Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts München vom 17.02.2022 - 11 K 2371/18 =
SIS 22 10 83 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die für das Jahr 2009
(Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Streitig ist, ob der Forderungsverzicht eines Gesellschafters einer
Kapitalgesellschaft gegen Besserungsschein im Zeitpunkt des
Verzichts zu berücksichtigen ist.
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Der Kläger und sein Bruder
gründeten im Jahr … gemeinsam die … Im
Streitjahr wurde der Betrieb zunächst in der Rechtsform einer
GmbH & Co. KG, der X GmbH & Co. KG (KG) geführt. An der KG war
der Kläger mit einem Kommanditanteil von 76.800 EUR bei einer
Gesamteinlage von 600.000 EUR, also zu 12,8 % beteiligt. Er war
außerdem Geschäftsführer und Gesellschafter der
Komplementär-GmbH, der Y Verwaltungs-GmbH.
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In den Jahren 2008 und 2009 geriet die KG
in finanzielle Schwierigkeiten. Deshalb stellten die Gesellschafter
der KG im Januar beziehungsweise Februar 2009 insgesamt 1.000.000
EUR als Darlehen nach dem Verhältnis ihrer Einlagen zur
Verfügung. Der Kläger gewährte der KG mit
Darlehensvertrag vom xx.xx.2009 ein nachrangiges Darlehen über
128.000 EUR.
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Mit Gesellschafterbeschluss vom xx.xx.2009
wurde die KG formwechselnd und rückwirkend zum 31.12.2008,
24:00 Uhr in die Z GmbH (GmbH) umgewandelt. Der Kläger war wie
zuvor an der KG mit einem Geschäftsanteil von 12,8 % am
Stammkapital der GmbH (in Höhe von 600.000 EUR) beteiligt.
Nach dem Gesellschaftsvertrag übte er zudem die Funktion eines
Geschäftsführers der Gesellschaft kraft Sonderrechts aus.
Eine Abberufung war nur aus wichtigem Grund möglich. Aufgrund
dieser Tätigkeit bezog der Kläger in den Jahren 2009 bis
2012 Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
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Mit Vertrag vom xx.xx.2009 verzichteten die
Gesellschafter der GmbH dieser gegenüber auf alle
Ansprüche aus den Darlehensverträgen vom Januar
beziehungsweise Februar 2009 mit Ausnahme der bereits aufgelaufenen
Zinsen. Der Kläger erklärte den Verzicht unter der
auflösenden Bedingung, dass die GmbH wirtschaftlich und
finanziell in der Lage sei, sämtliche Darlehen in
vollständiger Höhe aus einem Bilanzgewinn oder einem
Liquidationsüberschuss zurückzuzahlen
(„Besserungsschein“). Für den Fall,
dass die auflösende Bedingung eintreten sollte, verpflichtete
sich der Kläger, der GmbH von ihr zurückerhaltene
Beträge unverzüglich durch Einzahlung als Einlage in die
freie Rücklage wieder zur Verfügung zu stellen. Die GmbH
behandelte den Darlehensverzicht in ihrem Jahresabschluss 2009 in
vollem Umfang als sonstigen betrieblichen Ertrag.
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Ebenfalls am xx.xx.2009 erhöhten die
Gesellschafter das Stammkapital der GmbH. Der neue Anteil wurde von
einem anderen Gesellschafter übernommen. Der Anteil des
Klägers am Stammkapital der GmbH reduzierte sich dadurch auf
11,16 %.
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In ihrem Jahresabschluss für das
Streitjahr ermittelte die GmbH einen handelsrechtlichen Verlust von
4.354.765,64 EUR. Die Bilanz auf den 31.12.2009 wies einen nicht
durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 2.517.003,45 EUR aus.
Auch in den Folgejahren erzielte die GmbH Verluste. Im
Frühjahr 2012 beendete der Kläger seine Tätigkeit
als Geschäftsführer der GmbH. Am xx.xx.2013 wurde das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH
eröffnet.
