Dem Gerichtshof der Europäischen Union
werden folgende Fragen zur Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der
Europäischen Union (Amtsblatt der Europäischen Union
2012, Nr. C 326, 266) zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist seit dem …1995 Bediensteter der
Europäischen Investitionsbank (EIB) im Großherzogtum
Luxemburg (Luxemburg). Vor seinem Dienstantritt hatte er in der
Republik Österreich (Österreich) gewohnt. Von dort war er
am …1995 nach … in Luxemburg umgezogen, um seine
Tätigkeit bei der EIB aufzunehmen. Der Kläger zog
mehrmals innerhalb Luxemburgs um, zuletzt in eine Wohnung in
… Nach der Eheschließung mit einer EIB-Bediensteten im
Jahr 2010 gründete er einen gemeinsamen Hausstand mit seiner
Ehefrau in deren Haus in K (Bundesrepublik Deutschland -
Deutschland - ). Seine Wohnung in Luxemburg nutzte er
weiter.
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2
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Am 27.12.2013 erhielt der Kläger von
seinem in Österreich wohnenden Bruder eine unentgeltliche
Geldzuwendung in Höhe von 300.000 EUR.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) setzte mit Bescheid vom 13.04.2017
Schenkungsteuer in Höhe von 56.000 EUR gegen den Kläger
fest. Der Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, er sei
nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und
Befreiungen der Europäischen Union (Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2012, Nr. C 326, 266) -
Protokoll - so zu behandeln, als habe er seinen Wohnsitz (nur) in
Österreich, hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung
vom 01.08.2019 ging das FA davon aus, der Kläger habe in K
einen zusätzlichen Wohnsitz begründet und sei daher in
Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig gewesen. Der
steuerliche Wohnsitz in Deutschland bestehe neben dem fiktiven
Wohnsitz in Österreich nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls.
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Der Klage des Klägers gab das
Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 16.09.2021 - 4 K
1762/19 (EFG 2022, 520 = SIS 22 01 72) statt. Es nahm an, bei der
Prüfung des Motivs für die Wohnsitzbegründung nach
Art. 13 Abs. 1 Satz
1 des Protokolls („lediglich zur Ausübung einer
Amtstätigkeit im Dienst der Union“) sei
auf den Zeitpunkt des Dienstantritts abzustellen. Spätere
Änderungen der Motivation, insbesondere ein Umzug aus privaten
Gründen, seien unbeachtlich, solange der Bedienstete bei der
Union beschäftigt bleibe und der tatsächliche Wohnsitz
einen räumlichen Bezug zur Tätigkeitsstätte
aufweise.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls. Es vertritt
die Auffassung, die Vorschrift gelte nicht für die
Schenkungsteuer. Sie sei im Streitfall auch deshalb nicht
einschlägig, weil sie die Aufteilung der steuerlichen
Befugnisse lediglich zwischen dem Mitgliedstaat, in dem der
Bedienstete vor seinem Dienstantritt bei der Union seinen
steuerlichen Wohnsitz hatte (hier Österreich), und dem
Mitgliedstaat, in dem er seine Amtstätigkeit ausübt (hier
Luxemburg), regele. Die vorliegende Fallkonstellation, dass nach
der Aufnahme der Amtstätigkeit aus privaten Gründen in
einem anderen Mitgliedstaat ein weiterer Wohnsitz begründet
wird, sei hiervon nicht erfasst.
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Das FA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Der Senat hat das bei ihm anhängige
Revisionsverfahren mit Beschluss vom 30.10.2024 - II R 38/21
ausgesetzt (§ 121 Satz 1 in Verbindung mit - i.V.m. - §
74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) die in der Entscheidungsformel bezeichneten Fragen zur
Auslegung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls zur
Vorabentscheidung vor.
