertrags in
Höhe von 300.000 EUR gemäß § 7b Abs. 1 GewStG
ist die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart.
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(1) Die Abgrenzung einer Anfechtungsklage in
Gestalt einer Abänderungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1
Alternative 1, § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO von einer
Verpflichtungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1 Alternative 2,
§ 101 FGO erfolgt danach, ob die begehrte Änderung durch
die Finanzbehörde aus formellen (verfahrensrechtlichen)
Gründen oder aus materiell-rechtlichen Gründen abgelehnt
worden ist. Im ersten Fall entspricht das Begehren der Erhebung
einer Verpflichtungsklage (BFH-Urteil vom 20.12.2000 - III R 17/97,
BFH/NV 2001, 914 = SIS 01 66 27, unter II.2. [Rz 31]; Krumm in
Tipke/Kruse, § 40 FGO Rz 11; Gräber/Teller,
Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 40 Rz 17).
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(2) Das FA hat die Ablehnung der Änderung
des Gewerbesteuermessbescheids 2010 im Ablehnungsbescheid vom
28.01.2020 und in der Einspruchsentscheidung vom 06.05.2020 auf
formelle (verfahrensrechtliche) Gründe gestützt, indem es
die Ablehnung allein damit begründete, dass der begehrten
Änderung der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstehe.
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c) Die Klägerin ist zur Erhebung der
Verpflichtungsklage hinsichtlich der versagten gesonderten und
einheitlichen Feststellung eines Sanierungsertrags für 2010
nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a FGO i.d.F. des Art. 27 des
Kreditzweitmarktförderungsgesetzes vom 22.12.2023 (BGBl 2023 I
Nr. 411; zur Anwendung der Neufassung für im Zeitpunkt ihres
Inkrafttretens bereits anhängige Klageverfahren siehe
BFH-Urteil vom 08.08.2024 - IV R 1/20 = SIS 24 16 62, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, Rz 25) sowie hinsichtlich des
bisher festgesetzten Gewerbesteuermessbetrags 2010 unmittelbar nach
§ 40 Abs. 2 FGO klagebefugt.
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d) Die Klage ist auch begründet. Die
Klägerin hat einen Anspruch auf Erlass der begehrten
Bescheide. Im Streitfall ist - entgegen der Auffassung des FG und
des FA - sowohl der Erlass eines Bescheids gemäß §
3a Abs. 4 Satz 1 EStG über die gesonderte und einheitliche
Feststellung eines steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a
Abs. 1 Satz 1 EStG für 2010 als auch der Erlass eines
geänderten Gewerbesteuermessbescheids 2010 unter
Berücksichtigung eines steuerfreien Sanierungsertrags
gemäß § 7b GewStG verfahrensrechtlich noch
möglich. Denn bei den von der Klägerin mit Schreiben vom
14.11.2019 gestellten Anträgen (dazu unter aa) handelt es sich
jeweils um ein rückwirkendes Ereignis (dazu unter bb) mit der
Folge, dass für die von der Klägerin begehrten Bescheide
die Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist
(dazu unter cc).
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aa) Die Klägerin hat mit Schreiben vom
14.11.2019 von der nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. nach
§ 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG eingeräumten Möglichkeit
Gebrauch gemacht, die Anwendung des § 3a EStG bzw. des §
7b GewStG zur Steuerfreistellung eines Sanierungsertrags zu
beantragen.
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44
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Nach § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG ist §
3a EStG nur in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden
ganz oder teilweise nach dem 08.02.2017 erlassen wurden. Auf Antrag
des Steuerpflichtigen ist gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3
EStG die Vorschrift des § 3a EStG jedoch auch in den
Fällen anzuwenden, in denen die Schulden - wie im Streitfall -
vor dem 09.02.2017 erlassen wurden. Ebenso ist § 7b GewStG
nach § 36 Abs. 2c Satz 1 GewStG grundsätzlich nur in den
Fällen anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise
nach dem 08.02.2017 erlassen wurden. Auch hier ist jedoch nach
§ 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG auf Antrag des Steuerpflichtigen
§ 7b GewStG auch in den Fällen anzuwenden, in denen die
Schulden - wie im Streitfall - vor dem 09.02.2017 erlassen wurden.