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In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machten die Kläger den Verlust aus dem
Darlehensverzicht des Klägers bei seinen Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten geltend. Der
Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) vertrat
demgegenüber die Auffassung, dass der Darlehensverzicht in
voller Höhe eine verdeckte Einlage darstelle und
berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr vom 21.03.2014 die erklärten Werbungskosten bei den
Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit
nicht. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein,
der hinsichtlich der hier streitigen Behandlung des
Darlehensverzichts erfolglos blieb.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem
Finanzgericht (FG) einigten sich die Beteiligten im Wege der
tatsächlichen Verständigung darauf, dass der
Darlehensrückzahlungsanspruch zum Zeitpunkt des Verzichts am
xx.xx.2009 noch zu 34 %, also in Höhe von 43.520 EUR,
werthaltig gewesen sei.
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Die Klage hatte aus den in EFG 2022, 1373 =
SIS 22 10 83 mitgeteilten
Gründen teilweise Erfolg. Der Verlust aus dem
Darlehensverzicht habe nicht zu Werbungskosten bei den
Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit
geführt. Sowohl die Darlehensgewährung als auch der
spätere Verzicht des Klägers seien vorrangig durch das
Gesellschaftsverhältnis zur GmbH veranlasst gewesen. Soweit
der Darlehensrückzahlungsanspruch im Verzichtszeitpunkt
werthaltig gewesen sei, führe der Verzicht zu einer verdeckten
Einlage in die GmbH. In Höhe des nicht mehr werthaltigen Teils
der Forderung seien negative Einkünfte gemäß §
20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG)
entstanden. Diese seien im Streitjahr zu berücksichtigen. Die
Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers liege vor. Er habe
aus der Darlehensgewährung und der Beteiligung Einkünfte
erzielen wollen. § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG stehe nicht entgegen.
Der Verzicht auf den nicht mehr werthaltigen Teil einer Forderung
führe nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die
Beteiligung.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Bundesrechts. Es meint, der Verlust aus dem
auflösend bedingten Verzicht könne nicht im Streitjahr
berücksichtigt werden, sondern erst wenn feststehe, dass die
auflösende Bedingung nicht mehr eintreten werde.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG München vom
17.02.2022 - 11 K 2371/18, soweit es das Streitjahr 2009 betrifft,
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) zurückzuweisen. Ohne Rechtsfehler hat das FG erkannt,
dass der Forderungsverzicht des Klägers nicht zu
Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit geführt hat (dazu 1.), sondern
den tariflichen Einkünften des Klägers aus
Kapitalvermögen zuzuordnen und im Streitjahr zu
berücksichtigen ist (dazu 2.). § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG
steht der Berücksichtigung des Verlusts aus dem Verzicht auf
den nicht mehr werthaltigen Teil des
Darlehensrückzahlungsanspruchs bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen nicht entgegen (dazu 3.).
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1. Der Forderungsverzicht des Klägers hat
nicht zu Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers
aus nichtselbständiger Arbeit geführt. Die
tatsächliche Würdigung des FG, wonach sowohl die
Gewährung des Darlehens gegenüber der KG als auch der
nach dem Formwechsel erklärte Darlehensverzicht gegenüber
der GmbH vorrangig durch das Gesellschaftsverhältnis
veranlasst gewesen seien, ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden und daher für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2
FGO). Der Senat sieht insoweit von weiteren Ausführungen
ab.
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2. Rechtsfehlerfrei hat das FG zudem erkannt,
dass der Kläger mit dem Verzicht auf die Darlehensforderung
einen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz
2, Abs. 4 Satz 1 EStG steuerbaren Verlust in Höhe des im
Verzichtszeitpunkt nicht mehr werthaltigen Teils der
Darlehensforderung erzielt hat (dazu a), der im Streitjahr zu
berücksichtigen ist (dazu b), 84.480 EUR beträgt (dazu c)
und nicht wegen fehlender Einkünfteerzielungsabsicht
unbeachtlich ist (dazu d).
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a) Zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen gehört auch der Gewinn aus der
Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art
(§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG). Als Veräußerung
gilt auch die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder
verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 Abs. 2
Satz 2 Halbsatz 1 EStG). Nach der Rechtsprechung des Senats ist
beim Forderungsverzicht zwischen dem noch werthaltigen und dem
nicht mehr werthaltigen Teil der Forderung zu unterscheiden.