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III. Maßgebliche Rechtsvorschriften
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1. Unionsrecht
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a) Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (ABlEU 2012, Nr. C 326, 194)
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Art. 343
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„Die Union genießt im
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer
Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe
des Protokolls vom 8.4.1965 über die Vorrechte und Befreiungen
der Europäischen Union. Dasselbe gilt für die
Europäische Zentralbank und die Europäische
Investitionsbank.“
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b) Protokoll (Nr. 7) über die Vorrechte
und Befreiungen der Europäischen Union (ABlEU 2012, Nr. C 326,
266)
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Art. 13 Abs. 1 Satz 1
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„Die Beamten und sonstigen Bediensteten
der Union, die sich lediglich zur Ausübung einer
Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines
anderen Mitgliedstaats als des Staates niederlassen, in dem sie zur
Zeit des Dienstantritts bei der Union ihren steuerlichen Wohnsitz
haben, werden in den beiden genannten Staaten für die Erhebung
der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie für
die Anwendung der zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen den
Mitgliedstaaten der Union geschlossenen Abkommen so behandelt, als
hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten, sofern
sich dieser in einem Mitgliedstaat der Union
befindet.“
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Art. 21 Abs. 1 Halbsatz 1
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„Dieses Protokoll gilt auch für die
Europäische Investitionsbank, die Mitglieder ihrer Organe, ihr
Personal und die Vertreter der Mitgliedstaaten, die an ihren
Arbeiten teilnehmen; …“
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c) Vertrag über die Europäische
Union - EUV - (ABlEU 2012, Nr. C 326, 44)
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Art. 51
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„Die Protokolle und Anhänge der
Verträge sind Bestandteil der
Verträge.“
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2. Nationales Recht
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a) Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz
(ErbStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.02.1997
(Bundesgesetzblatt - BGBl - I 1997, 378), zuletzt geändert
durch Art. 30 des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom
26.06.2013 (BGBl I 2013, 1809, Bundessteuerblatt - BStBl - I 2013,
802)
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§ 1 Steuerpflichtige
Vorgänge
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„(1) Der Erbschaftsteuer
(Schenkungsteuer) unterliegen
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1. der Erwerb von Todes wegen;
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2. die Schenkungen unter Lebenden;
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…
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(2) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten
die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erwerbe von Todes
wegen auch für Schenkungen und Zweckzuwendungen,
…“
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§ 2 Persönliche
Steuerpflicht
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„(1) Die Steuerpflicht tritt ein
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1. in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr.
1 bis 3, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur
Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit
der Entstehung der Steuer (§ 9) ein Inländer ist,
für den gesamten Vermögensanfall (unbeschränkte
Steuerpflicht). Als Inländer gelten
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a) natürliche Personen, die im Inland
einen Wohnsitz oder
ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
…“
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§ 7 Schenkungen unter Lebenden
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„(1) Als Schenkungen unter Lebenden
gelten
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1. jede freigebige Zuwendung unter Lebenden,
soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert
wird; …“
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§ 9 Entstehung der Steuer
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„(1) Die Steuer entsteht
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1. bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode
des Erblassers, …
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2. bei Schenkungen unter Lebenden mit dem
Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung;
…“
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b) Abgabenordnung (AO) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 01.10.2002 (BGBl I 2002, 3866, berichtigt durch
BGBl I 2003, 61), zuletzt geändert durch Art. 13 des
AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes vom 18.12.2013 (BGBl I 2013, 4318,
BStBl I 2014, 2 = SIS 13 34 08)
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§ 8 Wohnsitz
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„Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er
eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf
schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und
benutzen wird.“
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§ 9 Gewöhnlicher
Aufenthalt
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„Den gewöhnlichen Aufenthalt hat
jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die
erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht
nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein
zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs
Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben
unberücksichtigt. Satz 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt
ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder
ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger
als ein Jahr dauert.“
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IV. 1. Beurteilung des Streitfalls nach
deutschem Recht
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a) Die unentgeltliche Zuwendung von 300.000
EUR an den Kläger unterliegt als Schenkung unter Lebenden
gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG der Schenkungsteuer. Die Schenkungsteuer ist mit der
Ausführung der Zuwendung am 27.12.2013 entstanden (§ 9
Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Der Kläger als Erwerber ist nach §
2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a ErbStG unbeschränkt
schenkungsteuerpflichtig, denn er war zur Zeit der Entstehung der
Steuer ein Inländer im Sinne der Vorschrift. Er hatte im
Zeitpunkt der Entstehung der Steuer am 27.12.2013 einen Wohnsitz
gemäß § 8 AO in K (Deutschland). Der Bruder des
Klägers als Schenker ist nicht gemäß § 2 Abs.