§ 36 Abs. 2c GewStG als Anwendungsregelung für § 7b
GewStG gilt nach allgemeinen Grundsätzen fort, auch wenn
§ 36 GewStG durch Art. 8 Nr. 6 des Gesetzes zur weiteren
steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur
Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019
(BGBl I 2019, 2451) neu gefasst und Abs. 2c aufgehoben wurde (vgl.
BFH-Urteil vom 25.07.1991 - XI R 36/89, BFHE 165, 372, BStBl II
1992, 26 = SIS 91 23 42, zu § 52 EStG; Rüsch in
Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 2. Aufl., § 36
Rz 6; Stephani in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 36
Rz 3 am Ende).
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45
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bb) Ein Antrag nach § 52 Abs. 4a Satz 3
EStG bzw. nach § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG stellt ein
rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO dar (ebenso zu § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG FG
Münster, Urteil vom 04.09.2023 - 9 K 3511/20 F, Rz 30;
Eilers/Tiemann, Die Unternehmensbesteuerung - Ubg - 2020, 190, 194
f.; Hasbach, DB 2019, 871, 874 f.; Reddig, HFR 2021, 438;
Uhländer, DB 2022, 1923, 1927; BeckOK EStG/Bleschick, 19. Ed.
01.07.2024, EStG § 3a Rz 39; Brandis/Heuermann/Krumm, §
3a EStG Rz 4; Schmidt/Levedag, EStG, 43. Aufl., § 3a Rz 3;
Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 3a Rz 6a; anderer
Ansicht Förster/Hechtner, DB 2019, 10, 12; Hallerbach in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 3a EStG Rz 9; anderer Ansicht zu
§ 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG Güroff in
Glanegger/Güroff, GewStG, 11. Aufl., § 7b Rz 1b).
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46
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(1) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist
ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Diese Regelung
findet sowohl im Feststellungsverfahren (§ 181 Abs. 1 Satz 1
AO) als auch sinngemäß bei der Festsetzung von
Steuermessbeträgen (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO) Anwendung.
Sie findet zudem auch dann Anwendung, wenn der Steuer- oder
Feststellungsbescheid, in dem der Vorgang zu berücksichtigen
ist, überhaupt noch nicht ergangen und das rückwirkende
Ereignis beim erstmaligen Erlass des Steuer- oder
Feststellungsbescheids zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom
16.06.2015 - IX R 30/14, BFHE 250, 305, BStBl II 2017, 94 = SIS 15 23 31, Rz 23, m.w.N.).
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47
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(2) Was unter einem rückwirkenden
Ereignis zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher
bestimmt. Ob ein Ereignis ausnahmsweise steuerlich in die
Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen
des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts (BFH-Urteil
vom 20.08.2014 - X R 33/12, BFHE 247, 105, BStBl II 2015, 138 = SIS 14 32 08, Rz 13; Beschlüsse des Großen Senats des BFH
vom 19.07.1993 - GrS 1/92, BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894 = SIS 93 23 32, unter C.II.1.; vom 19.07.1993 - GrS 2/92, BFHE 172, 66,
BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33, unter C.II.1.c).
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48
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Aus Sinn und Zweck des § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 AO ergibt sich, dass das Ereignis den Sachverhalt
verändern und dabei derart in die Vergangenheit
zurückwirken muss, dass ein Bedürfnis besteht, eine schon
endgültige (bestandskräftig getroffene) Regelung im Sinne
der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung
anzupassen (BFH-Urteil vom 09.08.1990 - X R 5/88, BFHE 162, 355,
BStBl II 1991, 55 = SIS 91 04 49, unter 2.a [Rz 23]; BFH-Beschluss
vom 04.11.1998 - IV B 146/97, BFH/NV 1999, 589 [Rz 5] = SIS 98 50 55; ferner BFH-Urteile vom 20.08.2014 - X R 33/12, BFHE 247, 105,
BStBl II 2015, 138 = SIS 14 32 08, Rz 13; vom 10.11.2004 - II R
24/03, BFHE 207, 364, BStBl II 2005, 182 = SIS 05 04 80, unter 2.