Insoweit werden unter Umständen jeweils unterschiedliche
Besteuerungstatbestände verwirklicht.
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aa) Der Verzicht auf den werthaltigen Teil der
Forderung führt zu einer verdeckten Einlage im Sinne des
§ 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 EStG (Beschluss des
Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 09.06.1997 -
GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307 = SIS 97 17 34, unter
C.II.4.; BFH-Urteil vom 06.08.2019 - VIII R 18/16, BFHE 265, 531,
BStBl II 2020, 833 = SIS 19 16 60, Rz 15). Nach Maßgabe der
tatsächlichen Verständigung war die Darlehensforderung im
Verzichtszeitpunkt in Höhe von 43.520 EUR noch werthaltig. Auf
diesen Teil der Forderung entfielen Anschaffungskosten in Höhe
des anteiligen Nennwerts von 43.520 EUR, die gemäß
§ 20 Abs. 4 Satz 2 EStG mit dem gemeinen Wert der
Darlehensforderung in derselben Höhe verrechnet werden, so
dass ein Einlagegewinn in Höhe von 0 EUR entstanden ist.
Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
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bb) In Höhe des nicht mehr werthaltigen
Teils der Forderung führt der Forderungsverzicht
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2, Abs.
4 EStG zu einem Abtretungsverlust (BFH-Urteile vom 18.06.2024 -
VIII R 25/23, BStBl II 2024, 691 = SIS 24 12 72, Rz 15; vom
06.08.2019 - VIII R 18/16, BFHE 265, 531, BStBl II 2020, 833 = SIS 19 16 60). Dies beruht auf der Annahme, dass der Forderungsverzicht
den Wegfall der Forderung bewirkt, der dem im Gesetz
ausdrücklich erfassten Fall der Abtretung gleichsteht, denn
auch wirtschaftlich macht es keinen Unterschied, ob der
Gesellschafter eine Forderung an den Schuldner (die Gesellschaft)
abtritt oder ob er auf sie verzichtet (BFH-Urteil vom 06.08.2019 -
VIII R 18/16, BFHE 265, 531, BStBl II 2020, 833 = SIS 19 16 60, Rz
21). Davon ist auch das FG ausgegangen.
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cc) § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und §
20 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes
2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl 2007, 630) sind im
Streitfall anwendbar. Die Vorschriften kommen für private
Darlehens- und Gesellschafterforderungen gemäß § 52
Abs. 28 Satz 16 EStG nur zur Anwendung, wenn die Forderung nach dem
31.12.2008 angeschafft oder begründet worden ist (BFH-Urteil
vom 18.06.2024 - VIII R 25/23, BStBl II 2024, 691 = SIS 24 12 72,
Rz 17, m.w.N.). Der Darlehensvertrag zwischen dem Kläger und
der KG ist am 06.02.2009 zustande gekommen. Aus dem
rückwirkenden Formwechsel der KG in die GmbH ergibt sich
nichts anderes. Zum einen bewirkt die auch steuerlich beachtliche
Rückbeziehung der Rechtsfolgen des Formwechsels nach § 25
Satz 2 i.V.m. § 9 Satz 3 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG
2006) nicht, dass Verträge, die die Gesellschaft im
Rückwirkungszeitraum mit einem Gesellschafter abgeschlossen
hat, als bereits im Zeitpunkt der Einbringung abgeschlossen gelten
(vgl. zu § 20 UmwStG 2006 Herlinghaus in
Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl., § 20 Rz
466; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom
11.11.2011, BStBl I 2011, 1314 = SIS 11 41 63, Tz. 20.16). Zum
anderen war steuerlicher Umwandlungsstichtag der 01.01.2009, 00:00
Uhr.
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b) Der Verlust des Klägers aus dem
Verzicht auf den nicht mehr werthaltigen Teil der Forderung ist
auch im Streitjahr zu berücksichtigen.
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aa) Wie der BFH bereits entschieden hat,
führt auch der Forderungsverzicht unter Besserungsvorbehalt
zivilrechtlich zum sofortigen Wegfall der Forderung (z.B.