1 Nr. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a ErbStG schenkungsteuerpflichtig,
da er zur Zeit der Ausführung der Schenkung weder einen
Wohnsitz (§ 8 AO) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt
(§ 9 AO) in Deutschland hatte.
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b) Unbeachtlich ist, dass der Kläger am
27.12.2013 neben seinem Wohnsitz in K (Deutschland) auch einen
Wohnsitz in Luxemburg hatte. Nach deutschem Recht kann ein
Steuerpflichtiger gleichzeitig mehrere Wohnsitze im Sinne des
§ 8 AO - im Inland und/oder Ausland - haben. Ein Wohnsitz
setzt nicht voraus, dass sich der Steuerpflichtige während
einer Mindestzahl von Tagen im Jahr tatsächlich in der Wohnung
aufhält. Ein Wohnsitz besteht auch unabhängig davon, ob
er den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen darstellt (Urteile
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24.07.2018 - I R 58/16, Sammlung
amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des
Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2019, 104 = SIS 18 19 38 und vom
23.10.2018 - I R 74/16, BFH/NV 2019, 388 = SIS 19 02 38).
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2. Bedeutung des Unionsrechts
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31
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a) Gemäß Art. 343 Satz 1 AEUV
i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls werden die Beamten und
sonstigen Bediensteten der Union, die sich lediglich zur
Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Union im
Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates
niederlassen, in dem sie zur Zeit des Dienstantritts bei der Union
ihren steuerlichen Wohnsitz haben, in den beiden genannten Staaten
für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und
Erbschaftsteuer sowie für die Anwendung der zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten der Union
geschlossenen Abkommen so behandelt, als hätten sie ihren
früheren Wohnsitz beibehalten, sofern sich dieser in einem
Mitgliedstaat der Union befindet. Die Regelung gilt nach Art. 343
Satz 2 AEUV i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Halbsatz 1 des Protokolls auch
für die EIB, die Mitglieder ihrer Organe und ihr Personal.
Gemäß Art. 51 EUV i.V.m. Art. 343 Satz 1 AEUV ist das
Protokoll Bestandteil des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union. Als Primärrecht der Europäischen
Union geht es dem Recht der Mitgliedstaaten vor.
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32
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b) Findet Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls
auf die Schenkungsteuer Anwendung, könnte er der Annahme eines
steuerlichen Wohnsitzes des Klägers in Deutschland und damit
dessen unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland
entgegenstehen. Das wäre der Fall, wenn Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls so auszulegen ist, dass neben dem steuerlichen
Wohnsitz im Herkunftsmitgliedstaat (hier Österreich) kein
weiterer steuerlicher Wohnsitz entstehen kann, wenn der Beamte oder
sonstige Bedienstete der Union (hier EIB) im Verlauf des
Dienstverhältnisses zusätzlich zu seinem
tatsächlichen Wohnsitz im Mitgliedstaat der Ausübung
seiner Amtstätigkeit (hier Luxemburg) einen tatsächlichen
Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat (hier Deutschland)
begründet. Die Auslegung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls im Hinblick auf dessen Geltung für die
Schenkungsteuer und auf die Entstehung von steuerlichen Wohnsitzen
ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH weder
von vornherein eindeutig („acte clair“)
noch durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt, die keinen
vernünftigen Zweifel offenlässt („acte
éclairé“). Der Senat hält
es daher für erforderlich, dem EuGH die erste Frage in Bezug
auf den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls
und die zweite Frage in Bezug auf die Rechtsfolgen bei Anwendung
dieser Bestimmung vorzulegen.