[Rz 15], jeweils m.w.N.).
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Eine rückwirkende Änderung
steuerrechtlicher Vorschriften (BFH-Urteil vom 09.08.1990 - X R
5/88, BFHE 162, 355, BStBl II 1991, 55 = SIS 91 04 49, unter 2.b
[Rz 24], m.w.N.) oder der in steuerrechtlichen
Verwaltungsanweisungen vertretenen Rechtsauffassung (BFH-Beschluss
vom 04.11.1998 - IV B 146/97, BFH/NV 1999, 589 = SIS 98 50 55,
unter 1. [Rz 6]) erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die
Stellung eines Antrags kann hingegen ein rückwirkendes
Ereignis sein, wenn er nicht nur Verfahrenshandlung oder rein
formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung eines
steuerlich relevanten Sachverhalts, sondern selbst Merkmal des
gesetzlichen Tatbestands ist (z.B. BFH-Urteile vom 12.07.1989 - X R
8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 = SIS 89 21 04, unter 1.b
[Rz 14 ff.]; vom 28.06.2006 - XI R 32/05, BFHE 214, 314, BStBl II
2007, 5 = SIS 06 37 72, unter II.2.a [Rz 14]; beide zum
Realsplitting).
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50
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(3) Danach stellt ein Antrag nach § 52
Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG ein
rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO dar. Denn er ist nicht nur Verfahrenshandlung oder rein
formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung eines
steuerlich relevanten Sachverhalts, sondern selbst Merkmal des
gesetzlichen Tatbestands (dazu unter (a)). Zudem besteht in den von
§ 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG
erfassten Fällen ein Bedürfnis, eine schon
bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche
Sachverhaltsänderung anzupassen (dazu unter (b)).
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51
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(a) § 3a EStG und § 7b GewStG sind
mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im
Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.06.2017 (BGBl I
2017, 2074) eingeführt worden und finden gemäß
§ 52 Abs. 4a Satz 1 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 1 GewStG
erstmals in den Fällen Anwendung, in denen die Schulden ganz
oder teilweise nach dem 08.02.2017 erlassen wurden (sogenannte
Neufälle).
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52
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Mit dem Gesetz zur Vermeidung von
Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und
zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften wurden
§ 52 Abs. 4a EStG und § 36 Abs. 2c GewStG jeweils um
einen Satz 3 ergänzt. Danach sind, wie bereits
ausgeführt, auf Antrag des Steuerpflichtigen § 3a EStG
bzw. § 7b GewStG zur Steuerfreistellung von
Sanierungserträgen auch in den Fällen anzuwenden, in
denen die Schulden vor dem 09.02.2017 erlassen wurden (sogenannte
Altfälle). Der Antrag des Steuerpflichtigen bewirkt damit,
dass nach § 3a EStG bzw. § 7b GewStG ein Sanierungsertrag
auch in sogenannten Altfällen steuerfrei ist. Der Antrag nach
§ 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG
ist daher nicht nur Verfahrenshandlung oder rein formelle
Voraussetzung für die Berücksichtigung eines steuerlich
relevanten Sachverhalts, sondern selbst Merkmal des gesetzlichen
Tatbestands. Die Anwendung des § 3a EStG bzw. des § 7b
GewStG auf Altfälle setzt - anders als in den Fällen, in
denen nach dem 08.02.2017 Schulden erlassen worden sind - einen
Antrag des Steuerpflichtigen voraus. Die Regelungen der
§§ 3a und 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. §§ 7b und
36 Abs. 2c Satz 3 GewStG bilden damit einen einheitlichen
Gesamttatbestand, bei dessen Erfüllung ein vom
Steuerpflichtigen erzielter Sanierungsertrag (zwingend) steuerfrei
zu stellen ist. Der Antrag wirkt unmittelbar rechtsgestaltend und
nachträglich auf die Steuerschuld ein - rechtsgestaltend, weil
er die einkommensteuerrechtliche bzw. gewerbesteuerrechtliche
Qualifikation des Sanierungsertrags verändert;
nachträglich, weil er der Entstehung des Sanierungsertrags
notwendigerweise zeitlich nachfolgt. Ohne Antrag liegen
steuerpflichtige Betriebseinnahmen vor, mit Antrag können
diese Betriebseinnahmen ein steuerfreier Sanierungsgewinn sein.