BFH-Urteile vom 12.07.2012 - I R 23/11, BFHE 238, 344 = SIS 12 26 98, Rz 15; vom 24.10.2017 - VIII R 19/16, BFHE 262, 1, BStBl II
2019, 34 = SIS 18 15 93, Rz 29). Tritt der Besserungsfall ein, lebt
die ursprüngliche Forderung gemäß § 158 Abs. 2
des Bürgerlichen Gesetzbuchs wieder auf. Der Eintritt der
Bedingung entfaltet keine Rückwirkung (BFH-Urteile vom
24.10.2017 - VIII R 19/16, BFHE 262, 1, BStBl II 2019, 34 = SIS 18 15 93, Rz 29; vom 12.07.2012 - I R 23/11, BFHE 238, 344 = SIS 12 26 98, Rz 19).
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bb) Auf Ebene der Gesellschaft als Schuldnerin
treten die Rechtsfolgen aus einem Forderungsverzicht gegen
Besserungsschein im Zeitpunkt des Verzichts ein. Dann wird das
Darlehen von Fremdkapital in Eigenkapital umqualifiziert
(BFH-Urteil vom 12.07.2012 - I R 23/11, BFHE 238, 344 = SIS 12 26 98, Rz 16). Erst bei Eintritt des Besserungsfalls wird das
wiederauflebende Gesellschafterdarlehen wieder zu Fremdkapital
(BFH-Urteil vom 24.10.2017 - VIII R 19/16, BFHE 262, 1, BStBl II
2019, 34 = SIS 18 15 93, Rz 29). Dem hat sich die Finanzverwaltung
angeschlossen (BMF-Schreiben vom 02.12.2003, BStBl I 2003, 648 =
SIS 03 53 33).
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cc) Für die Besteuerung des unter
Besserungsvorbehalt verzichtenden Gesellschafters als
Gläubiger gilt nichts anderes. Auch bei ihm ist der Verlust
aus dem Verzicht auf den nicht mehr werthaltigen Teil seiner
Forderung im Zeitpunkt des Verzichts entstanden und zu
berücksichtigen. Der Besserungsvorbehalt ändert nichts
daran, dass die Forderung, auf die verzichtet wird, im Zeitpunkt
des Verzichts entfällt.
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dd) Dem steht nicht entgegen, dass der
Steuerpflichtige mit dem Verzicht über die sonstige
Kapitalforderung freiwillig disponiert, da § 20 Abs. 2 EStG
nicht danach differenziert, ob Verluste zwangsläufig eintreten
oder willentlich herbeigeführt werden (BFH-Urteil vom
06.08.2019 - VIII R 18/16, BFHE 265, 531, BStBl II 2020, 833 = SIS 19 16 60, Rz 22).
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ee) Der Auffassung des FA, dass die
steuerlichen Rechtsfolgen des bedingten Verzichts erst zu
berücksichtigen seien, wenn und sobald feststehe, dass die
Bedingung nicht mehr eintreten werde, ist nicht zu folgen.
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Zwar entsteht der Verlust aus dem Ausfall
einer Darlehensforderung grundsätzlich erst, wenn feststeht,
dass mit der Zahlung nicht mehr zu rechnen ist. Der Verzicht unter
Besserungsvorbehalt kann aber nicht mit einem Forderungsausfall
gleichgesetzt werden. Während der Verfall einer Forderung bis
zu ihrem endgültigen Ausfall eine fortschreitende Entwicklung
sein kann, handelt es sich beim Verzicht um ein punktuelles
Ereignis, dessen Rechtswirkungen durch die Verfügung des
Steuerpflichtigen ohne zeitliche Verzögerung unmittelbar
eintreten.
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ff) Etwas anderes ergibt sich
schließlich auch nicht daraus, dass der verzichtende
Gläubiger beim Verzicht unter Besserungsvorbehalt
zivilrechtlich eine Besserungsanwartschaft erwirbt.