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33
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3. Zur Vorlagefrage 1
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34
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a) Zu klären ist, ob Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls für
die Schenkungsteuer gilt. Gemäß ihrem Wortlaut findet
die Vorschrift auf „die Erhebung der Einkommen-,
Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie … die … zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten der
Union geschlossenen Abkommen“ Anwendung. Die
Schenkungsteuer wird ausdrücklich nicht genannt.
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35
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b) Im deutschen Recht ist die Schenkungsteuer
als - gegenüber der Einkommensteuer, der Vermögensteuer
und der Erbschaftsteuer - eigenständige Steuerart
ausgestaltet. Sie wird in erster Linie auf Schenkungen unter
Lebenden erhoben (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Als Schenkung
unter Lebenden gilt insbesondere jede freigebige Zuwendung unter
Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden
bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Mit Schenkungsteuer
belastet wird die Bereicherung, die der Bedachte durch den
unentgeltlichen Vermögenserwerb erfährt.
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36
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Die Unterschiede zwischen der Schenkungsteuer
und der Einkommensteuer, der Vermögensteuer sowie der
Erbschaftsteuer sprechen aus der Sicht des vorlegenden Senats gegen
eine Einbeziehung der Schenkungsteuer in den sachlichen
Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls.
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37
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Von der Einkommensteuer unterscheidet sich die
Schenkungsteuer dadurch, dass sie nicht an eine am Markt gebildete
Wertschöpfung (das sogenannte Markteinkommen), sondern an
einen Vermögenstransfer anknüpft (vergleiche - vgl. -
Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.3 f.).
Aus diesem Grund ordnet der vorlegende Senat die Schenkungsteuer
als Verkehrsteuer ein (BFH-Urteil vom 06.05.2020 - II R 34/17,
Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 269, 419,
BStBl II 2020, 744 = SIS 20 12 48, Rz 15, mit weiteren Nachweisen -
m.w.N. - ).
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38
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Die Vermögensteuer wird in Deutschland
seit 1997 nicht mehr erhoben. Anders als die Vermögensteuer
besteuert die Schenkungsteuer nicht das Halten von Vermögen,
sondern die durch eine Schenkung vermittelte zusätzliche
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Erwerbers (vgl.
BFH-Vorlagebeschluss vom 22.05.2002 - II R 61/99, BFHE 198, 342,
BStBl II 2002, 598 = SIS 02 85 75, unter II.1.; Begründung zur
Reform des Erbschaftsteuergesetzes, Drucksachen des deutschen
Bundestages VI/3418, S. 59).
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Von der Erbschaftsteuer, die in Deutschland
als Erbanfallsteuer (nicht als Nachlasssteuer) ausgestaltet ist,
unterscheidet sich die Schenkungsteuer dadurch, dass die besteuerte
Zuwendung zu Lebzeiten des Zuwendenden erfolgt. Demgegenüber
erfasst die Erbschaftsteuer Zuwendungen aufgrund des Todes des
Zuwendenden. Demgemäß unterscheiden sich Schenkungen von
Erbschaften durch ihre zeitliche Planbarkeit: Während der
Zeitpunkt einer Schenkung frei gewählt werden kann, bleibt der
Eintritt des Todes und damit der Anfall der Erbschaft dem Zufall
überlassen.
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c) Dennoch bestehen aus Sicht des vorlegenden
Senats Zweifel, ob die Schenkungsteuer vom Anwendungsbereich der
Vorschrift ausgenommen ist.
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41
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aa) Die Schenkungsteuer könnte mit dem in
Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls verwendeten Begriff der
„Einkommensteuer“ gleichzusetzen sein.