Danach liegen unterschiedliche steuerlich relevante Sachverhalte
vor, je nachdem, ob ein Antrag gestellt wird oder nicht (vgl. FG
Münster, Urteil vom 04.09.2023 - 9 K 3511/20 F, Rz 30; FG
Münster, Beschluss vom 07.02.2022 - 9 V 2784/21 F, Rz 39;
Eilers/Tiemann, Ubg 2020, 190, 194 f.; Hasbach, DB 2019, 871, 874
f.; Reddig, HFR 2021, 438; BeckOK EStG/Bleschick, 19. Ed.
01.07.2024, EStG § 3a Rz 39).
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53
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(b) In den von § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG
bzw. von § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG erfassten Fällen
besteht auch ein Bedürfnis, eine schon bestandskräftig
getroffene Regelung an die nachträgliche
Sachverhaltsänderung anzupassen. Denn anderenfalls drohte die
vom Gesetzgeber eingeräumte und mit der Antragstellung des
Steuerpflichtigen bewirkte Anwendung der Vorschriften zur
Steuerfreistellung von Sanierungserträgen für
Altfälle weitgehend ins Leere zu laufen (dazu unter (aa)). Die
rückwirkende Anpassung einer schon endgültigen
(bestandskräftig getroffenen) Regelung an die infolge des
Antrags anzuwendenden Vorschriften des § 3a EStG und des
§ 7b GewStG gewährleistet zudem die vom Gesetzgeber
beabsichtigte Gleichbehandlung von Alt- und Neufällen, ohne
dass es bei Altfällen zu einer Besserstellung des
Steuerpflichtigen kommt (dazu unter (bb)). Schließlich dient
die rückwirkende Anwendung von § 3a EStG und § 7b
GewStG dem gesetzgeberischen Ziel, den in Altfällen
betroffenen Steuerpflichtigen ausreichende Rechtssicherheit und die
Eröffnung des Rechtswegs zu gewährleisten (dazu unter
(cc)).
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54
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(aa) Die in § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw.
§ 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG vorgesehene Anwendung von § 3a
EStG bzw. § 7b GewStG in Altfällen, also bei Erlass der
Schulden vor dem 09.02.2017, liefe weitgehend ins Leere, wenn diese
Vorschriften bei Steuerpflichtigen keine Anwendung fänden,
deren Einkommensteuer- oder Gewerbesteuermessbetragsfestsetzungen
bereits bestandskräftig geworden sind oder bei denen - wie im
Fall der Klägerin - die für die nach § 3a Abs. 4
Satz 1 EStG zu treffende Feststellung der Höhe des
Sanierungsertrags maßgebliche Feststellungsfrist
grundsätzlich bereits abgelaufen ist. Denn bis zur
Einführung des § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG und des § 36
Abs. 2c Satz 3 GewStG mit dem Gesetz zur Vermeidung von
Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und
zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften bestand
für diese Steuerpflichtigen - wiederum wie im Streitfall
für die Klägerin - keine Möglichkeit und damit auch
kein Anlass, gegen diese Steuerfestsetzungen Rechtsbehelfe
einzulegen bzw. einen Antrag nach § 3a Abs. 4 EStG zu stellen,
um den Eintritt der Bestandskraft oder den Ablauf der
Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist zu verhindern.