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Verzichtet der Forderungsinhaber auf die
Forderung gegen Besserungsschein, erlangt er bis zum Eintritt des
Besserungsfalls eine Anwartschaft auf das Wiederaufleben seiner
Forderung, die als gesicherte Rechtsposition anzusehen ist
(BFH-Urteil vom 12.07.2012 - I R 23/11, BFHE 238, 344 = SIS 12 26 98, Rz 17; Jachmann-Michel, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2018, 9,
19). Dabei handelt es sich um ein von der Forderung zu
unterscheidendes, eigenständiges, verkehrsfähiges
Wirtschaftsgut. Die Anwartschaft ist insbesondere nicht mit der
erloschenen Forderung teilidentisch, sondern sie stellt eine
Vorstufe zum Neuerwerb der Forderung dar.
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c) Der Forderungsverzicht des Klägers hat
zu einem im Streitjahr zu berücksichtigenden Verlust in
Höhe von 84.480 EUR geführt.
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aa) Gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1
EStG ist ein Gewinn beziehungsweise Verlust im Sinne des § 20
Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der
Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im
unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem
Veräußerungsgeschäft stehen, und den
Anschaffungskosten. Hat der Gesellschafter seiner Gesellschaft ein
Darlehen gewährt, belaufen sich seine Anschaffungskosten
für den Darlehensrückzahlungsanspruch
regelmäßig auf den Nennbetrag der ausgereichten Mittel.
Sie sind im Ausgangspunkt der gesamten Forderung zuzuordnen
(BFH-Urteil vom 06.08.2019 - VIII R 18/16, BFHE 265, 531, BStBl II
2020, 833 = SIS 19 16 60, Rz 25; anders im Fall einer unterhalb des
Nennwerts erworbenen Forderung, Rz 27).
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bb) Verzichtet der Gesellschafter auf die
Rückzahlung des Darlehens, verwirklicht er - wie bereits unter
2.a dargestellt - unter Umständen zwei verschiedene
Besteuerungstatbestände. Die dadurch bei der Besteuerung des
Gesellschafters aus Rechtsgründen zu beachtende Aufteilung der
Forderung in einen werthaltigen und nicht mehr werthaltigen Teil
hat zur Folge, dass auch die Anschaffungskosten den jeweils
getrennt zu betrachtenden Teilen der ursprünglich
einheitlichen Forderung anteilig zugeordnet werden (vgl. zur
abweichenden Zuordnung der Anschaffungskosten bei entgeltlichem
Forderungserwerb unter Nennwert BFH-Urteil vom 06.08.2019 - VIII R
18/16, BFHE 265, 531, BStBl II 2020, 833 = SIS 19 16 60, Rz
26).
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cc) Auf den im Zeitpunkt des Verzichts nicht
mehr werthaltigen Teil des Anspruchs auf Darlehensrückzahlung
entfielen danach Anschaffungskosten von 84.480 EUR. In dieser Höhe ist dem
Kläger durch den Verzicht ein Verlust entstanden.
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dd) Entgegen der Auffassung des FA sind die
auf den nicht mehr werthaltigen Teil der Forderung entfallenden
Anschaffungskosten nicht der vom Kläger aufgrund des
auflösend bedingten Verzichts erworbenen
Besserungsanwartschaft zuzuordnen.
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35
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Eine Aufteilung beziehungsweise Abspaltung von
Anschaffungskosten im Sinne des § 255 Abs. 1 des
Handelsgesetzbuchs kommt entsprechend dem dieser Norm zugrunde
liegenden Surrogationsgedanken in Betracht, wenn ein
ursprünglich vom Steuerpflichtigen angeschaffter
Vermögensgegenstand durch mehrere andere
Vermögensgegenstände ersetzt wird und wenn sich die auf
den ursprünglich angeschafften Vermögensgegenstand
entfallenden Anschaffungskosten in mehreren
Ersatzvermögensgegenständen fortsetzen (BFH-Urteil vom
30.11.2022 - VIII R 30/20, BStBl II 2023, 638 = SIS 23 03 48, Rz
31). Diese Voraussetzungen hat der BFH zum Beispiel im Fall einer
Grundstücksteilung (BFH-Urteil vom 19.07.1983 - VIII R 161/82,
BFHE 139, 251, BStBl II 1984, 26 = SIS 84 01 11) oder im Fall der
Ausgabe von Bezugsrechten oder von neuen Gesellschaftsrechten
aufgrund einer Kapitalerhöhung, die wirtschaftlich zu einer
Abspaltung der in den Stammaktien verkörperten Substanz
führt, bejaht (BFH-Urteile vom 21.01.1999 - IV R 27/97, BFHE
188, 27, BStBl II 1999, 638 = SIS 99 07 22; vom 22.05.2003 - IX R
9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712 = SIS 03 32 19).