Die deutsche Schenkungsteuer knüpft zwar an einen
Vermögenstransfer an, ist ihrem Wesen nach aber eine
Bereicherungssteuer (BFH-Vorlagebeschluss vom 18.12.1972 - II R
87-89/70, BFHE 108, 393, BStBl II 1973, 329 = SIS 73 01 78, unter
IV.3.b; BFH-Urteile vom 09.08.1983 - VIII R 35/80, BFHE 139, 253,
BStBl II 1984, 27 = SIS 83 24 03, unter 2.b und vom 01.07.2008 - II
R 2/07, BFHE 222, 68, BStBl II 2008, 897 = SIS 08 37 70, unter
II.1.a; vgl. Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Kommentar, 18. Aufl., Einführung Rz 1:
„Doppelgesicht“ der Erbschaft- und
Schenkungsteuer).
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42
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Die Schenkungsteuer lässt sich ebenso wie
die Erbschaftsteuer als Einkommensteuer im weiteren Sinne
beschreiben (zum Beispiel Crezelius, FR 2007, 613, 616; Seer in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.1 f.;
Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Kommentar, 18. Aufl., Einführung Rz 3; Gottschalk in
Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Einführung Rz
35). Als Personensteuern (Subjektsteuern) erfassen die
Einkommensteuer, die Erbschaftsteuer und die Schenkungsteuer den
Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, wobei die
Tatbestände des Einkommensteuerrechts an entgeltliche und die
Tatbestände des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts an
unentgeltliche Vorgänge anknüpfen (Crezelius, FR 2007,
613, 616; derselbe, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft, Band
22 1999, 73, 106, 124). Mit der Bereicherung des Bedachten
besteuern die Erbschaftsteuer und die Schenkungsteuer den
individuellen Vermögenszuwachs und damit Einkommen im weiteren
Sinne. Das deutsche Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz
ergänzt insofern das Steuerobjekt der Einkommensteuer und der
übrigen Ertragsteuern, die nur am Markt erwirtschaftete
Vermögenszuwächse besteuern, um Vermögensmehrungen,
die der Erwerber weder erwirtschaften noch durch den Einsatz
finanzieller Mittel oder im Austausch mit anderen
Vermögenswerten herbeiführen muss (Gottschalk in
Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Einführung Rz
35).
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43
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In Deutschland sind die Erbschaftsteuer und
die Schenkungsteuer vor allem aus praktischen
(regelungstechnischen) Erwägungen nicht in das
Einkommensteuergesetz integriert worden (Seer in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.2; Meincke/Hannes/Holtz,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 18. Aufl.,
Einführung Rz 3, jeweils m.w.N.). In anderen Mitgliedstaaten
werden Schenkungen dagegen unmittelbar im Rahmen der
Einkommensteuer erfasst (zum Beispiel das Königreich
Dänemark, die Republik Estland, die Republik Litauen und die
Tschechische Republik, auch in dem ehemaligen Mitgliedstaat
Vereinigtes Königreich).
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44
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bb) Die Schenkungsteuer könnte zudem mit
dem in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls verwendeten Begriff der
„Erbschaftsteuer“ gleichzusetzen sein.
Denn die Schenkungsteuer stellt lediglich eine vorweggenommene
Erbschaftsteuer dar (Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl.,
Kap. 15 Rz 15.4; Curdt in Kapp/Ebeling, ErbStG, Einleitung, Rz 19).
Angesichts des Zwecks der Erbschaftsteuer, das ohne eigenes Zutun
erworbene Vermögen gemäß der individuell
eingetretenen Bereicherung zu belasten, spielt es keine Rolle, ob
das Vermögen von Todes wegen oder unter Lebenden unentgeltlich
erworben wird. Die Schenkungsteuer bildet daher die notwendige
Ergänzung der Erbschaftsbesteuerung (Crezelius, FR 2007, 613,
616). Ohne eine Besteuerung von Schenkungen unter Lebenden
könnte die Erbschaftsbesteuerung leicht durch Verfügungen
über das Vermögen zu Lebzeiten des Erblassers umgangen
werden (Crezelius, FR 2007, 613, 616; Seer in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.4; Curdt in Kapp/Ebeling,
ErbStG, Einleitung, Rz 19). Vor diesem Hintergrund gelten die
Vorschriften des deutschen Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes für Schenkungen unter Lebenden
sinngemäß (§ 1 Abs. 2 ErbStG; siehe Seer in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.4.). Die
Schenkungsteuer wird nach dem Gedanken eines
„vorweggenommenen Erbens“ im
Wesentlichen nach den gleichen gesetzlichen Regeln wie die
Erbschaftsteuer erhoben, weshalb sie häufig unter dem
Oberbegriff der Erbschaftsteuer behandelt wird. Andere
Mitgliedstaaten - wie die Französische Republik, die
Italienische Republik, die Republik Polen und das Königreich
Spanien - gehen ebenso vor.