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55
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Vor Einführung von § 52 Abs. 4a Satz
3 EStG und § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG konnten Steuerpflichtige
lediglich nach Maßgabe des Sanierungserlasses in einem
üblicherweise der Steuerfestsetzung zeitlich nachfolgenden
Billigkeitsverfahren über einen (Teil-)Erlass der zuvor
festgesetzten Steuer eine steuerliche Verschonung von
Sanierungserträgen erreichen. Dabei hatte der BFH jedoch
bereits mit dem am 08.02.2017 veröffentlichten Beschluss des
Großen Senats vom 28.11.2016 - GrS 1/15 (BFHE 255, 482, BStBl
II 2017, 393 = SIS 16 28 03) entschieden, dass die auf dem
Sanierungserlass beruhende Verwaltungspraxis gegen den Grundsatz
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt
(so ausdrücklich auch für Altfälle BFH-Urteile vom
23.08.2017 - I R 52/14, BFHE 259, 20, BStBl II 2018, 232 = SIS 17 18 94; vom 23.08.2017 - X R 38/15, BFHE 259, 28, BStBl II 2018, 236
= SIS 17 18 90).
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56
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Würde man das Stellen eines Antrags nach
§ 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG
nicht als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 AO ansehen, führte dies weitgehend zu einer
faktischen Nichtanwendung von § 3a EStG bzw. § 7b GewStG
in sogenannten Altfällen. Dies stünde auch im Widerspruch
zu den Zielen des Gesetzgebers. Denn dieser beabsichtigte mit der
Einführung dieser beiden Vorschriften, die Freistellung von
Sanierungserträgen von der Einkommen- und Gewerbesteuer
weiterhin zu gewährleisten sowie gesetzlich zu regeln
(BT-Drucks. 18/12128, S. 30 und 35).
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57
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(bb) Die rückwirkende Anpassung einer
schon endgültigen (bestandskräftig getroffenen) Regelung
an die infolge des Antrags anzuwendenden Vorschriften des § 3a
EStG bzw. des § 7b GewStG gewährleistet zudem die vom
Gesetzgeber beabsichtigte (vgl. BT-Drucks. 19/5595, S. 73)
Gleichbehandlung von Alt- und Neufällen im Hinblick auf die
Steuerfreistellung von Sanierungserträgen, ohne dass es bei
Altfällen zu einer Besserstellung des Steuerpflichtigen kommt.
Denn der Wegfall des Sanierungserlasses als Grundlage zur
Steuerfreistellung von Sanierungserträgen durch die
BFH-Rechtsprechung betraf grundsätzlich nur Altfälle.
Für Neufälle bestand hingegen mit Einführung des
§ 3a EStG und des § 7b GewStG durch das Gesetz gegen
schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit
Rechteüberlassungen bereits eine gesetzliche Grundlage zur
Steuerfreistellung von Sanierungserträgen.
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58
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Durch die Behandlung eines Antrags nach §
52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG als
rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO kommt es auch nicht zu einer Besserstellung von
Steuerpflichtigen in Altfällen im Vergleich zu
Steuerpflichtigen, deren Schulden erst nach dem 08.02.2017 erlassen
worden sind. Es kommt insbesondere nicht zur Durchbrechung der
Bestandskraft von Entscheidungen, die im Billigkeitsverfahren nach
der bisherigen (rechtswidrigen) Verwaltungspraxis getroffen wurden;
denn derartige Entscheidungen bleiben von einer auf Antrag nach
§ 52 Abs. 4a Satz 3
EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG ergehenden
Entscheidung unberührt.
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59
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(cc) Die Beurteilung eines Antrags nach §
52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. nach § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG
als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 AO dient ferner dem Ziel des Gesetzgebers, den in
Altfällen betroffenen Steuerpflichtigen den Rechtsweg gegen
die Ablehnung der begehrten Begünstigung eines
Sanierungsgewinns zu eröffnen (vgl. BT-Drucks. 19/5595, S. 73
und 79).
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60
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Zwar konnte der Steuerpflichtige, dessen auf
den Sanierungserlass gestützter Antrag auf Erlass der auf
einen Sanierungsertrag entfallenden Steuer abgelehnt worden war,
diese Entscheidung bis zur Veröffentlichung des Beschlusses
des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016 - GrS 1/15 (BFHE
255, 482, BStBl II 2017, 393 = SIS 16 28 03) gerichtlich - im
Rahmen der Grenzen des § 102 FGO - überprüfen lassen
(vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.07.2010 - X R 34/08, BFHE 229, 502,
BStBl II 2010, 916 = SIS 10 22 93; Niedersächsisches FG,
Urteil vom 31.01.2012 - 8 K 34/09).