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36
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Im Unterschied dazu fehlt es beim Verzicht auf
eine wertlos gewordene Forderung gegen Besserungsschein und der
Entstehung einer Besserungsanwartschaft an einer
Substanzabspaltung. Die Besserungsanwartschaft ist - wie bereits
dargelegt - ein eigenständiges Wirtschaftsgut und nicht als
Surrogat des nicht mehr werthaltigen Teils der untergegangenen
Forderung anzusehen. Die Besserungsanwartschaft ist auch keine
Forderung. Sie verkörpert - wie ebenfalls bereits dargestellt
- eine Vorstufe zum Vollrecht der Forderung, die erst bei Eintritt
des Besserungsfalls mit Wirkung ex nunc wieder auflebt.
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37
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ee) Die Besserungsanwartschaft ist damit
eigenständig zu bewerten. Ihr Wert ist mit null anzusetzen,
denn er entspricht dem, was der Kläger für ihren Erwerb
aufgewendet hat. Das ist der nicht mehr werthaltige Teil der
Forderung, auf die der Kläger verzichtet hat.
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d) Der Verlust des Klägers aus dem
Forderungsverzicht ist auch nicht wegen fehlender
Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers unbeachtlich.
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aa) Wie der Senat bereits mehrfach entschieden
hat, wird die Einkünfteerzielungsabsicht im Anwendungsbereich
der Abgeltungsteuer widerlegbar vermutet (vgl. BFH-Urteile vom
14.03.2017 - VIII R 38/15, BFHE 258, 240, BStBl II 2017, 1040 = SIS 17 14 55; vom 18.06.2024 - VIII R 32/20, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, DStR 2024, 2571 = SIS 24 17 53, Rz
35).
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40
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bb) Ohne Rechtsfehler ist das FG davon
ausgegangen, dass die Vermutung im Streitfall nicht widerlegt ist.
Weder war die Erzielung eines positiven Zinsüberschusses von
vornherein ausgeschlossen noch, dass der Kläger aus der KG
beziehungsweise der späteren GmbH mittel- bis langfristig
positive Beteiligungserträge oder einen
Veräußerungsgewinn erzielen konnte. Eine dahin gehende
Gesamtbetrachtung von
Gesellschafterdarlehen und Gesellschafterbeteiligung hat der
BFH bereits anerkannt (vgl. BFH-Urteil vom 20.06.2023 - IX R 2/22,
BFHE 280, 531 = SIS 23 13 61, Rz 32, m.w.N.). Dem schließt
sich der Senat an.
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41
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cc) Die Vermutung der
Einkünfteerzielungsabsicht gilt unabhängig davon, ob die
sich ergebenden negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen
(hier aus dem Verzicht auf den nicht mehr werthaltigen Teil der
Darlehensforderung) in einem zweiten Schritt gemäß
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b und Satz 2 i.V.m. §
52 Abs. 33b EStG aus dem gesonderten Tarif ausgeschlossen werden
(vgl. auch BMF-Schreiben vom 07.06.2022, BStBl I 2022, 897 = SIS 22 10 34, Tz. 30). Die Ausschlussregelung knüpft an die
jeweiligen Einkünfte an. Sie wirkt nicht in die
Einkünfteermittlung selbst hinein (BFH-Urteil vom 30.11.2022 -
VIII R 15/19, BFHE 279, 85, BStBl II 2023, 632 = SIS 23 03 45, Rz
31).
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3. § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG steht der
Berücksichtigung des Verlusts nicht entgegen.