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4. Zur Vorlagefrage 2
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46
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a) Die Vorlagefrage 2 ist nur dann
entscheidungserheblich, wenn die Vorlagefrage 1 so zu beantworten
ist, dass Art. 13 Abs. 1
Satz 1 des Protokolls auf die Schenkungsteuer Anwendung findet.
Dann wäre zu klären, ob Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls es ausschließt, dass ein Beamter oder sonstiger
Bediensteter der Union, der sich lediglich zur Ausübung der
Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines
anderen Mitgliedstaats als des Herkunftsmitgliedstaats
niedergelassen hat, einen weiteren steuerlichen Wohnsitz in einem
anderen Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet,
wenn er gleichzeitig einen tatsächlichen Wohnsitz im
Tätigkeitsstaat beibehält. Fraglich ist mit anderen
Worten, ob die Vorschrift so auszulegen ist, dass neben dem nach
Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls weiterhin bestehenden
steuerlichen Wohnsitz im Herkunftsmitgliedstaat kein weiterer
steuerlicher Wohnsitz entstehen kann, wenn der Beamte oder sonstige
Bedienstete der Union im Verlauf seines Dienstverhältnisses
zusätzlich zu seinem tatsächlichen Wohnsitz im
Tätigkeitsstaat einen tatsächlichen Wohnsitz in einem
anderen Mitgliedstaat begründet.
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47
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b) Nach der Rechtsprechung des EuGH regelt
Art. 13 des Protokolls die Aufteilung der steuerlichen Befugnisse
zwischen der Union, dem Mitgliedstaat, in dem der Beamte oder
sonstige Bedienstete vor seinem Dienstantritt bei der Union seinen
steuerlichen Wohnsitz hatte, und dem Mitgliedstaat, in dem er seine
Amtstätigkeit ausübt (vgl. EuGH-Urteil X/Staatssecretaris
van Financiën vom 17.06.1993 - C-88/92, EU:C:1993:246 = SIS 93 25 11, Rz 11). Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls ist der
Herkunftsmitgliedstaat, in dem der steuerliche Wohnsitz des Beamten
oder sonstigen Bediensteten bestehen bleibt, grundsätzlich
weiterhin für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und
Erbschaftsteuer zuständig, auch wenn der Beamte oder sonstige
Bedienstete dort nicht seinen tatsächlichen Wohnsitz hat (vgl.
EuGH-Urteil Gistö vom 28.07.2011 - C-270/10, EU:C:2011:529 =
SIS 11 30 47, Rz 17). Art. 13 des Protokolls räumt dem
Unionsbeamten keine Wahlmöglichkeit zur Bestimmung seines
steuerlichen Wohnsitzes ein. Die Aufteilung der Befugnisse durch
die Vorschrift wäre in Frage gestellt, wenn der Beamte die
freie Wahl hätte, seinen steuerlichen Wohnsitz in einen
anderen Staat als den seines ursprünglichen steuerlichen
Wohnsitzes zu verlegen. Art. 13 des Protokolls ist so auszulegen,
dass die Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes des Unionsbeamten
nicht vom Willen des Betroffenen abhängen kann (EuGH-Urteile
X/Staatssecretaris van Financiën vom 17.06.1993 - C-88/92,
EU:C:1993:246 = SIS 93 25 11, Rz 12 f., 16 und Gistö vom
28.07.2011 - C-270/10, EU:C:2011:529 = SIS 11 30 47, Rz 18).