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61
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Diese Rechtsschutzmöglichkeit war dem
Steuerpflichtigen jedoch nach der Veröffentlichung dieses
BFH-Beschlusses am 08.02.2017 genommen, da danach der Antrag auf
Erlass der Steuer bereits mangels gesetzlicher Grundlage keine
Aussicht auf Erfolg hatte. Auf die Frage, ob im konkreten Fall ein
nach Maßgabe des Sanierungserlasses steuerfrei zu stellender
Sanierungsertrag vorlag, kam es danach nicht weiter an. Dies hat
der BFH mit seinen Entscheidungen gegen die Anwendung der
bisherigen Verwaltungspraxis auf Altfälle, wie noch im
BMF-Schreiben vom 27.04.2017 (BStBl I 2017, 741 = SIS 17 07 84,
unter 1.) vorgesehen, auch noch einmal klargestellt (BFH-Urteile
vom 23.08.2017 - I R 52/14, BFHE 259, 20, BStBl II 2018, 232 = SIS 17 18 94; vom 23.08.2017 - X R 38/15, BFHE 259, 28, BStBl II 2018,
236 = SIS 17 18 90).
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62
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Der Gesetzgeber hat gerade als Reaktion auf
diese Rechtslage für die in Altfällen betroffenen
Steuerpflichtigen die Antragsmöglichkeiten nach § 52 Abs.
4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG mit dem Gesetz
zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren
im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher
Vorschriften eingeführt, um die fehlende
Rechtsschutzmöglichkeit in Altfällen zu beseitigen. Erst
ab diesem Zeitpunkt bestand für diese Steuerpflichtigen - wie
die Klägerin - (nach Wegfall des § 3 Nr. 66 EStG a.F.
wieder) die Möglichkeit, im Wege der Antragstellung nach
§ 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG
eine justiziable Entscheidung der Finanzbehörden
herbeizuführen und die Steuerbefreiung für einen
erzielten Sanierungsertrag unter den bestehenden gesetzlichen
Voraussetzungen nach § 3a EStG bzw. § 7b GewStG
gegenüber einer Finanzbehörde mit Aussicht auf Erfolg
gerichtlich geltend zu machen.
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63
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cc) Die Feststellungsfrist für den Erlass
des von der Klägerin begehrten Bescheids gemäß
§ 3a Abs. 4 Satz 1 EStG über die gesonderte und
einheitliche Feststellung der Höhe des Sanierungsertrags nach
§ 3a Abs. 1 Satz 1 EStG für 2010 sowie die
Festsetzungsfrist für den Erlass eines geänderten
Gewerbesteuermessbescheids 2010, jeweils nach § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 AO, waren im Streitfall bei Stellung der Anträge
gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG und § 36 Abs.
2c Satz 3 GewStG mit Schreiben vom 14.11.2019 noch nicht
abgelaufen. Denn der Lauf der beiden Fristen begann nach § 175
Abs. 1 Satz 2 AO jedenfalls nicht vor Ablauf des 31.12.2018.
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64
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(1) In den Fällen des § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 AO beginnt die Festsetzungsfrist im Sinne des §
169 AO gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO mit Ablauf des
Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt. Insoweit beginnt die
Festsetzungsfrist mithin neu zu laufen (BFH-Urteil vom 30.06.2005 -
IV R 11/04, BFHE 210, 196, BStBl II 2005, 809 = SIS 05 40 04, unter
1.c [Rz 31]). Diese neue Frist gilt auch dann, wenn aufgrund des
rückwirkenden Ereignisses der Besteuerungstatbestand erst
verwirklicht wird und deshalb ein Erstbescheid erlassen werden soll
(ebenso Klein/Rüsken, AO, 18. Aufl., § 175 Rz 154).
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65
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Folglich hätte die jeweils
vierjährige Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist (§ 169
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 184
Abs. 1 Satz 3 AO) im Streitfall mit Ablauf des 31.12.2019
begonnen.