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43
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a) Gemäß § 20 Abs. 8 Satz 1
EStG findet § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 EStG nur
Anwendung, soweit die betreffenden Einkünfte unter anderem
nicht zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören. Zu
den Einkünften aus Gewerbebetrieb zählen auch die
Einkünfte im Sinne des § 17 EStG. Nach der Rechtsprechung
des IX. Senats des BFH ist § 20 Abs. 8 Satz 1 unter
Berücksichtigung des Wortlauts
(„soweit“) dahin auszulegen, dass §
20 Abs. 2 EStG nur insoweit gesperrt ist, als sich der Verlust bei
§ 17 EStG auswirkt (BFH-Urteile vom 20.06.2023 - IX R 2/22,
BFHE 280, 531 = SIS 23 13 61, Rz 37; vom 14.11.2023 - IX R 3/23,
BFH/NV 2024, 280 = SIS 24 00 81, Rz 29). Wirkt sich der Verlust bei
der Anwendung von § 17 EStG in Höhe von 0 EUR aus, kann
er gleichwohl bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteil vom 18.07.2023 - IX R
21/21, BFHE 281, 472, BStBl II 2024, 169 = SIS 23 18 01, Rz
36).
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Der Senat schließt sich dieser
Rechtsprechung mit der Maßgabe an, dass die Frage, ob sich
der Verlust bei § 17 EStG auswirkt, auch zeitraumbezogen zu
prüfen ist. § 20 Abs. 2 EStG wird danach von § 17
EStG nur verdrängt, wenn und soweit sich der Verlust im zu
beurteilenden Zeitraum bei der Ermittlung der Einkünfte aus
§ 17 EStG auswirkt. Das setzt insbesondere voraus, dass die
Tatbestände des § 20 Abs. 2 EStG und des § 17 Abs. 4
EStG im selben Veranlagungszeitraum verwirklicht werden (vgl.
Schmidt/Levedag, EStG, 38. Aufl., § 20 Rz 255;
Jachmann-Michel, StuW 2018, 9, 18).
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b) Bei Anwendung dieser Grundsätze wirkt
sich der Verlust des Klägers aus dem Verzicht auf den nicht
mehr werthaltigen Teil der Forderung im Streitjahr nicht bei §
17 EStG aus, mit der Folge, dass § 20 Abs. 2 EStG anwendbar
ist.
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aa) § 17 Abs. 2a EStG i.d.F. des Gesetzes
zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität
und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom
12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451, BStBl I 2020, 17 = SIS 19 18 84) ist
im Streitfall gemäß § 52 Abs. 25a Satz 1 EStG
zeitlich noch nicht anwendbar.
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bb) Unerheblich ist, ob der Verzicht des
Klägers auf den nicht mehr werthaltigen Teil der Forderung zu
nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung
führen könnte, weil der Kläger das Darlehen in der
Krise der Gesellschaft gewährt hatte (Fortgeltung der
bisherigen Grundsätze zum normspezifischen
Anschaffungskostenbegriff bei § 17 EStG gemäß
BFH-Urteil vom 11.07.2017 - IX R 36/15, BFHE 258, 427, BStBl II
2019, 208 = SIS 17 16 44; vgl. BFH-Beschluss vom 04.08.1999 - VIII
B 68/99, BFH/NV 2000, 41 = SIS 00 50 37, unter 1., m.w.N.), denn
jedenfalls ist der Tatbestand des § 17 EStG im Streitjahr
nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des FG hat der
Kläger seine Beteiligung an der GmbH im Streitjahr nicht
veräußert und wurde die GmbH im Streitjahr auch nicht
aufgelöst. Der Kläger hat im Streitjahr auch keinen
Verlust nach § 17 EStG geltend gemacht.
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Der Senat verkennt nicht, dass der im
Streitjahr bei § 20 Abs. 2 EStG berücksichtigte
Darlehensverzicht des Klägers in einem späteren
Veranlagungszeitraum (ganz oder zum Teil) auch bei der Ermittlung
der Einkünfte aus § 17 EStG zu berücksichtigen sein
könnte und dass die Berücksichtigung bei § 17 EStG
nach Maßgabe des § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG dann Vorrang
gegenüber der Berücksichtigung bei § 20 Abs. 2 EStG
hätte. Sollte es dadurch zu einer im Ergebnis nicht
gerechtfertigten Doppelberücksichtigung ein und desselben
Verlusts kommen, muss die Berücksichtigung bei § 20 Abs.
2 EStG auf verfahrensrechtlicher Grundlage korrigiert werden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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