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48
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c) Nach diesen Maßstäben versteht
der vorlegende Senat die Regelung in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls so, dass neben dem steuerlichen Wohnsitz im
Herkunftsmitgliedstaat kein weiterer steuerlicher Wohnsitz
entstehen kann, wenn der Beamte zusätzlich zu seinem Wohnsitz
am Dienstort einen tatsächlichen Wohnsitz in einem anderen
Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet. Für
die Aufteilung der steuerlichen Befugnisse zur Erhebung der
Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer ist nach Ansicht des
Senats auf den Zeitpunkt des Dienstantritts bei der Union
abzustellen. Die Begründung weiterer tatsächlicher
Wohnsitze zu einem späteren Zeitpunkt hat keinen Einfluss auf
diese Aufteilung, solange der Beamte seine Amtstätigkeit im
Dienst der Union ausübt. Da die Bestimmung des steuerlichen
Wohnsitzes nicht vom Willen des Betroffenen abhängen kann,
bleibt der Herkunftsmitgliedstaat für die Erhebung der
Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer auch dann - allein -
zuständig, wenn der Beamte, ohne den tatsächlichen
Wohnsitz am Dienstort aufzugeben, aus privaten Gründen
Wohnsitze in anderen Mitgliedstaaten als dem Staat seiner
Amtstätigkeit begründet. Auf die Gründe der
zusätzlichen Wohnsitznahme (dienstlich, privat und so weiter)
kommt es nach Auffassung des Senats nicht an.
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d) Diese Auslegung ist nicht frei von
Zweifeln. Seinem Wortlaut nach trifft Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des
Protokolls eine Regelung lediglich für das Niederlassen am
Dienstort zur Zeit des Dienstantritts bei der Union. Zu einer
späteren Begründung eines weiteren Wohnsitzes in einem
Mitgliedstaat außerhalb des Staates, in dem der Beamte seine
Amtstätigkeit ausübt, enthält die Vorschrift keine
Aussagen. Ungeachtet dessen ist Voraussetzung für die
Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls, dass der Beamte
„sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im
Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaats“ niederlässt. Dies trifft
auf die Wohnsitznahme in einem Mitgliedstaat außerhalb des
Tätigkeitsstaates nicht zu, wenn diese Wohnsitznahme zur
Errichtung eines gemeinsamen Hausstands mit dem Ehepartner erfolgt.
Darüber hinaus könnte die Formulierung „in den
beiden genannten Staaten“ darauf hindeuten,
dass Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls eine Aufteilung der
steuerlichen Befugnisse ausschließlich zwischen dem
Herkunftsstaat und dem Mitgliedstaat der Amtstätigkeit
vornimmt. Dies könnte bedeuten, dass der Beamte neben dem
fingierten Wohnsitz im Herkunftsstaat weitere steuerliche Wohnsitze
in anderen Mitgliedstaaten - außerhalb des Staates der
Amtstätigkeit - begründen könnte. Konkurrierende
Steuerpflichten in mehreren Mitgliedstaaten wären dann
gegebenenfalls durch Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
zu beseitigen. Im Streitfall bestünden allerdings keine
konkurrierenden Steuerpflichten, sondern nur eine Steuerpflicht in
Deutschland, da Österreich die Erbschaft- und Schenkungsteuer
bereits zum 01.08.2008 abgeschafft hat.
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5. Die dem EuGH vorgelegten Fragen sind
entscheidungserheblich.
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Sollten die Vorlagefrage 1 und die
Vorlagefrage 2 zu bejahen sein, wäre die Revision des FA als
unbegründet zurückzuweisen.
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Wäre die Vorlagefrage 1 oder die
Vorlagefrage 2 zu verneinen, wäre die Revision des FA
begründet und die Vorentscheidung aufzuheben sowie die Klage
abzuweisen.
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6. Das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
ist nach Art. 267 Abs. 3 AEUV erforderlich.
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