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66
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(2) Danach stünde dem Steuerpflichtigen
jedoch für Altfälle ein zeitlich unbefristetes
Antragsrecht auf Anwendung des § 3a EStG und des § 7b
GewStG zu, was in Rechtsprechung und Literatur kritisch gesehen
wird (z.B. FG Münster, Urteil vom 04.09.2023 - 9 K 3511/20 F,
Rz 31; Brandis/Heuermann/Krumm, § 3a EStG Rz 4; Seer in
Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 3a Rz 6a). Zur Vermeidung
eines unbefristeten Wahlrechts wird daher ein von der Ausübung
des Antrags nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs.
2c Satz 3 GewStG im Einzelfall unabhängiger Beginn der
vierjährigen Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist mit Ablauf
des 31.12.2018 als erforderlich angesehen und damit begründet,
dass die Vorschriften für das Antragsrecht im Jahr 2018 in
Kraft getreten sind (z.B. FG Münster, Urteil vom 04.09.2023 -
9 K 3511/20 F, Rz 31; Brandis/Heuermann/Krumm, § 3a EStG Rz 4;
Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 3a Rz 6a).
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67
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(3) Für den Streitfall ist die Frage nach
dem Beginn der Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist nach §
175 Abs. 1 Satz 2 AO jedoch ohne Bedeutung und bedarf daher keiner
Entscheidung. Denn auch bei Beginn der Fristen bereits mit Ablauf
des 31.12.2018 wären diese für den Erlass der von der
Klägerin begehrten Steuerbescheide offenkundig noch nicht
abgelaufen, da zunächst durch die Antragstellung mit Schreiben
vom 14.11.2019 gemäß § 171 Abs. 3 AO und sodann
durch die Einlegung des Einspruchs und die nachfolgende
Klageerhebung nach § 171 Abs. 3a AO der Ablauf der nach §
175 Abs. 1 Satz 2 AO (mit Ablauf des 31.12.2018 oder des
31.12.2019) neu begonnenen Frist gehemmt wurde.
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68
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(4) Soweit die Korrektur der
Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung 2010 betroffen ist, liegt auch
keine Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) vom 05.03.2021 - 9 B 8/20 vor. Es mag zwar sein, dass das
BVerwG davon ausgeht, § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG greife nur
bei noch offenen (nicht bestandskräftigen) Altfällen ein
(a.a.O., Rz 9 f.). Das BVerwG hat aber selbst ausgeführt, dass
die Änderung des Gewerbesteuermessbescheids nach § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht Streitgegenstand des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war (a.a.O., Rz 14).
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69
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Auf
Grundlage der bisherigen Feststellungen des FG kann der Senat nicht
selbst entscheiden, ob die weiteren Voraussetzungen für die
Feststellung gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG eines
steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG
für 2010 in Höhe von 300.000 EUR bzw. für die
Berücksichtigung eines steuerfreien Sanierungsertrags
gemäß § 7b Abs. 1 GewStG bei der Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags 2010 vorliegen. Das FG hat hierzu keine
Feststellungen getroffen, da aus seiner Sicht das FA die beiden
Antragsbegehren der Klägerin bereits aus verfahrensrechtlichen
Gründen zutreffend abgelehnt habe. Das FG wird daher die
entsprechenden Feststellungen nachzuholen und darüber zu
entscheiden haben, ob und inwieweit die Voraussetzungen für
die Feststellung gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG
eines steuerfreien Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1
EStG für 2010 bzw. für die Berücksichtigung eines
steuerfreien Sanierungsertrags gemäß § 7b GewStG
vorliegen.
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4. Über den das
Gewinnfeststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a AO für 2010 betreffenden Hilfsantrag der
Klägerin ist nicht zu entscheiden, da sie insoweit bereits mit
ihrem Hauptantrag Erfolg hat. Der Hilfsantrag geht auch nicht
über den Hauptantrag hinaus, sondern betraf ebenfalls das
Begehren auf Feststellung gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1
EStG eines Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG.
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5. Der Senat entscheidet gemäß
§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO mit
Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung.
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6. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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